Update Herzrhythmusstörungen
Autor*innen:
Dr. med. Gabriela Hilfiker
Prof. Dr. med. Richard Kobza
Herzzentrum
Luzerner Kantonsspital
Spitalstrasse
6000 Luzern 16
E-Mail: gabriela.hilfiker@luks.ch
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Herzrhythmusstörungen sind häufig, aber ihre Art und Ausprägung sind äusserst heterogen. Aus der Perspektive des Patienten können sie asymptomatisch bis hochsymptomatisch sein. Aus medizinischer Sicht können sie unabhängig von der Symptomatik diagnostisch mehr oder weniger klar sowie prognostisch mehr oder weniger relevant sein. Während die dafür typischen Palpitationen direkt auf eine Rhythmusproblematik hindeuten, sind Leistungsminderung oder Schwindel sowie auch Synkopen ebenso möglich und differenzialdiagnostisch herausfordernder. Im Folgenden fassen wir einige praxisrelevante Punkte zur Diagnostik, Beurteilung und Therapie von Herzrhythmusstörungen zusammen.
Erstbeurteilung von Patienten mit Brady- oder Tachykardien
Geben Symptomatik, Pulsmessung oder ein auffälliges EKG einen Hinweis auf das Vorliegen einer Rhythmusproblematik, ist es wichtig, die unmittelbare Relevanz für den Patienten zu beurteilen. Während eine Herzfrequenz von 40/min für einen Ausdauersportler im Schlaf normal ist, kann die gleiche Herzfrequenz bei einem anderen Patienten eine instabile Bradykardie bedeuten. Auch Tachykardien können sich klinisch sehr variabel manifestieren. Dabei ist meist nicht die absolute Frequenz ausschlaggebend für die Symptomatik, sondern zum Beispiel das Vorhandensein von Kompensationsmechanismen, um bei schnellem Puls das Schlagvolumen aufrechtzuerhalten. So können Patienten mit vorbestehender systolischer oder diastolischer Herzinsuffizienz durch eine Herzfrequenz von 120/min. bereits gefährdet sein, während ein gesunder Patient dies kaum wahrnimmt.
Deshalb ist ein erstes Beurteilungskriterium von Herzrhythmusstörungen der Kreislaufzustand des Patienten. Als hämodynamisch relevant wird eine Arrhythmie dann bezeichnet, wenn die Kreislauffunktion des Herzens nicht mehr aufrecht erhalten werden kann. In diesem Fall erfordern Bradykardien externes Pacing und Tachykardien eine Kardioversion (auf den QRS-Komplex synchronisierte Schockabgabe) oder Defibrillation, und dies unabhängig von der Ursache oder Entität der Arrhythmie.
Diagnostik
Viele Rhythmusstörungen sind nicht anhaltend und treten teilweise in grossen Zeitabständen auf. Die Patienten stellen sich infolge von Symptomen, die auf eine Arrhythmie hindeuten könnten, ambulant vor, präsentieren sich uns aber im Sinusrhythmus. Hier gilt es, die Situation anhand von Anamnese, Ruhe-EKG und falls notwendig transthorakaler Echokardiografie einzuschätzen. Falls Hinweise auf eine gefährliche ventrikuläre Arrhythmie bestehen, ist allenfalls eine stationäre Überwachung indiziert. Beispiele dafür sind Synkopen unter Belastung oder in liegender Position, Angehörige mit plötzlichem Herztod oder das Vorliegen einer strukturellen Herzerkrankung. Dazu gehören vor allem die koronare Herzkrankheit, andere Myokarderkrankungen mit Narbenbildung oder eine deutlich eingeschränkte linksventrikuläre Funktion.
In allen Fällen ist das wichtigste diagnostische Ziel die Symptom-Rhythmus-Korrelation. Wann immer möglich, sollte dazu ein EKG in dem Moment geschrieben werden, in dem die Symptomatik auftritt. Bei Patienten, die tägliche oder wöchentliche Beschwerden haben, gelingt diese Korrelation am besten mittels eines Holter-EKGs. Dieses kann der Patient bis zu sieben Tage tragen. Tritt die Symptomatik seltener auf, stellt ein subkutan implantierbarer Ereignisrecorder eine elegante Alternative dar. Dieser wird in Lokalanästhesie präkordial implantiert und hat eine Batteriedauer von 3–4 Jahren. Diese Methode verwenden wir vor allem für Patienten mit unklaren Synkopen oder nach Schlaganfall, wenn ein Vorhofflimmern vermutet wird. Des Weiteren gibt es inzwischen viele Smartphone-Apps und Pulsuhren, die nicht nur die Herzfrequenz anzeigen, sondern zusätzlich ein 1-Kanal-EKG aufzeichnen. Die Patienten können damit den Moment der Beschwerden registrieren, damit wird die Diagnostik deutlich erleichtert.
