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Arterielle Hypertonie: essenzielle Diagnostik beim jungen Erwachsenen
Jatros
Autor:
Ao. Univ.-Prof. Dr. Johannes Mair
Universitätsklinik für Innere Medizin III – Kardiologie und Angiologie, Innsbruck<br> E-Mail: Johannes.Mair@i-med.ac.at
30
Min. Lesezeit
07.09.2017
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<p class="article-intro">Bei Erstmanifestation einer Hypertonie bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen muss eine sekundäre Hypertonie ausgeschlossen werden.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Bei Hypertonieerstmanifestation bei Jugendlichen oder jungen Erwachsenen soll immer eine sekundäre Hypertonie ausgeschlossen werden, insbesondere bei negativer Familienanamnese.</li> <li>Insbesondere bei Jugendlichen muss neben den häufigen Ursachen (renale und renovaskuläre oder endokrinologische Erkrankungen) auch an eine Aortenisthmusstenose als Hypertonieursache gedacht werden.</li> </ul> </div> <h2>Hintergrund</h2> <p>Die primäre essenzielle Hypertonie ist die häufigste Form der arteriellen Hypertonie. Sie tritt meist familiär gehäuft auf (bei ca. 75 % der Patienten positive Familienanamnese bezüglich Hypertonie oder Nierenerkrankungen). Obwohl die Manifestation der essenziellen Hypertonie durch die Zunahme der kardiovaskulären Risikofaktoren bei Kindern und Jugendlichen (z.B. Adipositas, Nikotinabusus) zunehmend auch im jüngeren Lebensalter beobachtet wird, ist bei Hypertoniemanifestation bei unter 30-Jährigen und insbesondere vor der Pubertät eine sekundäre Form der arteriellen Hypertonie auszuschließen. Zudem führt eine nachgewiesene Therapieresistenz des Bluthochdruckes immer zum Verdacht für das Vorliegen einer sekundären Hypertonieform. Die typischen Ursachen der sekundären Hypertonie (bei ca. 5 % aller Hypertoniepatienten) bei Erwachsenen sind endokrine Erkrankungen (am häufigsten Schilddrüsenfunktionsstörungen und Hyperaldosteronismus), Nieren- und Nierengefäßerkrankungen.</p> <h2>Klinischer Fall einer 19-jährigen Frau</h2> <p><strong>Basisdiagnostik</strong><br /> Eine 19-jährige adipöse Frau (Body- Mass-Index 31kg/m<sup>2</sup>) wurde von einem Bezirkskrankenhaus zur Hypertonieabklärung (Einholung einer Zweitmeinung) an die Universitätsklinik für Innere Medizin IV (Klinik für Nephrologie und Hypertensiologie) Innsbruck zugewiesen. Bei der Patientin wurde im 12. Lebensjahr eine arterielle Hypertonie als Zufallsbefund diagnostiziert. Zuletzt kam es trotz dreifacher Kombinationstherapie (Olmesartan 40mg, Amlodipin 10mg und Hydrochlorothiazid 12,5mg) immer wieder zu symptomatischen Blutdruckentgleisungen mit Kopfschmerzen und Sehstörungen. An Vorerkrankungen bestand ein Zustand nach Belastungsreaktion mit anschließender Sertralintherapie (150mg/Tag). Die Patientin war Raucherin (10–20 Zigaretten/ Tag). Die bisherige Abklärung bezüglich Ursachen für eine sekundäre Hypertonie blieb ergebnislos: normales Ruhe- EKG, Echokardiografie bis auf geringgradige linksventrikuläre Hypertrophie und bikuspide Aortenklappe unauffällig, die Nierenfunktion (Kreatinin 0,70mg/dl), Harnstatus und N-terminales pro B-Typ natriuretisches Peptid (NT-proBNP: 66,1ng/l) waren normal, die Abdomensonografie unauffällig (kein Hinweis für Nierenerkrankungen, Nierenarterienstenosen oder Raumforderungen im Bereich der Nebennieren). Eine Magnetresonanztomografie( MRT)-Angiografie der Nierenarterien und hirnversorgenden Arterien war unauffällig. Die bisherige endokrinologische Labordiagnostik war ebenso unauffällig (normale Schilddrüsenhormon-, Aldosteron-, Reninaktivitäts-, Harnserotonin-, Harnkortisol- und Harnkatecholaminwerte).