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Guidelines zur Antikoagulation: ein Update
Leading Opinions
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31.08.2017
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<p class="article-intro">Immer mehr Patienten erhalten direkte orale Antikoagulanzien (DOAK) zur Behandlung oder Prophylaxe thromboembolischer Ereignisse. Damit nehmen die Erfahrungen im Umgang mit den Substanzen zu, wie sich u.a. an den Ergänzungen und Updates der gültigen Guidelines zeigt, die am Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie in Baden besprochen worden sind.</p>
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<p class="article-content"><p>Die Publikation der letzten Guidelines des ACCP (2012) zur antithrombotischen Therapie und Thromboseprävention liegt schon einige Jahre zurück. Nun ist ein Update erschienen. Die wichtigste Änderung betrifft die Empfehlung, Patienten mit einer venösen Thromboembolie (VTE), das heisst, Patienten mit einer tiefen Venenthrombose (TVT) der unteren Extremität oder einer Lungenembolie (LE), die keine maligne Erkrankung haben, bevorzugt mit DOAK anstelle von Vitamin-K-Antagonisten (VKA) zu behandeln (Empfehlungsgrad 2B).<sup>1</sup> Bei Patienten mit einer malignen Erkrankung sollte den niedermolekularen Heparinen (NMH) der Vorzug gegenüber VKA oder DOAK gegeben werden (Empfehlungsgrad 2C). Zur Prävention der VTE bei maligner Erkrankung stellte Prof. Dr. med. Jürg Hans Beer, Direktor der Klinik für Innere Medizin am Kantonsspital Baden, neue Daten mit DOAK in Aussicht. «Mit der Zeit werden die Patienten oft müde, sich das NMH zu injizieren, sodass häufig eine Umstellung auf (D)OAK notwendig ist», sagte Beer. Bei Patienten mit einer nicht provozierten VTE kann im Anschluss an die Antikoagulation gemäss Guidelines auf eine Prophylaxe verzichtet werden. Als Alternative schlug Beer eine «Low-dose»- Therapie mit Apixaban (2x 2,5mg) oder Rivaroxaban (10mg) vor. Wie die beiden Verlängerungsstudien AMPLIFY-EXT und EINSTEIN CHOICE gezeigt hatten, nahm das Risiko einer erneuten VTE im Vergleich zu Aspirin durch die «Low-dose »-Therapie mit einem DOAK deutlich ab, während die Blutungsrate vergleichbar war.<sup>2, 3</sup></p> <h2>Empfehlungen für eine individuelle OAK</h2> <p>Ergänzend zu den ESC-Guidelines zum Management von Patienten mit Vorhofflimmern (VHF) ist Anfang dieses Jahres im «European Heart Journal» eine Publikation mit Empfehlungen zur Wahl der OAK in individuellen Situationen erschienen (Abb. 1),<sup>4</sup> darunter die Behandlung von Patienten mit VHF und stabiler koronarer Herzkrankheit, Hypertonie oder einem erhöhten Risiko für gastrointestinale Blutungen. Neue Empfehlungen gibt es auch zur Behandlung des akuten Schlaganfalls. «Etwa einer von zehn Schlaganfallpatienten ist heute oral antikoaguliert und kann deshalb formal nicht lysiert werden », so Beer. Gemäss den individualisierten Behandlungsempfehlungen kann bei Patienten mit einem M1- oder M2-Verschluss und OAK mit VKA und einem INR <1,7 eine i.v. Lyse oder eine mechanische Thrombektomie erwogen werden. Eine Lysebehandlung ist zudem möglich, wenn die Thrombinzeit unter der Behandlung mit dem direkten Thrombin-Inhibitor Dabigatran normal ist. Dies gilt auch, wenn unter Rivaroxaban, Apixaban oder Edoxaban der Anti-Faktor-Xa-Spiegel niedrig ist (<30[–50]μg/ml). Eine häufig gestellte Frage bei Patienten nach TIA oder Schlaganfall ist: Wann soll die Behandlung mit OAK wieder aufgenommen werden? Die Guidelines verweisen in diesem Zusammenhang auf die «1-3-6-12-Tagesregel» (Tab. 1). «Diese funktioniert in der Praxis recht gut», sagte Beer und fügte einschränkend hinzu, dass dieses Vorgehen nicht evidenzbasiert sei, sondern auf Expertenmeinungen beruhe.