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SGSPP-Gesellschaftsnachrichten 27/4-2024

Gesundheitssport und Alter

Körperliche Aktivität ist in jedem Lebensabschnitt essenziell für ein gesundes Leben und das psychische Wohlbefinden. Welche Bedeutung hat Gesundheitssport im Alter bei der Prävention und Therapie von psychischen Erkrankungen älterer Menschen?

Keypoints

  • Körperliche Aktivität und Sport sind bei vielen psychiatrischen Erkrankungen als Add-on-Therapie sinnvoll und empfohlen.

  • Dies gilt für diverse Erkrankungen von Depression, Angst, Schizophrenie bis hin zu vielen Erkrankungen im Alter mit kognitiven Störungen, Altersdepression, Demenzen und vielen mehr.

  • Die SGSPP setzt sich für die Entwicklung von Evidenz und schliesslich den praktischen Einsatz bei Menschen mit solchen Erkrankungen ein.

Die Schweizerische Gesellschaft für Sportpsychiatrie und -psychotherapie (SGSPP) hat das Ziel der Förderung der Sportpsychiatrie und -psychotherapie über die Lebensspanne in der Schweiz im Leistungssport und in der Allgemeinbevölkerung. In den Ausgaben der Leading Opinions Neurologie & Psychiatrie wird regelmässig über die jüngsten Entwicklungen der Sportpsychiatrie und -psychotherapie in der Schweiz und ihre Tätigkeitsfelder – im Breiten-, Gesundheits- und Leistungssport – berichtet. In dieser Ausgabe bildet der Gesundheitssport im Alter den Schwerpunkt, im Speziellen wird auf den Stellenwert von Sport bei der Prävention und der Behandlung von psychischen Erkrankungen im Alter eingegangen.

Der Anteil älterer Menschen an der Weltbevölkerung nimmt rapide zu, insbesondere in den westlichen Industrieländern wie auch in Ostasien. Im Jahr 2050 wird der Anteil der über 60-jährigen Menschen erstmals höher als derjenige der Heranwachsenden und jüngeren Menschen sein.1,2

Die SGSPP

Die Schweizerische Gesellschaft für Sportpsychiatrie und -psychotherapie, SGSPP, bezweckt die Förderung der Sportpsychiatrie und -psychotherapie in der Schweiz, im Leistungssport und in der Allgemeinbevölkerung. Daraus lassen sich drei Tätigkeitsfelder von Sportpsychiater:innen und -psychotherapeut:innen ableiten:

(i) Sport und Bewegung bei psychischen Erkrankungen (Gesundheitssport und -förderung),

(ii) psychische Gesundheit und Erkrankungen im Leistungssport,

(iii) sportspezifische psychische Störungen und Erkrankungen im Breiten- und Freizeitsport.

Die WHO hat aufgrund dieses demografischen Wandels kürzlich für 2021 bis 2030 die «decade of healthy aging» propagiert, mit dem Ziel, ein langes und gesundes Leben für ältere Menschen zu ermöglichen.3

Chronische Erkrankungen nehmen mit dem Alter deutlich zu, ein grosser Risikofaktor dafür ist körperliche Inaktivität.

Körperliche Aktivität über das Leben hinweg ist somit von grosser Relevanz, um die Gesundheit zu erhalten, die körperliche Fitness zu optimieren und damit unabhängig und zufrieden im Alter zu leben.

Dementsprechend empfiehlt die WHO in ihren Guidelines von 2020 eine moderate körperliche Aktivität von 150 bis 300 Minuten/Woche oder eine intensive körperliche Aktivität von 75 bis 150 Minuten/Woche.2

Unter körperlicher Aktivität werden vier Domänen subsumiert: körperliche Aktivität bei der Arbeit, im Haushalt, in der Freizeit und bei der Bewältigung von Verkehrswegen durch Muskelkraft (z.B. zu Fuss/per Velo).4,5 Aktivitäten in all diesen Bereichen zählen zu den von der WHO oben genannten Zahlen. Da im Alter bei den meisten Menschen die bei der Arbeit verrichtete körperliche Aktivität zurückgeht, z.T. auch bei der Mobilität im öffentlichen Raum, wird die körperliche Aktivität in der Freizeit immer wichtiger. Hier sind vor allem sportliche Aktivitäten gefragt, insgesamt, aber vor allem auch sportliche Aktivitäten, die speziell auf die im Alter auftretenden Veränderungen abzielen (Verschlechterung des Gleichgewichtssinns, reduzierte Muskelkraft, Störungen der Psychomotorik/Koordination u.a.).

Sport und Altern

Es werden für ältere Menschen dementsprechend Widerstands- und Ausdauertraining empfohlen, wie auch eine Multikomponentenaktivität, die zudem Gleichgewichts- («balance») und Krafttraining («strength») einbezieht.6,7

Bisher ist unklar, welche Art von körperlicher Aktivität und Sport in welcher Form und in welchem Ausmass für die Gesundheit insgesamt wirksam ist. Gesichert und wichtig ist jedoch, dass sämtliche sportlichen Aktivitäten nicht zufällig und beliebig, sondern strukturiert und konsequent über einen längeren Zeitraum durchgeführt werden.

