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Nebenwirkungen

Neurotoxizität von Antibiotika

<p class="article-intro">Eine Schädigung zentraler oder peripherer Nervenstrukturen ist grundsätzlich durch fast alle Antibiotika möglich. Es gibt jedoch erhebliche Häufigkeitsunterschiede. Eine Antibiotika-assoziierte Enzephalopathie ist häufiger, als man glaubt, und gerade bei älteren Intensivpatienten relevant. Aber manche Antibiotika können auch zu erheblichen neuromuskulären Problemen führen. Besondere Vorsicht ist hier bei bestehender Myasthenia gravis geboten.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Das Auftreten neuer neurologischer Symptome nach Verabreichung von Antibiotika sollte den Verdacht auf Neurotoxizit&auml;t wecken.</li> <li>Besonders wichtig sind die vorsichtige Auswahl und Dosierung von Antibiotika bei alten und sehr alten Patienten sowie bei Niereninsuffizienz, Epilepsie und Myasthenia gravis.</li> <li>Falls ein ganz bestimmtes Antibiotikaregime erforderlich ist, das ein Neurotoxizit&auml;tsrisiko mit sich bringt, sollte ein entsprechendes Monitoring erfolgen. Dieses umfasst EEG, ggf. Spiegelmessungen von Antikonvulsiva, regelm&auml;&szlig;ige ophthalmologische Untersuchungen und klinische sowie elektrophysiologische &Uuml;berwachung von Neuropathiezeichen.</li> </ul> </div> <p>Die Neurotoxizit&auml;t von Antibiotika ist ein Problem, das gerade auf der Intensivstation bei &auml;lteren Patienten durchaus als relevant zu bezeichnen ist&ldquo;, so Univ.-Prof. Dr. Erich Schmutzhard, Universit&auml;tsklinik f&uuml;r Neurologie, MedUni Innsbruck.<br /> &bdquo;Das Auftreten neuer neurologischer Symptome nach Verabreichung von Antibiotika sollte jedenfalls den Verdacht auf Neurotoxizit&auml;t wecken&ldquo;, so der Neurologe.</p> <h2>ZNS-Nebenwirkungen</h2> <p>Schwere, durch Antibiotika verursachte ZNS-Nebenwirkungen werden generell mit einer H&auml;ufigkeit von weniger als 1 % berichtet, und Enzephalopathien machen nur einen kleinen Teil dieser Nebenwirkungen aus. Andererseits gibt es Daten, die darauf hinweisen, dass die Antibiotika- assoziierte Enzephalopathie (AAE) unterdiagnostiziert ist. So zeigte eine retrospektive Studie mit 100 kritisch kranken Patienten, die mit dem Viertgenerations- Cephalosporin Cefepim behandelt worden waren, eine Enzephalopathierate von 15 % . Insbesondere &auml;ltere Patienten sind h&auml;ufiger als vermutet von diesem Problem betroffen. 80 % aller &auml;lteren Intensivpatienten entwickeln ein Delirium, davon jeder F&uuml;nfte bis Sechste in Assoziation mit einer Antibiotikagabe.<br /> Allerdings ist die Diagnostik eines AAE schwierig, da bei Patienten, die auf der ICU Antibiotika erhalten, noch eine Reihe anderer Ursachen f&uuml;r kognitive Ver&auml;nderungen m&ouml;glich sind; zudem gibt es wenig wissenschaftliche Studien zu den Risikofaktoren und klinischen Charakteristika von AAE &ndash; es liegen haupts&auml;chlich Fallberichte und kleinere Fallserien vor.</p> <p>Inzwischen sind allerdings Reviews erschienen, in denen die klinischen, radiologischen und elektrophysiologischen Charakteristika der AAE beschrieben werden.</p> <p><strong>Drei Haupttypen</strong><br /> &Uuml;blicherweise tritt zun&auml;chst ein Delir auf, das in weiterer Folge in eine AAE &uuml;bergehen kann. Gem&auml;&szlig; den klinischen Hauptsymptomen k&ouml;nnen drei Typen der AAE unterschieden werden:</p> <ol> <li>Eine Enzephalopathie, die &uuml;blicherweise mit Krampfanf&auml;llen oder Myoklonien einhergeht und einige Tage nach Beginn der Antibiotikaverabreichung auftritt. Sie wird in der Regel durch Penicilline oder Cephalosporine ausgel&ouml;st.