ESC-Guidelines zum Management des akuten Koronarsyndroms
Bericht:
Reno Barth
Medizinjournalist
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Erstmals hat die ESC mit ihren «2023 ESC Guidelines for the management of acute coronary syndromes» eine Leitlinie erstellt, die das gesamte Spektrum des akuten Koronarsyndroms (ACS) von der instabilen Angina pectoris über den Myokardinfarkt ohne ST-Streckenhebung (NSTEMI) bis hin zum Myokardinfarkt mit ST-Streckenhebung (STEMI) umfasst, wobei auch spezielle Themen wie das Management eines ACS bei Krebspatienten erläutert werden.1 Es ist auch die erste ACS-Leitlinie der ESC, an deren Erstellung Patientenvertreter beteiligt waren.
Das gesamte Spektrum des ACS in einer gemeinsamen Leitlinie zu erfassen ist sinnvoll», so Prof. Maria Rubini Gimenez vom Herzzentrum Leipzig, «weil das ACS als Spektrum von NSTEMI und STEMI verstanden werden und damit auch das Management nach einem gemeinsamen Algorithmus erfolgen soll.» Am Anfang steht dabei die klinische Präsentation, die bei den genannten Zustandsbildern sehr vielfältig sein kann. Mehr Klarheit bringt im nächsten Diagnoseschritt das EKG, das möglichst innerhalb von 10 Minuten nach dem ersten medizinischen Kontakt durchgeführt werden soll und die Unterscheidung zwischen einem NSTE-ACS und einem STEMI und damit das Stellen einer Arbeitsdiagnose erlaubt.
Die Bestimmung des hochsensitiven Troponins (hs-cTn) ermöglicht die Differenzierung in instabile Angina und Myokardinfarkt und damit die finale Diagnose. Dabei sollte hs-cTn nach dem 0/1-Stunden-Algorithmus oder ersatzweise dem 0/2-Stunden-Algorithmus bestimmt werden. Der 0/3-Stunden-Algorithmus soll nur noch eingesetzt werden, wenn keine der anderen, besseren Optionen verfügbar ist. Dennoch kann es bei unklarer Befundlage erforderlich sein, nach drei Stunden noch einmal das hs-cTn zu bestimmen. Rubini Gimenez betont, dass man sich bei Patienten, bei denen sowohl NSTE-ACS als auch STEMI mit diesem Algorithmus ausgeschlossen werden können, unbedingt Gedanken zu einer alternativen Diagnose machen müsse.
NSTE-ACS: Das Risiko bestimmt die invasive Diagnostik und Therapie
Welche invasive Strategie bei NSTE-ACS verfolgt werden soll, hängt von der Risikoabschätzung ab. «Dabei soll zwischen sehr hohem Risiko, hohem Risiko und nicht hohem Risiko unterschieden werden», wie Prof. Xavier Rossello vom Universitätskrankenhaus Son Espases auf Mallorca ausführt und auch betont, dass der Terminus «niedriges Risiko» bewusst vermieden wurde, da jedes ACS mit einem erheblichen Risiko assoziiert ist.
Zur Auswahl stehen drei Strategien:
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unmittelbare («immediate») invasive Strategie: Durchführung einer Notfall-Angiografie mit anschliessender sofortiger perkutaner Intervention (PCI) oder Bypassoperation bei entsprechender Indikation
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frühe invasive Strategie: invasive Abklärung und Behandlung innerhalb von 24 Stunden nach der Diagnose
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selektive invasive Strategie: wird abhängig von der klinischen Einschätzung oder weiteren nicht invasiven Tests gewählt
Anzeichen für ein sehr hohes Risiko sind hämodynamische Instabilität oder kardiogener Schock, refraktäre Brustschmerzen, akute Herzinsuffizienz, lebensbedrohliche Arrhythmien oder Herzstillstand, mechanische Komplikationen oder rekurrierende, dynamische EKG-Veränderungen wie zum Beispiel das zeitweise Auftreten einer ST-Streckenhebung.
Ein hohes Risiko besteht bei einer bestätigten Diagnose eines NSTEMI, bei dynamischen Veränderungen des ST-Segments oder der T-Welle, bei transienter Hebung des ST-Segments sowie bei einem GRACE-Risikoscore >140.
Die Stärke der Empfehlung der frühen Strategie wurde im Vergleich zur NSTEMI-Guideline von 2015 von I auf IIa heruntergestuft. Auch Patienten mit nicht hohem Risiko und Hinweisen auf eine instabile Angina sollen noch während des Krankenhausaufenthalts invasiv abgeklärt werden. Für alle anderen Patienten ohne hohes Risiko wird eine selektive invasive Strategie empfohlen.
