
„Diese Ergebnisse haben möglicherweise Implikationen für viele orale Therapien“
Unser Gesprächspartner:
Assoc.-Prof. PD Dr. Georg Pfeiler
Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe
Leiter der onkologischen Brustambulanz der Universitätsklinik für Frauenheilkunde
Leiter der Ambulanz für Knochengesundheit, Medizinische Universität Wien/AKH Wien
E-Mail: georg.pfeiler@meduniwien.ac.at
Das Interview führte Ingeborg Morawetz, MA
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Wissenschaftler:innen um Assoc.-Prof. PD Dr. Dr. Georg Pfeiler haben den Einfluss des Body-Mass-Index auf die endokrine Therapie mit undohne Palbociclib bei Patient:innen mit frühem HR-positivem Brustkrebs untersucht. Der Leiter der onkologischen Brustambulanz an der MedUni Wien hat mit uns über die Studie und ihre Ergebnisse gesprochen.
Wie ist Ihre Studie zum Einfluss des BMI auf Nebenwirkungen und Effektivität bei der Brustkrebstherapie mit CDK4/6-Inhibitoren aufgebaut?
G. Pfeiler: Unsere Studie ist eine prospektiv geplante Analyse zur Phase-III-Studie PALLAS. Bei PALLAS handelt es sich um eine randomisierte Studie, die in 21 Ländern durchgeführt wurde. Die Supervision lag bei der österreichischen ABCSG-Studiengruppe und in den USA. Es wurden 5698 Patient:innen mit frühem Brustkrebs eingeschlossen. Sie wurden zu einer endokrinen Standardtherapie, einer antihormonellen Therapie oder zu einer endokrinen Therapie mit dem CDK4/6-Inhibitor Palbociclib randomisiert. Der primäre Endpunkt war das krankheitsfreie Überleben. Es gab keine Verlängerung des krankheitsfreien Überlebens bei den Patient:innen, die mit Palbociclib behandelt wurden.
In unserer geplanten Analyse wurde untersucht, ob der Body-Mass-Index (BMI) einen Einfluss einerseits auf die Prognose der Patient:innen und andererseits auf die Effektivität der Therapie hat. Im Fokus stand aber auch der Zusammenhang des BMI mit den Nebenwirkungen und den Therapieabbrüchen – also Therapietreue in Abhängigkeit vom Körpergewicht.
Wie sind Sie in der Analyse vorgegangen?
G. Pfeiler: Wir haben den BMI anhand der WHO-Kriterien berechnet und die Patient:innen in Gruppen unterteilt: stark übergewichtig und übergewichtig vs. normalgewichtig. Die untergewichtigen Patient:innen wurden nicht berücksichtigt, weil es nur wenige in der Studie gab und eine solide Aussage statistisch nicht möglich war.
Als Erstes haben wir festgestellt, was uns schon aus anderen Studien und auch aus anderen ABCSG-Studien bekannt war: Ein Großteil der Patient:innen mit adjuvanter Therapie und frühem Mammakarzinom war übergewichtig oder stark übergewichtig. Das ist schon eine wesentliche Erkenntnis – wären nur wenige Brustkrebspatient:innen übergewichtig, wäre der Einfluss des BMI auf Therapieparameter vernachlässigbar.
Gibt es Erklärungen zur hohen Prävalenz von Übergewicht bei den Brustkrebspatient:innen?
G. Pfeiler: Das ist eine Henne-Ei-Frage. In unserer Gesellschaft nimmt der BMI mit dem Alter zu. Dafür verantwortlich können Wohlstandsfaktoren sein, aber auch hormonelle Umstellungen, vor allem bei Frauen. Wir können also gar nicht definitiv sagen, ob Brustkrebspatient:innen im Durchschnitt einen höheren BMI haben als die gesunde Bevölkerung.
Aber generell hat Übergewicht schon einen Einfluss auf Entstehung und Prognose von Krebserkrankungen. Dafür verantwortlich sind Faktoren wie Insulin, IGFS, Adiponectin, Leptin etc., die alle einen Einfluss auf die Proliferation von Krebszellen haben. Übergewicht ist trotzdem kein Problem der Onkologie im Speziellen, sondern ein gesellschaftliches Problem.
