Leitlinie auf das gesamte Spektrum der Kardiomyopathien erweitert
Bericht:
Reno Barth, Medizinjournalist
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Mit den «2023 ESC Guidelines for the management of cardiomyopathies» wurde erstmals eine internationale Leitlinie publiziert, die das gesamte Feld der Kardiomyopathien umspannt. Damit gibt es nun auch Empfehlungen der ESC für das Management von Herzmuskelerkrankungen, die über den Bereich der hypertrophen Kardiomyopathie hinausgehen. Wichtige Neuerungen sind unter anderen die umfassende Darstellung der Empfehlungen anhand der «Patient Journey» sowie die Aufnahme des Myosin-Inhibitors Mavacamten (Camzyos®) bei symptomatischer, obstruktiver hypertropher Kardiomyopathie.1
Fortschritte, aber nach wie vor Herausforderungen bei Erstellung der Leitlinie
«Dieses Dokument reflektiert die Fortschritte auf den Gebieten der Genetik und des kardialen Imaging ebenso wie die Entwicklung der ersten Medikamente, die gegen spezifische Ursachen dieser Erkrankungen gerichtet sind», kommentierte die Vorsitzende der Task Force, Prof. Elena Arbelo, Hospital Clinic der Universität Barcelona. Dennoch gebe es zu den Kardiomyopathien weniger Evidenz aus klinischen Studien als zu anderen kardiologischen Erkrankungen, so Prof. Elena Biagini von der Azienda Ospedaliero-Universitaria di Bologna. Die meisten Empfehlungen basieren daher auf Beobachtungsstudien und Expertenkonsensus. Auch eine umfassende Nomenklatur der Kardiomyopathien fehlt bislang. Die Guideline empfiehlt einen Zugang zu Nomenklatur und Diagnose, der auf dem vorherrschenden kardialen Phänotyp zum Zeitpunkt der Diagnosestellung beruht. Ionenkanalerkrankungen werden in der Leitlinie nicht erfasst, da es nach Ansicht der Task Force nicht genügend Evidenz dafür gibt, diese als Kardiomyopathien zu betrachten. Das Gleiche gilt für das Takotsubo-Syndrom.*, 1
Die neuen Leitlinien reflektieren die «Journey» von Patienten mit Kardiomypathie und gibt Empfehlungen für ein umfassendes Patientenmanagement: Das diagnostische Work-up einer Kardiomyopathie beginnt mit der klinischen Präsentation und führt über die morphologische und funktionelle Charakterisierung, die den Phänotyp beschreibt, hin zu einer ätiologischen Diagnose. Dabei wird ein multiparametrischer Ansatz verfolgt, der auch extrakardiale Manifestationen sowie genetische und biologische Marker einbezieht. Bildgebung inklusive Ultraschall ist wichtig, man sollte allerdings immer bedenken, dass völlig unterschiedliche Erkrankungen in der Bildgebung den gleichen Phänotyp zeigen können, so Prof. Biagini.* , 1
Der vom Phänotyp ausgehende systemische Zugang ermöglicht auch die Diagnose von Erkrankungen ohne bzw. mit nicht bekanntem genetischem Hintergrund. Als nicht genetische Ursachen für Kardiomyopathien kommen gemäss Prof. Biagini beispielsweise toxische oder inflammatorische Noxen sowie Multisystemerkrankungen infrage. Eine Reevaluation der klinischen Daten kann erforderlich werden, wenn, zum Beispiel im Rahmen der familiären Abklärung, neue Fakten gefunden werden. Eine Familienanamnese mit Erstellen eines Stammbaums über drei bis vier Generationen wird generell empfohlen.*, 1
Wichtiges Therapieziel: Prävention des plötzlichen Herztodes
Die meisten Kardiomyopathien haben einen genetischen Hintergrund mit unterschiedlichen Vererbungswegen. Eine rein matrilineare Vererbung sollte dabei das Augenmerk auf die Gruppe der Mitochondriopathien lenken. Sowohl in der elektrophysiologischen als auch in der genetischen Abklärung ist auf «red flags» zu achten, die beispielsweise ein erhöhtes Risiko für plötzlichen Herztod erkennen lassen.1
Der Prävention des plötzlichen Herztods ist ein eigener Abschnitt der Guideline gewidmet. Die Implantation eines Cardioverter-Defibrillators (ICD) soll nur erfolgen, wenn die Lebenserwartung des Patienten mindestens ein Jahr beträgt. Die Entscheidung für die Implantation muss nicht nur evidenzbasiert, sondern nach gründlicher Aufklärung auch in Abstimmung mit dem Patienten unter Berücksichtigung von dessen Präferenzen und seiner Lebenssituation erfolgen. Das individuelle Risiko wird anhand von validierten Prädiktionsmodellen errechnet.1
Hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie: Mavacamten in Guidelines aufgenommen
Für das Management der Symptome und für die Beurteilung des Risikos für einen plötzlichen Herztod sind zudem die frühe Erkennung und das Management der Obstruktion im linksventrikulären Ausflusstrakts (LVOT) wichtig. Bei symptomatischen HCM-Patienten ohne LVOT-Gradient unter Valsalva wird zudem eine Stressechokardiografie nach physiologischer Belastung empfohlen.1
Eine 2D- und Doppler-Echokardiografie unter Valsalva-Manöver im Sitzen oder in einer halb-liegenden Position – gefolgt von einer Untersuchung im Stehen, wenn kein Gradient provoziert werden konnte – werden bei allen Patienten mit hypertropher Kardiomyopathie empfohlen, um den LVOT-Gradienten bestimmen zu können.1
