FIGO-2023-Klassifikation – eine Revolution
Autor:
Ap.Prof. PD DDr. Richard Schwameis
Abteilung für allgemeine Gynäkologie und gynäkologische Onkologie
Gynecologic Cancer Unit
Comprehensive Cancer Center
Medizinische Universität Wien
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Die FIGO-Staging-Klassifikation für das Endometriumkarzinom wurde 2023 aktualisiert, um den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen zu entsprechen. Es wurden neue molekulare Klassifikationen und histologische Subtypen einbezogen, um die Prognose und die Behandlungsmöglichkeiten besser anzupassen.
Keypoints
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Die FIGO-2023-Klassifikation integriert wichtige prognostische histopathologische, aber auch molekularpathologische Faktoren und definiert dadurch klinisch relevante Unterstadien.
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Die FIGO-2023-Klassifikation fächert die Prognose im Frühstadium der Erkrankung auf.
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Die Integration der molekularpathologischen Gruppen identifiziert Tumoren im Frühstadium mit besonders guter Prognose (Stadium IAmPOLEmut),und ausgesprochen schlechterPrognose (Stadium IICmp53abn).
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Die FIGO-2023-Klassifikation sagt das progressionsfreie Überleben genauer vorher als die FIGO-2009-Klassifikation.
Präambel
In den USA und in Europa ist das Endometriumkarzinom mit Abstand das häufigste gynäkologische Beckenmalignom. In diesen Ländern zeigt das Endometriumkarzinom eine steigende Inzidenz. Betrachtet man die Situation in Österreich, so sprechen wir von etwa 1000 Neuerkrankungen pro Jahr. In Österreich und in Europa liegt das Lebenszeitrisiko für eine Frau, an einem Endometriumkarzinom zu erkranken, bei etwa 3%.
Häufig wird das Endometriumkarzinom in einem frühen Tumorstadium diagnostiziert und zeigt daher grundsätzlich eine exzellente Prognose. Jedoch gab und gibt es immer wieder Patientinnen, die, obwohl ihre Tumorerkrankung in einem frühen Stadium diagnostiziert und behandelt wurde, früh ein Rezidiv entwickeln und häufig schnell daran sterben.
In den letzten 10 Jahren haben wir sehr viel über die Tumorbiologie des Endometriumkarzinoms gelernt. So hat sich gezeigt, dass die Molekularpathologie des Endometriumkarzinoms wahrscheinlich den stärksten Einfluss auf die individuelle Prognose unserer Patientinnen hat.
Es hat sich in den letzten zehn Jahren herauskristallisiert, dass die Bezeichnung Endometriumkarzinom eine heterogene Gruppe unterschiedlicher Karzinome zusammenfasst. Soweit bisher bekannt, handelt es sich beim Endometriumkarzinom um vier verschiedene Gruppen an Karzinomen. Die erste Gruppe wird POLE-mutierte Gruppe (POLEmut) genannt. Diese Gruppe lässt sich dadurch identifizieren, dass eine pathogene Mutation im POLE-Gen vorliegt. Diese Tumoren zeichnen sich dadurch aus, dass es in den Tumorzellen zu enorm vielen genetischen Veränderungen kommt, sodass diese Tumorzellen recht instabil sind. Daher geht diese Gruppe an POLE-mutierten Endometriumkarzinomen mit einer exzellenten Prognose einher.
