Unprovozierte Lungenembolie: wie lange antikoagulieren?
Autor:
Prof. Dr. med. Dimitrios A. Tsakiris
Emeritierter Fachleiter Diagnostische Hämatologie, Universitätsspital Basel
Leiter Hämostase und Thrombose
SYNLAB Suisse SA
Alpenquai 14, 6002 Luzern
E-Mail: dimitrios.tsakiris@synlab.com
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Die Lungenembolie ist die dritthäufigste Todesursache unter den kardiovaskulären Krankheiten. Die systemische Antikoagulation über drei oder sechs Monate bleibt weiterhin das Fundament dereffizienten Therapie. Die Studien zur Einführung der neuen direkten oralen Antikoagulanzien haben jedoch die Vorteile der verlängerten Thromboseprophylaxe aufgedeckt. Im Prinzip würde jede unprovozierte Lungenembolie von der Fortsetzung der Antikoagulation auf unbestimmte Zeit profitieren.
Keypoints
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Eine verlängerte Antikoagulation über die ersten 3 Monate hinaus ist für jede unprovozierte Lungenembolie indiziert, ausser es besteht ein hohes Blutungsrisiko (Risikoeinschätzung der Inzidenz soll <8,5%/Jahr sein).
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Vitamin-K-Antagonisten (VKA) oder die direkten oralen Antikoagulanzien (DOAC) eignen sich für die verlängerte Antikoagulation; DOAC (Rivaroxaban oder Apixaban) können auch in reduzierter Dosis eingesetzt werden.
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Für den Fall, dass VKA oder DOAC für die längerfristige Prophylaxe nicht verabreicht werden können, kann alternativ Aspirin in niedriger Dosierung 1x100mg/d gegeben werden.
Ursachen und Risiken der Lungenembolie
Aus angiologischer Sicht wird heute zwischen der tiefen Beinvenenthrombose und der Lungenembolie zwar diagnostisch differenziert, therapeutisch gehören beide Thrombosen jedoch in eine Entität, die venöse Thromboembolie (VTE). Die VTE ist immer noch eine potenziell letale Krankheit mit der dritthöchsten Mortalität unter den kardiovaskulären Krankheiten.1,2
Ursächlich spielen für die Bildung einer Thrombose drei Konditionen, einzeln oder in Kombination, eine entscheidende Rolle: die Venenstauung, die Gefässwandverletzung und die Hyperkoagulabilität (Virchow’sche Trias). Zusätzliche Risikofaktoren für die Thrombosen werden hier auch in transiente und persistierende sowie in Neben- und Hauptrisikofaktoren unterteilt.1,3
Klinisch werden die Thrombosen, je nachdem, ob ein offensichtlicher Risikofaktor vorhanden ist oder nicht, als provozierte oder nicht provozierte Ereignisse klassifiziert.4,5 Diese Unterscheidung impliziert auch eine unterschiedliche Prognose. Während die gesamte kumulative Inzidenz einer Rezidivthrombose 12 Monate nach dem Initialereignis 11% beträgt, liegt diese bei den provozierten Thrombosen bei 6,6% und bei den nicht provozierten oder idiopathischen Thrombosen bei 15%.6 Es stellt sich also die Frage, ob die nicht provozierte Lungenembolie gefährlicher ist oder ob sie eine andere Therapie als die provozierten Ereignisse benötigt.7
Behandlung derLungenembolie
Gemäss dem klinischen Bild und den hämodynamischen Auswirkungen wird die Lungenembolie in drei Schweregrade eingestuft: massive, submassive oder Niedrigrisiko-Lungenembolie. Für alle drei Formen besteht die initiale Behandlung nach Diagnose in der Einleitung einer systemischen Antikoagulation. Die massive und die submassive Lungenembolie mit hämodynamischer Dysregulation können ergänzend mit systemischer Thrombolyse oder mit einer Katheterintervention (Katheter-technisch gesteuerte Embolektomie) weiter behandelt werden.1,8,9
Die Antikoagulation kann entweder sofort mit intravenösem nicht fraktioniertem Heparin (UFH) eingeleitet werden oder je nach Fall auch mit der subkutanen Gabe eines niedermolekularen Heparins (LMWH) oder der Gabe eines der neuen direkten oralen Antikoagulanzien (DOAC). Die Heparintherapie, sei es UFH oder LMWH, wird im Verlauf durch eine orale Antikoagulation entweder mit Vitamin-K-Antagonisten (VKA) oder mit DOAC ersetzt und für 3 oder 6 Monate fortgesetzt.