Neuerungen im Management der Obstruktion stellt die Aufnahme von Mavacamten (Camzyos®) als Second-Line-Option mit einer IIa-A-Empfehlung dar: Mavacamten sollte zur Verbesserung der Symptome bei Patienten mit einer LVOT-Obstruktion (in Ruhe oder provoziert) in der maximal verträglichen titrierten Dosis mit einer echokardiografischen Überwachung der LVEF, zusätzlich zu einem Betablocker (oder bei Intoleranz/Kontraindikationen mit Verapamil oder Diltiazem) in Betracht gezogen werden.1
Mono- und polygenetische Erkrankungen – mehr Vorteile für Patienten durch genetischen Befund
Hinsichtlich des genetischen Hintergrunds der Kardiomyopathien zeige sich zunehmend, so Prof. James Ware vom Imperial College London, dass monogenetische Syndrome relativ selten sind und den meisten Erkrankungen Kombinationen mehrerer Mutationen zugrunde liegen, die gemeinsam zu einem hohen Risiko führen. Dies sei entscheidend für die genetische Beratung. Die Zusammenhänge zwischen Genotyp und Phänotyp sind dabei komplex. Selbst die dominant vererbten monogenetischen Erkrankungen zeigen gemäss Prof. Ware individuell unterschiedliche Penetranz und variable Expressivität. Auch Spontanmutationen sind möglich, was bedeutet, dass monogenetische Erkrankungen auch bei negativer Familienanamnese auftreten können.1
Die Leitlinie empfiehlt, alle Patienten genetisch zu testen, bei denen dies diagnostische oder therapeutische Vorteile bringen kann bzw. die Abschätzung der Prognose erleichtert sowie eine genetische Evaluation der Familie in Gang bringen kann. Dies treffe, so Prof. Ware, auf die ganz grosse Mehrheit der Patienten mit Kardiomyopathien zu. Ebenso wird eine genetische Testung bei verstorbenen Personen empfohlen, wenn dies Vorteile für hinterbliebene Verwandte bringen kann. Prof. Ware betont, dass Familien in mehrfacher Hinsicht von einer genetischen Diagnostik profitieren. Dies treffe besonders auf jene Individuen zu, bei denen weder ein auffälliger Genotyp noch Phänotyp gefunden wird und bei denen daher ein weiterer Follow-up unterbleiben kann. Auch die betroffenen Patienten selbst können in Zukunft mehr Vorteile durch einen genetischen Befund haben, da zunehmend zielgerichtete Therapien und Gentherapien auch für Kardiomyopathien entwickelt werden. Genetische Befunde sind auch die Voraussetzung für ein genetisches Counselling betroffener Familien.1
Vorhofflimmern, Katheterablation mit Kontraindikationen
Hinsichtlich der Therapie gehe es in vielen Fällen darum, «häufige Probleme in ungewöhnlichen Settings» zu behandeln, so Prof. Iacopo Olivotto von der Universität Florenz. Dies betreffe zum Beispiel Vorhofflimmern. Zur Rhythmuskontrolle kommen dabei die gleichen Substanzen zum Einsatz wie bei Patienten ohne Kardiomyopathie, allerdings bestehen je nach Phänotyp Kontraindikationen für bestimmte Medikamente, die in der Guideline gelistet sind. Auch die Katheterablation, die generell empfohlen wird, kann bei Kardiomyopathie in bestimmten Fällen kontraindiziert sein. Eine Empfehlung für Antikoagulation besteht in Abhängigkeit vom Phänotyp der Kardiomyopathie.1
Herzinsuffizienz: SGLT2-Inhibitoren bei Kardiomyopathien nicht in Studien untersucht
Die Behandlung einer Herzinsuffizienz richtet sich nach dem Phänotyp der Kardiomyopathie, wobei in den ESC-Leitlinien zur Kardiomyopathie jeweils entweder auf das Management der HFrEF oder der HFpEF in den ESC-Leitlinien zur Herzinsuffizienz verwiesen wird. Zuweilen fehlen allerdings noch Daten. So waren beispielsweise Patienten mit Kardiomyopathien aus den Studien mit SGLT2-Inhibitoren ausgeschlossen. In manchen Fällen kann bei Nichtansprechen auf konservative Therapien eine Herztransplantation erforderlich werden.1
Sport
Der sehr restriktive Zugang zu Sport wurde mit der neuen Guideline gelockert bzw. konkretisiert. Empfehlungen können nun in Abhängigkeit von Phänotyp und individuellem Risiko gegeben werden. Dies kann andererseits auch bedeuten, dass selbst klinisch unauffälligen Personen, die bestimmte Risikogene tragen, von belastenden Sportarten und vor allem von Leistungssport abgeraten werden muss.1
Quelle:
* ESC-Kongress 2023, Session «2023 ESC Guidelines for the Management of Cardiomyopathies». 27. August, Amsterdam
Literatur:
1 Arbelo E et al.: 2023 ESC Guidelines for the management of cardiomyopathies: Developed by the task force on the management of cardiomyopathies of the European Society of Cardiology (ESC). Eur Heart J 2023; (00): 1-124
Kurzfachinformation:
▼ Dieses Arzneimittel unterliegt einer zusätzlichen Überwachung. Dies ermöglicht eine schnelle Identifizierung neuer Erkenntnisse über die Sicherheit. Angehörige von Gesundheitsberufen sind auf-gefordert, den Verdacht einer neuen oder schwerwiegenden Neben-wirkung zu melden. Hinweise zur Meldung von Nebenwirkungen, siehe «Unerwünschte Wirkungen».
