Highlights aus der HIV-Forschung
Bericht: Dr. Corina Ringsell
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Die Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections (CROI) 2020, die vom 8.bis 11. März in Boston stattfinden sollte, musste – wie viele andere Kongresse – aufgrund der SARS-CoV-2-Pandemie neue Wege gehen. Die Konferenz fand daher in Form von Webcasts im Internet statt. Ergänzt wurden die Workshops und Präsentationen durch eine Reihe von Webinaren, die im Anschluss an den Kongress die wichtigsten Daten zusammenfassten, den CROI 2020 Updates.
Entwicklungen in der HIV-Epidemiologie
Die Epidemiologin Prof. Susan P. Buchbinder, University of California, San Francisco, gab einen Überblick über Epidemiologie und neue Präventionsstrategien bei HIV. Insgesamt habe sich die Lebenserwartung HIV-positiver Menschen an jene von HIV-negativen Gleichaltrigen angenähert, erklärte sie. Hatte ein 21-Jähriger, bei dem zwischen 2000 und 2003 HIV diagnostiziert wurde, eine um 22 Jahre kürzere durchschnittliche Lebenserwartung als ein Gleichaltriger ohne HIV, so betrug der Unterschied 2014 bis 2016 nur noch neun Jahre. Die Zeitdifferenz bis zum Auftreten von Komorbiditäten hat sich jedoch nicht verändert. HIV-Patienten erleiden im Schnitt 16 Jahre früher Komorbiditäten als HIV-negative Personen. Eine antiretrovirale Therapie (ART) wirkt sich positiv auf die Lebenserwartung aus: Patienten, die eine ART beginnen, wenn die CD4-Zell-Zahl noch über 500 liegt, haben die gleiche Lebenserwartung wie HIV-negative Personen. Auf die Komorbiditäten-freie Zeit hat sie nur bedingt Einfluss und verlängert lediglich die Zeit bis zum Auftreten kardiovaskulärer Krankheiten und Krebs.1
PrEP-Sicherheit und -Wirksamkeit
Buchbinder stellte aktuelle Daten der DISCOVER-Studie vor, von der im vergangenen Jahr die 48-Wochen-Daten präsentiert worden waren. Beim diesjährigen CROI wurden die 96-Wochen-Daten vorgestellt.2 Eingeschlossen waren mehr als 5000 homosexuelle Männer und Transgender-Frauen mit hohem HIV-Risiko. Sie wurden randomisiert und erhielten als Präexpositionsprophylaxe (PrEP) entweder Emtricitabin/Tenofoviralafenamid (F/TAF) oder Emtricitabin/Tenofovirdisoproxilfumarat (F/TDF). Beide Regime erwiesen sich als gleichwertig (Abb. 1). Auch die Nebenwirkungen beider Therapien waren vergleichbar. Es gab zwar einen statistisch signifikanten Unterschied hinsichtlich der Knochendichte, die unter F/TDF deutlich abnahm. Dies verursachte jedoch keine vermehrten Frakturen. F/TAF führte im Vergleich zu F/TDF zu einer geringeren Abnahme der Kreatininclearance und der Cholesterinwerte, ging aber mit einer um durchschnittlich 1kg größeren Gewichtszunahme einher. Daher empfehlen einige Arbeitsgruppen F/TDF als Erstlinien-PrEP für alle und F/TAF hauptsächlich für homosexuelle Männer und Transgender-Frauen mit Störungen im Nieren- oder Knochenstoffwechsel.2
Abb. 1: HIV-Inzidenz in der DISCOVER-Studie2
Highlights aus der klinischen Forschung
Prof. Paul Sax, Harvard Medical School, Boston, stellte die neuesten Ergebnisse aus der klinischen Forschung vor. Zuvor streifte er kurz das Thema Covid-19 und die Bedeutung der Infektion für HIV-Patienten. Zwar gebe es noch zu wenige gesicherte Daten, aber diese deuteten darauf hin, dass Patienten, deren HIV-Infektion gut kontrolliert ist, keinen anderen Krankheitsverlauf von Covid-19 haben als andere Menschen. Wie bei HIV-negativen Personen hänge das Risiko bei ihnen von den bestehenden Begleitkrankheiten ab, so Sax.
