Der „Trailrun“-Boom: Großevents unter extremen Wetterbedingungen
Autor:innen:
Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Schobersberger1
Mag. Dr. Beatrix Schobersberger2
Priv.-Doz. Dr. Bendikt Treml3
1Institut für Sport-, Alpinmedizin & Gesundheitstourismus, Tirol Kliniken Innsbruck & Privatuniversität UMIT Tirol, Hall
2Fachärztin für Innere Medizin, Sportwissenschafterin, Patsch
3Universitätsklinik für Anästhesie und Intensivmedizin, Innsbruck
Extreme Umweltbedingungen erfordern maximale medizinische Vorbereitungen bei Sportgroßevents. Der Hitzekollaps im Rahmen von Sportbewerben ist dadurch nicht nur bei extremer Hitze ein medizinisches Thema.
Keypoints
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Für die Vorbereitung von Sportgroßevents kann der Beginn des medizinischen Managements nie zu früh sein.
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Hitze muss aktiv zum Thema gemacht werden, da es auch im Gebirge heiß werden kann.
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Wechselhafte Umweltbedingungen (Wind, Kälte, Hypoxie im Gebirge sowie Hitze) sollten nicht unterschätzt werden.
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Eine frühzeitige Schulung aller „healthcare provider“ ( Ver-anstalter:innen, Sanitäter:in-nen, Bergrettung, Notfall-mediziner:innen, Notfallambulanzen) zum Thema Sport unter extremen Umweltbedingungen ist erforderlich!
Trail running“ und „mountain running“ erfreuen sich weltweit zunehmender Beliebtheit. War das klassische Berglaufen bis vor einigen Jahren noch einer speziellen Kohorte von Sportler:innen vorbehalten, so boomt das „trail running“ in jedem Alters- und Leistungssegment. Die InternationalTrailRunning Association (ITRA) definiert das „trail running“ als Laufen in der freien Natur. Gelaufen wird sowohl in den Bergen als klassischer Berglauf als auch auf ständig wechselndem Untergrund in verschiedenen Umgebungen wie Wäldern, Ebenen, Wüsten, Hügeln, Schneepisten u.a. abseits der asphaltierten Straßen. Als „ultra run“definiert wird das Laufen über eine Strecke, die länger als die klassische Marathondistanz von 42,195 Kilometern ist. Der Leichtathletikweltverband World Athletics erkannte den „trail run“ 2015 als offizielle Disziplin an.
World Mountain and Trail Running Championships 2023
Von 6. bis 10. Juni 2023 fanden die World Mountain and Trail Running Championships (WMTRC) in der Region Innsbruck/Stubai statt. Es war erst das zweite Mal nach 2022 im thailändischen Chiang Mai, dass die Bergläufer und „Trailrunner“ ihre Weltmeisterschaften gemeinsam ausgetragen haben. Bezüglich der medizinischen Vorgaben kamen die Regularien des internationalen Leichtathletikverbandes World Athletics zum Tragen. An den 4 Wettbewerbstagen gingen insgesamt 1600 Läufer:innen aus 68 Nationen an den Start. Auf dem Programm standen vier anspruchsvolle Strecken für Männer und Frauen sowie eine Strecke für Junior:innen (U20):
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vertikal: 7,1 km und +1020 Höhenmeter (Hm) von Neustift im Stubaital bis zurElferhütte
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„trail short“: 45,2 km und +3132 Hm/ –2719 Hm von Innsbruck bis Stubai
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„trail long“: 86,9 km und +6500 Hm/ –6920 Hm von Stubai bis Innsbruck
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„mountain classic“: in Runde 1 7,5 km und ±374 Hm für Junior:innen U20; in Runde 2 7,5 km und ±377 Hm; Runde 1+2 für Männer und Frauen; von Innsbruck bis Innsbruck