Tachykardien
Bei der Analyse von tachykarden Rhythmusstörungen (Herzfrequenz >100/min.) lohnt sich eine Einteilung anhand von Regelmässigkeit und Dauer der QRS-Komplexe. Dies lässt eine Eingrenzung der möglichen Differenzialdiagnosen zu und erlaubt das Festlegen der initialen Therapiestrategie, auch wenn die definitive Diagnose nicht immer ohne elektrophysiologische Untersuchung gestellt werden kann.
Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Vielfalt der Tachykardien.
Tab. 1: Differenzialdiagnose von Tachykardien
Schmalkomplextachykardien (QRS <120ms)
Findet sich ein schmaler QRS-Komplex, dann bedeutet dies, dass die Erregungsleitung unterhalb des AV-Knotens über das normale Erregungsleitungssystem (His-Bündel, Tawara-Schenkel und Purkinje-Fasern) geleitet wird. Die Tachykardie entsteht somit immer im Vorhof oder AV-Knoten. Am leichtesten lässt sich dabei das Vorhofflimmern von den anderen Arrhythmien abgrenzen, die QRS-Komplexe sind dabei absolut arrhythmisch und P-Wellen fehlen gänzlich.
Bei den Schmalkomplextachykardien mit regelmässigen QRS-Komplexen empfehlen wir, einerseits nach sichtbaren P-Wellen zu suchen und andererseits das Frequenzverhalten zu analysieren. Während eine Sinustachykardie und manche ektope atriale Tachykardien frequenzvariabel sind, also zum Beispiel atem- oder belastungsabhängig schneller oder langsamer werden, besteht bei einer Reentry-Tachykardie (AVNRT, AVRT) meist eine relativ starre Herzfrequenz (typischerweise um 140–200/min). Entsprechend berichten die Patienten meist auch über einen abrupten Beginn der Symptomatik.
Regelmässige Schmalkomplextachykardien sind höchst selten hämodynamisch instabil. Therapeutisch sollte primär ein vagales Manöver (Valsalva-Manöver oder Karotismassage) durchgeführt werden. Führt dies nicht zum Erfolg, ist das Medikament der Wahl zur Diagnostik und Therapie Adenosin. Die rasche intravenöse Applikation von 6mg (bei fehlendem Ansprechen 12 oder maximal 18mg) führt zu einer Verzögerung oder vollständigen Blockierung der Reizleitung im AV-Knoten für wenige Sekunden. AV-Knoten-abhängige Reentry-Tachykardien (AVNRT oder AVRT) können dadurch häufig terminiert werden. Die anschliessende Therapie der Wahl ist in diesem Fall eine elektrophysiologische Untersuchung mit Ablation der zusätzlichen Leitungsbahn.
Handelt es sich um eine vom AV-Knoten unabhängige Tachykardie (Vorhofflattern, atriale Tachykardie, ventrikuläre Tachykardie) hat Adenosin meist keinen Einfluss darauf und kann diese nicht terminieren, mit Ausnahme von gewissen atrialen Tachykardien. Aufgrund der kurzzeitigen AV-Blockierung lassen sich aber allfällige P-Wellen besser beurteilen («demaskieren»). Wichtigste Kontraindikation für Adenosin ist neben der hämodynamischen Instabilität ein bekanntes Asthma bronchiale.
Fallbeispiel Schmalkomplextachykardie
59-jährige Patientin mit plötzlichem Unwohlsein, Schwindel und Herzrasen. Das EKF zeigt regelmässige, schmale QRS-Komplexe (QRS 86ms), die Herzfrequenz beträgt 193/min (Abb. 1). Dieses Beispiel zeigt beim genauen Hinschauen in den meisten Ableitungen P-Wellen direkt nach dem QRS-Komplex. Es handelt sich um das typische Bild einer AV-Knoten-Reentry-Tachykardie. Die P-Wellen entstehen durch die kreisende Erregung im AV-Knoten mit retrograder Erregung der Vorhöfe. Da die mechanische Vorhofkontraktion zeitlich nicht mehr mit der Trikuspidalklappenöffnung synchronisiert ist, können hier Pulsationen in den Halsvenen auftreten («frog sign»).
Abb. 1: AV-Knoten-Reentry-Tachykardie
Breitkomplextachykardien (QRS >120ms)
Im Gegensatz zu Schmalkomplextachykardien können Breitkomplextachykardien ihren Ursprung im gesamten Herzen haben. Die wichtigste, meist unmittelbar behandlungsbedürftige und zugleich häufigste Differenzialdiagnose sind ventrikuläre Tachykardien.
Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei einer Breitkomplextachykardie um eine ventrikuläre Tachykardie handelt, ist deutlich höher bei Patienten mit struktureller Herzerkrankung. Die insgesamt weitaus häufigste damit assoziierte Diagnose ist die koronare Herzkrankheit, die aufgrund von Narben eine ventrikuläre Reentry-Tachykardie begünstigt. Dies kann im Rahmen eines akuten Koronarsyndroms, aber auch im Langzeitverlauf einer stabilen koronaren Herzkrankheit auftreten. Das Risiko ist höher bei Patienten mit verminderter linksventrikulärer Ejektionsfraktion.