Dass eine gute Therapie und Prophylaxe bei HIV grundsätzlich wichtig sind, zeigte Sax anhand einer australischen Kohortenstudie, die zwischen 2012 und 2017 rund 15000 HIV-positive und mehr als 100000 HIV-negative homo- und bisexuelle Männer untersuchte. In diesem Zeitraum nahm die Virämie, definiert als >200 HIV-RNA-Kopien/ml Blut, bei den HIV-positiven Männern von 17% auf 4% ab. Der Anteil nicht diagnostizierter HIV-Infektionen reduzierte sich von 11% auf 9% und die HIV-Inzidenz sank von 0,88 auf 0,22/100000 Personenjahre.3 Sax betonte, die Inzidenz müsste inzwischen weiter gesunken sein, da die Studie vor der Einführung der PrEP gemacht wurde.
Resistenzentwicklung
Gute Nachrichten gibt es ebenfalls hinsichtlich der Resistenzentwicklung gegen die Therapie, was Sax auf die Entwicklung verbesserter und für den Patienten bequemerer ART-Regime zurückführt. So ist in den USA zwischen 2012 und 2018 die Prävalenz der Mehrklassen-Resistenz gesunken (Abb. 2). Die häufigsten Resistenzen bilden sich nach wie vor gegen nichtnukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NNRTI) (rund 75%). Resistenzen gegen die anderen Substanzklassen waren dagegen rückläufig: nukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI) von 55% auf 41%, Integrase-Strangtransfer-Inhibitoren (INSTI) von 20% auf 17% und Proteaseinhibitoren (PI) von 15% auf 8%.4
Abb. 2: Entwicklung der Therapieresistenz in den USA von 2012 bis 20184
Eine Studie aus Thailand untersuchte das Resistenzrisiko bei Patienten unter PrEP mit akuter HIV-Infektion. Dazu wurden die Daten von mehr als 2400 Personen, die eine PrEP begonnen hatten, ausgewertet. Sieben davon hatten eine akute HIV-Infektion. Drei der sieben Patienten wiesen eine M184V/I-Mutation, aber keine Tenofovirresistenz auf. Die PrEP-Dauer war bei diesen Patienten länger als bei jenen ohne Mutation. Die Autoren raten bei der Diagnose einer akuten HIV-Infektion während der PrEP zum Resistenztest und zur sofortigen ART.5
HIV und Schwangerschaft
In der IMPAACT-2010-Studie wurden drei Therapieregime (Dolutegravir [DTG]+ FTC/TAF vs. DTG+FTC/TDF vs. Efavirenz [EFV]/FTC/TDF) bei Schwangeren, die neu mit HIV diagnostiziert worden waren, verglichen. Einschlusskriterien waren Schwangerschaft in der 14. bis 28. Woche, nicht ART-vorbehandelt, wobei eine Behandlung bis zu 14 Tagen erlaubt war. Endpunkt war eine Viruslast <200 Kopien zum Geburtszeitpunkt. Darüber hinaus wurden Nebenwirkungen auf die Schwangerschaft und das Kind erfasst.6
In jeden Studienarm wurden 213 Patientinnen aufgenommen. Die DTG-haltigen Regime waren dem EFV-Arm überlegen: In der kombinierten Auswertung der beiden DTG-Arme erreichten 97,5% der Frauen zum Zeitpunkt der Geburt eine Viruslast <200 Kopien/ml (vs. 91%). Bei den Sicherheitsendpunkten insgesamt und im Besonderen hinsichtlich Früh- und Fehlgeburten sowie zu klein geborenen Kindern war DTG+FTC/TAF das sicherste Regime. Allerdings verzeichneten diese Frauen auch die größte Gewichtszunahme während der Schwangerschaft, was laut Sax nicht überraschend ist, da dieses Regime in zahlreichen Studien zu einer Gewichtszunahme geführt hat. Sie lag jedoch noch unterhalb der für gesunde Schwangere im 2. und 3. Trimenon empfohlenen Zunahme.6
Immer ein Thema: Gewichtszunahme