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Innere_1704_Weblinks_s44.jpg" alt="" width="1421" height="1281" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Innere_1704_Weblinks_s44-2.jpg" alt="" width="700" height="486" /></p> <h2>Keine DOAK bei schwer eingeschränkter Nierenfunktion</h2> <p>Zu den wichtigsten offenen Fragen im Umgang mit den DOAK gehört die Anwendung bei Patienten mit Niereninsuffizienz. «Alle DOAK werden teilweise renal eliminiert », erklärte Prof. Dr. med. Lucia Mazzolai von der Klinik für Angiologie am Universitätsspital Lausanne. Eine schwere Nierenerkrankung (CKD) mit einer Kreatinin- Clearance (CrCl) <30ml/min sei in allen DOAK-Studien ein Ausschlusskriterium gewesen. Die Studienergebnisse liessen deshalb keinerlei Rückschlüsse auf die Behandlung mit DOAK bei diesen Patienten zu. «Eine Behandlung von Patienten mit VHF und einer schweren CKD (CrCl <30ml/min) mit DOAK ist kontraindiziert, unabhängig davon, welche Guidelines wir anschauen», so die Spezialistin. Das Gleiche gilt für Patienten mit einer Nierenerkrankung im Endstadium, die dialysepflichtig sind. Bei diesen Patienten bleibt die OAK mit VKA die Therapie der ersten Wahl. «Trotzdem haben die Behandlungszahlen mit DOAK bei Patienten mit schwerer CKD und dialysepflichtigen Patienten zugenommen», weiss Mazzolai.<br /> Was die Behandlung von Patienten mit einer moderaten CKD (CrCl 30–50ml/ min) betrifft, gibt es wichtige Unterschiede zwischen den Indikationen. Während die Guidelines zur VTE-Behandlung, ausser für Edoxaban, keine Empfehlungen für eine Dosisreduktion der DOAK geben, sollten bei VHF alle DOAK in einer reduzierten Dosis eingesetzt werden.<sup>5, 6</sup> «Ein naheliegender Grund für diese Empfehlung könnte sein, dass Patienten mit einer VTE oftmals jünger und gesünder sind», meinte Prof. Mazzolai.<br /> Wie anhand von Subgruppenanalysen der grossen DOAK-Studien gezeigt worden ist, führt eine milde (CrCl 50–79ml/min) bis moderate CKD (CrCl 30–50ml/min) dazu, dass bei Patienten mit VHF oder VTE einerseits das Blutungsrisiko, andererseits aber auch das Risiko arterieller und venöser thromboembolischer Ereignisse unter der OAK mit DOAK und VKA zunimmt. Auf die gesamte Studienpopulation bezogen waren die DOAK im Hinblick auf die Prophylaxe eines Schlaganfalls oder einer rekurrierenden VTE mindestens vergleichbar oder besser wirksam als VKA und führten zu weniger Blutungen.</p> <h2>DOAK korrekt dosieren</h2> <p>Nicht nur die zunehmende Anwendung von DOAK bei Patienten mit schwerer CKD ist mit Risiken verbunden. Wie die Analyse u.a. von Versicherungsdaten aus unterschiedlichen Ländern zeigt, wird ein erheblicher Anteil von Patienten mit (zu) niedrig dosierten DOAK behandelt.<sup>7</sup> «Dieser Anteil ist viel grösser, als wir ihn aufgrund der Studien erwartet haben», sagte PD Dr. med. Jan Steffel vom Universitären Herzzentrum in Zürich. Wie die Daten zeigen, ist vor allem Apixaban davon betroffen, aber auch Dabigatran und Rivaroxaban. «Der Grund dafür ist nicht etwa, dass unsere Patienten viel kränker wären als diejenigen in den Studien», erklärte der Kardiologe. Dahinter stehe vielmehr der Wunsch nach mehr Sicherheit bei der Behandlung. «Es besteht kaum Zweifel daran, dass eine niedrigere Dosierung auch zu weniger Blutungen führt. Allerdings haben wir mit Ausnahme von Dabigatran und Edoxaban, welche in einer niedrigen Dosierung untersucht worden sind, keine Ahnung, welche Konsequenzen die Dosisreduktion für das Outcome hat», so Steffel. Fest stehe aber: Wenn man mit der Behandlung in der täglichen Praxis gleich gute Ergebnisse erzielen wolle wie in den Studien, müsse man die DOAK auch in der untersuchten Dosierung einsetzen.