</p> <p><strong>Weiterführende Diagnostik</strong><br /> <em>Anamnese:</em> Häufige Ursachen einer sekundären Hypertonie sind Nebenwirkungen von Medikamenten oder Drogen (z.B. Kontrazeptiva, chronische Einnahme von nichtsteroidalen Antirheumatika, Antidepressiva, Glukokortikoide, Alkohol, Kokain, Ecstasy, Amphetamine), hohe Natriumzufuhr über die Nahrung (z.B. Brausetabletten, Lakritze) oder Schnarchen mit Atempausen als Hinweis für Schlafapnoesyndrom. All das lag bis auf die Therapie mit einem Hormonimplantat zur Kontrazeption und Sertralin bei der Patientin nicht vor.</p> <p><em>Endokrinologische Diagnostik:</em> Neben Schilddrüsenfunktionsstörungen ist ein primärer Hyperaldosteronismus (meistens verursacht durch eine bilaterale Nebennierenhyperplasie, seltener durch ein Aldosteron- produzierendes Adenom) die häufigste endokrinologische Ursache einer sekundären Hypertonie bei Erwachsenen. Die Patienten haben jedoch meist normale Kaliumkonzentrationen im Blut, eine Hypokaliämie ist selten. Ein erhöhter Aldosteron- Renin-Quotient von >20 (bestätigt nach einem Kochsalzbelastungstest) führt zur Verdachtsdiagnose. Auch bei Morbus Cushing ist der Habitus der betroffenen Patienten meist nicht typisch. Die Kortisolbestimmung im Blut oder Harn führt zur Verdachtsdiagnose, die durch einen Dexamethason-Hemmtest (1mg Dexamethason i.v. um 23 Uhr und Kortisol im Blut abgenommen um 7 Uhr des Folgetages >50nmol/l) oder alternativ durch Kortisolbestimmung im Speichel um 24 Uhr bestätigt werden muss. Eine Hypertonie mit einer ansonsten nicht erklärbaren Hyperkalzämie findet sich bei einem primären Hyperparathyreoidismus. Die Wiederholung der endokrinologischen Diagnostik bei dieser Patientin ergab keinen Hinweis für eine endokrinologisch verursachte Hypertonie, niedrige Aldosteron- und Reninkonzentrationen und eine niedrige Aldosteron- Renin-Ratio waren durch die Therapie mit Olmesartan verursacht (Tab. 1).</p> <p><em>Nieren- und Nierenarterienerkrankungen:</em> Die Anamnese bezüglich familiär gehäufter Nierenerkrankungen oder z.B. rezidivierender Pyelonephritiden war bei der Patientin unauffällig. Ebenso war die Nierenfunktion unverändert normal, und sonografisch fanden sich wie in der bereits durchgeführten Abklärung keine Hinweise für Nieren- bzw. Nierenarterienerkrankungen. Da bei schwerer, therapieresistenter Hypertonie bei einer jungen Frau auch an eine renovaskuläre Hypertonie gedacht wurde, wurde zusätzlich bereits im Bezirkskrankenhaus eine MRT-Angiografie der Nierenarterien durchgeführt, um eine Nierenarterienbeteiligung im Rahmen einer fibromuskulären Dysplasie auszuschließen. Beim häufigeren generalisierten Befall der Nierenarterien bei dieser Erkrankung finden sich perlschnurartige Veränderungen der Nierenarterien und ihrer Äste mit multiplen Stenosen und Aneurysmen. Der fokale Befall mit einer einzelnen umschriebenen Stenose ist bei fibromuskulärer Dysplasie seltener. Es fanden sich bei der Patientin auch keine fokalen, proximalen Nierenarterienstenosen, die typischerweise durch Arteriosklerose verursacht werden und daher üblicherweise bei älteren Patienten mit ausgeprägtem kardiovaskulärem Risikoprofil gefunden werden.