Sax präsentierte die 96-Wochen-Resultate der ADVANCE-Studie. In dieser Phase-III-Studie wurden mehr als 1000 HIV-Patienten in drei Studienarme randomisiert (DTG+FTC/TAF vs. DTG+FTC/TDF vs. EFV/FTC/TDF). In jedem Arm waren 60% Frauen und 40% Männer. Insgesamt waren 10 bis 14% der Patienten zu Studienbeginn adipös. Vor allem im DTG+FTC/TAF-Arm kam es zu einer Zunahme der Adipositas. Mit verschiedenen Vorhersage-Scores wie Framingham, QDIABETES und QRISK versuchten die Wissenschaftler, das Risiko für Diabetes, kardiovaskuläre Krankheiten und das metabolische Syndrom vorherzusagen. Es zeigte sich, dass DTG+FTC/TAF das 10-Jahres-Risiko für diese Krankheiten geringfügig mehr steigert als die anderen Regime. Tabelle 1 zeigt die Ergebnisse.7
Tab. 1: Prognostiziertes 10-Jahres-Risiko für kardiovaskuläre Krankheiten und Diabetes in der ADVANCE-Studie7
TANGO und erworbene Resistenzen
Die TANGO-Studie schloss mehr als 700 Patienten mit einem TAF-basierten Therapieregime und guter Viruskontrolle (<50 Kopien) ein, bei denen kein Therapieversagen dokumentiert war. Die Forscher untersuchten anhand der Patientenprofile, ob bei diesen Patienten bereits zu Therapiebeginn eine Medikamentenresistenz vorgelegen hatte. Das Ergebnis war, dass die Mehrzahl zu Studienbeginn keine Resistenz aufgewiesen hatte, einige wenige Patienten aber schon, zum Beispiel 14% gegen NNRTI und jeweils 7% gegen NRTI und PI. Alle Patienten wurden randomisiert und entweder auf DTG/3TC (Lamivudin) umgestellt oder mit ihrer bisherigen ART weiterbehandelt. In beiden Studienarmen war das Risiko für ein Therapieversagen extrem gering und lag jeweils unter 1%. Das bedeute, dass es bei dieser Patientenpopulation keine Hinweise darauf gebe, dass die duale Therapie DTG/3TC nicht wirkt, so Sax.8
Die ART-PRO-Studie schloss dagegen 41 Patienten mit einer bekannten 3TC-Resistenz ein. Sie wurden mit DTG/3C behandelt, was eine anhaltende Krankheitskontrolle bewirkte. Sax warnte, dass dieses Vorgehen dennoch nicht empfohlen werden könne. Dazu sei die Studie zu klein und es könnten keine generellen Empfehlungen daraus abgeleitet werden.9
Eine gepoolte Analyse der Studien 1489 und 1490 mit Bictegravir/FTC/TAF verglich die Wirksamkeit und Sicherheit dieser Kombination mit zwei DTG-basierten Regimen bei Patienten, die jünger bzw. älter als 50 Jahre waren. Alle drei Regime erzielten in beiden Altersgruppen eine gleich gute Krankheitskontrolle: Jeweils 81 bis 88% der Patienten wiesen <50 HIV-1-RNA-Kopien/ml auf.10
Auswirkung geringgradiger Virämien
Sax stellte auch Untersuchungen zu den sogenannten Blips vor. Diese sind definiert als vorübergehende Virämien (≥50 Kopien/ml) bei ansonsten gut supprimierter Krankheit. In die US-amerikanische Beobachtungsstudie NA-ACORD flossen zwischen 2007 und 2016 Daten von fast 20000 Patienten ein, die ab dem Moment der ersten HIV-Suppression <200 Kopien/ml beobachtet wurden. Sie wurden unter anderem auf Blips und deren Effekt auf das Überleben untersucht. Nach Ausschluss anderer Risikofaktoren für einen verfrühten Tod, etwa Übergewicht und Bluthochdruck, konnte kein erhöhtes Mortalitätsrisiko durch Blips nachgewiesen werden.11
Zum gegenteiligen Ergebnis kam eine schwedische Registerstudie, in die Daten von rund 7000 Patienten einflossen. Die Forscher untersuchten das Mortalitätsrisiko von drei Gruppen: Patienten mit guter Virussuppression (<50 Kopien/ml), Patienten mit geringgradiger Virämie (50–199 Kopien/ml und 200–999 Kopien/ml) und Patienten mit einer Virämie >1000 Kopien/ml. Sie konnten ein erhöhtes Sterberisiko für Patienten mit geringgradiger Virämie zeigen (Hazard-Ratio [HR]: 2,2; 95% Konfidenzintervall [KI]: 1,3–3,6).12 Sax vermutete jedoch, dass diese Daten möglicherweise nicht so gründlich auf andere Risikofaktoren hin angepasst wurden wie die US-Daten.