CAMZYOS® (Mavacamten). WWH: Kann Herzinsuffizienz aufgrund systolischer Dysfunktion auslösen. Echokardiografische Untersuchungen der LVEF vor und während Anwendung erforderlich. Behandlungsbeginn bei LVEF <55% nicht empfohlen. Behandlungsunterbruch bei LVEF <50% oder Verschlechterung des klinischen Zustands. Vorsicht bei gleichzeitiger Gabe von bestimmten CYP450-Inhibitoren und -Induktoren wegen Herzinsuffizienzrisiko geboten. I: Behandlung erwachsener Patienten mit symptomatischer (NYHA II-III) obstruktiver hypertropher Kardiomyopathie zur Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit und assoziierter Symptome. D: 2,5 mg, 5 mg, 10 mg oder 15 mg 1x/d. Die empfohlene Initialdosis beträgt 5 mg 1x/d, die Maximaldosis beträgt 15 mg 1x/d. Die Initiierung oder Auftitrierung von CAMZYOS® bei Patienten mit LVEF <55% ist nicht empfohlen. Eine regelmässige Bewertung des LVEF und des LVOT-Gradienten unter Valsalva ist für eine sorgfältige Titration erforderlich, um eine LVEF ≥50% aufrechtzuerhalten und einen angemessenen Ziel-Valsalva-LVOT-Gradienten zu erreichen. Für Titrationshinweise während der Initiierungs- und Erhaltungsphase, Dosisanpassungen bei gleichzeitiger Gabe anderer Arzneimittel und bei Behandlungsunterbruch siehe Fachinformation. Bei LVEF <50% während der Behandlung mit CAMZYOS®, muss die Behandlung unterbrochen werden. KI: Überempfindlichkeit gegen Wirkstoff oder Hilfsstoffe. Schwangerschaft. W/VM: Mavacamten verringert LVEF und kann Herzinsuffizienz durch systolische Dysfunktion auslösen. Asymptomatische LVEF-Reduktion, interkurrente Erkrankungen (z.B schwere Infektionen) und Arrhythmien bei der Dosierung berücksichtigen. Regelmässige Beurteilung des klinischen Zustands vor und während der Behandlung mit CAMZYOS®. IA: Bei Initiierung, Absetzen oder Dosisanpassung einer gleichzeitigen Anwendung mit starkem CYP2C19-Inhibitor wird Dosisanpassung von Mavacamten und/oder zusätzliche klinische Kontrolle empfohlen. Diese sollten in Betracht gezogen werden bei moderatem oder schwachem CYP2C19- oder starkem CYP3A4-Inhibitor. Bei Absetzen oder Dosisreduktion der gleichzeitigen Behandlung mit starkem CYP2C19- oder CYP3A4-Induktor, werden zusätzliche klinische Kontrollen empfohlen. Diese sollten in Betracht gezogen werden bei Initiierung oder Dosiserhöhung des Induktors. Intermittierende Gabe von CYP2C19-Hemmer oder starkem CYP2C19-Induktor oder starkem CYP3A4-Hemmer oder -Induktor nicht empfohlen. UAW: Schwindel, Herzinsuffizienz, systolische Dysfunktion (LVEF < 50%). P: Hartkapseln zu 2,5 mg, 5 mg, 10 mg oder 15 mg: 28. (B). ZI: Bristol-Myers Squibb SA, Hinterbergstrasse 16, 6312 Steinhausen. Ausführliche Informationen siehe Arzneimittel-Fachinformation unter www.swissmedicinfo.ch. (V001)
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