
ESC-Guidelines Vorhofflimmern2020 – ein kurzes Update
Autoren:
PD Dr. med. Alexander Breitensteina
Prof. Dr. med. Jan Steffelb, c
a Abteilung Rhythmologie
Klinik für Kardiologie, Universitätsspital Zürich
b Universität Zürich
c Swiss EP AG, Zürich
E-Mail: alexander.breitenstein@usz.ch
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Das Vorhofflimmern ist eine der häufigsten supraventrikulären Herzrhythmusstörungen und mit einer signifikanten Morbidität und Mortalität assoziiert. In dieser kurzen Übersicht fassen wir die wichtigsten Anpassungen der neuen Richtlinien der Europäischen Kardiologischen Gesellschaft (ESC) zusammen, welche im Jahr 2020 publiziert worden sind.1
Keypoints
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Abklärung und Therapie erfolgen gemäss dem Merksatz «CC to ABC».
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CC: Vorhofflimmern bestätigen und charakterisieren
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ABC: Schlaganfall verhindern, bessere Symptomkontrolle, Komorbiditäten und kardiovaskuläre Risikofaktoren behandeln
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CHA2DS2-VASc-Score zur Ermittlung des Schlaganfallrisikos und zur Indikation einer oralen Antikoagulation
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HAS-BLED-Score zur Ermittlung und Verhinderung von reversiblen Blutungsrisiken
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Rhythmuskontrolle: Antiarrhythmika oder Katheterintervention
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Frequenzkontrolle: medikamentös (Betablocker, Kalziumantagonisten, Digoxin) oder «pace and ablate»
«CC to ABC» – ein einfacher Merksatz zur Diagnostik und Therapie des Vorhofflimmerns
Eine der wichtigsten Neuerungen ist die vereinfachte und geordnete Übersicht über die Abklärungen beziehungsweise die Therapie bei einem Patienten mit Vorhofflimmern (Abb. 1). Zu Beginn steht die korrekte Diagnose («confirm AF»), gefolgt von der Charakterisierung des Vorhofflimmerns («characterize AF»). Für Letztere ermittelt man das Hirnschlagrisiko anhand des CHA2DS2-VASc-Scores, den Schweregrad der Symptome, die Häufigkeit der Vorhofflimmerepisoden und dokumentiert die bereits stattgehabten morphologischen Veränderungen im Vorhof (Beurteilung des sogenannten Substrates). Danach wird die Therapie eingeleitet. Hierbei stehen die Vermeidung eines Hirnschlages («avoid stroke»), die Kontrolle der mit dem Vorhofflimmern assoziierten Symptome («better symptom control») sowie die Therapie der kardiovaskulären Komorbiditäten («comorbidities and cardiovascular risk factors») im Vordergrund. Besonders Letztere ist in den neuen Richtlinien ein wichtiger Teil einer allumfänglichen Vorhofflimmertherapie geworden; die Kontrolle von Übergewicht, arterieller Hypertonie, eines Diabetes mellitus und des obstruktiven Schlafapnoe-Syndroms sind essenzielle Aspekte bei der modernen Therapie von Vorhofflimmern.2–5
Abb. 1: Merksatz «CC to ABC» zur vereinfachten Abklärung und Therapie bei Diagnose eines Vorhofflimmerns
Neue Möglichkeiten zur Diagnose eines Vorhofflimmerns
Die Diagnose eines klinischen Vorhofflimmerns wird – unabhängig von Symptomen – gestellt, wenn die Rhythmusstörung auf einem 12-Kanal-EKG aufgezeichnet oder über mindestens 30 Sekunden auf einer einfachen Einkanal-EKG-Aufzeichnung dokumentiert wird. Für diese einfache EKG-Aufzeichnung kommen heutzutage neben den klassischen Langzeit-Holter-Untersuchungen auch modernere Tools wie Mobiltelefone und/oder spezialisierte Uhren zum Einsatz. Da die Rate an falsch positiven automatischen Meldungen von diesen Geräten nicht irrelevant ist, ist es essenziell, dass diese Aufzeichnung von einem Arzt kontrolliert und das Vorhandensein von Vorhofflimmern bestätigt wird.
