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PCSK9-Hemmer im klinischen Alltag
Jatros
30
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20.09.2018
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<p class="article-intro">Die Inhibition von PCSK9 und die damit verbundene substanzielle Senkung des LDL-Cholesterinspiegels (LDL-C) zählten zu den entscheidenden Fortschritten der vergangenen Jahre in der Therapie und Prävention kardiovaskulärer Ereignisse.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Die Entwicklung vollzog sich rasch. Den Anfang machte Marianne Abifadel, damals PhD-Studentin, die eine PCSK9- Mutation beschrieb, welche mit familiärer Hypercholesterinämie assoziiert war.<sup>1</sup> Kurze Zeit später wurde im Tiermodell gezeigt, dass eine Überexpression von PCSK9 den LDL-C-Rezeptor eliminiert.<sup>2</sup> „Damit war der Mechanismus geklärt. Die Bindung von PCSK9 an den LDL-C-Rezeptor verhindert das Recycling des Rezeptors. In weiterer Folge wurden sowohl ‚Gain of function‘- als auch ‚Loss of function‘-Mutationen beschrieben, wobei die ‚Loss of function‘- Mutationen mit extrem niedrigen LDL-CSpiegeln assoziiert sind. Damit war auch die biologische Plausibilität der PCSK9- Hypothese bestätigt“, sagt Univ.-Prof. Dr. Bernhard Metzler von der Innsbrucker Universitätsklinik für Innere Medizin III. Dieses Prinzip wird therapeutisch genützt, indem man mit monoklonalen Antikörpern gegen PCSK9 die Verfügbarkeit des LDL-Rezeptors erhöht und damit den LDLC- Spiegel senkt. Metzler: „Die repetitive subkutane Applikation dieser Antikörper führt zu anhaltenden LDL-C-Senkungen.“ Mittlerweile sind mit Evolocumab und Alirocumab zwei Anti-PCSK9-Antikörper zugelassen. Ein weiterer (Bococizumab) scheiterte in der Phase II, weil er die Bildung neutralisierender Antikörper induziert, die die Wirkung aufheben.<sup>3</sup> Metzler: „Bemerkenswert ist, dass wenige Jahre nach der Erstbeschreibung der PCSK9 bereits Phase-III-Studien mit Tausenden Patienten durchgeführt werden konnten.“<br /> Interessante Daten abseits der Zulassungsstudien lieferte unter anderem die Studie GLAGOV, in der mit intravasalem Ultraschall gezeigt werden konnte, dass durch Lipidsenkung mit dem PCSK9-Inhibitor Evolocumab im Vergleich zur Statintherapie ein stärkerer Rückgang des Atheromvolumens erreicht werden konnte.<sup>4</sup> Metzler: „Mit den PCSK9-Inhibitoren erreichen wir eine anhaltende und konstante LDL-Senkung um die 60 % . Wir wissen mittlerweile, dass das Atheromvolumen ab einem Wert von ca. 70mg/dL zurückgeht. Je niedriger das LDL, desto deutlicher ist die Wirkung auf das Atheromvolumen. Das ist ein völlig neues Paradigma. Bisher dachten wir ja, dass die KHK eine chronisch fortschreitende Erkrankung ist.“</p> <h2>Klinische Daten bestätigen die Theorie</h2> <p>Die Frage, ob die LDL-C-Senkung mit den PCSK9-Inhibitoren einen Effekt auf harte klinische Endpunkte hat, war bis zur Präsentation der FOURIER-Studie allerdings offen. In FOURIER wurde schließlich in einem Hochrisikokollektiv eine Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse durch den PCSK9-Hemmer Evolocumab demonstriert.<sup>5</sup> Erreicht wurden eine LDL-Senkung um 60 % sowie nach 36 Monaten eine signifikante Reduktion des primären kombinierten kardiovaskulären Endpunktes. Metzler unterstreicht allerdings, dass der Effekt auf den kombinierten Endpunkt durch die Senkung von Myokardinfarkt, Revaskularisierung und Schlaganfall getrieben wurde, während Tod und kardiovaskulärer Tod nicht signifikant gesenkt wurden. Die „number needed to treat“, um einen Herzinfarkt zu verhindern, beträgt 180. Patienten mit besonders niedrigem LDL profitierten am deutlichsten. In ODYSSEY OUTCOMES wurde mit dem PCSK9-Inhibitor Alirocumab in einem Post-ACS-Kollektiv ebenso eine Reduktion eines kombinierten kardiovaskulären Endpunkts demonstriert.