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Sieht aus wie ein ACS, ist aber keines: Perikarditis, Myokarditis, Tako-Tsubo-Kardiomyopathie
Leading Opinions
Autor:
PD Dr. med. Rainer Zbinden
Leitender Arzt, Klinik für Kardiologie<br> Stadtspital Triemli Zürich<br> E-Mail: rainer.zbinden@triemli.zuerich.ch
30
Min. Lesezeit
01.03.2018
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<p class="article-intro">Thoraxschmerzen mit gleichzeitigem Anstieg der kardialen Biomarker sind nicht gleichzusetzen mit einem akuten Koronarsyndrom. Andere mögliche Ursachen dafür sind beispielsweise die Perimyokarditis und die Tako-Tsubo-Kardiomyopathie.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die Diagnose eines Herzinfarkts baut immer noch auf die 3 Grundpfeiler: Thoraxbeschwerden, EKG, kardiale Biomarker (v.a. Troponin).</li> <li>Etwa 20 % der Patienten mit Verdacht auf ein ACS und erhöhten kardialen Biomarkern haben keine eindeutige «culprit lesion» in der Koronarangiografie und somit kein eigentliches ACS.</li> <li>Beim Myokardinfarkt, der immer durch eine myokardiale Ischämie bedingt ist, werden 5 verschiedene Typen unterschieden, wobei im klinischen Alltag v.a. die Unterscheidung von Typ-1- und Typ-2-Infarkt entscheidend ist.</li> <li>Bei der Perimyokarditis entsteht der Anstieg der kardialen Biomarker im Rahmen eines sogenannten «myocardial injury». Trotz Troponinanstiegs handelt es sich dabei nicht um einen Myokardinfarkt.</li> <li>Bei der Tako-Tsubo-Kardiomyopathie entsteht der Myokardschaden (wahrscheinlich) im Rahmen von (mikro)vaskulären Spasmen oder direkter Toxizität der Katecholamine für die Myozyten. Deshalb handelt es sich auch hier trotz Anstiegs von Troponin und event. CK nicht um einen Myokardinfarkt.</li> </ul> </div> <p>Thoraxschmerzen sind das zweithäufigste Leitsymptom (nach Bauchschmerzen) bei Patienten, die eine Notfallstation aufsuchen.<sup>1</sup> Zum Glück haben nur etwa 10–20 % dieser Patienten ein akutes Koronarsyndrom (ACS) und davon etwa nur ein Drittel einen akuten ST-Hebungsinfarkt (STEMI).<sup>2</sup></p> <h2>Definition des ACS und des akuten Myokardinfarkts</h2> <p>Das ACS ist der Oberbegriff für die Entitäten Nicht-ST-Hebungsinfarkt (NSTEMI), ST-Hebungsinfarkt (STEMI) und instabile Angina pectoris (instabile AP). STEMI ist definiert als Brustschmerzen und im EKG ST-Hebungen in zwei benachbarten Ableitungen während >20min. NSTEMI ist definiert als Brustschmerzen und transiente ST-Hebungen im EKG, T-Negativierungen, ST-Senkungen oder ein normales EKG. Sowohl beim STEMI als auch beim NSTEMI sind die kardialen Biomarker erhöht, nicht aber bei der instabilen AP.<br /> In diesem Zusammenhang ist auch die Definition des akuten Myokardinfarkts wichtig. Die Diagnose eines akuten Myokardinfarkts (AMI) basiert im Grundsatz immer noch auf den 3 Pfeiler: Klinik (thorakale Beschwerden), Labor (v.a. Troponin) und EKG.<br /> Die Definition des AMI umfasst einen Myokardschaden aufgrund einer Ischämie und einen Anstieg und/oder Abfall von kardialen Biomarkern (idealerweise des Troponins, mit mindestens einem Wert >99. Perzentile [>10ng/l für Troponin T]) und Brustschmerzen, ST- oder T-Wellenveränderung im EKG, einen neuen Linksschenkelblock im EKG, die Entwicklung von neuen Q-Zacken im EKG, Wandbewegungsstörung in der kardialen Bildgebung oder den Nachweis eines intrakoronaren Thrombus in der Koronarangiografie oder Autopsie.<sup>3</sup><br /> Es werden verschiedene Typen von Myokardinfarkt unterschieden (Tab. 1), wobei im klinischen Alltag v.a. die Unterscheidung von Typ-1- und Typ-2-Infarkt entscheidend ist. Wichtig ist zu verstehen, dass ein Anstieg der kardialen Biomarker nicht auf die Ursache schliessen lässt, das heisst also, dass nicht jeder Troponinanstieg gleichbedeutend ist mit einem AMI. Es gibt viele Ursachen für einen Anstieg von Troponin oder CK ohne kardiale Ischämie (Tab. 2). Dies wird im englischen Sprachgebrauch u.a. auch als «myocardial injury» bezeichnet. Im klinischen Alltag liegt im Endeffekt bei etwa 20 % der Patienten mit Verdacht auf ein ACS und entsprechend erhöhten kardialen Biomarkern eine andere Ursache für den Troponinanstieg vor. Zwei solche Entitäten werden im Folgenden etwas detaillierter behandelt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Innere_1801_Weblinks_lo_innere_medizin_1801_s36_tab1.jpg" alt="" width="1441" height="671" /></p> <h2>Perikarditis und Myokarditis</h2> <p>Die Inzidenz der akuten Perikarditis liegt bei etwa 28 Fälle pro 100 000 Einwohner pro Jahr.