Notalgia paraesthetica: eine dermatologische Herausforderung
Autor:innen:
Tom Schiener
Hautwerk AG
Maneggstrasse 17
8041 Zürich
E-Mail: klinik@hautwerk.ch
Dr. med. C. Bettina Rümmelein
Hautwerk AG
Maneggstrasse 17
8041 Zürich
E-Mail: ruemmelein@hautwerk.ch
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In den Schatten der dermatologischen Welt verbirgt sich eine rätselhafte Qual: Notalgia paraesthetica, eine Erkrankung, die im Jahr 1934 entdeckt worden ist und nun nicht nur den Rücken eines hier vorgestellten 62-jährigen Patienten plagt, sondern auch die klinische Gemeinschaft vor eine diagnostische und therapeutische Herausforderung stellt. Doch aus der Dunkelheit dringt nun ein «Strahl der Hoffnung» in Form von akustischer Wellentherapie.
Keypoints
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Notalgia paraesthetica erfordert präzise Diagnosemethoden aufgrund ihrer vielfältigen Symptome und der Gefahr der Verwechslung mit anderen Hauterkrankungen.
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Es bestehen viele Therapieansätze, die bisher aber nur bei kleinen Patientenpopulationen Erfolge verbuchen konnten.
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Akustische Wellentherapie stellt einen vielversprechenden Ansatz dar, der nicht nur den Juckreiz lindert, sondern auch die Hautregeneration fördert.
Die erstmals 1934 beschriebene Notalgia paraesthetica (NP) ist eine sensorische Neuropathie, die zwar häufig ist, aber dennoch oft übersehen wird.1
Das Krankheitsbild manifestiert sich mit chronischem Juckreiz, Brennen und Parästhesien zwischen den Schulterblättern. Wahrscheinlich sind Veränderungen und Verletzungen der hinteren Rami der thorakalen Spinalneuronen Th2 bis Th6 die Hauptursache für die NP.2 Bisher besteht keine Einigkeit über die beste Therapiemodalität bei NP, was für betroffene Patienten einen langen Leidensweg mit grosser Verzweiflung bedeuten kann.
Fallbeschreibung
Ein 62-jähriger Patient klagt über anhaltenden Juckreiz und Brennen im Bereich der rechten Scapula und der Rückenmitte links der Wirbelsäule; Beschwerden, die seit Jahren besteht. Nur durch exzessives Kratzen der betroffenen Stellen erfährt der Patient vorübergehend Linderung. Die Symptome verstärken sich nachts und beeinträchtigen seinen Schlaf erheblich.
Allergien und Medikamenteneinnahme verneint er. Ebenso spielen Noxen in seinem Leben keine Rolle. Weder in der Familie noch im näheren Umfeld leidet jemand an einer ähnlichen Symptomatik.
Die Komplexität in der Behandlung dieser Erkrankung erfordert ungewöhnliche Herangehensweisen.
Einblick in Untersuchung und Differenzialdiagnose
Bei der klinischen Untersuchung zeigten sich im betroffenen Bereich eine lokale Rötung und ausgeprägte Verdickung der Haut. Zum Ausschluss einer Mykose oder Mykosis fungoides wurde eine Biopsie durchgeführt. Das sonstige Integument ist unauffällig. Eine histologische Probe zeigte einzig eine nummuläre Dermatitis. Die Bildgebung ergab keinen Anhalt auf degenerative ossäre Läsionen.
Beurteilung und Verlauf
Basierend auf den klinischen Befunden, der typischen Lokalisation, der Symptomatik und dem Ausschluss anderer möglicher Ursachen wurde von der betreuenden Dermatologin die Diagnose Notalgia paraesthetica gestellt.
Der Patient berichtet, dass sichder Juckreiz trotz vielfältiger Therapie kaum gebessert hat und er deshalb extra aus Indien für die Behandlung angereist ist. Die bisherige Vorbehandlung erfolgte mit Steroidinjektionen, die zu partieller Hautatrophie geführt hatten, ohne Einfluss auf die Juckreizsymptomatik. Dominant hervorgetreten ist die Hyperpigmentierung durch das Kratzen. Weitere topische Behandlungen, inklusive Capsaicin und Calcineurin-Inhibitoren, wurden in den letzten Jahren ohne signifikante Besserung angewandt.
Überblick über die Behandlungsmöglichkeiten
Nachfolgend ist die aktuell verfügbare Literatur zu den Behandlungsmöglichkeiten der Notalgia paraesthetica zusammengetragen. Die aufmerksam Lesenden werden feststellen, dass sich daraus kein evidentes Therapievorgehen ableiten lässt.
