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Niedervoltage: Diagnostik und Ursachen
Jatros
Autor:
Prim. Univ.-Prof. Dr. Bernd Eber
Ärztlicher Leiter Klinik Wilhering GmbH<br> E-Mail: bernd.eber@klinik-wilhering.at
Autor:
Dr. Miriam Eber
Abteilung für Innere Medizin, Kardiologie und Nephrologie, Landesklinikum Wiener Neustadt
30
Min. Lesezeit
13.12.2018
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<p class="article-intro">Die Niedervoltage im Elektrokardiogramm (EKG) ist definiert als eine Verminderung der Amplitude des Kammerkomplexes unter die altersentsprechenden Normwerte, der in den meisten Fällen eine pathophysiologische Ursache zugrunde liegt. Je nach betroffenen Ableitungen wird zwischen einer peripheren, zentralen und totalen Niederspannung differenziert.</p>
<hr />
<p class="article-content"><h2>Diagnostik einer Niedervoltage</h2> <p>Die Diagnostik einer Niedervoltage erfolgt im Standard-EKG (Abb. 1) durch die Ermittlung der sogenannten RS-Amplitude, des Abstandes zwischen R- und S-Zacke, jedes QRS-Komplexes. Ist der Abstand zwischen R und Q größer, wird gelegentlich auch dieser Wert zur Bestimmung herangezogen. Beim Erwachsenen spricht man von einer peripheren Niedervoltage, wenn die in den Extremitätenableitungen gemessenen Amplituden kleiner als 0,5mV sind. Sind die QRS-Amplituden hingegen nur in den Brustwandableitungen reduziert, liegt eine zentrale Niederspannung vor.<sup>2</sup> Je nach Quelle variiert hier der Grenzwert; in der deutschsprachigen Literatur liegt er bei <0,7mV, in der englischsprachigen bei <1mV. Verminderte RS-Amplituden in Extremitäten- und Brustwandableitungen bezeichnet man als totale Niedervoltage.<sup>1</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Kardio_1805_Weblinks_s36_abb1.jpg" alt="" width="1417" height="954" /></p> <h2>Pathologische Hintergründe einer Niedervoltage</h2> <p>Das EKG-Bild einer Niedervoltage kann durch zahlreiche Pathologien verursacht werden. Differenziert wird dabei zwischen einem extrakardialen, einem myokardialen und einem perikardialen Ursprung.<sup>1</sup> Vor jeder weiteren Diagnostik ist aber vor allem bei symptomfreien Patienten immer darauf zu achten, ob ein Ableitungsfehler oder ein schlechter Elektronenkontakt vorliegt. Nur in seltenen Fällen spricht man von einer idiopathischen Niedervoltage.</p> <p><strong>Extrakardiale Ursachen</strong> <br />Befindet sich die Ursache extrakardial, sind dabei oftmals nur die QRS-Komplexe in den Extremitätenableitungen reduziert. Diese periphere Niedervoltage resultiert meist durch eine abnorme Zunahme von Flüssigkeit, Fett oder Luft, die zu einem dämpfenden Effekt zwischen Herz und EKG-Elektroden führt. Der dadurch entstandene Potenzialverlust an der Körperoberfläche wird beispielsweise verursacht durch periphere Ödeme, Adipositas sowie durch ein Lungenemphysem oder Pneumothorax.<sup>2</sup> Hinsichtlich der Flüssigkeitseinlagerung bei schwerer Herzinsuffizienz konnten Kamath et al. zeigen, dass die Niedervoltage auch ein wichtiger Marker für die Krankheitsschwere und somit einen Risikofaktor für ein negatives Outcome für Patienten mit systolischer Herzinsuffizienz darstellt.<sup>3</sup></p> <p>Eine Besonderheit stellt die sogenannte vorgetäuschte periphere Niedervoltage beim sagittalen Lagetyp dar. Diese tritt in den meisten Fällen pathologisch beim Cor pulmonale oder einer Rechtsherzhypertrophie auf; physiologisch ist diese bei Patienten mit Trichterbrust. Oftmals zeigt sich auch eine relative Niedervoltage in den Extremitätenableitungen vom Normtyp mit begleitendem überdrehtem Linkstyp bei Personen mit leptosomem oder asthenischem Körperbau.<sup>4</sup></p> <p>Ist die Niedervoltage unklarer Genese sollte in jedem Fall an eine Hypothyreose, die mit schweren kardialen Veränderungen einhergeht, gedacht werden.