Wie waren die BMI-Gruppen in der Studie verteilt?
G. Pfeiler: Der mediane BMI lag bei 26,7kg/m2. Bis zu 24,9kg/m2 wäre normalgewichtig. Im Endeffekt war ein Drittel der Patient:innen normalgewichtig, nämlich 36,5%, ein Drittel übergewichtig, 31,9%, und ein Drittel war stark übergewichtig, nämlich 30,4%.
Wir konnten auch zeigen, dass beim Cut-off von 50 Jahren – also in etwa prä- und postmenopausal – ein Unterschied zu merken ist: Bei den Patient:innen über 50 Jahre war Übergewicht häufiger.
Welche Auswirkungen des BMI auf die Nebenwirkungen haben sich gezeigt?
G. Pfeiler: Wir konnten feststellen, dass die objektiven Nebenwirkungen, nämlich hämatologische Nebenwirkungen, bei übergewichtigen oder stark übergewichtigen Patient:innen seltener sind als bei normalgewichtigen Patient:innen. Das sind zum Beispiel Neutropenien, die 80–90% Prozent der Patient:innen mit einer CDK4/6-Inhibitor-Therapie betreffen, oder Thrombozytopenien.
Was war die Folge der reduzierten Nebenwirkungen?
G. Pfeiler: Die signifikant niedrigeren Raten an Neutropenien, gerade von Grad 3 bis 4, haben dazu geführt, dass übergewichtige oder stark übergewichtige Patient:innen die Therapie signifikant seltener abgebrochen haben. Auch Dosisreduktionen und Therapiepausen waren weniger häufig als bei normalgewichtigen Patient:innen.
Was gibt es zur Effektivität der Therapie zu sagen?
G. Pfeiler: Wir haben uns auch das klinische Ergebnis der Palbociclib-Therapie in Bezug auf den BMI angeschaut. Bisher konnten wir noch keinen Unterschied zwischen den Gruppen feststellen, was das krankheitsfreie Überleben betrifft. Aber natürlich handelt es sich hier um eine sehr frühe Analyse. Normalerweise gehen die Kurven erst nach drei Jahren auseinander. In unserer Arbeit befinden wir uns genau an diesem Wendepunkt, deswegen werden wir auch noch eine Langzeitanalyse machen. Darin wollen wir insbesondere auch noch einmal die gesamte Effektivität der Therapie anschauen.
Wie ist Ihre persönliche Einschätzung, wie sich die Effektivität in der Langzeitanalyse zeigen wird?
G. Pfeiler: Ehrlicherweise ist diese Vorhersage in dieser Studie ein bisschen schwierig, weil in der Gesamtstudie kein Unterschied zwischen der Gruppe mit CDK4/6-Inhibitor und der Gruppe ohne herausgekommen ist. Da fällt der Nachweis einer Effektivitätsbeeinflussung durch den BMI schwer – man sieht ohnehin keinen Effektivitätsunterschied, wie soll man dann einen Unterschied bezüglich des BMI sehen?
Was wir eventuell zeigen könnten, ist, dass übergewichtige oder stark übergewichtige Patient:innen bei einer Unterdosierung zum Beispiel keinen Vorteil in der Therapie haben. Somit würde bei einem Großteil der Patient:innen der CDK4/6-Inhibitor zu keiner Verlängerung des krankheitsfreien Überleben führen, wenn man aber die Normalgewichtigen alleine untersucht, könnte eine Verlängerung möglich/nachweisbar sein.
Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus Ihren Ergebnissen ziehen?
G. Pfeiler: Diese Ergebnisse haben Implikationen für viele orale onkologische Therapien und vor allem für die, die nicht an Gewicht oder Körperoberfläche adaptiert sind. Das betrifft Therapien mit einem großen therapeutischen Fenster, bei denen eine Überdosierung generell unproblematisch ist.