Sport ist die wesentliche körperliche Freizeitaktivität, viele Menschen sind auch im Alter noch in Sportvereinen organisiert. Neben dem gesundheitsfördernden Anteil der körperlichen Aktivierung an sich spielt hier auch der gesellschaftliche Aspekt mit Begegnungen und Kommunikation eine motivationsfördernde Rolle. Sportliche Betätigung kann in verschiedenen Aktivitäten und somit angepasst an die individuellen Fähigkeiten und unterschiedliche Funktions- und Fitnessniveaus durchgeführt werden.

Der Alterungsprozess ist eng mit physiologischen Prozessen verbunden, die zu einer erhöhten Anfälligkeit für die Entwicklung körperlicher Erkrankungen und kognitiver Störungen führen. Eine reduzierte körperliche Aktivität kann diese Prozesse beschleunigen und verstärken. Körperliches Training und sportliche Aktivität können diesen Prozessen entgegenwirken und somit zu einem – im Vergleich zum kalendarischen Alter – jüngeren biologischen Alter führen.7

Wie wirkt körperliche Aktivität?

Es liegen mittlerweile einige Befunde bei älteren Menschen vor, die belegen, dass körperliche Aktivität eine positive Wirkung auf die Muskelkraft, den Funktionsstatus, die Alltagsfunktionalität, die psychische Gesundheit und die Lebensqualität generell hat, sowohl Ausdauertraining (z.B. Gehen, Yoga, Tai-Chi, Qigong) wie auch Krafttraining.7 Weit mehr Befunde und Erfahrungen liegen für körperliche und sportliche Aktivität im Alter im Hinblick auf die Verbesserung der kardiorespiratorischen Fitness vor. Die Effekte von sportlicher Aktivität auf die mentalen Funktionen sind zum Teil unabhängig, die Verbesserung der kardiorespiratorischen Situation trägt aber auch zu einer besseren mentalen Gesundheit bei. Es werden hier vor allem Ausdauersportarten, wie Nordic Walking, Schwimmen und Radfahren (gelenkschonend), aber auch Rudern und Crosstrainer empfohlen. Bereits 10 Minuten reichen für ein «Workout» zu Hause mit einfachen Übungen. Nach einer kurzen Aufwärmphase zu Beginn über 2–3 Minuten (Gehen auf der Stelle, Hochziehen der Knie, Armkreisen) sollten intensivere Übungen (z.B. Hampelmann, Kniebeugen mit Boxbewegungen) mit einer abschliessenden «Cool down»-Phase mit Dehnübungen für 1–2 Minuten folgen.8,9 Da es oftmals schwierig ist, sich täglich zu diesen Aktivitäten zu motivieren, bietet sich die Durchführung in einer Gruppe oder alternativ eine sportliche Aktivität im Rahmen eines Teamsports an.

Sport in der Gemeinschaft

In einer systematischen Metaanalyse4 wurde der Einfluss von körperlicher/sportlicher Aktivität bei Teamsport auf die Gesundheit insgesamt, d.h. verschiedene Aspekte der Gesundheit im Alter, untersucht. Hier zeigten sich vor allem ein Effekt auf die kardiorespiratorische Fitness wie auch auf das körperliche Funktionsniveau insgesamt sowie eine Reduktion der Körpermasse, insbesondere durch Floorball (Unihockey) und Fussball.

Zudem ergaben sich auch bei diesen Teamsportarten Effekte auf kognitive und emotionale Funktionen. Für die Sportpsychiatrie sind gerade diese zuletzt genannten Resultate von grosser Bedeutung, da dies bei den häufigsten alterspsychiatrischen Erkrankungen, wie Altersdepression und hirnorganischen Erkrankungen, speziell Demenzen, von Relevanz sein kann.

Alter, Demenz und Sport

Risikofaktoren für die Entwicklung von kognitiven Störungen im Alter, insbesondere Demenzen, sind u.a. Hypertonie, Diabetes mellitus, aber auch mangelnde Bewegung. Durch körperliche und sportliche Aktivität können diese kardiovaskulären und metabolischen Risikofaktoren reduziert und auch das Risiko für das Auftreten kognitiver Störungen wie auch für die Entwicklung und den Verlauf von Demenzen gesenkt werden.

