Vorhofflimmern und subklinisches Vorhofflimmern
In diesen Tagen zeigt sich, dass man nicht immer vor Ort sein muss, um sich fortzubilden. Per Livestream bekamen die Teilnehmer des Update Refresher Innere Medizin ein umfassendes Update in Sachen klinisches und subklinisches Vorhofflimmern präsentiert. Während im ersten Fall die Strategie relativ klar ist, bleiben beim Management des subklinischen Vorhofflimmerns noch einige Fragen offen.
Neben den klassischen kardiovaskulären und metabolischen Risikofaktoren tragen Lifestylefaktoren wie Übergewicht und körperliche Inaktivität erheblich zu einem erhöhten Risiko für Vorhofflimmern (VHF) bei. Die Behandlung erweist sich oft als schwierig. Als Reaktion wurden im Ausland sogenannte Risikofaktor-Management-Kliniken mit integrierten Behandlungsmodellen gegründet. «Die dort angebotenen Programme sind aufwendig und verfolgen zum Teil sehr ambitiöse Ziele», sagte Dr. med. Andreas Stephan Müller-Burri, Leitender Arzt Kardiologie am Zürcher Stadtspital Triemli. Wie Untersuchungen zeigen, lohnt sich der Aufwand. So führten eine Gewichtsabnahme von >10% und eine anhaltende Gewichtskontrolle bei übergewichtigen Patienten zu einer Abnahme der Symptome und der Progression des VHF. Auch die Wahrscheinlichkeit eines Wiederauftretens des VHF nach Katheterablation nahm ab. Die Studienergebnisse haben zu einer Aufwertung der Lifestyleinterventionen (1B-Empfehlung) in den aktuellen AHA/ACC/HRS-Guidelines geführt.1, 2
Bald auch Antidot gegen Faktor-Xa-Inhibitoren verfügbar
Das Risiko thromboembolischer Komplikationen bei Patienten mit VHF wird anhand des CHA2DS2-VASc-Scores beurteilt. Die ESC empfiehlt in ihren Leitlinien, ab einem CHA2DS2-VASc-Score von 1 eine Antikoagulation in Erwägung zu ziehen. Bei einem Score >2 wird eine Antikoagulation empfohlen. Aufgrund der klinischen Wirksamkeit und einfacheren Handhabung sind die direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) die Therapie der Wahl bei Patienten mit VHF und einem erhöhten Risiko für thromboembolische Ereignisse. Davon ausgenommen sind Patienten mit mechanischer Herzklappe oder mittelschwerer bis schwerer Mitralstenose.3 Zu den Neuigkeiten bei der antithrombotischen Therapie gehört, dass heute Antidots für die DOAK verfügbar sind. 2016 wurde mit Idarucizumab (Praxbind®) ein spezifischer Antikörper gegen den direkten Thrombininhibitor Dabigatran in der Schweiz zugelassen. Mit Andexanet alfa (Ondexxya®) wurde in der EU im Herbst 2019 auch ein spezifisches Antidot für alle Faktor-Xa-Inhibitoren zugelassen. In der Schweiz ist die Beurteilung durch die Swissmedic noch hängig.
In den vergangenen Jahren sind wiederholt Updates zur praktischen Handhabung der Antikoagulanzien erschienen. Besondere Aufmerksamkeit verdienen darin die Hinweise zu den korrekten Dosierungsanpassungen für DOAK (Tab. 1).3–6 Patienten, bei denen keine Antikoagulation möglich ist, können mit einem Vorhofohrverschluss vor den thromboembolischen Komplikationen des VHF geschützt werden.
Tab. 1: Wichtige Empfehlungen für die Behandlung mit DOAK bei Patienten mit Vorhofflimmern (adaptiert von A. S. Müller-Burri nach Kirchhof et al., Diener et al. und Steffel et al.)3–6
Bei welchen Patienten ist eine Frequenzkontrolle ausreichend?
Die optimale Ruhe-Herzfrequenz bei Patienten mit VHF beträgt 85 bis 110 Schläge pro Minute (bpm). «Beim Management der Patienten mit VHF ist darauf zu achten, dass der in Ruhe gemessene Puls innerhalb des angegebenen Frequenzbereichs liegt», sagte der Spezialist. Eine höhere Herzfrequenz geht oft mit einer Zunahme von Symptomen und Einschränkungen der Lebensqualität einher. Im Verlauf entwickeln die Patienten eine tachykardieinduzierte Kardiomyopathie mit Symptomen einer Herzinsuffizienz. Wird die Herzfrequenz mithilfe von Antiarrhythmika auf <85bpm gesenkt, nimmt das Risiko relevanter Bradykardien, die eine Schrittmacherbehandlung erfordern, zu.
