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Lp(a) – den Risikofaktor aus dem Blut waschen
Jatros
30
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31.05.2017
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<p class="article-intro">Erhöhtes Lipoprotein (a), Lp(a), ist ein Risikofaktor für Atherosklerose und frühzeitige kardio- und zerebrovaskuläre Ereignisse. Die Lipidapherese ist eine Methode, das Lp(a) effektiv aus dem Blut auszuwaschen und damit die Ereignisraten bei Patienten mit erhöhtem Lp(a) auf nahezu null zu senken. Wir sprachen mit Univ.-Prof. Dr. Kurt Derfler, Univ.-Klinik für Innere Medizin III, Klinische Abteilung für Nephrologie und Dialyse, Wien, über die Bedeutung von Lp(a) sowie den Stellenwert der Lipidapherese.</p>
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<p class="article-content"><p><strong><em>Worum handelt es sich beim Lipoprotein (a)?</em></strong><br /> <strong><em>K. Derfler:</em></strong> Lp(a) ist ein LDL-Partikel, das an seiner Oberfläche neben Apolipoprotein B-100 auch Apolipoprotein (a) aufweist. Apolipoprotein (a) ähnelt dem Plasminogen, weshalb es die Entstehung von Atherosklerose, von Thrombosen und Embolien begünstigt. Die Spiegel von Lp(a) sind durch die Genetik des Menschen bestimmt und sehr stabil. Früher dachten wir, dass erhöhtes Lp(a) sehr selten ist, heute schätzen wir jedoch, dass Lp(a) bei etwa 5 % der Bevölkerung erhöht ist. Von einem erhöhten Lp(a) sprechen wir ab Werten von über 70nmol/l.</p> <p><strong><em>Welche Bedeutung hat Lp(a) als kardiovaskulärer Risikofaktor?</em></strong><br /> <strong><em>K. Derfler:</em></strong> Bei einem erhöhten Lp(a) ist das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse, aber auch für die periphere arterielle Verschlusskrankheit signifikant erhöht. Ereignisse wie Herzinfarkt können dabei schon sehr früh auftreten. So haben Betroffene häufig bereits vor dem 50. Lebensjahr mehrere schwere Infarkte erlitten und sind mehrfach Bypass-operiert.<br /> Interessant ist, dass Patienten mit erhöhtem Lp(a) häufiger Pulmonalembolien haben, weshalb ich meinen Patienten bei Flügen über vier Stunden eine Thromboseprophylaxe empfehle.<br /> Darüber hinaus ist die Erhöhung von Lp(a) und LDL-Cholesterin die häufigste Ursache für neu auftretende Aortenstenosen in einem Alter jenseits des 50. Lebensjahres. Unter unseren Patienten sind aber auch Kinder im Alter von vier bis fünf Jahren, bei denen es zu beginnenden Veränderungen der Aortenklappen kommt. In diesen Fällen muss sofort mit einer Lipidapherese begonnen werden, denn ist das Lp(a) sehr hoch, können bereits im Kindesalter Schlaganfälle auftreten.</p> <p><strong><em>In welchen Situationen sollte an die Bestimmung des Lp(a) gedacht werden?</em></strong><br /> <strong><em>K. Derfler:</em></strong> Wenn in der Familie häufig frühzeitige Herzinfarkte oder Schlaganfälle auftreten, sollte auf jeden Fall eine Lp(a)-Bestimmung durchgeführt werden. Wird eine Lp(a)-Erhöhung diagnostiziert, muss ein Familien-Screening durchgeführt werden, das auch die Kinder inkludiert. Im Prinzip sollte Lp(a) jedoch einmal im Leben bestimmt werden. Wenn etwa im 18. Lebensjahr eine Lp(a)-Erhöhung nachgewiesen wird, so weiß ich, dass dieser pathologische Befund mein Leben lang besteht; wenn es normal ist, wird das auch so bleiben. Es gibt nur ganz wenige Konditionen, in denen eine Lp(a)-Erhöhung neu auftreten kann. Das kann bei Nierenerkrankungen mit großem Eiweißverlust und bei Schilddrüsenunterfunktion der Fall sein.</p> <p><strong><em>Kann das mit Lp(a)-Erhöhung assoziierte Risiko durch Lebensstilmaßnahmen modifiziert werden?