Zusätzlich sind diverse weitere Herzerkrankungen assoziiert mit einem erhöhten Risiko für das Auftreten einer ventrikulären Arrhythmie. Es handelt sich dabei um die dilatative Kardiomyopathie, die hypertrophe (obstruktive) Kardiomyopathie, die arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie sowie erworbene entzündliche oder infiltrative Myokarderkrankungen. Weitere mögliche Ursache sind sogenannte idiopathische Kammertachykardien bei strukturell normalem Herzen. Diese entspringen allermeistens dem rechts- oder linksventrikulären Ausflusstrakt und haben dann eine charakteristische Morphologie (siehe Fallbeispiel unten).
Jedoch kann auch jede supraventrikuläre Tachykardie mit einem breiten QRS-Komplex einhergehen, wenn das ventrikuläre Myokard neben dem normalen Reizleitungssystem auch über eine akzessorische Bahn erregt wird oder die Reizleitung unterhalb des AV-Knotens zusätzlich beeinträchtigt ist. Letzteres ist der Fall bei vorbestehendem Schenkelblock oder Auftreten von Aberranz (dies bedeutet eine intermittierende Blockierung im Reizleitungssystem bedingt durch unterschiedliche Refraktärzeiten der Leitungsstrukturen, also z.B. das Auftreten eines frequenzabhängigen Rechts- oder Linksschenkelblocks). Hilfreich ist hier, wenn möglich, der Vergleich mit einem Vor-EKG im supraventrikulären Rhythmus. Besteht eine unveränderte QRS-Morphologie, schliesst dies eine ventrikuläre Tachykardie aus.
Im Zweifelsfall ist aber jede Breitkomplextachykardie bis zum Beweis des Gegenteils als Kammertachykardie zu betrachten. Wenn diese hämodynamisch stabil ist, besteht die Therapie der Wahl in einer medikamentösen Konversion. Aufgrund der häufig zugrunde liegenden strukturellen Herzerkrankung eignet sich dafür am besten Amiodaron.
Fallbeispiel Breitkomplextachykardie
63-jähriger Patient mit bekannter dilatativer Kardiomyopathie. Die Herzfrequenz beträgt 126/min, das EKG zeigt unregelmässige und breite QRS-Komplexe (QRS 176ms), keine vorangehenden P-Wellen (Abb. 2a). Es liegt somit ein tachykardes Vorhofflimmern bei gleichzeitig bestehendem Linksschenkelblock vor. Der Linksschenkelblock (LSB) lässt sich im EKG am breiten QRS-Komplex mit typischerweise überdrehter Linksachse verbunden mit negativen QRS-Komplexen in V1/V2 und positiven QRS-Komplexen V5/V6 erkennen.
Abb. 2: a) Tachykardes Vorhofflimmern bei gleichzeitig bestehendem Linksschenkelblock; b) nach Elektrokardioversion Sinusrhythmus mit weiterhin bestehendem Linksschenkelblock
Nach Elektrokardioversion zeigt sich wieder ein Sinusrhythmus. Die Morphologie der QRS-Komplexe ist grösstenteils unverändert infolge des weiterhin bestehenden Linksschenkelblocks (Abb. 2b).
Fallbeispiel Breitkomplextachykardie
54-jähriger, asymptomatischer Patient mit dialysepflichtiger Niereninsuffizienz. Während der Dialyse wurde zufällig ein hoher Puls gemessen. Die Herzfrequenz beträgt 151/min, im EKG finden sich regelmässige, breite QRS-Komplexe (QRS 170ms). Bei genauem Betrachten lassen sich P-Wellen abgrenzen, welche in regelmässigen Abständen unabhängig vom QRS-Komplex auftreten, mit einer Frequenz von 79/min (Abb. 3, Pfeile). Es handelt sich dabei um eine AV-Dissoziation. Zusätzlich finden sich in den Brustwandableitungen lediglich positive QRS-Komplexe («positive Konkordanz»). Beide Zeichen lassen mit hoher Spezifität auf das Vorliegen einer ventrikulären Tachykardie schliessen.
Abb. 3: Ventrikuläre Tachykardie mit regelmässigen, unabhängig von den QRS-Komplexen auftretenden P-Wellen (Pfeile) entsprechend einer AV-Dissoziation
Die weitere Abkärung des Patienten inklusive Koronarangiografie ergab keinen Hinweis auf das Vorliegen einer strukturellen Herzerkrankung. Anhand des EKG vermuten wir eine benigne Kammertachykardie aus dem linksventrikulären Ausflusstrakt. Diese ist einer elektrophysiologischen Untersuchung und Ablation zugänglich, alternativ kann hier medikamentös ein Klasse-1c-Antiarrhythmikum (z.B. Flecainid) eingesetzt werden.
Literatur:
bei den Verfassern
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