Therapeutisch konnten bei Patient:innen mit leichten kognitiven Störungen (Gedächtnis, Aufmerksamkeit) in einigen Studien gute Verbesserungen erzielt werden. Bei Patient:innen mit Demenz sind die therapeutischen Effekte auf die Kognition nicht eindeutig bzw. eher gering. Es gibt aber erste Befunde, dass durch körperliche Aktivität die behavioralen und psychologischen Symptome bei Demenz (BPSD, Verhaltensstörungen, herausforderndes Verhalten) verbessert werden können.7,10

Depression und Sport

Die Wirksamkeit von Sport und körperlichem Training bei Depressionen sowohl in der Prävention wie auch bei der Behandlung konnte in verschiedenen Studien gezeigt werden.4,5 Auch für Patient:innen mit Altersdepression liegen mehrere Studien wie auch Metaanalysen vor, die zeigen, dass Interventionen mit aerobem, aber auch anaerobem Training mittlerer Intensität als Einzel- oder Gruppenprogramm mit einem wöchentlichen Kalorienverbrauch von 16 kcal pro Kilogramm Körpergewicht wirksam sind.11

Dementsprechend wird in den Schweizer Behandlungsempfehlungen zur Altersdepression sportliche Aktivität als Zusatztherapie empfohlen, sie sollte aber unter Supervision einer Fachperson durchgeführt werden.12

Schlaf und Sport im Alter

Auch Schlafstörungen sind bei psychischen Erkrankungen sowie im Alter generell weit verbreitet. Primär sind bei Schlafstörungen, auch im Alter, nichtmedikamentöse Massnahmen indiziert, wenngleich in der Praxis Hypnotika oft verschrieben werden. Körperliche Aktivität und Sport sind auch hier eine wirksame und leicht anzuwendende Methode. Es hat sich gezeigt, dass regelmässig durchgeführte körperliche Aktivität nach den WHO-Empfehlungen (mind. 150 Minuten/Woche und mind. 3x/Woche mindestens moderates Training) zu einer signifikanten Verbesserung des Schlafs, der Stimmung und der Lebensqualität führen.2,13

Auch bei weiteren psychischen Erkrankungen im Alter hat sich die Anwendung von Sport präventiv und therapeutisch als wirksam erwiesen, dazu zählen u.a. Suchterkrankungen wie auch Angststörungen.

Ausblick

Es gibt bereits viele Untersuchungen zu psychiatrischen Erkrankungen, in denen oft ein Nutzen von körperlicher Aktivität und Sport gezeigt wird. Für ältere Menschen fehlen hier jedoch noch vielfach Daten, sodass die Anwendung von körperlicher Aktivität/Sport im Alter primär auf einem Transfer des Wissens, das bei jüngeren Menschen bzw. an Effekten auf die kardiorespiratorische Fitness erhoben wurde, vorgenommen wird. Gerade aufgrund der oft auch körperlich beeinträchtigten älteren Menschen braucht es gut kontrollierte Studien, um die Wirkung sportlicher Aktivität im Alter auf psychische Funktionen, aber auch deren Nebenwirkungen zur besten Dosisfindung evidenzbasiert zu ermitteln. Die Schweizer Gesellschaft für Sportpsychiatrie und -psychotherapie setzt sich auch dafür ein.

Link


Weitere Informationen und aktuelle Nachrichten zur Schweizerischen Gesellschaft für Sportpsychiatrie und -psychotherapie finden sich auf der SGSPP-Homepage www.sgspp.ch .

1 Winker MA, DeAngelis CD: Caring for an aging population. JAMA 2010; 303: 455-6 2 World Health Organization: Global strategy and action plan on ageing and health. Geneva: World Health Organization, 2017 3 World Health Organization: Decade of healthy ageing 2021–2030. Online unter: https://cdn.who.int/media/docs/default-source/decade-of-healthy-ageing/decade-proposal-final-apr2020-en.pdf?sfvrsn=b4b75ebc_28&download=true 4 Oliveira JS et al.: Effect of sport on health in people aged 60 years and older: a systematic review with meta-analysis. Br J Sports Med 2023; 57: 230-6 5 Taylor J et al.: A scoping review of physical activity interventions for older adults. Int J Behav Nutr Phys Act 2021; 18: 82 6 Hemmeter UM et al.: Alter und Altern. In: Claussen MC, Seifritz E (Hrsg.): Lehrbuch der Sportpsychiatrie und -psychotherapie. Band 2: Sport und Bewegung bei psychischen Erkrankungen. Bern: Hogrefe Verlag, 2024 7 Hemmeter UM, Ngamsri T: [Physical activity and mental health in the elderly]. Praxis (Bern 1994) 2022; 110(4): 193-8 8 Schmidt-Trucksäss A: Kardiorespiratorische Fitness – richtig erfasst, interpretiert und verwendet? Dtsch Z Sportmed 2022; 73 9 https://sgg-ssg.ch/bewegung-und-sport-im-alter/#:~:text=%C3%84ltere%20Menschen%20profitieren%20von%20einer,bei%20Personen%20%C3%BCber%2070%20Jahren 10 Ngamsri T et al.: Physical activity and sports in dementia. Sports & Exercise Medicine Switzerland 2019; 31 11 Imboden C, Hatzinger M: Affektive Störungen: Neurobiologische Grundlage und Evidenz von Sport bei Depression. NeuroTransmitter 2016; 10: 44-9 12 Hatzinger M et al.: Empfehlungen für Diagnostik und Therapie der Depression im Alter. Praxis 2019; 107(3): 127-44 13 Kelley GA, Kelley KS: Exercise and sleep: a systematic review of previous meta-analyses. J Evid Based Med 2017; 10(1): 26-36

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