</em></strong><br /> <strong><em>K. Derfler:</em></strong> Vor allem wenn die Lp(a)- Erhöhung im 6. oder 7. Lebensjahr diagnostiziert wird, ist es eminent wichtig, gesund zu leben, also nicht zu rauchen und regelmäßig Sport zu treiben. So lässt sich die Atherogenität des Lp(a) lange zurückhalten. In der Regel verstehen die Kinder es, wenn man ihnen sagt, dass sie eine Stoffwechselerkrankung haben und erfolgreich etwas dagegen tun können. In 15 Jahren haben wir nur einen einzigen jungen Patienten gehabt, der zu rauchen begonnen hat. Lp(a) ist zwar nicht von der Ernährung oder dem Körpergewicht abhängig, die Atherogenität steigt jedoch mit der Höhe des LDL-Cholesterinspiegels. Die primäre Intervention ist daher, das LDL-Cholesterin unter 70mg/dl zu bringen. Werden sämtliche zusätzliche Risikofaktoren zur Lp(a)-Erhöhung wie Übergewicht, Hypercholesterinämie oder Rauchen eliminiert, so ist der Großteil der Patienten bereits ausreichend behandelt.</p> <p><strong><em>Wie lautet die Indikation zur Lipidapherese?</em></strong><br /> <strong><em>K. Derfler:</em></strong> Das primäre Kriterium ist immer die progrediente kardiovaskuläre und/oder vaskuläre Erkrankung, wenn das Lp(a) über 150nmol/l ist. Weitere Indikationen sind die homozygote familiäre Hypercholesterinämie und die therapieresistente heterozygote familiäre Hypercholesterinämie. Zur definitiven Indikationsstellung haben wir immer einen Kardiologen und einen Angiologen im Team mit dabei. Darüber hinaus wurde für alle zum Nachlesen 2015 ein Konsensus-Statement zu Indikation und Durchführung der Lipidapherese in Österreich publiziert.<sup>1</sup> Eingangskriterien sind ein Alter unter 60 Jahren, die Progression der Erkrankung sowie das Verhalten des Patienten. Raucht ein Patient etwa weiterhin 40 Zigaretten täglich, so kann ich ihm auch mit der Lipidapherese nicht helfen. Zur Evaluierung einer Progression der kardiovaskulären Erkrankung machen wir in erster Linie eine Carotis-Duplex-Sonografie und Koronar-CT-Untersuchungen. Damit können wir die Patienten identifizieren, bei denen eine Koronarangiografie nötig ist.</p> <p><strong><em>Was lässt sich mit der Lipidapherese erreichen?</em></strong><br /> <strong><em>K. Derfler:</em></strong> Mitglieder des Lipidaphereseregisters publizierten 2015 in Circulation ihre Ergebnisse und konnten zeigen, dass unter der Lipidapherese die Ereignisrate um 90 % reduziert ist. Die 10 % , die trotz Apherese ein weiteres Ereignis erleiden, sind zum überwiegenden Anteil Raucher. Heuer werden von diesem Patientenkollektiv die 5-Jahres-Daten veröffentlicht. Interessant ist, dass während der ersten drei Monate der Apheresebehandlung die Infarktrate noch kaum gesenkt werden kann. Dann stabilisieren sich die Plaques, sie rupturieren nicht mehr, die Ereignisrate geht auf unter 10 % zurück.</p> <p><strong><em>Wie funktioniert die Lipidapherese?</em></strong><br /> <strong><em>K. Derfler:</em></strong> Es gibt unterschiedliche Verfahren. So können z.B. bei der Apherese mit Schafantikörpern gegen humanes Apolipoprotein B die atherogenen Lipoproteine wie LDL-C, Lp(a) und Teile des VLDL-Triglyzerides vom HDL-Cholesterin unterschieden und selektiv eliminiert werden. Eine andere Möglichkeit ist es, die elektrische Ladung zu nützen. LDL-C und Lp(a) sind an der Oberfläche positiv geladen. Einige Aphereseverfahren nützen dies zur Elimination aus, Dextransulfat wiederum ist negativ geladen und Säuren mit dieser Substanz binden die atherogenen Partikel bei Passage von Vollblut oder Plasma zu faktisch 100 % . HDL, das negativ geladen ist, wird vom Dextransulfat abgestoßen und wieder reinfundiert. Unser Zielbereich bei einer Behandlung ist eine Absenkung von LDLC und Lp(a) von mindestens 70 % . Obwohl es bereits nach zwei Tagen zu einem Wiederansteigen der LDL-C- und der Lp(a)-Spiegel über den geforderten Zielbereich kommt, erreichen wir die zuvor genannten guten Ergebnisse in Bezug auf die kardiovaskuläre Mortalität. Der Effekt der LDL-Apherese ist vermutlich nicht primär von der mittleren Absenkung der Werte, sondern vom raschen Absenken abhängig. Wir vermuten, dass durch dieses sehr viel Cholesterin aus den Plaques mobilisiert wird.