Blick in die (nahe) Zukunft
Neue Strategien und Substanzen waren Themen des letzten Teils von Sax’ Vortrag. Ein Beispiel ist die ATLAS-2M-Studie, die ein vierwöchentliches mit einem achtwöchentlichen Therapieregime verglich. Verabreicht wurden jeweils Cabotegravir plus Rilpivirin. Während die Rilpirivin-Dosis immer gleich war (600mg), erhielten die Patienten, die alle acht Wochen behandelt wurden, eine höhere Cabotegravir-Dosis (600mg anstatt 400mg). Insgesamt nahmen mehr als 1000 Patienten, deren Viruslast stabil supprimiert war, an der Studie teil. Zu Woche 48 wurde die Viruslast bestimmt. Primärer Endpunkt war eine Viruslast von ≥50 Kopien/ml. Es zeigte sich, dass das längere Therapieintervall dem kürzeren nicht unterlegen war, was Sax als ermutigend und einen Vorteil für die Patienten bezeichnete.13
Quellen:
CROI 2020 Updates „Prevention and Epidemiology“ und „Highlights in Clinical Research“
Literatur:
1 Marcus JL et al.: Increased overall life expectancy but not comorbidity-free years for people with HIV. Abstr. 151 2 Ogbuago O et al.: Longer-term safety of F/TAF and F/TDF for HIV prep: DISCOVER trial week 96 results. Abstr. 92 3 Callander DJ et al.: Decreasing community viremia is associated with decreasing HIV incidence in Australia. Abstr. 484 Henegar CE et al.: Trends and characteristics of HIV-1 drug resistance in the United States (2012-2018). Abstr. 521 5 Colby DJ et al.: Initiating prep during acute HIV infection: what is the risk for ARV drug resistance? Abstr. 93 6 Chinula L et al.: Safety and efficacy of DTG vs EFV and TDF vs TAF in pregnancy: IMPAACT 2010 trial. Abstr. 130LB 7 Hill A et al.: Risks of metabolic syndrome, diabetes, and cardiovascular disease in ADVANCE trial. Abstr. 81 8 Wang R et al.: Assessing the virologic impact of achiev ed resistance in an HIV-1 switch study, TANGO. Abstr. 489 9 de Miguel R et al.: Long-term DTG-3TC switch efficacy in patients with achieved 3TC resistance. Abstr. 485 10 Mills A et al.: 144-week efficacy and safety of B/F/TAF in treatment-naïve adults ≥50 yrs. Abstr. 477 11 Lee JS et al.: High probability of survival in patients who maintain viral loads <200 copies/ml. Abstr. 863 12 Elvstam O et al.: Low-level viremia during ART and the risk of death, AIDS, and serious non-AIDS events. Abstr. 152 13 Overton ET et al.: Cabotegravir + rilpivirine every 2 months is noninferior to monthly: ATLAS-2M study. Abstr. 34
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