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Familiäre Hypercholesterinämie und Lipidsenkung
Jatros
30
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23.02.2017
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<p class="article-intro">Herzerkrankungen sind nach wie vor Todesursache Nummer eins – das wissen wir. LDL-Cholesterin spielt bei der Entwicklung von Herzerkrankungen eine entscheidende Rolle – auch das wissen wir. Der Österreichische Herzfonds lud nun zu seinem ersten Jahreskongress und gab dem Thema LDL-Cholesterin und familiäre Hypercholesterinämie breiten Raum zur Diskussion mit dem Ziel, vom Wissen zum Handeln zu kommen.</p>
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<p class="article-content"><h2>Dilemma der Prävention</h2> <p>„Prävention ist nach wie vor ein Stiefkind. In der Öffentlichkeit fehlt oft die Akzeptanz und die gesundheitspolitische Realität kennen wir. Die Bekämpfung von Risikofaktoren muss aber früh beginnen“, eröffnete Univ.-Prof. Dr. Othmar Pachinger, Präsident des Österreichischen Herzfonds, den Jahreskongress. Ein Beispiel dafür ist etwa die möglichst frühe Detektion von Menschen mit familiärer Hypercholesterinämie (FH). In der Prävention sind einerseits politische und gesetzliche Initiativen notwendig, andererseits ist auch der Einsatz innovativer Technologien und neuester Medikamente essenziell. Nicht zuletzt müssten sich auch Ärzte mehr in der Prävention engagieren, so Pachinger. Bereits bei der Detektion von FH besteht noch Aufholbedarf, auch wenn Initiativen dazu schon gesetzt wurden. Darüber hinaus ist insbesondere bei der lipidsenkenden Therapie noch viel Luft nach oben.</p> <h2>FH – neue Wege in Diagnostik und Therapie</h2> <p><strong>Epidemiologie und Risiko</strong><br /> Univ.-Doz. Dr. Bernhard Paulweber, Paracelsusklinik, Innere Medizin I, Salzburg, widmete sich in seinem Vortrag der familiären Hypercholesterinämie (FH). Als Ursache für die FH wurden Mutationen im sogenannten PCSK9-Gen festgemacht.<sup>1</sup> Hyperlipidämien – unterschiedliche Formen sind bekannt – erhöhen das Risiko für koronare Herzerkrankungen. Die FH kann in einer heterozygoten Form (heFH) auftreten (Häufigkeit 1:200–300) oder als homozygote FH (hoFH), wobei diese mit 1:160.000–300.000 selten ist. Verantwortlich für die FH sind Gendefekte – „loss of function“ im LDL-Rezeptor- Gen (84–96 % ) oder „loss of function“ im Apo-B-Gen (4–16 % ). Typischerweise liegen die LDL-C-Spiegel bei der heFH im Bereich 190–550mg/dl, bei der hoFH zwischen 500–1.000mg/dl. Im Folgenden wird wegen der Häufigkeit meist auf die heFH Bezug genommen.<br /> „Die FH verursacht rund 20 % aller KHK-Ereignisse bei unter 45-Jährigen und rund 5 % aller KHK-Ereignisse bei unter 60-Jährigen. Häufig sind Aortenklappenstenosen mit oder ohne Hauptstammstenose“, so Paulweber. Therapieziele bei FH sind LDL-C-Werte <135mg/dl bei Kindern und <100mg/dl bei Erwachsenen (ohne Vorliegen einer kardiovaskulären Erkrankung und ohne Typ-2-Diabetes) bzw. <70mg/dl, wenn diese vorliegen. Die FH ist in den meisten Ländern nur etwa zu 10 % diagnostiziert, weniger als 50 % der Betroffenen sind unter Statintherapie und nur ein kleiner Teil erreicht das LDL-CTherapieziel.<sup>2</sup> Die Dutch Cross-Sectional Study zeigte, dass nur 21 % der Teilnehmer einen LDL-C-Zielwert <100mg/dl erreichen und von jenen, die das Ziel nicht erreichen, 73 % nicht unter maximaler lipidsenkender Therapie sind.<sup>3</sup> In Österreich rechnet man mit 30–35.000 Betroffenen, von denen vermutlich weniger als 3.000 bekannt sind. Deshalb wird derzeit unter Führung von Prof. Dieplinger mit Beteiligung von FHchol am Aufbau eines nationalen FH-Registers gearbeitet.<br /> Die Copenhagen General Population Study mit 98.098 Teilnehmern zeigte, dass das kumulative Risiko für Träger von LDLRezeptor- Mutationen bis zum Alter von etwa 70 Jahren für einen Myokardinfarkt beim 5,3-Fachen von jenem von nicht davon betroffenen Menschen liegt (p<0,001).<sup>4</sup> Das bedeutet, dass Träger dieser Mutationen durchschnittlich 13 Jahre früher einen Myokardinfarkt erleiden. Dies zeigt sich gut im Konzept der Cholesteringramm- Jahre (Abb. 1).