Lokale topische Behandlungen
Calcineurin-Inhibitoren
In einer Studie von Ochi et al. wurde durch eine sechswöchige Behandlung mit einer 0,1%-Tacrolimus-Salbe zweimal täglich bei 5 von 7 Patienten verminderter und weniger intensiver Juckreiz verzeichnet.3 Als Nebenwirkung wurde ein erträgliches Brennen festgestellt. Die Symptome traten nach Absetzen der Behandlung wieder auf.
Capsaicin
Die Therapie mit einer 5x täglich aufgetragenen 0,025%-Capsaicin-Creme für eine Woche und darauf folgend 3x täglich für 5 Wochen wurde bereits 1995 untersucht.4 Dabei erlebten 70% der Probanden eine Besserung der Symptomatik, wobei der Effekt nach Beendigung der Therapie innerhalb eines Monats nachliess.
Systemische Therapie / «Off-Label-Use»
Antikonvulsiva
Die Einnahme von 300mg des Antikonvulsivums Oxcarbazepin zweimal täglich mit Dosiserhöhung bis zur erwünschten Linderung des Juckreizes zeigte an drei untersuchten Patienten ein positives Ergebnis.5
Antidepressiva
Das trizyklische Antidepressivum Amitriptylin wurde im Laufe von drei Monaten einmal pro Nacht mit einer Dosierung von 10mg verabreicht. Innerhalb von zwei Monaten trat eine spürbare Verbesserung ein, wobei die Häufigkeit von drei auf zwei Mal pro Tag und der Schweregrad des Juckreizes von sieben von zehn Punkten auf fünf von zehn zurückging. Der Patient behielt die Einnahme von 10mg abends bei, da er bei der Einnahme einer höheren Dosis schläfrig wurde. Nach drei Monaten hatte der Juckreiz weiter nachgelassen und die Intensität war auf vier gesunken, sodass der Patient seine Alltagsaktivitäten wieder aufnehmen konnte. Überraschenderweise stellte der Patient eine anhaltende Verbesserung fest, als er die Einnahme von Amitriptylin für einen Monat absetzte, nachdem er 9 Monate lang behandelt worden war.6
Botulinumtoxin
Eine randomisierte, kontrollierte Doppelblindstudie mit 20 Probanden konnte die positive Wirkung von intradermal verabreichtem BTX-A durch eine Dosis von maximal 200 IU zur Linderung des Juckreizes nicht belegen.7
UVB
In einer UV-7002-Kabine, die mit schmalbandigen TL01-Lampen bestückt war, wurde die Behandlung mit NB-UVB im Mittel mit 32,8 Sitzungen bei einer mittleren kumulativen Dosis von 33,76 J/cm2 durchgeführt, mit dem Resultat, dass zwei von fünf Patienten eine deutliche Verbesserung oder das Verschwinden des Juckreizes feststellten.8
Elektrische Muskelstimulation (EMS)
Durch die elektrische Stimulation des M. serratus anterior, während 15 Minuten mit 30 Sekunden On-Intervallen und 30 Sekunden Off-Intervallen mit einer Frequenz von 70 Hz und einer Impulsbreite von 300 s, konnte bei allen Patienten eine sofortige Besserung festgestellt werden. Die gelegentliche Wiederanwendung von EMS führte zum Anhalten des positiven Effekts, wohingegen ein Stopp der Therapie zur Rückkehr der Symptome führte.9
Cannabinoid-Rezeptor-Agonisten
Die orale Therapie mit 2,5mg Dronabinol 3x täglich konnte gute Resultate bei drei Probanden mit neuropathischen Schmerzen zeigen.10
Prinzip der akustischen Wellentherapie
Die Verwendung von akustischer Wellentherapie (AWT) hat sich in der Orthopädie für die Behandlung von Fibrosen, Kalzifizierungen und anderen Leiden bereits etabliert. Bei der Anwendung in der Dermatologie steckt die AWT jedoch noch in den Kinderschuhen.
Die Aktivierung von intrazellulären und Zell-Matrix-Interaktionen spricht für die regenerative Wirkung der AWT. Dabei kann diese nicht nur für Skin-Rejuvenation, sondern auch für Narbenbehandlungen und die Linderung von Pruritus eingesetzt werden.11
AWT-Prozedere
In diesem Fallbeispiel war AWT mit V-Actor, einem Gerät, das durch pneumatisch erzeugte Stosswellen 35-Hz-Vibrationen erzeugt, die Behandlung der Wahl. Alle anderen Therapieoptionen waren zu dem Zeitpunkt ausgeschöpft. Der Behandlungsplan umfasste 4 Sitzungen im Abstand von 1 Monat mit jeweils 5 Minuten Therapiedauer. Der Patient hat seither keinen Juckreiz mehr. Wie auf Abbildung 1a/1b ersichtlich ist, hat die lädierte Haut sich soweit erholen können, dass nur noch hyperpigmentierte Narben zurückgeblieben sind, die in einem weiteren Schritt mit fraktionierten Lasern behandelt werden können.