Für die Frequenzkontrolle stehen verschiedene Medikamente zur Verfügung. Die Auswahl richtet sich nach der Grunderkrankung (Abb. 1).
Abb. 1: Wie erzielt man bei Vorhofflimmern die optimale Herzfrequenz? (adaptiert nach van Gelder et al.)7
Für Patienten, bei denen auch mit einer Kombinationstherapie keine ausreichende Frequenzkontrolle erzielt wird, sind die «last remaining option» eine Schrittmacherimplantation und eine anschliessende His-Bündel-Ablation, um den tachykarden Vorhof vom Ventrikel zu trennen.
In einige Fällen sollte sich die Therapie des VHF auf eine alleinige Frequenzkontrolle beschränken. Dies ist zum Beispiel bei älteren und gebrechlichen Patienten der Fall sowie bei Personen, bei denen die Risiken einer Intervention zur Wiederherstellung des Sinusrhythmus grösser sind als der zu erwartende Nutzen. «Vor allem über 80-Jährige, insbesondere wenn sie asymptomatisch sind, profitieren kaum von der Wiederherstellung des Sinusrhythmus», sagte Müller-Burri. Bleibt die medikamentöse oder interventionelle Wiederherstellung des Sinusrhythmus erfolglos, bleibt als einzige Behandlungsoption eine gute Frequenzkontrolle.7
Medikamentöse oder interventionelle Rhythmuskontrolle?
Auch die Wahl der Medikamente zur Rhythmuskontrolle richtet sich primär nach der kardialen Grunderkrankung. Für die Behandlung von Patienten ohne oder mit einer leichten strukturellen Herzerkrankung stehen mit Dronedaron, Flecainid, Propafenon und Sotalol unterschiedliche Antiarrhythmika zur Verfügung. Bei einer koronaren oder relevanten valvulären Herzerkrankung oder linksventrikulärer Hypertrophie reduziert sich die Auswahl auf Dronedaron, Sotalol oder Amiodaron. Bei einer manifesten Herzinsuffizienz ist Amiodaron die einzige Option zur medikamentösen Rhythmuskontrolle. Limitiert wird die Behandlung mit Antiarrhythmika durch Kontraindikationen und Nebenwirkungen, die sich an zahlreichen Organen, z.B. dem Herzen, der Schilddrüse, der Leber, der Lunge und der Haut, manifestieren können.
Die ESC empfiehlt in ihren Leitlinien (2016) in allen Situationen als Alternative zur Antiarrhythmikabehandlung (Evidenzlevel 1A) eine Katheterablation (Evidenzlevel IIa B).3 Was man von einer solchen Intervention erwarten darf, zeigten die Studien C2C (CLOSE to CURE) und CIRCA-DOSE bei Patienten mit paroxysmalem VHF, die mit implantierten «Loop»-Rekordern überwacht wurden.8, 9 «Der Vorteil eines solchen kontinuierlichen Monitorings ist, dass man neben dem Wiederauftreten eines VHF Auskunft über die Dauer der Vorhoftachykardie (VHF-Last) erhält», sagte Müller-Burri. Wie die Ergebnisse der Studien zeigten, war bei 87% der Patienten in der C2C- und bei circa 53% der Patienten in der CIRCA-DOSE-Studie ein Jahr nach der Intervention kein VHF-Rezidiv aufgetreten. Die mediane VHF-Last («AF burden») sank in beiden Studien während des 1-Jahres-Follow-ups auf 0%. «Nimmt man den positiven Einfluss auf die Lebensqualität und die Hospitalisationen dazu, kann man sagen, dass die Katheterablation bei VHF heute der Antiarrhythmikabehandlung überlegen ist», sagte der Spezialist.
Auf der anderen Seite gibt es bislang keine Daten, die zeigten, dass sich das Leben der Patienten durch eine Katheterablation verlängern lässt. Eine Ausnahme stellen Patienten dar, die trotz optimaler medikamentöser Therapie an einer schweren Herzinsuffizienz (HFrEF) leiden und mit einem ICD oder einer CRT versorgt sind. Bei diesen Patienten verbessert die Intervention nicht nur die Symptome der Herzinsuffizienz und die körperliche Leistungsfähigkeit, sondern auch das Überleben.
