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12. Österreichischer Infektionskongress

Antibiotikum ja oder nein?

<p class="article-intro">In einer Pro/Contra-Sitzung wurden drei Situationen diskutiert, bei denen der Einsatz von Antibiotika nicht ganz unumstritten ist. An den Vorträgen und Diskussionsbemerkungen erwies sich der Unterschied zwischen Leitlinien und der täglichen klinischen Praxis.</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>Positive Harnkultur</h2> <p><strong>Pro</strong><br /> &bdquo;Zun&auml;chst muss nat&uuml;rlich eine Indikation f&uuml;r die Durchf&uuml;hrung einer Harnkultur vorliegen&ldquo;, begann O&Auml; Dr. Sabine Mair, Universit&auml;tsklinik f&uuml;r Innere Medizin II, MedUni Innsbruck, ihr Pl&auml;doyer. Wichtig ist, dass Symptome vorliegen, die sich mit einem Harnwegsinfekt (HWI) vereinbaren lassen (z.B. Dysurie, Algurie, Pollakisurie, imperativer Harndrang). Aber auch rezidivierende HWI oder fehlende Besserung auf antibiotische Behandlung k&ouml;nnen Kulturindikationen sein.</p> <p>Wenn Symptome vorliegen, die zum HWI passen bzw. ihm zugeordnet werden k&ouml;nnen, und wenn die Harnkultur positiv ist, so liegt per definitionem ein symptomatischer HWI vor, und der Patient sollte antibiotisch behandelt werden.</p> <p>Schwieriger wird die Situation bei asymptomatischer Bakteriurie. Hier gab es bisher zwei Indikationen zur Therapie: die Schwangerschaft und den geplanten Eingriff an der Prostata. F&uuml;r Letzteren gilt die Behandlungsindikation nach wie vor. Die Indikation Schwangerschaft wurde hingegen durch neuere Daten eher infrage gestellt. Im Gegensatz zu &Ouml;sterreich wird in manchen L&auml;ndern (Deutschland, Niederlande) in der Schwangerschaft kein Harnscreening mehr empfohlen.</p> <p><strong>Contra</strong><br />&bdquo;Der HWI ist die zweith&auml;ufigste Infektionskrankheit und macht ca. 1 % aller Hausarztbesuche aus &ndash; bei hoher Dunkelziffer. Wollten wir alle diese Patienten antibiotisch behandeln, w&auml;re das eine extrem hohe Antibiotikalast&ldquo;, argumentierte Dr. Matthias Vossen, Klinische Abteilung f&uuml;r Infektionen und Tropenmedizin, Med- Uni Wien. Damit steigt auch die Gefahr von Resistenzentwicklung.</p> <p>Neben der asymptomatischen Bakteriurie, bei der ohnehin zumeist keine Therapieindikation besteht, pl&auml;diert Vossen auch gegen die Behandlung des unkomplizierten, symptomatischen HWI. Dieser ist in der Regel selbstlimitierend. Und es gibt Daten, die zeigen, dass ein Gro&szlig;teil der HWI auch unter rein analgetischer Therapie abheilt. Zudem scheint auch der Harntrakt nicht &ndash; wie fr&uuml;her angenommen &ndash; steril zu sein, sondern ein eigenes Mikrobiom zu besitzen. Das w&uuml;rde auch erkl&auml;ren, warum die HWI-Rezidivrate nach antibiotischer Therapie h&ouml;her ist als ohne. Jede antibiotische Therapie st&ouml;rt das lokale Mikrobiom und reduziert seine Diversit&auml;t.</p> <h2>Streptokokken in Hals und Ohr</h2> <p><strong>Pro</strong><br /> &bdquo;Die Erreger der akuten Otitis media, kurz AOM, sind zwar meist Viren, aber zum Teil auch Bakterien, und hier spielen Streptokokken &ndash; vor allem Pneumokokken und Streptococcus pyogenes &ndash; eine gewisse Rolle&ldquo;, erl&auml;uterte Assoz.