<sup>5</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Kardio_1701_Weblinks_s40_abb1.jpg" alt="" width="1417" height="829" /><br /><br /><strong>FH-Diagnostik</strong><br /> Zur Diagnostik der heFH bei Erwachsenen haben sich die Kriterien des Dutch Lipid Clinic Network (DLCN) etabliert (Tab. 1).<sup>2</sup> Dass diese klinischen Kriterien einigermaßen treffsicher sind zeigt der Umstand, dass bei als „definitiv“ diagnostizierten Fällen zu 65–75 % auch eine Mutation entdeckt wird, bei 40–70 % der als wahrscheinlich eingeschätzten Fälle und bei 30–40 % der als möglich klassifizierten Fälle. Das Vorgehen bei Diagnose und Therapie von Patienten mit FH zeigt Abbildung 2.<sup>6</sup> Argumente für eine Genanalyse bei einem DLCN-Score <5 sind: Patienten mit nachgewiesener FH haben ein höheres kardiovaskuläres Risiko als Personen mit vergleichbarem LDL-C-Wert ohne Mutationsnachweis, manche Genträger weisen nicht den typischen Lipidphänotyp von FH auf, es ist ein einfacheres Kaskaden-Screening möglich, eine frühe FH-Detektion bei Kindern ermöglicht einen früheren Therapiebeginn und die Therapieadhärenz verbessert sich.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Kardio_1701_Weblinks_s40_tab1.jpg" alt="" width="686" height="1658" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Kardio_1701_Weblinks_s40_abb2.jpg" alt="" width="1417" height="834" /><br /><br /><strong> Lipidsenkende Therapie</strong> Zur Lipidsenkung können bei heFH verschiedene Medikamente eingesetzt werden. Dabei kann man mit folgenden Reduktionen des LDL-C-Spiegels rechnen: Statine bis 55 % , Cholesterinresorptionshemmer (Ezetimib) 15–20 % , Anionenaustauscher 15– 18 % , Lipidapherese bis 75 % , PCSK9-Inhibitoren 50–60 % .<sup>6</sup> Zu den relativ neuen PCSK9-Inhibitoren Alirocumab und Evolocumab liegen Studien bei heFH-Patienten vor, bei Evolocumab auch zu hoFHPatienten, wobei bei Letzteren eine Senkung des LDL-C-Wertes von 40 % erreicht wurde. Die ODYSSEY-ESCAPE-Studie zeigte zudem bei heFH-Patienten, die eine Lipidapherese benötigen, eine Reduktion der Apheresefrequenz.<sup>7</sup> „Die aktuellen ESC/ EAS Guidelines on management of dyslipidemias 2016 beinhalten Empfehlungen für die Detektion und Behandlung von heFH-Patienten.<sup>8</sup> Bei Hochrisikogruppen können auch bereits vor dem Vorliegen von Endpunktstudien PCSK9-Inhibitoren erwogen werden“, schloss Paulweber.</p> <h2>PCSK9-Hemmung</h2> <p>„In zahlreichen Studien – TNT, JUPITER, PROVE-IT – wurde gezeigt, dass niedrige LDL-C-Werte mit einem niedrigeren Risiko für das Auftreten kardiovaskulärer Ereignisse einhergehen“, so Prim. Univ.-Prof. Dr. Kurt Huber, Abteilung für Kardiologie und Intensivmedizin, Wilhelminenspital, Wien.<sup>9–11</sup> Das LDL-Cholesterin stellte sich somit als ein Hauptfaktor für das kardiovaskuläre Risiko heraus. Statinstudien, die zur Sekundärprävention kardiovaskulärer Ereignisse durchgeführt wurden, zeigen einen linearen Zusammenhang zwischen der Höhe des LDL-C-Werts und kardiovaskulären Ereignisraten.<sup>12</sup><br /> Untersuchungen mit dem intravaskulären Ultraschall (IVUS) ergaben, dass LDLC- Spiegel und die Regression der arthrotischen Plaque zusammenhängen. So kommt es erst bei LDL-C-Werten von unter etwa 70mg/dl zu einer solchen Regression. Dieses LDL-C-Ziel wurde auch so in den ESC/EAS-Guidelines definiert. Primär werden Statine eingesetzt, auch eine Kombination mit Ezetimib wird in den Guidelines empfohlen. In der EUROASPIRE-IVStudie erreichte jedoch nur einer von 5 Myokardinfarktpatienten das angestrebte Therapieziel von <70mg/dl – trotz hoher Statinmedikation (87 % der Studienteilnehmer) und guter Adhärenz.<br /><br /><strong> PCSK9 und LDL-C-Rezeptor</strong><br /> An der Zelloberfläche sind LDL-C-Rezeptoren lokalisiert, die das LDL-C in die Zelle transportieren, wo es abgebaut wird. Der Rezeptor wird recycelt und steht danach wieder an der Zelloberfläche zur Verfügung. PCSK9 verhindert, dass der LDL-C-Rezeptor recycelt werden kann, das LDL-C im Blut steigt. Es gibt Menschen mit einem genetischen „loss of function“ (LoF) und mit einem „gain of function“ (GoF) der PCSK9-Produktion. Bei GoF kommt es zu erhöhten LDL-C-Spiegeln; Atherosklerose tritt schon früh auf. Die LoF wirkt atheroprotektiv.