Herzinsuffizienz-Guidelines 2021 – welche Therapieempfehlungen am raschesten umgesetzt werden sollten
Autor:
PD Dr. med. Deddo Mörtl, FHFA
Oberarzt
3. Medizinische Abteilung
Universitätsklinikum St. Pölten
E-Mail: deddo.moertl@stpoelten.lknoe.at
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Fünf Jahre nach der letzten Version erschienen am 27. August 2021 die neuen ESC-Guidelines zum Management der Herzinsuffizienz.1 Das Dokument umfasst 128 Seiten, 37 Tabellen, 21 Abbildungen und 1001 Referenzen. Die für den niedergelassenen Bereich relevantesten Änderungen werden hier zusammengefasst.
Keypoints
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Dapagliflozin und Empagliflozin: neu fixer Bestandteil der HFrEF-Therapie
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Vericiguat: neue Substanz für HFrEF-Patienten mit kurz zurückliegender Dekompensation
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Eisencarboxymaltose: nun auch bei hospitalisierten Patienten empfohlen
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ACE-Hemmer/ARNI, Betablocker und MRA bis zu einer LVEF <50% empfohlen
Update Behandlungsalgorithmus bei Herzinsuffizienz mit LVEF ≤40% (HFrEF)
Für die Behandlung der HFrEF zeigt sich in den neuen Guidelines ein deutlich vereinfachter Behandlungsalgorithmus (Abb. 1).1 Statt in einer kaskadenartigen Flow-Chart werden die pharmakologischen Therapien der Klasse I zusammen als First-Line-Therapien in einer gemeinsamen Box dargestellt. Dies impliziert, dass die traditionelle Sequenzierung – zuerst ACE-Hemmer und Betablocker, dann Mineralokortikoidrezeptor-Antagonist (MRA), dann Wechsel auf den ARNI Sacubitril/Valsartan – einiges von ihrem früheren Stellenwert verloren hat. Dies wurde von den Guideline-Autoren in mündlichen Präsentationen auch so erklärt.
Abb. 1: Therapiealgorithmus für Patienten mit HFrEF (grün: Klasse-I-Empfehlung, gelb: Klasse-IIa-Empfehlung)
Wesentlich wichtiger ist, dass ein neu diagnostizierter HFrEF-Patient innerhalb weniger Wochen sämtliche Klasse-I-Medikamente in Zieldosis als Therapieziel hat. Welcher Weg letztendlich – nach erfolgreicher Therapieoptimierung – dorthin geführt hat, ist retrospektiv gesehen unwichtig – es muss nur klappen.1
Ebenso nachvollziehbar ist aber auch, dass die Guideline-Autoren die aktuell vorliegende Evidenz abbilden müssen. Deshalb versteckt sich im Text dennoch die evidenzbasierte Sequenzierung der Klasse-I-Medikamente: ACE-Hemmer und Betablocker sollen sofort nach Diagnosestellung gegeben werden, der MRA soll zu ACE-Hemmer und Betablocker dazugegeben werden und Sacubitril/Valsartan wird nach wie vor als Ersatz für den ACE-Hemmer empfohlen, wenn Patienten trotz ACE-Hemmer, Betablocker und MRA immer noch symptomatisch sind, auch wenn Sacubitril/Valsartan auch ohne vorhergegangenen ACE-Hemmer in Betracht gezogen werden kann.1
Neue Substanzklassen bei HFrEF
Neu hinzugekommen bei der Behandlung der HFrEF sind die SGLT2-Inhibitoren. Diese werden bei HFrEF-Patienten empfohlen, die bereits mit ACE-Hemmer oder Sacubitril/Valsartan, Betablocker, und MRA behandelt werden. Wesentlich ist, dass aufgrund der Datenlage zur Behandlung der HFrEF unter den SGLT2-Inhibitoren nur Dapagliflozin und Empagliflozin empfohlen werden.1–3
Die besondere Situation, dass diese neuen Substanzen gleich auf Anhieb mit einer Klasse-I-A-Empfehlung für die Behandlung der HFrEF in die Guidelines augenommen wurden, ist darin begründet, dass wir nicht nur bereits eine Zulassung für die Indikation HFrEF haben, sondern die Substanzen auch seit vielen Jahren kennen und nicht erst neu Erfahrungen damit sammeln müssen.