Reduktion des Hirnschlagrisikos beim Patienten mit Vorhofflimmern
Die Indikation zur Blutverdünnung bei Patienten mit klinischem Vorhofflimmern richtet sich weiterhin nach dem Risiko, welches anhand des CHA2DS2-VASc-Scores berechnet wird (Abb. 2). Bei einem Score von ≥2 bei Männern bzw. ≥3 bei Frauen ist der Benefit einer oralen Antikoagulation eindeutig (Klasse-I-Empfehlung, Evidenzgrad A). Bei einem CHA2DS2-VASc-Score von 0 bei Männern oder 1 bei Frauen ist eine Blutverdünnung nicht indiziert. Bei einem Wert von 1 (bzw. 2 bei Frauen) wird entsprechend den Guidelines eine orale Antikoagulation mit einer Klasse-IIa-Empfehlung (Evidenzgrad B) empfohlen.1,6 Zur strukturierten Evaluation des Blutungsrisikos wird der HAS-BLED-Score empfohlen (Abb. 2).1 Wichtig ist, dass dieser Score nicht dazu dient, eine ansonsten indizierte Blutverdünnung nicht zu verschreiben, sondern primär dazu, reversible Blutungsrisiken zu ermitteln und zu verhindern. Der aktuelle «Practical Guide» der Europäischen Herzrhythmusgesellschaft gibt Tipps und Tricks für den klinischen Alltag, wie mit den oralen Antikoagulanzien umzugehen ist.7
Rhythmuskontrolle beim Vorhofflimmern
Die Indikation einer Rhythmuskontrolle ist vor allen Dingen gegeben, wenn der Patient an Symptomen des Vorhofflimmerns leidet.1 Dabei ist es entscheidend, nicht zu leichtfertig die Diagnose eines oligo- oder gar asymptomatischen Vorhofflimmerns zu stellen, da nicht wenige Patienten ihr Aktivitätsniveau über die Zeit reduzieren und somit nicht mehr realisieren, wie stark sie in ihren Aktivitäten durch das Vorhofflimmern eingeschränkt sind. Die Guidelines empfehlen daher, bei jedem Patienten mit neu diagnostiziertem Vorhofflimmern zumindest temporär eine Rhythmuskontrolle zu etablieren, um die Symptomatik des Vorhofflimmerns (vs. Sinusrhyhtmus) zu objektivieren. Es mehren sich darüber hinaus Hinweise darauf, dass eine langfristige Rhythmuskontrolle des Vorhofflimmerns auch einen prognostischen Einfluss haben könnte, insbesondere bei Patienten, die gleichzeitig unter einer relevanten Herzinsuffizienz leiden.8 Faktoren, welche speziell für eine Rhythmuskontrolle sprechen, sind ein jüngeres Alter des Patienten, ein noch nicht zu fortgeschrittenes Stadium des Vorhofflimmerns (erst kürzliches Auftreten, kleiner linker Vorhof in der Echokardiografie), wenige Komorbiditäten und Symptome einer Herzinsuffizienz, die mit der Herzrhythmusstörung assoziiert sind. Entscheidet man sich für eine Rhythmuskontrolle (d.h. die Absicht, möglichst lange einen Sinusrhythmus zu erhalten), stehen entweder Antiarrhythmika oder die Katheterinterventionen zur Verfügung.1 Entscheidend ist, diese Möglichkeiten individuell mit dem Patienten zu diskutieren; die Guidelines sehen beide Optionen als Erstlinientherapie an.1
Frequenzkontrolle des Vorhofflimmerns