<sup>6</sup> Auch in ODYSSEY OUTCOMES war der Effekt auf den kardiovaskulären Tod, so Metzler, nicht signifikant. Dafür wurde der sekundäre Endpunkt Gesamtmortalität signifikant reduziert. Die „number needed to treat“ zur Verhinderung eines MACE-Ereignisses beträgt 175.<br /> Metzler weist besonders auf das Nebenwirkungsprofil der PCSK9-Inhibitoren hin. So konnte, im Gegensatz zu den Statinen, unter Therapie mit PCSK9-Inhibitoren keine Erhöhung der Diabetesinzidenz festgestellt werden. PCSK9-Inhibitoren haben keinerlei Einfluss auf HbA<sub>1c</sub> oder Nüchternglukose.<sup>7</sup> Metzler: „Die erhöhte Diabetesinzidenz ist also keine Folge der Cholesterinsenkung.“ Ebenso konnte gezeigt werden, dass die Inhibition von PCSK9 keinen ungünstigen Effekt auf einen wichtigen neurokognitiven Endpunkt („score on the spatial working memory strategy index of executive function“) hat.<sup>8</sup> Metzler gibt jedoch zu bedenken, dass in der gleichen Studie die Placebopatienten hinsichtlich sekundärer neurokognitiver Endpunkte numerisch, nicht jedoch signifikant besser abschnitten. Damit sei der letzte Zweifel also noch nicht ausgeräumt. Eine rezente Arbeit untersuchte die Wirkung einer PCSK9-„Loss of function“-Mutation auf den neurokognitiven Status und fand keinerlei Einfluss extrem niedriger LDLSpiegel auf die Kognition.<sup>9</sup> In einer kürzlich erschienenen Arbeit wurde der Überlebensbenefit durch PCSK9-Inhibition mit fünf Monaten im Median errechnet. Rund 10 % der behandelten Patienten gewinnen durch die Therapie jedoch mehr als ein Lebensjahr.<sup>10</sup><br /> Die LDL-C-Senkung mit PCSK9-Inhibitoren ist in Österreich längst in der Praxis angekommen. Bereits 2017 wurde ein regionaler Expertenkonsensus zur praktischen Umsetzung der internationalen Leitlinien zur LDL-C-Senkung publiziert. Ein LDL-C Ziel <70mg/dl wird als Minimalziel für Patienten mit sehr hohem Risiko empfohlen. Dies inkludiert naturgemäß Patienten nach akutem Koronarsyndrom. Für diese Patientengruppe wurde ein einfacher Algorithmus definiert. Bereits am ersten Tag soll eine Therapie mit einem hoch dosierten hocheffektiven Statin (z.B. Atorvastatin 80mg) begonnen werden. Nach drei bis sechs Wochen wird eine Kontrolle empfohlen. Wird das LDL-Ziel <70mg/dl nicht erreicht, ist der Cholesterinaufnahmehemmer Ezetimib indiziert. Wird das Ziel auch damit nicht erreicht, wird der Einsatz eines PCSK9-Inhibitors empfohlen.<sup>11</sup></p> <h2>Neuer Prognosefaktor: mikrovaskuläre Myokardschädigung</h2> <p>Dr. Martin Reindl von der Innsbrucker Universitätsklinik für Innere Medizin III weist auf Effekte des LDL-Cholesterins abseits der bekannten kardiovaskulären Risikoerhöhung hin. Diese stehen in Zusammenhang mit bislang unterschätzten mikrovaskulären Schädigungen des Myokards während eines ST-Streckenhebungs-Infarkts. Reindl: „Neben der Größe des Infarkts sind auch andere Charakteristika von Bedeutung. Zum Beispiel die mikrovaskuläre Schädigung innerhalb des infarzierten Areals. Sie wird bedingt durch Obstruktionen und Destruktionen im Bereich der Mikrovaskulatur, tritt bei rund 50 % aller STEMI-Patienten auf und kann mittels kardialer MRT gut dargestellt werden.