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Antiinfektiva bei besonderen Patientengruppen
Jatros
30
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12.06.2018
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<p class="article-intro">Kinder und Jugendliche, schwangere Frauen sowie alte Patienten stellen den Arzt, der Antibiotika verschreibt, vor gewisse Herausforderungen. Für Kinder gibt es kaum zugelassene Medikamente, die Datenlage für das Risiko in der Schwangerschaft ist begreiflicherweise nicht gut, und bei alten Menschen kann die Polypharmazie aufgrund von Multimorbidität zum Problem werden.</p>
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<p class="article-content"><h2>Schwangere und Stillende</h2> <p>„Die Hauptverschreiber von Antibiotika in der Schwangerschaft sind Gynäkologen, gefolgt von Allgemeinmedizinern“, berichtete Assoz.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Markus Zeitlinger, Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie, MedUni Wien. Die meisten Antibiotika, die in der Schwangerschaft verabreicht werden, sind – wenig überraschend – Betalaktame, während der Gebrauch anderer Substanzgruppen in dieser Periode stark zurückgeht. „Natürlich werden neue Medikamente präklinisch auch hinsichtlich der Teratogenität im Tierversuch getestet, nur leider kann man sich darauf nicht immer verlassen“, so der Klinische Pharmakologe. So war etwa Thalidomid, das in den Sechzigerjahren schwangeren Frauen empfohlen wurde und zu Phokomelien geführt hat, an Tierspezies getestet worden, die keine Phokomelien zeigten.</p> <p>„Klinische Studien könnten die Frage beantworten – jedoch sind Studien, bei denen schwangere Frauen einem nicht zugelassenen Medikament ausgesetzt werden, schwierig bis unmöglich“, schränkte Zeitlinger ein. Ein weiteres Problem sind die notwendigen Patientenzahlen, um seltenere Nebenwirkungen (NW) zu detektieren. So wäre für das Aufdecken mit 95 % iger Sicherheit von drei Fällen einer NW, die mit einer Inzidenz von 1:1000 vorkommt („gelegentlich“), eine Patientenzahl von 6500 erforderlich. Beträgt die Inzidenz der NW 1:100 000 („sehr selten“), so wären es bereits 650 000 Patienten.</p> <p>Nützlich sind Datenbanken, wie z.B. jene, die von der australischen Regierung zur Verfügung gestellt wird (https://www. tga.gov.au/prescribing-medicines-pregnancydatabase). Wichtig ist es, zu beachten, dass die Risikokategorien hinsichtlich Schwangerschaft weltweit unterschiedlich definiert werden. Häufig verwendet wird die Kategorisierung der amerikanischen Arzneimittelbehörde (FDA) (Tab. 1), während z.B. die erwähnte australische Datenbank andere Kategorien benützt. „Neben der Teratogenität gibt es auch noch das bereits im Eröffnungsvortrag angesprochene Problem der Mikrobiomschädigung des Kindes durch Antibiotikatherapie während der Schwangerschaft. Und wir müssen uns bewusst sein, dass die Informationen, die wir haben und auf denen z.B. Risikokategorisierungen beruhen, auf wenig Evidenz beruhen“, sagte Zeitlinger abschließend.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Infekt_1802_Weblinks_jatros_infekt_1802_s8_tab1.jpg" alt="" width="1419" height="982" /></p> <h2>Neugeborene und Kinder</h2> <p>„Nach wie vor gibt es zu wenige Therapiestudien mit Kindern und viele – gerade auch neue – Antiinfektiva sind für Kinder gar nicht zugelassen. Das gilt in besonders hohem Maße für Neugeborene und Säuglinge, bei denen es häufig zu einem Offlabel- Einsatz von Antiinfektiva kommt“, erläuterte Univ.-Prof. Dr. Angelika Berger, Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde, MedUni Wien.</p> <p>Zu bedenken ist, dass Kinder und Jugendliche nicht eine homogene Population darstellen, sondern viele, teils sehr unterschiedliche Populationen, vom Frühgeborenen bis zum Jugendlichen. „Um eine Zulassung zu bekommen, müssen alle diese Populationen getrennt studiert werden“, so die Kinderärztin. Für die Compliance von Kindern spielt der Geschmack des Medikaments eine große Rolle – worauf bei manchen Antiinfektiva-Säften zu wenig Wert gelegt wurde.