<sup>1</sup> Pathophysiologisch führt eine Unterfunktion der Schilddrüse nicht nur zu einer myxödematösen Ablagerung in den Extremitäten und im Gesicht, sondern auch im Myokard. Ebenfalls kommt es zu einer reduzierten Sympathikusaktivität und aufgrund des Thyroxinmangels zur verminderten Inotropie und Chronotropie des Herzens. Allesamt führt dies zum Potenzialverlust und zeichnet sich im EKG als Niedervoltage ab.<sup>5</sup></p> <p><strong>Myo- und perikardiale Ursachen</strong> <br />Bei Erkrankungen des Myokards oder Perikards zeichnet sich der Potenzialverlust entweder nur in den Brustwandableitungen oder im gesamten EKG ab (zentrale oder totale Niederspannung). In einer Studie von 2017 konnten Kim et al. zeigen, dass einer isolierten Niederspannung in der Brustwandableitung keine differenzierte Ursache zugrunde liegt und dass bei klassischen Ursachen die Inzidenz an Linksherzvergrößerung höher ist.<sup>6</sup> Auf pathophysiologischer Ebene kommt es beim myo- und perikardialen Ursprung zu einer direkt unmittelbar dem Herz umgebenen Isolation. <br />Die häufigste perikardiale Ursache ist der Perikarderguss jedes Verlaufes, der sowohl chronisch als auch akut in jedem Fall hinsichtlich der lebensbedrohlichen Folge einer Perikardtamponade einer weiteren klinischen und echokardiografischen Abklärung bedarf.<sup>7</sup> Der Verdacht eines akuten Perikardergusses erhärtet sich bei der elektrokardiografischen Trias einer Tachykardie, einem elektrischen Alternans und einer Niedervoltage in den Brustwandableitungen.<sup>8</sup> Weitere perikardiale Ursachen sind fibrotische und kalzifizierende Umbauvorgänge nach einer durchgemachten Perikarditis, im Sinne einer Pericarditis constrictiva, sowie tumoröse Veränderungen des Herzbeutels.<sup>1</sup> <br />Zu den myokardialen Ursachen zählen ischämische Areale nach einem Myokardinfarkt, kardiotoxische Medikamente, entzündliche Schädigungen des Herzmuskels sowie Infiltrationskrankheiten wie etwa die kardiale Amyloidose.<sup>2</sup></p> <h2>Weitere Abklärung unumgänglich</h2> <p>Diese Auflistung der zahlreichen und oftmals potenziell auch lebensbedrohlichen Ursachen soll zeigen, dass das EKG-Bild einer Niedervoltage nicht ignoriert oder vernachlässigt werden darf. Zur weiterführenden Diagnostik sind die Bestimmung der Schilddrüsenparameter und Entzündungszeichen, die Durchführung bildgebender Verfahren, hier sei vor allem die rasch verfügbare und aussagekräftige Echokardiografie erwähnt, und eventuell bei Verdacht auf eine infiltrative Kardiomyopathie eine Gewebebiopsie unumgänglich.</p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Klinge R: Das Elektrokardiogramm: Leitfaden für Ausbildung und Praxis. Thieme, 2015 <strong>2</strong> 6 Abnorme EKG-Amplituden. In: Lindinger A, Paul T, editors. EKG im Kindes- und Jugendalter. Stuttgart: Georg Thieme Verlag, 2017 <strong>3</strong> Kamath SA et al.: Low voltage on the electrocardiogram is a marker of disease severity and a risk factor for adverse outcomes in patients with heart failure due to systolic dysfunction. Am Heart J 2006; 152(2): 355-61 <strong>4</strong> von Olshausen K: EKGInformation: Vom Anfänger zum Profi. Steinkopff, 2005 <strong>5</strong> Grünwald F, Derwahl KM: Diagnostik und Therapie von Schilddrüsenerkrankungen: Ein Leitfaden für Klinik und Praxis. Lehmanns Media, 2014 <strong>6</strong> Kim DH, Verdino RJ: Electrocardiogram voltage discordance: interpretation of low QRS voltage only in the precordial leads. J Electrocardiol 2017; 50(5): 551-4 <strong>7</strong> Schuster HP, Trappe HJ: EKG-Kurs für Isabel. Thieme, 2005 <strong>8</strong> Erdmann E: Klinische Kardiologie: Krankheiten des Herzens, des Kreislaufs und der herznahen Gefäße. Berlin – Heidelberg: Springer, 2011</p>
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