<sup>4</sup> Von einer Perimyokarditis spricht man, wenn zusätzlich zum Perikard auch das Myokard von der Entzündung betroffen ist. Dies manifestiert sich in einem Anstieg der kardialen Biomarker (v.a. Anstieg des Troponinwerts). Etwa 5 % der Notfallbesuche wegen Thoraxschmerzen sind auf eine akute Perikarditis zurückzuführen.<sup>5</sup> Die häufigste Ursache für eine Perikarditis bei uns ist ein viraler Infekt (Tab. 3),<sup>6</sup> Männer sind doppelt so häufig betroffen wie Frauen. Die Diagnose basiert v.a. auf der Klinik (atemabhängige Thoraxschmerzen mit Besserung im Sitzen oder beim Nach-vorne- Beugen [85–90 % ]), dem Perikardreiben bei der Auskultation (<33 % der Patienten) sowie den typischen EKG-Veränderungen mit diffuser ST-Hebung oder PQ-Senkung. Typisch für eine akute Perikarditis ist die ST-Hebung aus der aufsteigenden S-Zacke heraus (sog. «Storchenfüsse»; Abb. 1). Zur Risikostratifizierung gibt es sogenannte Major- und Minor-Kriterien (Tab. 4). Falls eines dieser Kriterien erfüllt ist, sollte der Patient hospitalisiert werden. Andernfalls kann man den Patienten ambulant behandeln.<br /> Als Akuttherapie sind in erster Linie NSAR oder Aspirin indiziert. Neuerdings wird sowohl zur Akuttherapie als auch zur Behandlung eines Rezidivs auch Colchicin empfohlen.<sup>7, 8</sup> Bei Kontraindikation für NSAR können auch Steroide probiert werden. Die nicht medikamentöse Therapie umfasst körperliche Schonung, und zwar so lange, bis sich Symptome, Labor, EKG und Echo normalisiert haben. Leistungssportler sollten sich mindestens drei Monate lang schonen, Nichtathleten entsprechend kürzer. Die Prognose der Perikarditis ist grundsätzlich gut, mögliche Komplikationen sind Perikardtamponade, Konstriktion im Verlauf oder ein Rezidiv. Die Rezidivrate liegt bei ca. 15–30 % , wobei diese durch Colchicingabe um etwa die Hälfte gesenkt werden kann.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Innere_1801_Weblinks_lo_innere_medizin_1801_s37_tab2-4.jpg" alt="" width="1453" height="1958" /></p> <h2>Tako-Tsubo-Kardiomyopathie</h2> <p>Die Tako-Tsubo-Kardiomyopathie (TTK) wurde erstmalig 1990 beschrieben.<sup>9</sup> Es handelt sich um ein reversibles Herzinsuffizienzsyndrom mit einer segmentalen Dyskinesie, typischerweise des Apex (Synonyme: «transient apical ballooning», «broken heart syndrome», «stress induced cardiomyopathy»; Abb. 2). In >70 % der Fälle wird die Erkrankung durch physischen oder psychisch-emotionalen Stress ausgelöst, etwa 80–90 % der Betroffenen sind weiblich.<sup>10</sup> Die Beschwerden sind praktisch nicht von einem ACS zu unterscheiden und umfassen typischerweise Brustschmerzen, Atemnot oder Synkope. Die EKG-Veränderungen reichen von TNegativierung über ST-Hebungen, pathologische Q-Zacken bis zu QT-Zeit-Verlängerung. Die kardialen Biomarker (v.a. Troponin) sind ebenfalls leicht erhöht. Typischerweise haben die Patienten in der Koronarangiografie normale Koronarien, wobei eine koronare Herzkrankheit (KHK) eine TTK nicht ausschliesst. Etwa 15 % der Patienten mit einer TTK haben gleichzeitig auch eine KHK.<sup>10</sup> Pathophysiologisch spielen Katecholamine eine wichtige Rolle; so kann das Krankheitsbild auch iatrogen durch die Gabe von Katecholaminen induziert werden. Die exakten pathophysiologischen Mechanismen sind nicht ganz klar, wobei (mikro)vaskuläre Spasmen, akute Nachlasterhöhung und direkte katecholaminerge Toxizität am Myozyten eine Rolle spielen könnten.