</li> <li>Das Auftreten von Psychosen, ebenfalls einige Tage nach Antibiotikaverabreichung; dieses steht meist im Zusammenhang mit Sulfonamiden, Fluorchinolonen, Makroliden oder Procainpenicillin.</li> <li>Eine Enzephalopathie, die mit zerebell&auml;ren Zeichen und MRT-Ver&auml;nderungen einhergeht und Wochen nach Antibiotikagabe in Erscheinung tritt. Sie ist haupts&auml;chlich mit Metronidazol assoziiert.</li> </ol> <p>Diese Ph&auml;notypen zu kennen ist wichtig, um zu einer fr&uuml;heren AAE-Diagnose zu kommen, dementsprechend schneller das Antibiotikum abzusetzen und dem Patienten die Zeit, die er im Delir verbringt, zu verk&uuml;rzen.<br /> Ein Delirium ist assoziiert mit einem verl&auml;ngerten Spitalsaufenthalt, einer h&ouml;heren Komplikationsrate, einer h&ouml;heren Wahrscheinlichkeit, in eine Langzeitpflegeeinrichtung &uuml;berwiesen bzw. von dort rehospitalisiert zu werden, einer h&ouml;heren Wahrscheinlichkeit f&uuml;r nachfolgende kognitive Einschr&auml;nkungen sowie f&uuml;r Pflegebed&uuml;rftigkeit und einer erh&ouml;hten Mortalit&auml;t.<br /> Deshalb unternimmt man heute verst&auml;rkte Anstrengungen, ein Delir zu erkennen, zu vermeiden bzw. zu behandeln.<br /> Was die Pr&auml;vention angeht, weisen erste Daten auf eine Wirksamkeit des Melatoninagonisten Ramelteon hin. In einer placebokontrollierten prospektiven Studie reduzierte die prophylaktische Gabe von Ramelteon das Delirrisiko von 32 % auf 3 % .</p> <p><strong>Es kann jeden treffen</strong><br /> Grunds&auml;tzlich kann eine AAE von nahezu jedem Antibiotikum ausgel&ouml;st werden. So zeigte eine retrospektive Untersuchung von 391 F&auml;llen, die zwischen 1946 und 2013 aufgetreten waren, eine Assoziation mit 54 verschiedenen Antibiotika aus zw&ouml;lf Substanzklassen. Auch kann nahezu jede Altersgruppe betroffen sein.<br /> Einer der Hauptrisikofaktoren, der bei immerhin 25 % der Betroffenen vorhanden war, ist die chronische Niereninsuffizienz. Besonders h&auml;ufig ist diese bei Cephalosporin- assoziierten Enzephalopathien; sie kommt jedoch auch bei anderen Antibiotikaklassen vor. Hepatische Dysfunktionen spielen vor allem bei Metronidazolassoziierten Enzephalopathien eine Rolle, sind aber sonst eher selten. Auch eine psychiatrische Vorgeschichte spielt eine eher geringe Rolle (&le;20 % bei allen Antibiotikaklassen).<br /> Ein Grund f&uuml;r das Underreporting von AAE k&ouml;nnte darin bestehen, dass die Enzephalopathie f&auml;lschlich f&uuml;r metabolisch bedingt oder f&uuml;r die Exazerbation einer psychiatrischen Erkrankung gehalten wird.</p> <p><strong>Pharmakokinetik und Interaktionen</strong><br /> Pharmakokinetische Mechanismen spielen eine Rolle bei der Entwicklung von Neurotoxizit&auml;ten. So k&ouml;nnen lipophile Penicilline die Blut-Hirn-Schranke leichter durchdringen. Imipenem zeigt, im Vergleich zu anderen Carbapenemen, eine langsamere Clearance aus dem ZNS und damit ein h&ouml;heres Risiko f&uuml;r Neurotoxizit&auml;t.<br /> H&ouml;heres Lebensalter, schlechte Nierenfunktion und vorbestehende ZNS-Sch&auml;digung (z.B. durch M. Parkinson, Insult oder St. p. Sch&auml;del-Hirn-Trauma) erh&ouml;hen das Risiko f&uuml;r neurotoxische Wirkungen mancher, aber nicht aller Antibiotika.<br /> Niereninsuffizienz f&uuml;hrt nicht nur zu erh&ouml;hten Serumkonzentrationen von Antibiotika; zus&auml;tzlich kann durch Proteinurie der nicht proteingebundene Substanzanteil &ndash; und damit die Bioverf&uuml;gbarkeit des Antibiotikums &ndash; ansteigen. Zudem k&ouml;nnen reduzierte Serumproteinspiegel auch die Blut-Hirn-Schranke sch&auml;digen.