Optimale Antikoagulation bei Lungenembolie
Die Dauer der initialen Antikoagulation von 3 oder 6 Monaten wurde früher aufgrund des Risikos für Rezidivereignisse so gewählt, da dieses in den ersten drei Monaten nach dem Ereignis am höchsten ist. Studien haben aber allmählich gezeigt, dass das Risiko für Rezidivthrombosen nach dieser initialen Hochrisikozeit zwar niedrig war, aber konstant bestehen blieb. Diese Rezidivthrombosen traten auffällig häufiger bei nicht provozierten VTE auf. Es stellte sich also die Frage, ob diese Patienten von einer verlängerten Antikoagulation profitieren würden oder nicht. Die Antwort kam aus Studien sowohl mit VKA wie auch mit DOAC:
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Die PADIS-PE-Studie hat Patienten mit durchgemachter Lungenembolie nach der initialen sechsmonatigen Behandlung in einen Arm mit Placebo und einen mit Fortsetzung der Warfaringabe randomisiert. Die Resultate zeigten klar, dass die Fortsetzung der Warfarinbehandlung über eine Dauer von 18 Monaten die Patienten eindeutig vor Rezidivthrombosen geschützt hat. Dieser Schutzeffekt verschwand, sobald die Antikoagulation beendet wurde.10,11
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Im Rahmen der Zulassungsstudien der DOAC wurden auch Varianten mit verlängerter Antikoagulation integriert, bei denen die Patienten die Behandlung mit dem entsprechenden DOAC (Rivaroxaban oder Apixaban in reduzierter oder nicht reduzierter Dosierung) über mehrere Monate bis 2 Jahre fortsetzten. Die Resultate waren eindeutig: Die Fortsetzung der Thromboseprophylaxe schützt effektiv gegen Rezidivthrombosen.7,12
Diese Ergebnisse sind, anfänglich zögerlich, aber dann immer eindeutiger in die internationalen Leitlinien eingeflossen, als Empfehlung für eine Dauerantikoagulation auf unbestimmte Zeit nach einer nicht provozierten VTE, sofern das Nutzen-Risiko-Verhältnis bezüglich Blutungsrisiko dies erlaubt.
Leitlinien
Zwei internationale Leitlinien dominieren in der Literatur als Empfehlungen für die Behandlung der venösen Thromboembolie. Diejenige des American College of Chest Physicians von 2016 (ACCP 2016, 9th ed.),4,13 welche kürzlich aktualisiert wurde, und eine europäische Variante von 2019 unter der Mitwirkung der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC), welche stärker auf die Lungenembolie fokussiert.5
Hauptstrategie in beiden Leitlinien ist, dass die unprovozierte Lungenembolie unmittelbar nach Diagnose mit einer systemischen Antikoagulation behandelt werden soll, sei es mit unfraktioniertem Heparin intravenös, mit niedermolekularem Heparin subkutan oder mit einem DOAC. Die Auswahl der ersten Antikoagulation wird von der Risikostratifizierung der Lungenembolie definiert, unter Mitberücksichtigung der hämodynamischen Veränderungen. Dieses Risiko steuert auch die Indikation für eine erweiterte systemische Thrombolyse oder eine invasive Katheter-technische Thrombenentfernung.
Die Dosierung der Antikoagulanzien bleibt bei allen drei Therapieregimen fix, die Dauer der Antikoagulation beträgt vorerst drei Monate. Von einer kürzeren Antikoagulationsdauer als 3 Monate wird abgeraten.