Entscheidet man sich dafür, das Vorhofflimmern zu akzeptieren, oder kann kein Sinusrhythmus mehr hergestellt werden, dann steht die Frequenzkontrolle im Vordergrund. Aufgrund der Datenlage ist man von einer zu niedrigen Herzfrequenz als Ziel weggekommen und empfiehlt eine Basis-Herzfrequenz von <110/min in Ruhe.1,9 Hierzu können sowohl Betablocker als auch Kalziumantagonisten oder Digoxin verwendet werden. Die Komorbiditäten wie auch der Schweregrad der Herzschwäche entscheiden darüber, welche Substanzgruppe (alleine oder in Kombination) verwendet werden soll. Alternativ wird die sehr effektive – aber auch definitive – «Pace and ablate»-Strategie durchgeführt. Dazu wird ein Schrittmachersystem implantiert und üblicherweise 3–4 Wochen später eine einfache Katheterablation des AV-Knotens durchgeführt. Besonders bei Patienten mit einer Herzschwäche zeigen neuere Daten, dass mit dieser Option eine bessere Prognose erreicht werden kann als mit Medikamenten.10
Interessenkonflikte:
AB erhielt Honoraria/Vortragsvergütung von Abbott, Bayer Healthcare, Biosense Webster, Biotronik, Boston Scientific, Bristol-Myers Squibb, Cook Medical, Daiichi Sankyo, Medtronic, Pfizer und Spectranetics/Philipps.
JS hat Beratungs- und/oder Vortragshonorare erhalten von Abbott, Alexion, Amgen, Astra-Zeneca, Bayer, Berlin-Chemie, Biosense Webster, Biotronik, Boehringer-Ingelheim, Boston Scientific, BMS, Daiichi Sankyo, Medscape, Medtronic, Merck/MSD, Organon, Pfizer, Saja, Servier und WebMD. Er ist Miteigentümer von CorXL. JS hat über das Universitätsspital Zürich Grant Support erhalten von Abbott, Bayer Healthcare, Biosense Webster, Biotronik, Boston Scientific, Daiichi Sankyo und Medtronic.
Literatur:
1 Hindricks G et al.: 2020 ESC Guidelines for the diagnosis and management of atrial fibrillation developed in collaboration with the European Association of Cardio-Thoracic Surgery (EACTS). Eur Heart J 2020; 42: 373-498 2 Pathak RK et al.: Long-term effect of goal-directed weight management in an atrial fibrillation cohort: a long-term follow-up study (LEGACY). J Am Coll Cardiol 2015; 65: 2159-69 3 Dzeshka MS et al.: Atrial fibrillation and hypertension. Hypertension 2017; 70: 854-61 4 Chang SH et al.: Association of metformin with lower atrial fibrillation risk among patients with type 2 diabetes mellitus: a population-based dynamic cohort and in vitro studies. Cardiovasc Diabetol 2014; 13: 123 5 Li L et al.: Efficacy of catheter ablation of atrial fibrillation in patients with obstructive sleep apnoea with and without continuous positive airway pressure treatment: a meta-analysis of observational studies. Europace 2014; 16: 1309-14 6 Fauchier L et al.: Should atrial fibrillation patients with only 1 nongender-related CHA2DS2-VASc risk factor be anticoagulated? Stroke 2016; 47: 1831-6 7 Steffel J et al.: 2021 European Heart Rhythm Association practical guide on the use of non-vitamin K antagonist oral anticoagulants in patients with atrial fibrillation. Europace 2021; 23: 1612-76 8 Marrouche NF et al.: Catheter ablation for atrial fibrillation with heart failure. N Engl J Med 2018; 379: 492 9 Van Gelder IC et al.: Lenient versus strict rate control in patients with atrial fibrillation. N Engl J Med 2010; 362: 1363-73 10 Brignole M et al.: AV junction ablation and cardiac resynchronization for patients with permanent atrial fibrillation and narrow QRS: the APAF-CRT mortality trial. Eur Heart J 2021; 42: 4731-9
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