</p> <h2>Für den Notfall ein Behandlungsschema bereithalten</h2> <p>Aufgrund des zunehmenden Gebrauchs von DOAK nimmt auch die Zahl der Traumapatienten zu, die mit DOAK antikoaguliert sind. Die europäischen Guidelines zum Management von schweren Blutungen und Gerinnungsstörungen empfehlen deshalb jeder Klinik, für die zielgerichtete Behandlung im Notfall einen entsprechenden Algorithmus parat zu haben.<sup>8</sup><br /> Empfohlen wird zudem ein frühzeitiges und wiederholtes Monitoring der Gerinnung. Dies kann durch die Bestimmung traditioneller Laborwerte wie Fibrinogenund DOAK-Spiegel sowie Thrombozytenzahl erfolgen. Ein komplettes Bild der Hämostase liefern viskoelastische Methoden wie die Thromboelastografie (TEG) oder Thrombelastometrie (ROTEM). «Diese können alternativ oder zusätzlich eingesetzt werden», erläuterte Prof. Dr. med. Donat R. Spahn, Direktor der Klinik für Anästhesiologie am Universitätsspital Zürich. Um keine Antikoagulation mit VKA, DOAK oder NMH zu verpassen, werden am USZ routinemässig bei allen notfallmässig hospitalisierten Patienten Prothrombinzeit (PT), Faktor anti-Xa und Thrombinzeit (TZ) gemessen (Tab. 2).<br /> «Die Behandlung von Blutungen bei Patienten, die mit einem Faktor-Xa-Inhibitor antikoaguliert werden, ist aufgrund des fehlenden Antidots nach wie vor schwierig», sagte Spahn. Die von den Guidelines empfohlene Behandlung mit Tranexamsäure und hoch dosiertem Prothrombinkomplex- Konzentrat (PCC) gehe mit einem Risiko für thrombotische Komplikationen einher. «Das ist aber das Einzige, was wir im Notfall tun können», so der Spezialist. Einfacher ist die Situation bei traumatisierten Patienten, die Dabigatran nehmen. Gemäss Guidelines erhalten diese im Falle einer lebensbedrohlichen Blutung 5g Idarucizumab (Praxbind<sup>®</sup>) i.v. Anschliessend muss das gesamte Gerinnungsmonitoring wiederholt werden, u.a. um eine traumainduzierte Koagulopathie frühzeitig zu erkennen und gegebenenfalls die Antikoagulation wieder aufzunehmen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Innere_1704_Weblinks_s44-3.jpg" alt="" width="1470" height="422" /></p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie
(SGK), 7.–9. Juni 2017, Baden
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Jain A, Cifu AS: Antithrombotic therapy for venous thromboembolic disease. JAMA 2017; 317: 2008-9 <strong>2</strong> Weitz JI et al.: Rivaroxaban or aspirin for extended treatment of venous thromboembolism. N Engl J Med 2017; 376: 1211- 22 <strong>3</strong> Agnelli G et al.: Apixaban for extended treatment of venous thromboembolism. N Engl J Med 2013; 368: 699- 708 <strong>4</strong> Diener HC et al.: Choosing a particular oral anticoagulant and dose for stroke prevention in individual patients with non-valvular atrial fibrillation: part 2. Eur Heart J 2016; 38: 860-8 <strong>5</strong> Konstantinides SV et al.: 2014 ESC guidelines on the diagnosis and management of acute pulmonary embolism. Eur Heart J 2014; 35: 3033-69 <strong>6</strong> Kirchhof P et al.: 2016 ESC Guidelines for the management of atrial fibrillation developed in collaboration with EACTS. Eur Heart J 2016; 37: 2893-2962 <strong>7</strong> www.imshealth.com <strong>8</strong> Rossaint R et al.: The European guideline on management of major bleeding and coagulopathy following trauma: fourth edition. Crit Care 2016; 20: 100</p>
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