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Volker Strenger, Universit&auml;tsklinik f&uuml;r Kinder- und Jugendheilkunde, MedUni Graz.</p> <p>Wichtig ist die exakte Diagnose &ndash; nicht jedes ger&ouml;tete Trommelfell bedeutet eine AOM. Ebenso bedeutet nicht jedes Stippchen im Hals gleich eine Streptokokkenangina. Wenn allerdings im Ohr oder im Hals tats&auml;chlich eine Streptokokkeninfektion vorliegt, k&ouml;nnen Antibiotika die Symptome mildern, den Verlauf und auch die Ansteckungsf&auml;higkeit verk&uuml;rzen und Komplikationen verhindern.</p> <p>Bei einer eindeutigen AOM sollte eine antibiotische Therapie dann sofort begonnen werden, wenn die Kinder systemisch schwer krank sind (hohes Fieber, schlechter AZ), und immer bei Kindern unter sechs Monaten.</p> <p>Bei Angina tonsillaris gibt es Zeichen, die f&uuml;r eine virale Genese sprechen. Dies sind Schnupfen, Konjunktivitis, Diarrh&ouml;, generalisierte Lymphadenopathie und Splenomegalie. Ein typisches Scharlachexanthem spricht f&uuml;r eine bakterielle Genese, darf aber nicht mit einem unspezifischen Virusexanthem verwechselt werden.</p> <p>Studien zeigen, dass eine Leukozytose und ein erh&ouml;htes CRP auch bei viralen Infektionen vorhanden sein k&ouml;nnen. Eventuell hilfreich ist ein Streptokokken- Schnelltest aus dem Rachenabstrich.</p> <p>Entscheidet man sich f&uuml;r eine antibiotische Therapie, sollte mit einem schmal wirksamen Antibiotikum behandelt werden, z.B. mit Amoxicillin bei der AOM oder Penicillin bei der Streptokokkenangina.</p> <p><strong>Contra</strong><br />&bdquo;Ich schreibe kein Antibiotikum auf, wenn ich es nicht wirklich brauche&ldquo;, betonte der in Wien niedergelassene Kinderarzt Dr. Stefan Thalhammer. &bdquo;Streptokokkeninfekte in Ohr und Hals sind eigentlich in der Praxis selten geworden&ldquo;, so der Kinderarzt weiter.</p> <p>Die einzige Methode, um in der Praxis herauszufinden, ob eine Streptokokkeninfektion (im Rachen) vorliegt, ist der Abstrich, der allerdings zwei Nachteile aufweist: 30 % sind falsch negativ, andererseits sind 30 % der Bev&ouml;lkerung mit Streptokokken kolonisiert, ohne krank zu sein. &bdquo;Damit betr&auml;gt die Trefferquote nur noch 40 % , da ist es besser, zu w&uuml;rfeln&ldquo;, so Thalhammer pointiert.</p> <p>Eine sinnvolle Methode f&uuml;r die Indikationsstellung ist die Abnahme eines Blutbilds mit CRP &ndash; wenn sich hier Hinweise auf eine bakterielle Infektion finden, ist die Verschreibung eines Antibiotikums gerechtfertigt. Das kann z.B. Penicillin V oder Cefaclor sein.<br /> &bdquo;Amoxicillin w&uuml;rde ich bei einem Racheninfekt eher nicht verwenden, u.a. deshalb, weil es von Kindern oft nicht gut vertragen wird&ldquo;, so Thalhammer abschlie&szlig;end.