Abb. A: Th4 und Th8 erythematöse, lichenifizierte Makulae, Narbe von Probeentnahme; vor der Therapie; Abb. B: Residuale Hyperpigmentierung; 4 Wochen nach Abschluss der Therapie; Abb. C: Detailaufnahmen Schulterblatt rechts; Abb. D: Detailaufnahme Läsion Schulterblatt rechts
Substanz P ist ein aus den Mastzellen freigesetztes Neuropeptid, das eine starke Histaminausschüttung und damit Juckreiz auf der Haut auslöst.12 Das Wirkprinzip der AWT besteht auf der einen Seite darin, immunoreaktive Neurone zu hemmen und damit der Substanz P weniger Angriffsfläche zu bieten.13 Auf der anderen Seite wird das Gewebe regeneriert und Entzündungen gehemmt, was dem Patienten zusätzlich hilft, aus dem Circulus vitiosus des Juckreizes auszubrechen.11
Diskussion
Notalgia paraesthetica stellt eine diagnostische und therapeutische Herausforderung dar, da die Symptome vielfältig sind und andere dermatologische Erkrankungen imitieren können. Eine genaue Anamnese und klinische Untersuchung, ergänzt mit Laboruntersuchungen und Bildgebung, sind entscheidend, um die Diagnose zu sichern und eine angemessene Behandlung zu ermöglichen. Insgesamt verdeutlicht dieser Fallbericht die Komplexität von NP und die Notwendigkeit eines interdisziplinären Ansatzes in der Dermatologie. Die Integration von neuen Technologien wie AWT könnte den Weg für innovative und effektive Behandlungsmöglichkeiten ebnen.
Literatur
1 Astwazaturow M: Über parästhetische Neuralgien und eine besondere Form derselben – Notalgia Paraesthetica. JNeurology1934; 133(3–4): 188-96. https://doi.org/10.1007/bf01760237 2 Šitum M: Notalgia paresthetica. Acta Clinica Croatica2018. https://doi.org/10.20471/acc.2018.57.04.14 3 Ochi H et al.: Notalgia paresthetica: treatment with topical tacrolimus. J Eur AcadDermatolVenereol2014; 30(3): 452-4. https://doi.org/10.1111/jdv.12830 4 Wallengren J, Klinker, M: Successful treatment of notalgia paresthetica with topical capsaicin: vehicle-controlled, double-blind, crossover study. JAm AcadDermatol1995; 32(2): 287-9. https://doi.org/10.1016/0190-9622(95)90152-3 5 Şavk E.et al.: Open pilot study on oxcarbazepine for the treatment of notalgia paresthetica. J Am Acad Dermatol2001; 45(4), 630-2. https://doi.org/10.1067/mjd.2001.116228 6 Yeo B et al.: Effective treatment of notalgia paresthetica with amitriptyline. JDermatol2013; 40(6), 505-6. https://doi.org/10.1111/1346-8138.12154 7 Maari C et al.: Treatment of notalgia paresthetica with botulinum toxin A: a double-blind randomized controlled trial. J Am Acad Dermatol2014; 70(6): 113941. https://doi.org/10.1016/j.jaad.2013.12.006 8 Pérez-Pérez L et al.: (): Notalgia paresthesica successfully treated with narrow-band UVB: Report of five cases. J Eur Acad Dermatol Venereol2010; 24(6): 730-2. https://doi.org/10.1111/j.1468-3083.2009.03479.x 9 Wang CK et al.: Serratus muscle stimulation effectively treats notalgia paresthetica caused by long thoracic nerve dysfunction: a case series. J Brachial Plex Peripher Nerve Inj2014; 04(01): e127-32. https://doi.org/10.1186/1749-7221-4-17 10 Morin CB et al.:Neuropathic itch treated with oral cannabinoids: a case series. JAAD Case Reports2021; 17:38-42. https://doi.org/10.1016/j.jdcr.2021.09.006 11 Joo SY et al.: The clinical utility of extracorporeal shock wave therapy for burn pruritus: A prospective, randomized, single-blind study. Burns2018; 44(3): 612-9. https://doi.org/10.1016/j.burns.2017.09.014 12 Hägermark Ö et al: Flare and itch induced by substance P in human skin. Journal of Investigative Dermatology1978; 71(4): 233-5. https://doi.org/10.1111/1523-1747.ep12515092 13 Hausdorf J et al.:Extracorporeal shockwave application to the distal femur of rabbits diminishes the number of neurons immunoreactive for substance P in dorsal root ganglia L5. Brain Research2008; 1207: 96-101. https://doi.org/10.1016/j.brainres.2008.02.013
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