Bei der zweiten Gruppe spricht man von einer Mismatch-Reparatur-Defizienz (MMRd). Hierbei sind eines oder mehrere der Mismatch-Repair-Proteine defekt. Die Mismatch-Repair-Proteine sind Teil eines wichtigen Zellreparatur-Mechanismus. Ist dieser Mechanismus defekt, so können Fehlpaarungen in der DNA nicht repariert werden und somit kommt es in diesen Zellen zu vielen Mutationen. Auf Basis dieser Mutationen sind diese Tumorzellen zum einen recht instabil und zum anderen kommt es zur Entstehung von vielen Tumor-Neoantigenen, was zu einem exzellenten Ansprechen dieser Zellen auf Immuntherapie führt. Die dritte Gruppe, NSMP, ist die größte Gruppe an Endometriumkarzinomen. NSMP steht für „no specific molecular profile“. Die NSMP-Tumoren umfassen eine heterogene Gruppe unterschiedlicher Karzinome, die in Zukunft noch weiter charakterisiert werden müssen. Die vierte Tumorgruppe zeigt eine Mutation im P53-Gen. Diese Gruppe (p53abn) zeigt eine sehr schlechte Prognose und scheint biologisch den Tumoren des Ovars ähnlich zu sein.
Wie die molekularpathologischen Gruppen identifiziert werden, zeigt Abbildung 1.
Abb. 1: Algorithmus zur Identifikation molekularpathologischer Gruppen des Endometriumkarzinoms (modifiziert nach Schubert M et al.)3
In den letzten Jahren konnten multiple Analysen den beträchtlichen prognostischen Wert der vier molekularpatholgischen Gruppen demonstrieren (Abb. 2).
Abb. 2: Prognostischer Wert der molekularpathologischen Gruppen des Endometriumkarzinoms
Eine rezente Publikation konnte zeigen, dass die molekularpathologischen Gruppen des Endometriumkarzinoms einen stärkeren Einfluss auf die Prognose haben als die histopathologischen Tumorstadien.1
FIGO-Klassifikation
Das Endometriumkarzinom wurde bis 2023 rein histopathologisch eingeteilt. Hierzu gab es die FIGO (Internationale Föderation für gynäkologische Onkologie)-Klassifikation aus dem Jahr 2009 (Tab. 1).
Tab. 1: FIGO-Stadieneinteilung des Endometriumkarzinoms inklusive Karzinosarkom (Version 2017, modifiziert nach Pecorelli S)10
Die FIGO hat den rezenten Entwicklungen der Wissenschaft Rechnung getragen und daher 2023 die Klassifikation des Endometriumkarzinoms beträchtlich angepasst. Neben neuen histopathologischen Einflussfaktoren fanden auch die oben genannten molekularpathologischen Faktoren Eingang in die FIGO-2023-Klassifikation. Dadurch ergeben sich viele neue Stadien bzw. Substadien (Tab. 2).
Tab. 2: FIGO-2023-Klassifikation Endometriumkarzinom (modifiziert nach Berek JS et al.)11
Prognostischer Wert der FIGO-Klassifikation
Die FIGO-Klassifikation versteht sich als ein prognostisches Modell, nicht als eine einfache Einteilung des Endometriumkarzinoms basierend auf histopathologischen Tumorgrenzen. Daher wurden klinisch relevante Substadien definiert, die das Risiko für das Auftreten eines Rezidivs widerspiegeln sollen. Tatsächlich gibt es mittlerweile eine ganze Reihe an Untersuchungen, welche die FIGO-Klassifikation 2009 mit der FIGO-Klassifikation 2023 in Bezug auf ihre prognostische Aussagekraft untersucht und miteinander verglichen haben.
Eine retrospektive multizentrische Analyse von 3 durch die ESGO (Europäische Gesellschaft für gynäkologische Onkologie) akkreditierten Tumorzentren – der Medizinischen Universität Innsbruck, der Medizinischen Universität Wien und der Gemelli-Universität Rom – verglich die beiden Klassifikationen auf Basis der Daten von über 500 Patientinnen.2 Diese Studie analysierte in einem ersten Schritt die Stadienwechsel zwischen den beiden Klassifikationen und in einem zweiten Schritt die prognostische Genauigkeit beider Klassifikationen.
Zum einen konnte diese Analyse zeigen, dass etwa 25% aller Patientinnen durch dieVerwendung der neuen Klassifikation einemneuen Stadium zugeordnet werden (Abb. 3). Zum anderen konnte die Analyse auch zeigen, dass durch die Einführung neuer Substadien die Vorhersage der Prognose signifikant besser aufgefächert werden kann (Abb. 4).