</p> <p><strong><em>Wie oft muss sich ein Patient der Apherese unterziehen und wie belastend ist diese Behandlung?</em></strong><br /> <strong><em>K. Derfler:</em></strong> Da nach einer Woche die Werte wieder auf circa 80 % des Ausgangswertes ansteigen, muss die Apherese zumindest 40-mal jährlich durchgeführt werden. Die einzelnen Behandlungen dauern, je nachdem, wie hoch die Vorwerte und wie gut die Venen sind, zwischen zwei und drei Stunden. Natürlich muss der Patient regelmäßig die Zeit dafür aufbringen und die Termine in sein Leben einplanen. Die Apherese selbst ist nicht belastend, wir haben bei über 40 000 Behandlungen keine Virusinfektionen gehabt und niemand ist verstorben. Das Einzige, worauf zu achten ist, ist, dass die Patienten keine ACE-Hemmer einnehmen, da es sonst zu einem schweren Bradykinin-Schock kommt.</p> <p><strong><em>Hat sich der Stellenwert der Lipidapherese durch die Einführung der PCSK9- Inhibitoren verändert?</em></strong><br /> <strong><em>K. Derfler:</em></strong> Wir haben mit Zulassung der PCSK9-Inhibitoren alle Patienten mit heterozygoter familiärer Hypercholesterinämie aus der Apherese herausgenommen. Ob die Prognose für diese Patienten so günstig wie unter der Apherese ist, können wir allerdings noch nicht sagen. Das Lp(a) lässt sich mit den PCSK9-Hemmern nämlich nur um etwa 15 bis 20 % senken. Das ist für Patienten mit 600nmol/l natürlich viel zu wenig. Die Erkrankung ist durch eine solche Absenkung in keiner Weise beeinflussbar. In den USA wurde ein Antikörper entwickelt, der das Lp(a) erkennt und neutralisiert. Es konnte gezeigt werden, dass nach sechs Injektionen dieses Antikörpers innerhalb von 10 Tagen das Lp(a) für bis zu 8 Monate um 80 % abgesenkt ist. Phase-III-Studien dazu werden gerade begonnen.</p> <p><strong><em>Wo in Österreich gibt es Apheresestationen?</em></strong><br /> <strong><em>K. Derfler:</em></strong> Von den 80 Patienten, die eine Lp(a)-Apherese erhalten, wird ein Großteil in Wien behandelt. Weitere Lp(a)-Apheresestationen und -institute gibt es in Innsbruck, Linz, Salzburg, Graz und Feldkirch.</p> <p><strong><em>Sie sind Vorstandsmitglied der Austrian Apheresis Association. Was sind die Ziele dieser Vereinigung?</em></strong><br /> <strong><em>K. Derfler:</em></strong> Unser Ziel ist, dass das Bewusstsein für die Erkrankung Atherosklerose geschärft wird und dass wir deren Endstadien nach Möglichkeit nicht sehen. Es muss möglich sein, die 40 000 Patienten in Österreich zu finden, die primär genetische Defekte des Lipidstoffwechsels haben und damit Hochrisikopatienten sind. Entsprechende frühzeitige Identifizierung und Schulung können verhindern, dass das Endstadium Herzinfarkt bei diesen Patienten eintritt. Darüber hinaus setzen wir uns dafür ein, dass alle Apheresestationen nach den gleichen Standards bezüglich Indikationsstellung und Durchführung arbeiten.</p> <p><strong><em>Vielen Dank für das Gespräch.</em></strong></p></p>
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<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Derfler K, Steiner S, Sinzinger H: Wien Klin Wochenschr 2015; 127: 655-63</p>
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