Nach der initialen Behandlung stellt sich die Frage nach der Fortsetzung der Thromboseprophylaxe, wie dies die oben erwähnten Studien implizieren. Dieser Entscheid wird vom geschätzten Thromboserisiko und vom Blutungsrisiko abhängig gemacht. Bei der nicht provozierten Thromboembolie oder bei Fällen, wo weiterhin ein persistierender Risikofaktor oder ein transienter Hauptrisikofaktor für Thrombosen besteht, bleibt das Risiko einer Rezidivthrombose auch nach den ersten drei Monaten der Therapie relevant hoch. Hier überwiegt in den Leitlinien die Empfehlung, die Antikoagulation für unbestimmte Zeit fortzusetzen. Voraussetzung dafür ist, dass das geschätzte Blutungsrisiko durch die Antikoagulation verhältnismässig niedrig oder intermediär bleibt. Bei hohem Blutungsrisiko ist die erweiterte Antikoagulation kontraindiziert. Verschiedene Modelle zur Einschätzung des Blutungsrisikos wurden publiziert, ein niedriges Risiko verlangt eine Blutungsinzidenz von <0,8% pro Jahr, ein intermediäres oder hohes Risiko <1,6% respektive <8,5% pro Jahr.4,14
Für die erweiterte Thromboseprophylaxe eignen sich am besten die DOAC, welche nach den ersten sechs Monaten auch in reduzierter Dosierung verabreicht werden können (die Empfehlung gilt für Rivaroxaban und Apixaban).5,13
Für Patienten, welche nicht länger antikoaguliert werden können oder die orale Antikoagulation mit VKA oder DOAC stoppen müssen, wird die Verabreichung von Aspirin in einer Dosis von 1x100mg/d als alternative Thromboseprophylaxe empfohlen, sofern keine Kontraindikation dafür besteht. Aspirin kann venöse Thromboembolien bekanntlich vorbeugen, aber nicht im gleichen Ausmass wie die VKA oder die DOAC, weshalb es nicht als Prophylaxe erster Wahl gewählt werden darf.13
Literatur:
1 Tice C et al.: Management of acute pulmonary embolism. Curr Cardiovasc Risk Rep 2020; 14: 24 2 Ageno W et al.: Provoked versus unprovoked venous thromboembolism: Findings from GARFIELD-VTE. Res Pract Thromb Haemost 2021; 5: 326-41 3 Kearon C et al.: Categorization of patients as having provoked or unprovoked venous thromboembolism: guidance from the SSC of ISTH. J Thromb Haemost 2016; 14: 1480-3 4 Kearon C et al.: Antithrombotic therapy for VTE disease: CHEST Guideline and Expert Panel Report. Chest 2016; 149: 315-52 5 Konstantinides SV et al.: 2019 ESC Guidelines for the diagnosis and management of acute pulmonary embolism developed in collaboration with the European Respiratory Society (ERS). Eur Heart J 2020; 41: 543-603 6 Prandoni P et al.: The risk of recurrent thromboembolic disorders in patients with unprovoked venous thromboembolism: new scenarios and opportunities. Eur J Intern Med 2014; 25: 25-30 7 Fernandes CJ et al.: Extended anticoagulation after venous thromboembolism: should it be done? Ther Adv Respir Dis 2019; 13: 1753466619878556 8 Triantafyllou GA et al.: Risk stratification in acute pulmonary embolism: the latest algorithms. Semin Respir Crit Care Med 2021; 42: 183-98 9 Rivera-Lebron BN et al.: The PERT Concept: a step-by-step approach to managing pulmonary embolism. Chest 2021; 159: 347-55 10 Couturaud F et al.: Six months vs extended oral anticoagulation after a first episode of pulmonary embolism: the PADIS-PE randomized clinical trial. JAMA 2015; 314: 31-40 11 Couturaud F et al.: Six months versus two years of oral anticoagulation after a first episode of unprovoked deep-vein thrombosis. The PADIS-DVT randomized clinical trial. Haematologica 2019; 104: 1493-501 12 Kanthi Y, Piazza G: Great debates in vascular medicine: extended duration anticoagulation for unprovoked venous thromboembolism - coming to consensus when the debate rages on. Vasc Med 2018; 23: 384-7 13 Stevens SM et al.: Antithrombotic therapy for VTE disease: second update of the CHEST Guideline and Expert Panel Report. Chest 2021. doi:10.1016/j.chest.2021.07.055 14 Darzi AJ et al.: Risk-assessment models for VTE and bleeding in hospitalized medical patients: an overview of systematic reviews. Blood Adv 2020; 4: 4929-44
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