Fallzahlen sind entscheidend für die Qualität der Katheterablation
Die frühe Phase des VHF ist der ideale Zeitpunkt für eine Katheterablation. Die Chancen, den Sinusrhythmus wiederherzustellen, liegen bei paroxysmalem VHF bei 65% und sind bei persistierendem VHF circa 20% niedriger. «Bei Patienten, die schon seit Jahren an VHF leiden, ist eine Wiederherstellung des Sinusrhythmus unwahrscheinlich», so der Spezialist.
In Studien wird die durchschnittliche Komplikationsrate bei einer Katheterablation mit 2–5% beziffert.3 Eine Analyse des nationalen US-amerikanischen VHF-Registers mit über 60000 Interventionen im Zeitraum zwischen 2010 und 2015 zeigte über die Jahre einen Anstieg der 30-Tages-Mortalität und der Komplikationen. Allerdings war es im selben Zeitraum auch zu einer Zunahme der Komorbiditäten bei den Patienten gekommen. Als wichtige Prädiktoren für frühe letale Komplikationen wurden in der Studie prozedurale Komplikationen, Herzinsuffizienz und eine niedrige Fallzahl (<20 Interventionen/Jahr) identifiziert.10 In diesem Zusammenhang wirkt ein Blick auf die Daten des nationalen Schweizer Registers «CHPACE WEB» beruhigend. Etwa 96% der Patienten mit VHF, die eine Katheterablation erhalten haben, wurden gemäss der in der Studie verwendeten Definition in einem «High Volume Center» (>52 Ablationen/Jahr) behandelt.11
Nach der Intervention sollten die Patienten für die Dauer von 3 Monaten antikoaguliert werden. Anschliessend richtet sich die antithrombotische Therapie nach dem CHA2DS2-VASc-Score. Die antiarrhythmische Therapie wird nach der Intervention ebenfalls für 3 Monate fortgesetzt. Bei Patienten mit Sinusrhythmus können die Antiarrhythmika anschliessend zunächst reduziert und später gestoppt werden. Bei erfolgloser Ablation wird die Intervention in der Regel nach 3–6 Monaten wiederholt.
Subklinisches Vorhofflimmern – wann antikoagulieren?
Unklar ist, wie hoch das Thromboembolierisiko bei einem subklinischen Vorhofflimmern (SCAF) ist. Neuere Studien, die sich auf die Auswertung implantierbarer elektronischer Devices stützen, zeigen, dass das Risiko für ischämische Schlaganfälle und systemische Embolien mit der Dauer des VHF zunimmt. Ein erhöhtes Thromboembolierisiko besteht auch bei atrialen Hochfrequenzepisoden. Das Risiko scheint jedoch niedriger zu sein als bei klinischem VHF.12
Die ASSERT-Studie, die bei Patienten nach einer Schrittmacherimplantation das Auftreten eines subklinischen VHF und dessen Prognose untersucht hatte, zeigte, dass ein subklinisches VHF von >24 Stunden Dauer mit einem signifikant höheren Thromboembolierisiko assoziiert war. Im Vergleich dazu war das Risiko einer solchen Komplikation bei einer Dauer von <24 Stunden mit demjenigen von Patienten ohne subklinisches VHF vergleichbar.13 «Das passt zu dem Konzept, dass wir ein VHF in den ersten 48 Stunden auch ohne transösophageale Echokardiografie elektrokonvertieren», sagte der Spezialist. Bei einem VHF von >48 Stunden Dauer empfiehlt die ESC, mithilfe eines transösophagealen Echos einen intrakardialen Thrombus auszuschliessen.
Welche Mechanismen zur Thrombusentstehung und Embolisation bei Patienten mit VHF führen, ist nicht restlos geklärt. Wie die TRENDS-Studie, die das Risiko eines Schlaganfalls oder einer systemischen Embolie untersuchte, zeigte, war bei circa 50% der Patienten mit einem solchen Ereignis in den 30 Tagen zuvor kein VHF registriert worden.14 In der ASSERT-Studie lag dieser Anteil an Patienten sogar bei 65%.15 Unklarheit herrscht bislang auch in Bezug auf Wirkung und Sicherheit der DOAK bei Patienten mit atrialen Hochfrequenzepisoden und subklinischem VHF. Mehr Informationen dazu sollen die Ergebnisse der ARTESiA- und der NOAH-AFNET-6-Studien liefern. Erfolglos blieb der in der NAVIGATE-ESUS- und RE-SPECT-ESUS-Studie verfolgte pragmatische Ansatz, Patienten mit einem kryptogenen Schlaganfall mit einem DOAK zu behandeln, anstatt nach einem VHF zu suchen.16, 17 Wie die Ergebnisse zeigten, waren die beiden DOAK Rivaroxaban (15mg) bzw. Dabigatran (150mg oder 110mg 2x tgl.) der Sekundärprävention mit Aspirin (100mg) nicht überlegen. In der NAVIGATE-ESUS-Studie war das Blutungsrisiko verglichen mit Aspirin unter der Behandlung mit Rivaroxaban sogar erhöht. «Die Behandlung mit DOAK ist also nicht die einfache, allgemeingültige Lösung des Problems», sagte der Kardiologe.