</p> <p>Altersabhängig ist die Pharmakokinetik bei Kindern stark unterschiedlich – insbesondere bei Früh- und Neugeborenen ist hier Vorsicht geboten. Bei ihnen führen etwa eine verzögerte Magenentleerung, eine verminderte Magensäureproduktion und damit ein höherer pH-Wert zu einer unsicheren enteralen Resorption mancher Antibiotika. Auch der höhere Wasseranteil spielt eine Rolle. So beträgt der Anteil des Extrazellulärvolumens in Bezug auf das Körpergewicht bei Kindern 45 % , bei Erwachsenen nur 26 % . Deshalb ist das Verteilungsvolumen hydrophiler Antibiotika bei Kindern um mehr als 40 % größer und somit sind die Plasmaspiegel niedriger als beim Erwachsenen.</p> <p>Auch die Proteinbindung ist bei Neugeborenen und Säuglingen niedriger, was an niedrigen Serumalbuminspiegeln, reduzierter Bindungsfähigkeit und Verdrängung durch Bilirubin liegt. Somit haben Medikamente mit hoher Eiweißbindung in dieser Altersgruppe höhere Plasmaspiegel (z.B. Ceftriaxon oder Cotrimoxazol, das wegen Gefahr des Kernikterus bei Neugeborenen kontraindiziert ist).</p> <p>Auch die Metabolisierung ist im Kindesalter anders als bei Erwachsenen, da die Aktivität des Cytochrom-P450-Systems noch nicht voll ausgebildet ist. Außerdem ist auch die renale Clearance bei Früh- und Neugeborenen geringer. Schließlich ist eine Antibiotikatherapie im Neugeborenen- und frühen Kindesalter assoziiert mit negativen Langzeit-Outcomes (Adipositas, Asthma bronchiale, entzündliche Darmerkrankungen). „Antibiotic- Stewardship-Interventionen sind deshalb bei Kindern besonders bedeutsam“, so Berger abschließend.</p> <h2>Geriatrische Patienten</h2> <p>„Die Definition des geriatrischen Patienten hat sich geändert“, erläuterte Univ.- Prof. Dr. Rosa Bellmann-Weiler, Universitätsklinik für Innere Medizin II, MedUni Innsbruck. „Früher war das jeder Patient über 65. Heute ist damit der multimorbide Patient über 70 oder generell der Patient über 80 gemeint.“ Faktoren wie eine veränderte Physiologie und damit eine andere Pharmakokinetik und eventuell auch Pharmakodynamik, funktionelle Defizite, Multimorbidität und Polypharmazie spielen bei der antibiotischen Behandlung des geriatrischen Patienten eine Rolle.</p> <p>Die Polypharmazie ist eine Herausforderung: 35 % der über 70-Jährigen nehmen fünf bis acht verschiedene Medikamente, 15 % nehmen mehr als 13 Medikamente. Dabei ist der Anteil inadäquater Medikationen hoch: Er soll bei ca. 20 % liegen. Die Resorption ist für die Mehrzahl der Medikamente im Alter nicht stark verändert, wohl aber die Verteilung (Veränderung der Kompartimente, reduzierte Proteinbindung, Veränderung der Blut- Hirn-Schranke), die Metabolisierung (Veränderungen der Leberfunktion) und die Ausscheidung (schlechtere Nierenfunktion).</p> <p>„Bei Antibiotikaverordnungen muss man sich bewusst sein, dass man einer langen Liste von Medikamenten mit zum Teil unübersichtlichem Interaktionspotenzial und verschiedenen Nebenwirkungen eine weitere hinzufügt, die ihr eigenes Interaktions- und Nebenwirkungsspektrum aufweist“, warnte Bellmann-Weiler.<br /> Auch auf das Risiko für <em>Clostridium-difficile-Infektionen</em> (CDI) ist zu achten. Ein besonders hohes Risiko für die CDIAuslösung besteht bei Cephalosporinen der 2. und 3. Generation, Clindamycin und Fluorchinolonen.</p> <p>Ein anderes Thema sind die Neurotoxizität mancher Antibiotika sowie ihre Interaktionen mit Psychopharmaka. Riskant sind hier Fluorchinolone, Metronidazol, Carbapeneme, hoch dosierte Penicilline, Cephalosporine, Linezolid, Sulfamethoxazol, Clarithromycin und Isoniazid.</p> <p>„Bei Antiinfektiva im Alter sollte aufgrund des oft niedrigeren Körpergewichts und der reduzierten Nierenfunktion genau auf die Dosis, das Dosierungsintervall und eine möglichst kurze Therapiedauer geachtet werden“, so Bellmann-Weiler abschließend.</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: „Besonderheiten der Antiinfektivatherapie bei . . .“, Symposium
1 des 12. ÖIK, 11. April 2018, Saalfelden
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