“ Die mikrovaskuläre Schädigung ist ein wichtiger Prädiktor für das klinische Outcome nach STEMI. Der Zusammenhang zwischen mikrovaskulärer Schädigung und Prognose ist unabhängig von der Infarktgröße.<sup>12</sup> An der Pathophysiologie des mikrovaskulären Schadens sind mechanische Prozesse wie die Embolisation durch Plaquebestandteile ebenso beteiligt wie Inflammation und endotheliale Dysfunktion. LDL-Cholesterin dürfte eine wichtige Rolle in diesem Prozess spielen. Allerdings gab es bis vor Kurzem noch keine klinische Studie, die den Zusammenhang zwischen Cholesterin und dem Auftreten von mikrovaskulärer Schädigung untersuchte. Genau diese Studie wurde nun in Innsbruck durchgeführt. Dazu wurden bei mehr als 200 konsekutiven STEMI-Patienten bei Aufnahme unter anderem die Lipidwerte bestimmt und am dritten Tag nach PCI wurde eine kardiale MRT-Untersuchung durchgeführt. Primärer Endpunkt war die mikrovaskuläre Schädigung des Myokards, als sekundärer Endpunkt wurde die weitere klinische Entwicklung im Hinblick auf MACE (Tod, Re-Infarkt und Auftreten von Herzinsuffizienz) erhoben. Das klinische Follow-up erfolgte mittels telefonischer Befragung.<br /> Die Auswertung ergab, so Reindl, bei Patienten mit signifikanter mikrovaskulärer Schädigung höhere Konzentrationen sowohl von Gesamtcholesterin als auch von LDL. Triglyzerid- und DHL-Konzentrationen waren nicht mit dem primären Endpunkt assoziiert. In weiteren Auswertungen wurde schließlich LDL-Cholesterin als signifikanter Prädiktor für mikrovaskuläre Schädigung identifiziert. Reindl: „Der Anstieg der LDL-C-Konzentration war mit einem stufenweisen Anstieg des Risikos für mikrovaskuläre Schädigung assoziiert.“ Ein weiteres klinisches Follow-up über im Median 20 Monate war bei 222 Patienten möglich. In dieser Zeit kam es insgesamt bei neun Patienten zu MACE, wobei das Risiko bei Patienten mit mikrovaskulärer Schädigung höher war. Ebenso erwies sich ein LDL-C von mehr als 150mg/dl zum Zeitpunkt des Infarkts als prognostisch ungünstig. Reindl: „Es ist uns gelungen, erstmals einen klinisch relevanten pathophysiologischen Zusammenhang zwischen LDL-Metabolismus und mikrovaskulärer Schädigung im Falle eines Infarkts nachzuweisen. Wir konnten auch bestätigen, dass dieses pathophysiologische Konzept auch mit einer schlechteren klinischen Prognose assoziiert ist.“</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Jahrestagung der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft,
6. bis 9. Juni 2018, Salzburg
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<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Abifadel M et al.: Nat Genet 2003; 34(2): 154-6 <strong>2</strong> Park SW et al.: J Biol Chem 2004; 279(48): 50630-8 <strong>3</strong> Dadu RT, Ballantyne CM: Nat Rev Cardiol 2014; 11(10): 563-75 <strong>4</strong> Puri R et al.: Am Heart J 2016; 176: 83-92 <strong>5</strong> Sabatine MC et al.: N Engl J Med 2017; 376: 1713-22 <strong>6</strong> Presented by Dr. Philippe Steg at the American College of Cardiology Annual Scientific Session (ACC 2018), Orlando, FL, March 10, 2018 <strong>7</strong> Sabatine MS et al.: Lancet Diabetes Endocrinol 2017; 5(12): 941-50 <strong>8</strong> Giugliano RP et al.: N Engl J Med 2017; 377(7): 633-43 <strong>9</strong> Meffort MT et al.: Circulation 2018; 137(12): 1260-9 <strong>10</strong> Kaasenbrood L et al.: Heart 2018 Apr 5. pii: heartjnl- 2017- 312510. [Epub ahead of print] <strong>11</strong> Huber K et al.: J Kardiol 2017; 24: 94-100 <strong>12</strong> van Kranenburg M et al.: JACC Cardiovasc Imaging 2014; 7(9): 930-9</p>
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