</p> <h2>Abszedierende Hautinfektionen</h2> <p><strong>Pro</strong><br /> &bdquo;Tats&auml;chlich waren die bisherigen Empfehlungen bez&uuml;glich einer antimikrobiellen Therapie von Hautabszessen negativ&ldquo;, r&auml;umte Dr. Maria Kitchen-Hosp, Universit&auml;tsklinik f&uuml;r Dermatologie, MedUni Innsbruck, ein. Allerdings gibt es sehr wohl Indikationen f&uuml;r Antibiotika, wie z.B. gro&szlig;e Abszesse (&gt;5cm), multiple Abszesse, ausgedehntes Begleiterysipel, schwierige Drainage, Systembeteiligung, Immunsuppression, hohes oder sehr geringes Alter, hohes Risiko f&uuml;r Endokarditis oder f&uuml;r &Uuml;bertragung von S. aureus.</p> <p>Au&szlig;erdem gibt es zwei neue randomisierte, placebokontrollierte Studien,<sup>1, 2</sup> die im Gegensatz zu &auml;lteren Arbeiten nun sehr wohl einen Nutzen f&uuml;r Antibiotika auch bei kleinen Abszessen und Patienten ohne Risikofaktoren zeigen.</p> <p>Hier wurden mittels Cotrimoxazol bzw. in einer Studie auch mittels Clindamycin signifikant h&ouml;here Heilungsraten erzielt als mit Placebo. Allerdings war der Anteil von MRSA in den Studienpopulationen &uuml;ber 40 % . Nat&uuml;rlich wurde bei allen Patienten auch eine Inzision mit Drainage durchgef&uuml;hrt. Neuere Guidelines empfehlen daher, den Einsatz von Antibiotika (bevorzugt Cotrimoxazol oder Clindamycin) zus&auml;tzlich zum chirurgischen Vorgehen auch bei kleineren Abszessen zu erw&auml;gen.</p> <p><strong>Contra</strong><br /> &bdquo;Therapiestandard beim Abszess sind Drainage und m&ouml;glichst radikales D&eacute;bridement&ldquo;, sagte Prim. Univ.-Doz. Dr. Rupert Koller, Abteilung f&uuml;r Plastische, &Auml;sthetische und Rekonstruktive Chirurgie, Wilhelminenspital, Wien. &bdquo;Man muss auch in Antibiotikastudien genauer schauen, was da im Hintergrund chirurgisch gemacht wurde, denn auch f&uuml;r Abszessbehandlungen gibt es Standards, die nicht immer eingehalten werden&ldquo;, so Koller.</p> <p>Nach dem Eingriff muss eine ad&auml;quate Lokaltherapie erfolgen, u.a. mit silberhaltigen Wundauflagen. Alternativ hat sich in diesem Kontext auch die Negativdrucktherapie bew&auml;hrt.</p> <p>In einer rezenten mexikanischen Studie,<sup>3</sup> in der das chirurgische Vorgehen sehr genau beschrieben wurde, fand sich kein Unterschied zwischen Antibiotikum und Placebo nach Abszessd&eacute;bridement.</p> <p>&bdquo;Zu den von der Vorrednerin erw&auml;hnten Studien ist zu sagen, dass die MRSARaten in den USA sehr viel h&ouml;her sind als bei uns, und die Studien zeigten, dass vor allem Patienten mit MRSA-Infektionen profitierten&ldquo;, kommentierte Koller. &bdquo;Au&szlig;erdem hatten diese Studien kein standardisiertes Vorgehen, aber eine lange Liste von Ausschlusskriterien. Meiner Meinung nach ben&ouml;tigen unkomplizierte, ausreichend drainierte und lokal ad&auml;quat versorgte Abszesse bei Kindern und Erwachsenen kein Antibiotikum&ldquo;, so der Chirurg abschlie&szlig;end.</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: „Brauche ich altersabhängig ein Antibiotikum bei …“, Pro/ Contra 2 des 12. ÖIK, 13. April 2018, Saalfelden </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Talan DA et al.: N Engl J Med 2016; 374(9): 823-32 <strong>2</strong> Daum RS et al.: N Engl J Med 2017; 376(26): 2545-55 <strong>3</strong> L&oacute;pez J et al.: Surg Infect (Larchmt) 2018; 19(3): 345-51</p> </div> </p>
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