<br /><br /><strong> Umfassende Studienprogramme</strong><br /> „Zu Alirocumab und Evolocumab gibt es umfangreiche Studienprogramme“, erklärte Huber. Die OSLER-Studien zeigten, dass ausgehend von einem Basiswert unter einer Standardtherapie, der etwa bei 120mg/dl lag, eine Reduktion unter Evolocumab um über 70mg/dl erreicht wurde.<sup>13</sup> Die Studie war zwar nicht als Outcomestudie ausgelegt, eine Auswertung ergab aber eine Reduktion des relativen Risikos für den kombinierten Endpunkt (MI, Hospitalisierung aufgrund einer instabilen Angina pectoris, Notwendigkeit einer Revaskularisation, Schlaganfall, TIA oder Hospitalisierung aufgrund von Herzinsuffizienz) von 63 % (p=0,003) bei einem Follow-up von einem Jahr. Eine Post-hoc- Analyse der ODYSSEY-LONG-TERM-Studie zu Alirocumab zeigte eine Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse von 48 % .<br /><br /> In der im Rahmen des AHA-Kongresses 2016 vorgestellten GLAGOV-Studie (Statin ± Ezetimib + Evolocumab vs. Placebo) wurde mit IVUS gezeigt, dass es bei niedrigen LDL-C-Werten zu einer Plaqueregression kommen kann. Der LDL-C-Wert lag zu Studienbeginn bei knapp 90mg/dl und bei Studienende in der Standardgruppe + Placebo bei 93,0mg/dl, während er in der Evolocumab-Gruppe um 59,8 % fiel (36,6mg/dl). Primärer Endpunkt der Studie war die Veränderung des Atheromvolumens. Unter Evolocumab lag dies bei –0,95 % (p<0,0001), in der Vergleichsgruppe kam es zu keiner Änderung. Evolocumab wurde gut vertragen und war hinsichtlich unerwünschter Wirkungen mit Placebo vergleichbar.<br /><br /> „Die bislang vorliegenden Studien waren nicht prospektiv hinsichtlich des Outcomes für kardiovaskuläre Ereignisse konzipiert. Dazu laufen derzeit die ODYSSEYOutcome- und die FOURIER-Studie. Die EBBINGHAUS-Studie untersucht eventuelle Auswirkungen auf die neurokognitiven Funktionen“, warf Huber einen Blick in die Zukunft.*</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> PCSK9-Inhibitoren zusätzlich zur lipidsenkenden Standardtherapie können den LDL-C-Spiegel um mehr als 50 % reduzieren und helfen dabei, das Therapieziel bei einem großen Anteil der Patienten zu erreichen. Die starke LDL-C-Reduktion könnte auch die Größe koronarer Plaques und das Plaquevolumen reduzieren. Klinische Outcome- Daten (ODYSSEY Outcome, FOURIER), basierend auf großen prospektiven randomisierten Studien, werden erwartet, um Genaues über die klinische Effizienz und Sicherheit zu erfahren.* Potenzielle Patienten für PCSK9-Inhibitoren sind Hochrisikopatienten mit Statinintoleranz, jene, bei denen Statine und Ezetimib eine ungenügende Effizienz zeigen, und möglicherweise auch Patienten, die eine Lipidapherese vermeiden wollen.</div></p>
<p class="article-quelle">Quelle: 1. Jahreskongress des Österreichischen Herzfonds, 12. Dezember 2016, Wien
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Abifadel M et al: Nat Genet 2003; 34: 154-6 <strong>2</strong> Nordestgaard BG et al: Eur Heart J 2013; 34: 3478-90 <strong>3</strong> Pijlman AH et al: Atherosclerosis 2010; 209: 189-94 <strong>4</strong> Benn M et al: Eur Heart J 2016: 37: 1384-94 <strong>5</strong> Hovingh GK et al: Eur Heart J 2013; 34: 962-71 <strong>6</strong> Klose G et al: Dtsch Arztebl Int 2014; 111: 523-9 <strong>7</strong> Moriarty PM et al: Eur Heart J 2016; 37(48): 3588-95 <strong>8</strong> Catapano Al et al: Eur Heart J 2016; 37(39): 2999-3058 <strong>9</strong> LaRosa JC et al: J Am Coll Cardiol 2007; 100: 747-52 <strong>10</strong> Hsia J et al: J Am Coll Cardiol 2011; 57: 1666-75 <strong>11</strong> Wiviott SD et al: J Am Coll Cardiol 2007; 46: 1411-6 <strong>12</strong> La Rosa JC et al: N Engl J Med 2005; 352: 1425-35 <strong>13</strong> Sabatine MS et al: N Engl J Med 2015; 372(16): 1500-9 (Suppl): 1-21</p>
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