Wegen der Aufhebung der traditionellen Sequenzierung wäre es natürlich angenehm, gleich mit der einfachsten Therapie zu starten, nämlich den SGLT2-Inhibitoren, da hier keine Probleme mit Hypotonie, Bradykardie, Verschlechterung der Nierenfunktion oder Hyperkaliämie zu erwarten sind.2,3 Darüber hinaus sind weder eine Auftitration noch spezifische Nachkontrollen erforderlich. Dies erscheint aufgrund der Datenlage vertretbar und ist aus Praktikabilitätsgründen nachvollziehbar. Da die Situation bezüglich der Kostenerstattung in Österreich zum Zeitpunkt der Erstellung des Artikels noch im Fluss ist, erscheint dies die einzige Hürde zu sein, die beim Start mit SGLT2-Inhibitoren als HFrEF-Therapie genommen werden muss.
Neben dieser neuen Klasse-I-A-Empfehlung für Dapagliflozin und Empagloflozin gibt es auch unter den Klasse-II-Empfehlungen sehr praxisrelevante Neuerungen, die auf der Evidenz kürzlich erschienener Studien beruhen.Mit Vericiguat hält eine neue Substanzklasse, die der Stimulatoren der löslichen Guanylatzyklase («soluble guanylate cyclase», sGC), die bereits bei der pulmonalen Hypertonie verwendet werden, Einzug in die HFrEF-Therapie.1
Basierend auf den Daten der VICTORIA-Studien4 wird Vericiguat bei Patienten mit HFrEF empfohlen, die trotz ACE-Hemmer, Betablocker und MRA vor Kurzem wegen einer Verschlechterung hospitalisiert werden mussten. Die Anwendung bei dieser relativ grossen Patientengruppe wird dadurch erleichtert, dass Vericiguat bis zu einer eGFR von 15ml/min/1,73m2 zugelassen ist. Somit haben wir neuerdings eine Therapie mit speziellem Fokus auf die HFrEF-Population nach Dekompensation, die durch ein besonders hohes Risiko für repetitive Hospitalisierungen in naher Zukunft charakterisiert ist: In der VICTORIA-Studie konnten diese repetitiven Hospitalisierungen relativ um 26% gesenkt werden.4
Die bisherige Empfehlung einer Eisensubstitution mit Eisencarboxymaltose bei ambulanten Patienten wird nun, basierend auf den Daten der AFFIRM-AHF-Studie5, um hospitalisierte Herzinsuffizienzpatienten mit Eisenmangel erweitert, um das Risiko für weitere Herzinsuffizienzhospitalisierungen zu reduzieren. Damit in Zusammenhang steht eine neue Klasse-I-Empfehlung für das regelmässige Erstellen eines kompletten Blutbilds und Eisenstatus (Ferritin, Transferrinsättigung).
Erstmals Therapieempfehlung auch für Herzinsuffizienz mit LVEF von 41–49% (HFmrEF)
In der 2016 erschienenen Vorversion der ESC-Guidelines zu Diagnose und Behandlung der akuten und chronischen Herzinsuffizienz wurde die Herzinsuffizienz nach der Auswurffraktion in HFrEF («heart failure with reduced ejection fraction», LVEF <40%), HFpEF («heart failure with preserved ejection fraction», LVEF ≥ 50%) und die dazwischenliegende Gruppe HFmrEF («heart failure with mid-range ejection fraction», LVEF 40–49%) eingeteilt. Diese Einteilung ist in den ESC-Guidelines 2021 im Prinzip gleichgeblieben.1
Geringfügig verschoben haben sich die LVEF-Grenzwerte. HFrEF: LVEF ≤40%, HFmrEF: 41–49%, HFpEF: LVEF ≥50%. Das Akronym HFmrEF für die Gruppe mit LVEF 41–49% ist zwar gleichgeblieben, wurde aber von dem neutral gehaltenen Begriff «mid-range» in «mildly reduced» umbenannt. Auch wenn dies keine perfekte Nomenklatur ist – denn «leicht reduziert» empfindet man rein intuitiv als Untergruppe von «reduziert», und hier gibt es ja mit 40% eine klare Trennlinie zwischen HFrEF und HFmrEF –, so drücken die Guideline-Autoren damit zumindest aus, dass die meisten Patienten dieser HFmrEF-Gruppe den HFrEF-Patienten ähnlicher sind als den HFpEF-Patienten und auch, dass man für diese Patienten eine HFrEF-Therapie in Betracht ziehen soll.1
Bisher wurden immer nur Diuretika zur Reduktion der Hypervolämie und die Suche nach sowie die Behandlung von Komorbiditäten empfohlen, mit dem Hinweis, dass bislang keine spezifische Herzinsuffizienztherapie mit einer Prognoseverbesserung überzeugen konnte. Tatsächlich gibt es basierend auf diversen Sub- und Subgruppenanalysen auch für die HFmrEF-Gruppe nun erstmals zumindest eine Klasse-IIb-Therapieempfehlung für die klassischen HFrEF-Therapien ACE-Hemmer, Angiotensin-Rezeptorblocker, Betablocker, Mineralokortikoidrezeptor-Antagonisten und Sacubitril/Valsartan.1
Somit erhielten alle Medikamente mit Klasse-I-Empfehlungen für HFrEF nun auch eine Behandlungsempfehlung für HFmrEF und können laut Guidelines bei jeder Herzinsuffizienz mit einer LVEF <50% zum Einsatz kommen – mit Ausnahme der SGLT2-Inhibitoren. Diese Ausnahme erfordert eine Nachbesserung der Guidelines, die sicher nicht fünf Jahre bis zum Erscheinen der nächsten geplanten Herzinsuffizienz-Guideline-Ausgabe warten kann.