Im Auftrag von World Athletics war es erforderlich, ein übergeordnetes medizinisches Konzept für die WMTRC auf die Beine zu stellen. Die Leitung hatte Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Schobersberger als medizinischer Direktor inne, der gemeinsam mit dem Roten Kreuz Innsbruck und der Bergrettung ein großes Rettungsteam sowohl für den gesamten Streckenverlauf als auch im Start- und Zielbereich koordinierte. Das so entstandene Rettungsteam war hinsichtlich der Größe beeindruckend. Für die Königsdisziplin,den „trail long“, bei dem 86,9km und 6500Hm zu bewältigen waren, waren 56 Bergretter:innen im Gelände im Einsatz sowie 3 Rettungswägen, die mit alpintauglichen Notärzt:innen besetzt waren. 2 Rettungswägen waren im Start-/Zielbereich, 3 Notärzt:innen, 2 Sportmedizinerinnen sowie 1 Einsatzleiter mit 9 Sanitäter:innen vom Roten Kreuz und 2 Physiotherapeut:innen im Zielbereich. Im Vorfeld wurden sämtliche Szenariendurchgespielt, die bei einem derartigen Event im freien Gelände auftreten können. Vor allem war es besonders wichtig, sich für den möglichen „worst case“, den terrestrischen Abtransport, vorzubereiten, falls kein Flugwetter herrschen sollte. Die Wetterprognosen wurden daher jeden Tag hinsichtlich Minimal- und Maximaltemperaturen, Luftfeuchtigkeit und Wind unter Einbeziehung der sogenannten „wet-bulb globe temperature“ (WBGT) ausgewertet. Da es im Juni im alpinen Gelände sehr wohl noch schlechte Bodenbedingungen wie Neuschnee und niedrige Umgebungstemperaturen geben kann und zudem in Talnähe mit sehr hohen Temperaturen gerechnet werden muss, waren diese Temperaturextreme im Vorfeld medizinisch mit einzukalkulieren. Um im Ziel für alle Eventualitäten bezogen auf einen möglichen Hitzeschaden gerüstet zu sein, wurden zwei Eisbäder zur Sofortbehandlung vorbereitet, nachdem wir uns als medizinisches Organisationsteam von unseren Ärztekollegen von World Athletics davon überzeugen hatten lassen.
Der „Trail long“-Bewerb
Die Strecke von 86,9km mit 6500Hm auf- und 6920Hm abwärts von Neustift durch die Kalkkögel nach Innsbruck war zwar landschaftlich eine der schönsten, aber einer der härtesten „ultra-runs“, den die meisten Athlet:innen bisher gelaufen sind. Der Franzose Benjamin Roubiol gewann mit 09:52:59 und bei den Frauen siegte die Französin Marion Delespierre mit 11:22:31.
Für die medizinische Versorgung war es im Vorfeld nicht klar, was wir zu erwarten hatten. Vor allem dachten wir, dass wegen der ansteigenden Temperatur untertags bis zu 27,7°C viele hitzebedingte Notfälle auftreten würden. Aufgrund des sehr anspruchsvollen Streckenprofils (Abb. 1) gab es bereits viele Ausfälle im Gelände. So waren die Bergretter:innen und Notärzt:innen auf der Strecke mit Erschöpfungszuständen und Bagatelltraumen beschäftigt. Hubschraubereinsatz gab es keinen und auch sonst keine schwerwiegenden medizinischen Ereignisse im Streckenverlauf. Die Zeltbetten im Zielbereich füllten sich rasch, folgende Krankheitsbilder wurden von uns akut behandelt: Hypoglykämien, Erschöpfungszustände, Muskelkrämpfe, Abschürfungen nach Stürzen und ausgeprägte Blasenbildungen an den Füßen bis hin zu kompletter Hautablederung im Bereich der Fersen. Ein Athlet mit Hitzeschock wurde von uns im Eisbad akut therapiert und nach initialer Stabilisierung in die Notaufnahme der Klinik Innsbruck transferiert.