Abb. 3: Stadienwechsel zwischen der FIGO-2009- und der FIGO-2023-Klassifikation (modifiziert nach Schwameis R)2
Abb. 4: Prognostische Genauigkeit der FIGO-2009- und der FIGO-2023-Klassifikation (modifiziert nach Schwameis R)2
Wenn man sich die Daten zu den frühen Tumorstadien ansieht, sprich zu Tumoren, die auf die Gebärmutter begrenzt sind, so hatte die FIGO-Klassifikation 2009 eine mäßige Aussagekraft in Bezug auf die Prognose der einzelnen Tumorstadien. Die Rate des progressionsfreien Fünfjahresüberlebens lag zwischen 89,0% im Stadium FIGO IA und 71,2% im FIGO-Stadium II. Mithilfe der FIGO-2023-Klassifikation lassen sich nun Substadien definieren, die eine exzellente Prognose aufweisen (Stadien FIGO IAmPOLEmut und FIGO IA1: Rate des progressionsfreien Fünfjahresüberlebens: 100%), aber auch Stadien identifizieren, deren Prognose ausgesprochen schlecht ist (Stadium FIGO IICmp53abn: Rate des progessionsfreien Fünfjahresüberlebens: 55,6%). Diese Analyse konnte beweisen, dass die FIGO-2023-Klassifikation eine statistisch signifikant bessere Aussagekraft bezüglich des Endpunkts des progressionsfreien Überlebens bietet als die FIGO-2009-Klassifikation.
Zusammenfassung
Die FIGO-2023-Klassifikation ist die erste Klassifikation eines gynäkologischen Malignoms, die nicht nur histopathologische, sondern auch molekularpathologische Einflussfaktoren einbezieht. Dadurch konnte die FIGO-Klassifikation in Bezug auf ihre prognostische Aussagekraft signifikant verbessert werden. Es handelt sich somit bei der FIGO-2023-Klassifikation vielmehr um eine Revolution als um eine Evolution.
Literatur:
1 Leon-Castillo A et al.: Prognostic relevance of the molecular classification in high-grade endometrial cancer for patients staged by lymphadenectomy and without adjuvant treatment. Gynecol Oncol 2022; 164(3): 577-86 2 Schwameis R et al.: Verification of the prognostic precision of the new 2023 FIGO staging system in endometrial cancer patients - An international pooled analysis of three ESGO accredited centres. Eur J Cancer 2023; 193: 113317 3 Schubert M et al.: Fertility preservation in endometrial cancer—treatment and molecular aspects. Medicina 2023; 59(2): 221 4 Kandoth C at al.: Mutational landscape and significance across 12 major cancer types. Nature 2013;502(7471): 333-9 5 Stelloo E et al.: Improved risk assessment by integrating molecular and clinicopathological factors in early-stage endometrial cancer-combined analysis of the PORTEC cohorts. Clin Cancer Res 2016; 22(16): 4215-24 6 Bosse T et al.: Molecular classification of grade 3 endometrioid endometrial cancers identifies distinct prognostic subgroups. Am J Surg Pathol 2018; 42(5): 561-8 7 Talhouk A et al.: A clinically applicable molecular-based classification for endometrial cancers. Br J Cancer 2015; 113(2): 299-310 8 Talhouk A et al.: Confirmation of ProMisE: A simple, genomics-based clinical classifier for endometrial cancer. Cancer 2017; 123(5): 802-13 9 Kommoss S et al.: Final validation of the ProMisE molecular classifier for endometrial carcinoma in a large population-based case series. Ann Oncol 2018; 29(5): 1180-8 10 Pecorelli S: Revised FIGO staging for carcinoma of the vulva, cervix, and endometrium. Int J Gynaecol Obstet 2009;105(2):103-411 Berek JS et al.: FIGO staging of endometrial cancer: J Gynecol Oncol. 2023; 34(5): e85
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