<br /> Interaktionen mit Antibiotika k&ouml;nnen die Serumspiegel von Antikonvulsiva ver&auml;ndern, was einerseits zu Krampfanf&auml;llen, andererseits zu toxischen Antikonvulsivaspiegeln f&uuml;hren kann. Letztere k&ouml;nnen sich z.B. durch Enzephalopathie, Nystagmus, Gleichgewichtsst&ouml;rungen oder Ataxie &auml;u&szlig;ern.<br /> Carbapeneme k&ouml;nnen die Serumspiegel von Valproins&auml;ure um bis zu zwei Drittel senken; daher sollte diese Kombination vermieden werden.<br /> Umgekehrt k&ouml;nnen z.B. Clarithromycin oder Erythromycin die Serumspiegel von Phenytoin in den toxischen Bereich steigern; Analoges gilt f&uuml;r Isoniazid und Carbamazepin.</p> <h2>Nebenwirkungen im Bereich des peripheren Nervensystems</h2> <p>Hier sind drei Krankheitsbilder zu nennen: die Optikusneuropathie, die periphere Neuropathie und die Verschlechterung einer vorbestehenden Myasthenia gravis.<br /> Eine Optikusneuropathie wird durch das Antituberkulotikum Ethambutol ausgel&ouml;st. Bei Standarddosen von 15mg/kg/ Tag betr&auml;gt die H&auml;ufigkeit einer Optikusneuropathie nur 1 % , bei Dosen &uuml;ber 60mg/kg/Tag jedoch bis zu 50 % . Pathogenetisch handelt es sich um eine durch das Medikament ausgel&ouml;ste mitochondriale Dysfunktion, die zur Demyelinisierung des Nervus opticus und des Chiasma opticum f&uuml;hrt.<br /> Risikofaktoren sind h&ouml;heres Lebensalter, Hypertonie, Nierenerkrankung und lange Therapie mit hohen Ethambutoldosen. Deshalb sollte jeder Patient vor einer geplanten Behandlung mit Ethambutol augen&auml;rztlich begutachtet werden. Wenn eine Optikusneuropathie auftritt, f&uuml;hrt ein Absetzen von Ethambutol meist zu einer Besserung. Bleibende Sch&auml;den sind jedoch m&ouml;glich.<br /> Auch unter Linezolid sind Optikusneuropathien beschrieben.</p> <p>Eine <em>periphere Neuropathie</em> tritt am h&auml;ufigsten unter Linezolid, Metronidazol und Dapson auf. Sie ist jedoch auch unter Chloramphenicol, Chloroquin, Ethambutol, Fluorchinolonen, Isoniazid, Nitrofurantoin und Sulfasalazin beschrieben. Urs&auml;chlich handelt es sich zumeist um axonale Sch&auml;digungen durch St&ouml;rung der DNA-Reparatur, des Zellmetabolismus oder der Mitochondrienfunktion.<br /> Zumeist handelt es sich um sensomotorische, von der L&auml;nge des Nervs abh&auml;ngige Neuropathien, die zumeist nach prolongierter Antibiotikagabe auftreten. Unter Linezolid und Metronidazol sind bei langer Exposition bis zu 50 % aller Patienten betroffen. In der Regel wird die Neuropathie nach Absetzen besser, allerdings kann sie auch persistieren. Bei manchen Patienten setzt eine Besserung erst ein, nachdem die Neuropathie nach Absetzen des Antibiotikums noch einige Wochen lang fortgeschritten ist, ein Ph&auml;nomen, das man als &bdquo;Coasting&ldquo; bezeichnet.</p> <p>Die <em>Verschlechterung einer bestehenden Myasthenia gravis</em> wird am h&auml;ufigsten unter Aminoglykosiden, Fluorchinolonen und Makroliden gesehen. Diese Antibiotikaklassen sollten bei Patienten mit Myasthenia gravis vermieden werden.</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: Vortrag zur Neurotoxizität von Antibiotika von Univ.-Prof. Dr. Erich Schmutzhard, im Rahmen des „Giftigen Samstags – Nebenwirkungen von A bis Z“, 10. Juni 2017, Wien </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>beim Vortragenden</p> </div> </p>
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