Abb. 1: Extremes Geländeprofil beim „Trail short“-Bewerb
Der „Mountain classic“-Bewerb
Im Zielbereich waren 4 Ärzt:innen sowie 2 Verantwortliche von World Athletics und 9 Sanitäter:innen im Einsatz. Im Vorfeld hatten wir 2 Eisbäder und 2 einfache Swimmingpools zur Abkühlung der Athlet:innen vorbereitet. Aufgrund der kurzen Streckenlänge dachten wir vorerst, dass wir nicht viel zu tun hätten. Aber an diesem Tag herrschte eine hohe Temperatur von bis zu 30°C, welche für die unerwartet hohe Zahl von 6 Athlet:innen mit Belastungshitzeschlag ursächlich war. Im Rahmen einer Studie zur Thermoregulation von World Athletics gemeinsam mit unserem Team der Tirol Kliniken und UMIT-Tirol analysierten wir bei mehreren Teilnehmer:innendie Körperkerntemperatur mittels einer Mini-Kapsel. Diese oral aufzunehmende Mini-Kapsel zeichnet kontinuierlich die Körperkerntemperatur auf. Dabei konnte ein extremer Temperaturverlauf eines Athleten mit einer Körperkerntemperatur von 41,2°C aufgezeichnet werden (Abb. 2), der nach dem Zieleinlauf nach allen Richtlinien eines Hitzschlags akut notfallmedizinisch versorgt werden musste.
Abb. 2: Originaler Verlauf der Körperkerntemperatur (Tcore) eines Athleten beim „Mountain classic“-Bewerb mit einem Maximalwert von 41,2 °C gemessen mit einer oral aufgenommenen Mini-Pille der Fa. BodyCap
Hitze und extreme körperliche Belastung
Das Risiko für einen Belastungshitzschlag („exercise-induced heat stroke“; EHS) steigt ab Temperaturen über 21°C und 50% relative Luftfeuchtigkeit deutlich an. Allerdings kann ein Hitzschlag auch bei niedrigen Außentemperaturen auftreten, wie es z.B. im Oktober beim Twin Cities Marathon, USA,bei 6,1°C am Start der Fall war.1 Unter dem sperrigen Begriff Kühlgrenztemperatur (in Englisch „wet-bulb globe temperature“; WBGT1) lässt sich der Hitzestress abschätzen. Die WBGT wurde ursprünglich in den 1950er-Jahren vom amerikanischen Militär entwickelt, da sich in den 1940er- und 1950er-Jahren gehäuft hitzebedingte Todesfälle ereigneten. Beim „mountain classic“ herrschten strahlender Sonnenschein, Temperaturen zwischen 26°C und 30°C bei maximaler Luftfeuchtigkeit von 41% im Ziel, die WBGT ergab 25°C. Als Orientierungshilfe bietet World Athletics in seinem medizinischen Handbuch für Wettkämpfe2 eine Tabelle zur Einschätzung des Risikos für den Belastungshitzschlag entsprechend der Kühlgrenztemperatur. Mit einem WBGT von 25°C herrschten bereits klimatische Bedingungen im„orangen“ Bereich, was einer mittleren Gesundheitswarnung entspricht.