Gerade neue onkologische Therapien, wie zum Beispiel zielgerichtete Therapien, werden zwar im Regelfall nicht an Gewicht oder Körperoberfläche adaptiert, haben aber dennoch reichlich Nebenwirkungen. Bei CDK4/6-Inhibitoren sind das vor allem Blutbildveränderungen. Bei anderen Therapien können auch Mukositis, Diarrhö und weitere unerwünschte Ereignisse vorkommen. Das sind alles Nebenwirkungen, die man sehr wohl berücksichtigen muss und die ebenfalls zu Therapieabbrüchen führen können.
Hier ist es sinnvoll, zu überlegen, ob eine an Gewicht oder Körperoberfläche adaptierte Dosis eine Lösung wäre.
Was kann das für die klinische Anwendung von CDK4/6-Inhibitoren bedeuten?
G. Pfeiler: Das Wichtige hier ist wieder: Es gibt weniger Nebenwirkungen und damit weniger Therapieabbrüche bei übergewichtigen oder stark übergewichtigen Patient:innen, ohne dass bisher eine klare Aussage über die Effektivität möglich ist.
Es könnte also entweder sein, dass die Therapie bei diesen Patient:innen unterdosiert ist und wegen des höheren Verteilungsvolumens weniger Nebenwirkungen hervorruft – aber auf lange Sicht auch weniger effektiv ist – oder dass die Therapie hier richtig dosiert, aber bei normalgewichtigen Patient:innen überdosiert ist. Das bedeutet, dass die zu hohe Dosis zwar effektiv ist, wir uns diese Effektivität aber mit mehr Nebenwirkungen erkaufen. Unter diesen Umständen wäre ich auch lieber eine übergewichtige Patientin. Hierüber soll ebenfalls die Langzeitanalyse Aufschluss geben.
Denn selbst wenn eine Therapie effizient ist, ist sie nicht das, was ich mir als Arzt wünsche, wenn sie parallel viele Nebenwirkungen hat. Ideal wären so wenige Nebenwirkungen wie möglich und so viel Effekt wie möglich. Es gilt also, Medikation zielgerichtet einzusetzen.
Gibt es weitere Studien, die Ähnliches untersuchen?
G. Pfeiler: International gibt es Studien, Gesellschaften und Leitlinien, die sich mit diesem Thema beschäftigen und darauf drängen, dass die abgeleiteten Empfehlungen umgesetzt werden.
Natürlich sind generell mehr Daten nötig. Aber die Untersuchungen zum BMI und die bisherigen Ergebnisse sind ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Was ist ein Abgrenzungsmerkmal Ihrer Studie?
G. Pfeiler: Ein großer Vorteil in unserer Analyse sind die objektiven Nebenwirkungen. Nebenwirkungen sind grundsätzlich schwer zu erfassen und zu bewerten. Messbare Blutbildveränderungen haben es uns ermöglicht, den Einfluss des BMI deutlich zu zeigen. Wir können also eine klare Schlussfolgerung ziehen: Ist am Ende die Effektivität der Therapie bei allen BMI-Gruppen gleich, haben übergewichtige Patient:innen einen Vorteil, da sie weniger Nebenwirkungen haben.
Subjektive Nebenwirkungen hingegen sind schwieriger auseinanderzuhalten. Das Gewicht kann hier noch einmal ein unabhängiger Einflussfaktor sein, der das Ergebnis verfälscht, zum Beispiel bei Müdigkeit, Übelkeit oder Haarveränderungen.
Wie lautet Ihr Fazit zur Studie?
G. Pfeiler: Der springende Punkt ist das Wachrütteln der onkologischen Gesellschaft. Bei Therapien mit einem kleinen therapeutischen Fenster muss darauf geachtet und in späteren Phasen nachkontrolliert werden, ob ein gewichtsadaptiertes Vorgehen nicht sinnvoll wäre, um die Nebenwirkungen zu reduzieren und/oder die Effektivität zu verbessern.
Literatur:
Pfeiler G et al.: Impact of BMI in patients with early hormone receptor–positive breast cancer receiving endocrine therapy with or without palbociclib in the PALLAS trial. J Clin Oncol 2023; 41(33): 5118-30
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