<sup>11–13</sup> Bei Patienten im kardiogenen Schock umfasst die Therapie den grosszügigen Einsatz von mechanischen kreislaufunterstützenden Massnahmen (intraaortale Ballonpumpe [IABP], «left ventricular assist device» [LVAD]), um möglichst auf Katecholamine verzichten zu können. Bei leichteren Fällen (LVEF >45 % , systolischer Blutdruck >110mmHg, keine Mitralinsuffizienz, keine dynamische Obstruktion des linksventrikulären Ausflusstraktes etc.) werden Betablocker und ACE-Hemmer empfohlen entsprechend den Herzinsuffizienz- Guidelines, zumindest so lange, bis sich die LVEF wieder normalisiert hat. Eine systematische Antikoagulation wird nicht empfohlen, ausser bei Patienten mit nachgewiesenem intraventrikulärem Thrombus. Bei Patienten mit schwer eingeschränkter LVEF und entsprechend ausgeprägter Dyskinesie kann eine Antikoagulation für 48 Stunden erwogen werden. Die Prognose ist mit einer Spitalmortalität von 2–5 % ähnlich wie diejenige des ACS.<sup>10, 14</sup> Todesursachen sind hauptsächlich Kammerflimmern und refraktärer kardiogener Schock. Die Rezidivrate nach 5 Jahren liegt bei etwa 10–15 % ,<sup>10, 15</sup> wobei die dauerhafte Gabe eines Betablockers nur einen geringen Schutz bietet.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Innere_1801_Weblinks_lo_innere_medizin_1801_s38_abb1+2.jpg" alt="" width="1418" height="1816" /></p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Thoraxschmerzen sind ein häufiges Leitsymptom bei Patienten auf der Notfallstation. Zum Glück hat nur eine Minderheit davon ein akutes Koronarsyndrom. Ein Anstieg der kardialen Biomarker (v.a. Troponin) bei diesen Patienten ist nicht gleichbedeutend mit einem ACS, denn es gibt viele andere Ursachen für einen Anstieg des Troponins. Die Perimyokarditis und die Tako-Tsubo-Kardiomyopathie sind zwei solche Beispiele. Ein akuter Myokardinfarkt liegt nur vor, wenn der Anstieg der kardialen Biomarker durch eine myokardiale Ischämie bedingt ist.</p> </div></p>
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<p><strong>1</strong> Bhuiya FA et al.: Emergency department visits for chest pain and abdominal pain: United States, 1999-2008. NCHS Data Brief 2010; (43): 1-8 <strong>2</strong> Mozaffarian D et al.: Heart disease and stroke statistic--2015 update. Circulation 2014; 131: e29-322 <strong>3</strong> Thygesen K et al.: Third universal definition of myocardial infarction. Eur Heart J 2012; 33: 2551-67 <strong>4</strong> Imazio M et al.: Myopericarditis versus viral or idiopathic acute pericarditis. Heart 2008; 94: 498-501 <strong>5</strong> Imazio M, Gaita F: Diagnosis and treatment of pericarditis. Heart 2015; 101: 1159-68 <strong>6</strong> Imazio M et al.: Controversial issues in the management of pericardial diseases. Circulation 2010; 121: 916-28 <strong>7</strong> Imazio M et al.; ICAP Investigators: A randomized trial of colchicine for acute pericarditis. N Engl J Med 2013; 369: 1522-8 <strong>8</strong> Imazio M et al.: Colchicine in addition to conventional therapy for acute pericarditis: results of the COlchicine for acute PEricarditis (COPE) trial. Circulation 2005; 112: 2012-6 <strong>9</strong> Sato H et al.: Takotsubo-type cardiomyopathy due to multivessel spasm. In: Kodama K et al. (eds.): Clinical aspect of myocardial injury: from ischemia to heart failure. Tokyo: Kagakuhyouronsya Co., 1990. p56-64 <strong>10</strong> Templin C et al.: Clinical features and outcomes of Takotsubo (stress) cardiomyopathy. N Engl J Med 2015; 373: 929-38 <strong>11</strong> Nef HM et al.: Mechanisms of stress (Takotsubo) cardiomyopathy. Nat Rev Cardiol 2010; 7: 187-93 <strong>12</strong> Redfors B et al.: Are the different patterns of stress-induced (Takotsubo) cardiomyopathy explained by regional mechanical overload and demand: supply mismatch in selected ventricular regions? Med Hypotheses 2013; 81: 954-60 <strong>13</strong> Tranter MH et al.: Takotsubo cardiomyopathy: the pathophysiology. Heart Fail Clin 2013; 9: 187-96, viii–ix <strong>14</strong> Redfors B et al.: Mortality in Takotsubo syndrome is similar to mortality in myocardial infarction--a report from the SWEDEHEART registry. Int J Cardiol 2015; 185: 282-9 <strong>15</strong> Prasad A et al.: Apical ballooning syndrome (Tako-Tsubo or stress cardiomyopathy): a mimic of acute myocardial infarction. Am Heart J 2008; 155: 408-17</p>
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