Ausblick für Herzinsuffizienz mit LVEF ≥50% (HFpEF)
Die Ergebnisse aus EMPEROR-preserved mit einer Reduktion des primären kombinierten Endpunktes aus kardiovaskulärem Tod und Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz durch Empagliflozin bei Herzinsuffizienz mit einer LVEF >40% wurden zwei Stunden nach der Präsentation der neuen Herzinsuffizienz-Guidelines vorgestellt und konnten somit noch nicht in die Leitlinien einfliessen.6
Von den Guideline-Autoren wurde in diesem Zusammenhang jedoch ein anlassbezogenes Update der Leitlinien innerhalb der nächsten zwei Jahre in Aussicht gestellt. Idealerweise könnten in dieses Update dann auch die Daten der derzeit noch laufenden Studie DELIVER7, 8, einer Outcome-Studie mit Dapagliflozin bei Herzinsuffizienz mit LVEF >40%, einfliessen und so – bei positivem Ergebnis – zu einer I-A-Indikation für SGLT2-Inhibitoren bei HFmrEF oder sogar HFpEF führen. Die Abgrenzung einer «leicht reduzierten» von einer «reduzierten» LVEF könnte dabei auch gleich überarbeitet werden.
Schlussfolgerungen
Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich laut den 2021 ESC Guidelines für Herzinsuffizienz insbesondere die Therapiemöglichkeiten für die chronische Herzinsuffizienz erweitert haben: Mit den SGLT2-Inhibitoren kam eine neue HFrEF-Therapie mit einer I-A-Empfehlung dazu, mit Vericiguat hielt die Substanzklasse der sGC-Stimulatoren Einzug in die Behandlung von HFrEF-Patienten mit kurz zurückliegender Herzinsuffizienzhospitalisierung, die Gabe von intravenöser Eisencarboxymaltose wird nun auch bei hospitalisierten Patienten empfohlen und für die HFmrEF gibt es erstmals eine Empfehlung für prognoseverbessernde Therapien. Dennoch erfordern neue Daten ein zügiges Update dieser Guidelines, das auch diverse andere Nachjustierungen ermöglichen wird.
Quelle:
ESC Congress 2021 – The Digital Experience, 27. bis 30. August 2021
Literatur:
1 McDonagh TA et al. for the ESC Scientific Document Group: 2021 ESC Guidelines for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure. Eur Heart J 2021; 42(36): 3599-726 2 McMurray JJV et al.: Dapagliflozin in patients with heart failure and reduced ejection fraction, DAPA-HF. N Engl J Med 2019; 381(21): 1995-2008 3 Packer M et al.: Cardiovascular and renal outcomes with empagliflozin in heart failure, EMPEROR-reduced: N Engl J Med 2020; 383(15): 1413-24 4 Armstrong PW et al.: Vericiguat in patients with heart failure and reduced ejection fraction. N Engl J Med 2020; 382(20): 1883-93 5 Ponikowski P et al.: Ferric carboxymaltose for iron deficiency at discharge after acute heart failure: a multicentre, double-blind, randomised, controlled trial. Lancet 2020; 396(10266): 1895-904 6 Anker SD et al.: Empagliflozin in heart failure with a preserved ejection fraction. N Engl J Med 2021, Aug 27. doi: 10.1056/NEJMoa2107038. Online ahead of print. 7 Solomon SD et al.: Dapagliflozin in heart failure with preserved and mildly reduced ejection fraction: rationale and design of the DELIVER trial. Eur J Heart Fail 2021; 23(7): 1217-1225 8 Dapagliflozin evaluation to improve the lives of patients with preserved ejection fraction heart failure. (DELIVER): NCT03619213
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