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Der antikoagulierte Patient beim Allgemeinmediziner
DAM
Autor:
OA Priv.-Doz. Dr. Martin Martinek, FESC, FHRS
Ordensklinikum Linz<br>Krankenhaus der Elisabethinen<br>E-Mail: martin.martinek@ordensklinikum.at
30
Min. Lesezeit
23.03.2017
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<p class="article-intro">Eine der häufigsten Themenstellungen in der allgemeinmedizinischen Praxis ist wohl weiterhin die orale Antikoagulation (OAK). Zusätzlich zu den seit Jahrzehnten eingesetzten Vitamin-K-Antagonisten (VKA) stehen seit einiger Zeit Non-Vitamin- K-Antagonisten (NOAK) zur Verfügung. Die vierte Substanz dieser NOAK ist erst kürzlich in Österreich eingeführt worden.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Es stehen aktuell also zwei NOAK für 1x tägliche Gabe und zwei Substanzen für 2x tägliche Verabreichung zur Antikoagulation bei Vorhofflimmern (VHF) zur Verfügung; ein direkter Thrombinhemmer (Dabigatran) und drei Faktor-Xa-Hemmer (Rivaroxaban, Apixaban und Edoxaban).<br />Die Verwendung von NOAK als Alternative zu VKA bei VHF ist nur bei mechanischen Herzklappen bzw. bei mittelschwerer bis schwerer Mitralklappenstenose sowie schwerer Niereninsuffizienz kontraindiziert und sollte bei den übrigen Patienten prinzipiell VKA vorgezogen werden (ESC-Guidelines 2016).<sup>1</sup> Der Vorrang dieser Substanzen wurde über den größeren „net clinical benefit“ erklärt, vor allem aber über das verminderte Risiko intrakranieller Blutungen. Die Indikation zur OAK wird nach den europäischen Guidelines 2016 weiterhin über den CHA2DS2-VASc-Score des Patienten gestellt, wobei Patienten mit einem Score von 1 antikoaguliert werden sollen und ab einem Score von 2 antikoaguliert werden müssen.</p> <h2>Die richtige Versorgung zählt</h2> <p>Grundsätzlich ist zur aktuellen Situation der Versorgung mit OAK anzumerken, dass nur ca. 40 % der Patienten mit VKA im INR-Zielbereich sind und rund 40 % der Patienten mit einem CHA2DS2-VASc-Sore ≥2 überhaupt keine Antikoagulation erhalten! Um einem weiteren Behandlungsfehler Einhalt zu gebieten, möchte ich es etwas drastisch formulieren: Acetylsalicylsäure (ASS) ist keine „Alternative“ bei VHF, ASS ist seit der AVERROES-Studie TOT!<br />Die weitverbreitete systematische Unterdosierung durch Verwendung der reduzierten Dosierung ohne Indikation zur Dosissenkung soll unbedingt vermieden werden (Tab. 1). Bei Unsicherheiten bezüglich der Dosierung, insbesondere bei mehreren Risikofaktoren, gibt der frei zugängliche EHRA-Guide eine sehr gute und übersichtliche Hilfestellung.<sup>2</sup> Die antikoagulierten Patienten sollten vom Arzt unbedingt über die Gefahr durch Komedikation mit bestimmten Substanzen (u.a. NSAR, Johanniskraut) informiert werden. Zusätzlich sollten wir behandelnden Ärzte unbedingt korrigierbare Risikofaktoren für Blutungen unter OAK beachten, d.h. adäquate Blutdruckeinstellung, Vermeidung von risikoerhöhender Komedikation (ASS, NSAR, SSRI) und Umstellung von Patienten mit labilen INR-Werten auf NOAK. Relevante Wechselwirkungen gibt es in unterschiedlicher Ausprägung bei antiarrhythmischen Substanzen, Antibiotika, antiviralen Medikamenten (HIV), Fungostatika und Antiepileptika.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_DAM_Allgemeinm_1702_Weblinks_s29.jpg" alt="" width="1417" height="1296" /></p> <h2>Einfachere Handhabung von NOAK</h2> <p>Ein weiteres Plus der Therapie mit NOAK sind sicherlich die einfachere Handhabung mit dem Entfall regelmäßiger INR-Kontrollen sowie die unkomplizierte Umstellung durch die rasche und kurze Wirksamkeit der NOAK. Bei Umstellung von einem niedermolekularen Heparin kann mit der nächsten Dosis einfach auf das NOAK gewechselt werden. Bei Umstellung von einem VKA kann ab einem INR-Wert <2,0 begonnen werden.<br />Kardioversionen sind unter NOAK nach den gleichen Regeln wie bei VKA möglich (mind. 3 Wochen Vortherapie und 4 Wochen Nachtherapie). Auch Ablationen bei VHF (Pulmonalvenenisolation) sind unter ununterbrochener NOAK-Therapie möglich (kein Bridging mit niedermolekularem Heparin). Mindestens 24 Stunden vor elektiven Operationen ist die NOAK-Therapie abzusetzen, bei hohem Blutungsrisiko sogar 48 Stunden davor. (Cave: bei eingeschränkter Nierenfunktion länger!) Es erfolgt kein routinemäßiges Bridging mit niedermolekularem Heparin.<br />Zeitlich begrenzte Tripletherapien nach Myokardinfarkt, akutem Koronarsyndrom oder elektiver Stentimplantation sind mit NOAK in reduzierter Dosis + ASS + Clopidogrel möglich. Hier sollte unbedingt eine Protonenpumpenhemmertherapie (PPI) in Standarddosis ergänzt werden. Ansonsten ist unter NOAK-Therapie eine Zugabe von PPI nur bei Zustand nach gastrointestinaler Blutung oder Ulkus bzw. bei blutungsrisikoerhöhender Begleittherapie erforderlich.</p> <h2>Laborkontrollen unter NOAK-Therapie</h2> <p>An Laborkontrollen werden jährliche Kontrollen des Hämoglobins sowie der Leber- und Nierenfunktion empfohlen, ab dem 75. Lebensjahr 2x pro Jahr. Bei eingeschränkter Nierenfunktion gilt als „Faustregel“ für das Intervall der Kreatinin-Kontrollen: Kreatinin-Clearance (CrCl)/10 ergibt Kontrollintervall in Monaten, d.h., bei einer CrCl von 50 ist alle 5 Monate eine Kontrolle durchzuführen.2</p> <h2>Blutungen unter NOAK-Therapie</h2> <p>Bei leichten Blutungen gilt es vorerst abzuwarten, da die Halbwertszeit der Substanzen kurz ist (ca. 12 Stunden). Bei stärkeren Blutungen soll eine mechanische Blutstillung angestrebt werden (z.B. direkte Kompression oder endoskopisch). Bei Bedarf sollen Blutkonserven, Plasma (FFP) und Thrombozytenkonzentrate verabreicht werden. Bei lebensbedrohlichen Blutungen werden Gerinnungsfaktorenpräparate (PCC oder aPCC) empfohlen. Für die Substanz Dabigatran gibt es bereits ein schnell wirksames Antidot (Ida­rucizumab – Praxbind®), für die anderen Substanzen sind solche noch in Entwicklung. Die Verfügbarkeit eines Antidots für alle Substanzen wird sicherlich in Zukunft ein weiterer, entscheidender Vorteil von NOAK gegenüber VKA sein.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Kirchhof P et al: Eur Heart J 2016; 37(38): 2893-962 <strong>2</strong> Heidbuchel H et al: Europace 2015; 17(10): 1467-507 • Weitere Literatur beim Verfasser</p>
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