Definiert wird der Belastungshitzschlag als Auftreten einer Körperkerntemperatur >40°C verbunden mit einer neurologischen Funktionsstörung. Die neurologischen Symptome können vielfältig ausfallen: Verwirrung, bizarres Verhalten, Schläfrigkeit, Apathie, Ataxie, Orientierungslosigkeit, Aggressivität etc. Zudem treten vegetative Symptome wie Erbrechen, Tachykardie, Hyperventilation, Schwitzen oder auch fehlende Schweißproduktion, Krämpfe bis hin zu Bewusstseinstrübung auf. Bei intensiver Belastung in heißer Umgebung kann der Körper die massive Hitzebelastung nicht mehr ausreichend regulieren. Die Muskelkontraktionen während der Belastung produzieren eine ungeheure Menge an Wärme, die bereits einige Minuten nach Beginn der Belastung zu einem Anstieg der Körperkerntemperatur führt (Abb. 2). Wenn die Umgebungsbedingungen es zulassen, die Hitzeelimination über Konvektion, Abstrahlung und Schweißproduktion in Balance zur Hitzeproduktion zu halten, dann erreicht die Körperkerntemperatur ein Plateau zwischen 38,5°C und 39°C. Wenn allerdings die Kapazität der Hitzeelimination durch die heiße und feuchte Umgebungsbedingung limitiert ist, dann steigt die Körperkerntemperatur auf >40°C an. Viele gut trainierte Athlet:innen können diese hohen Temperaturen kurzfristig noch tolerieren. Allerdings kann es im Verlauf durch Wassereinlagerung in den Gehirnzellen mit konsekutivem Hirnödem zu bleibenden Gehirnschäden, Rhabdomyolyse mit Nierenversagen, Leberschädigungen bis hin zum Herzstillstand kommen. Somit ist der Belastungshitzschlag bei Athlet:innen einer der zwei häufigsten Todesursachen im Sport.3 Ohne rasche und effektive Kühlung erreicht die Sterblichkeit nahezu 80%. In der Behandlung ist die sofortige aggressive Kühlung das Mittel der Wahl.3,4 Dabei besteht nur ein kurzes Zeitfenster, um bleibende Schäden zu verhindern. Der/die Patient:in wird sofort nach der Diagnose in ein Eisbad mit ca. 4°C gelegt und dabei wird kontinuierlich über eine Rektalsonde die Körperkerntemperatur und der neurologische Zustand überwacht. Wenn die Temperatur unter 39°C absinkt und sich der/die Patient:in hinsichtlich der neurologischen Symptome erholt, wird er/sie aus dem Wasserbad gehoben und auf eine trockene Liege transferiert. Dort wird die Temperatur weiter überwacht, und sofern kein „Rebound“-Effekt auftritt und der/die Patient:in weiterhin neurologisch unauffällig bleibt, kann er/sie mit dem Team zur weiteren Beobachtung entlassen werden. Bei 90% der Hitzschlagpatienten:innen ist dies der Fall, die anderen 10% müssen im Krankenhaus weiterbehandelt werden. Vor allem gilt es im Krankenhaus, ausreichend Flüssigkeit zu verabreichen, um einerRhabdomyolyse vorzubeugen. Im Notfall bringt eine kühlende intravenöse Infusion keinen Erfolg, da sich diese beim Durchfluss über den Venflon in der Blutbahn schon wieder erwärmt. Eine Hypoglykämie muss rasch diagnostiziert und therapiert werden. Fälle von Hyponatriämie treten ebenso vereinzelt auf und werden im Verlauf korrigiert. Bei Großveranstaltungen wie Marathons, Triathlons und „trailruns“ sollten daher für die Athlet:innen Eiswasserbäder und einfache Schwimmbecken zur Abkühlung bereitstehen (Abb. 3). Im alpinen Gelände können Hitzschlagpatient:innen mit kaltem Wasser aus einem Bach oder Fluss gekühlt werden. Basierend auf unserer Erfahrung können wir vorangegangene dringliche Empfehlungen an Veranstalter von Sportgroßevents unter speziellen klimatischen Bedingungen weiterleiten. Diese betreffen selbstverständlich auch die „Trail run“-Volksläufe, die sich derzeit enormer Beliebtheit erfreuen und aufgrund der hohen Teilnehmerzahl mit durchaus mehr als1000 Sportler:innen eine große medizinische Herausforderung darstellen.
Abb. 3:Training mit leerem Eisbad. Der fiktive Patient wird auf einer Liege auf einem Bergetuch aus Netzstoff zum Hineinheben in das Eisbad und zum Herausheben vorbereitet. Dazu werden vier Personen benötigt
Literatur:
1 Roberts WO: Exertional heat stroke during a cool weather marathon: a case study. Med Sci Sports Exerc 2006; 38(7): 1197-203 2 Adami P et al.: Competition medical guidelines for world athletics series events. A practical guide. Second edition. World Athletics Monaco 2020 3 Racineis S et al.: IOC consensus statement on recommendations and regulations for sport events in the heat. Br J Sports Med 2023; 57(1): 8-25 4 Douma MJ et al.: First aid cooling techniques for heat stroke and exertional hyperthermia: a systematic review and meta-analysis. Resuscitation 2022; 148: 173-90
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