Die ESC empfiehlt bei Patienten mit atrialen Hochfrequenzepisoden (<5–6min, HF >180bpm) oder subklinischem VHF, die einen ischämischen Schlaganfall oder ein VHF in der Vorgeschichte haben, abhängig vom CHA2DS2-VASc-Score eine Antikoagulation. Bei Patienten mit atrialen Hochfrequenzepisoden ohne ischämisches zerebrovaskuläres Ereignis sollte im EKG, im Holter-EKG oder in Rhythmusstreifen von implantierten oder externen Devices nach einem VHF gesucht werden. Ist die Arrhythmie mit einem VHF vereinbar, sollte basierend auf dem CHA2DS2-VASc-Score eine Antikoagulation begonnen werden.3
Bericht:
Regina Scharf, MPH
Medizinjournalistin
Quelle:
FomF – Update Refresher Innere Medizin, 23.–27. Juni 2020 (Livestream)
Literatur:
1 Chung MK et al.: Lifestyle and risk factor modification for reduction of atrial fibrillation: a scientific statement from the American Heart Association. Circulation 2020; 141: e750-72 2 January CT et al.: 2019 AHA/ACC/HRS focused update of the 2014 AHA/ACC/HRS guideline for the management of patients with atrial fibrillation: a report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on Clinical Practice Guidelines and the Heart Rhythm Society in Collaboration With the Society of Thoracic Surgeons. Circulation 2019; 140: e125-51 3 Kirchhof B et al.: 2016 ESC Guidelines for the management of atrial fibrillation developed in collaboration with EACTS. Eur Heart J 2016; 37: 2893-962 4 Diener HC et al.: Choosing a particular oral anticoagulant and dose for stroke prevention in individual patients with non-valvular atrial fibrillation: part 1. Eur Heart J 2017; 38: 852-9 5 Diener HC et al.: Choosing a particular oral anticoagulant and dose for stroke prevention in individual patients with non-valvular atrial fibrillation: part 2. Eur Heart J 2017; 38: 860-8 6 Steffel J et al.: The 2018 European Heart Rhythm Association practical guide on the use of non-vitamin K antagonist oral anticoagulants in patients with atrial fibrillation. Eur Heart J 2018; 39: 1330-93 7 Van Gelder IC et al.: Rate control in atrial fibrillation. Lancet 2016; 388: 818-28 8 Duytschaever M et al.: Long-term impact of catheter ablation on arrhythmia burden in low-risk patients with paroxysmal atrial fibrillation: the CLOSE to CURE study. Heart Rhythm 2020; 17: 535-43 9 Andrade JG et al.: Cryoballoon or radiofrequency ablation for atrial fibrillation assessed by continuous monitoring: a randomized clinical trial. Circulation 2019; 140: 1779-88 10 Cheng EP et al.: Risk of mortality following catheter ablation of atrial fibrillation. J Am Coll Cardiol 2019; 74: 2254-64 11 www.arrhythmia.ch 12 Chen LY et al.: Atrial fibrillation burden: moving beyond atrial fibrillation as a binary entity: a scientific statement from the American Heart Association. Circulation 2018; 137: e623-44 13 Van Gelder IC et al.: Duration of device-detected subclinical atrial fibrillation and occurrence of stroke in ASSERT. Eur Heart J 2017; 38: 1339-44 14 Daoud EG et al.: Temporal relationship of atrial tachyarrhythmias, cerebrovascular events, and systemic emboli based on stored device data: a subgroup analysis of TRENDS. Heart Rhythm 2011; 8: 1416-23 15 Brambatti M et al.: Temporal relationship between subclinical atrial fibrillation and embolic events. Circulation 2014; 129: 2094-9 16 Hart RG et al.: Rivaroxaban for stroke prevention after embolic stroke of undetermined source. N Engl J Med 2018; 378: 2191-201 17 Diener HC et al.: Dabigatran for prevention of stroke after embolic stroke of undetermined source. N Engl J Med 2019; 380: 1906-17
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