</p> <p><em>Gefäßanomalien:</em> Eine weitere insbesondere bei Kindern und Jugendlichen nicht zu vernachlässigende Ursache für eine sekundäre Hypertonie sind Gefäßanomalien, typischerweise die Aortenisthmusstenose (Abb. 2). Bei dieser Erkrankung finden sich oft eine bikuspide Aortenklappe und auch nach operativer Korrektur der Coarctatio aortae im Kindesalter im späteren Leben die Ausbildung eines Aneurysmas der Aorta ascendens. Typischerweise kommt es bei Aortenisthmusstenose – wie bei der Patientin – zur Hypertoniemanifestation im Kindes- und Jugendalter. Wegweisend in der Diagnostik sind Blutdruckmessungen an Armen und Beinen. Die typische Abschwächung der systolischen Blutdruckwerte in den Beinen und Abschwächung und Verzögerung der palpierten Femoralpulse sind abhängig vom Schweregrad der Aortenisthmusstenose und dem Ausmaß der Kollateralenbildung zur Überbrückung der Stenose. Bereits in einem Vorbefund wurden bei der Patientin deutlich niedrigere systolische Blutdruckwerte in den Beinen beschrieben (rechter Arm 165/90mmHg; linker Arm 160/95mmHg; rechtes Bein 145/90mmHg; linkes Bein: 130/90mmHg). Bei Abgang der Arteria subclavia sinistra nach der Aortenisthmusstenose kann sich auch eine signifikante (>20mmHg) systolische Blutdruckdifferenz zwischen dem rechten und linken Arm insbesondere bei körperlicher Belastung finden (jedoch nicht bei dieser Patientin). In Übereinstimmung mit den Vorbefunden konnte am Thorax ventral über dem Herzen kein Strömungsgeräusch auskultiert werden, jedoch fand sich am Rücken dorsal (interskapulär, paravertebral links) ein leises zuvor nicht beschriebenes systolisch-diastolisches Strömungsgeräusch.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Kardio_1703_Weblinks_kardio_1703_s30_tab1.jpg" alt="" width="1419" height="936" /></p> <h2>Verlauf</h2> <p>Die Diagnose Aortenisthmusstenose wurde mittels MRT-Angiografie der thorakalen Aorta bestätigt und die Patientin zur invasiven Herzkatheterdiagnostik nach Rücksprache mit den Abteilungen für Kardiologie und Kinderkardiologie zugewiesen. In der invasiven Druckmessung fand sich trotz ausgeprägter Kollateralisierung (Abb. 2A) ein signifikanter Druckgradient („peak-to-peak“ 25mmHg) im Bereich der Stenose. Nach der Implantation eines „ covered stent“ mit einer geplanten Nachdilatation nach 6 Monaten auf den vollen Durchmesser der benachbarten Abschnitte der thorakalen Aorta fand sich im ehemaligen stenosierten Bereich der Aorta kein Druckgradient mehr (Abb. 2B). Bei einer anschließenden Kontrolluntersuchung nach 3 Monaten war der Blutdruck erstmals unter der fortgeführten ursprünglichen Blutdrucktherapie gut eingestellt (rechter Arm 120/65mmHg; linker Arm 115/65mmHg; rechtes Bein 110/60mmHg; linkes Bein 120/55mmHg). Auch sonografisch fand sich ein unauffälliger Stent ohne Stenosehinweis mit unauffälligem, freiem Fluss. In weiterer Folge kann versucht werden, die antihypertensive Therapie zu reduzieren, jedoch ist auch trotz erfolgreicher Intervention meist eine lebenslange medikamentöse antihypertensive Therapie bei diesen Patienten notwendig.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Kardio_1703_Weblinks_kardio_1703_s30_abb2.jpg" alt="" width="1417" height="1272" /></p></p>
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<p>beim Verfasser</p>
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