Neue Empfehlungen gibt es auch für Patienten, die ausserhalb des Krankenhauses wegen eines Herzstillstandes reanimiert wurden. In dieser Gruppe wird bei normalem EKG keine unmittelbare Angiografie mehr empfohlen. Auch für Hypothermie besteht keine Empfehlung mehr, es soll lediglich Fieber vermieden werden.
Patienten mit STEMI sollen sofort ins Katheterlabor
Patienten mit STEMI sollen unmittelbar revaskularisiert werden, wobei Prof. Pascal Vranckx vom Hartcentrum Hasselt in Belgien betont, dass auch Patienten mit klinischem Hinweis auf den Totalverschluss einer Koronararterie in diese Gruppe fallen. Die perkutane Intervention ist dabei die bevorzugte Option. Fibrinolyse ist nur indiziert, wenn innerhalb von zwei Stunden nach Diagnose keine PCI verfügbar ist. Die Betroffenen sollen nach der Fibrinolyse an ein PCI-Zentrum transferiert werden. Bei Multigefässerkrankung wird eine komplette Revaskularisierung entweder im Rahmen der initialen PCI oder innerhalb von 45 Tagen empfohlen.
Antiplättchentherapie in der Vorbehandlung
Bei Patienten mit der Arbeitsdiagnose STEMI kann vor der primären PCI eine Vorbehandlung mit einem P2Y12-Inhibitor in Erwägung gezogen werden. Im Gegensatz dazu wird bei Patienten mit Verdacht auf NSTE-ACS, die für die frühe invasive Strategie qualifizieren, keine Vorbehandlung empfohlen. Ist bei NSTE-ACS-Patienten jedoch schon absehbar, dass die Koronarangiografie erst nach mehr als 24 Stunden erfolgen wird, kann abhängig vom individuellen Blutungsrisiko eine Vorbehandlung mit einem P2Y12-Inhibitor erwogen werden.
Antikoagulation ab dem Zeitpunkt der Diagnosestellung
Alle Patienten mit ACS sollen ab dem Zeitpunkt der Diagnosestellung antikoaguliert werden, wobei detaillierte Empfehlungen für die einzelnen verfügbaren Substanzen gegeben werden:
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Beim STEMI bestehen eine Klasse-I-Empfehlung für unfraktioniertes Heparin sowie Klasse-IIa-Empfehlungen für Enoxaparin und Bivalirudin. Fondaparinux wird bei STEMI nicht empfohlen.
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Beim NSTE-ACS wird im Falle einer Angiografie innerhalb von 24 Stunden unfraktioniertes Heparin oder Enoxaparin empfohlen. Wird die Angiografie nach mehr als 24 Stunden durchgeführt, besteht eine Klasse-I-Empfehlung für Fondaparinux.
Nach ACS: 12 Monate lang Antiplättchentherapie mit Aspirin und P2Y12-Inhibitor
Nach einem ACS wird für 12 Monate eine duale Antiplättchentherapie (DAPT), bestehend aus Acetylsalicylsäure und einem potenten P2Y12-Inhibitor (Prasugrel oder Ticagrelor), empfohlen. Für spezielle klinische Situationen umfasst die Leitlinie verschiedene Strategien zur Verkürzung oder Verlängerung der DAPT-Dauer, zum Wechsel, z.B. auf einen weniger potenten P2Y12-Inhibitor (Clopidogrel), zur Deeskalation der DAPT oder beispielsweise auch zum Vorgehen bei Patienten, die eine orale Antikoagulation benötigen.
Für die Zeit nach der 12-monatigen DAPT sieht die Standardempfehlung eine Aspirin-Monotherapie vor. Bei hohem ischämischem Risiko sind mehrere Eskalationsstrategien möglich.
Sekundärprävention ist zentral
Ein weiterer zentraler Punkt nach ACS ist die Sekundärprävention zur Verbesserung der Lebensqualität und zur Reduktion von Morbidität und Mortalität. Die Massnahmen sollten so früh wie möglich eingeleitet werden, so wird z.B. empfohlen, eine bestehende lipidsenkende Therapie schon während des Spitalaufenthalts zu intensivieren. Dabei sollten die Patienten, soweit es ihr Zustand erlaubt, über die Chancen und Risiken der verschiedenen Massnahmen und Therapien informiert und in die Entscheidungen einbezogen werden.
Quelle:
ESC-Kongress, 25. bis 28. August 2023, Amsterdam
Literatur:
1 Byrne RA et al.; ESC Scientific Document Group: 2023 ESC Guidelines for the management of acute coronary syndromes. Eur Heart J 2023; 44: 3720-826
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