
Epidemiologie und Prognose von Patienten mit Nierentransplantation aufgrund einer Glomerulonephritis
Autoren:
Dr. med. Matthieu Halfon
Prof. Dr. med. Déla Golshayan
Centre de transplantation d’organes
Centre hospitalier universitaire vaudois, CHUV Université de Lausanne, UNIL
Lausanne
E-Mail: matthieu.halfon@chuv.ch
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Die weltweite Inzidenz von Glomerulonephritiden (GN), die zu Niereninsuffizienz führen, nimmt stetig zu. Patienten, die von diesen schwerwiegenden Erkrankungen betroffen sind, benötigen häufig eine Nierentransplantation. Die Langzeitprognose von Patienten, die aufgrund einer GN eine Nierentransplantation erhalten haben, ist jedoch ungünstig, da es bei ihnen – meist infolge eines Wiederauftretens der Erkrankung – häufig zum Verlust des Transplantats kommt.
Die Glomerulonephritiden (GN) sind eine heterogene Gruppe entzündlicher Nierenerkrankungen, die die Glomeruli der Niere betreffen. Trotz einer relativ geringen weltweiten Inzidenz (0,5–2,5/100000 Patientenjahre) und der Tatsache, dass GN nur bei einem Bruchteil der Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz (CKD) bestehen, sind sie für 20–40% der Fälle terminaler Niereninsuffizienz (ESRD) verantwortlich.1–4 So war in einer retrospektiven Studie mit mehr als 2500 Patienten mit GN nach einer mittleren Beobachtungsdauer von 4,5 Jahren in 497 Fällen (21%) eine ESRD eingetreten.5 Am höchsten war das Risiko bei Patienten mit fokal-segmentaler Glomerulosklerose (FSGS) und IgA-Nephropathie (IgAN) mit Inzidenzen von 8,72 (95% CI: 3,93–16,72) bzw. 4,54 (95% CI: 1,37–11,02) pro 100 Patientenjahre. Bei Patienten mit extramembranöser Glomerulonephritis und «Minimal-Change Disease» war die Prognose am besten (Inzidenzen von 2,15 [95% CI: 0,29–7,46] bzw. 1,67 [95% CI: 0,15–6,69]).5
Aktuell zeichnet sich ein Anstieg der weltweiten Inzidenz von GN ab; zudem scheinen die diagnostizierten Formen schwererwiegend zu sein.1 Bei einem Vergleich der zum Diagnosezeitpunkt bestehenden renalen GN-Symptomatik über einen Zeitraum von 13 Jahren beobachteten Zaza et al. in den letzten Jahren ihres Beobachtungszeitraums eine grössere Zahl proliferativer GN mit nephritischem Syndrom und akuter Niereninsuffizienz.6 In der kürzlich von uns durchgeführten Studie mit Patienten in der französischsprachigen Schweiz, bei denen zwischen 2007 und 2016 aufgrund einer GN eine Nierenbiopsie durchgeführt wurde, beobachteten wir eine Fortsetzung dieses Trends in Form höherer Serumkreatininwerte und einer Histologie mit stärker ausgeprägter interstitieller Fibrose zum Diagnosezeitpunkt.7 Diese Daten belegen somit einen Trend hin zu aggressiveren GN. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der Anteil der Patienten mit ESRD infolge einer GN in den kommenden Jahren deutlich zunehmen wird. Mit Blick auf die Nierentransplantation ist dies eine Entwicklung von enormer Tragweite, da eine grosse Zahl dieser Patienten auf die Transplantationsliste aufgenommen werden wird.
Aufgrund einer GN nierentransplantierte Patienten (GN-Tx) machen bereits heute einen grossen Teil der weltweiten Population der Transplantierten aus. Laut Daten des ANZDATA-Registers (Kohorte australischer und neuseeländischer Patienten) erfolgte die Transplantation bei 45% der Nierentransplantierten aufgrund einer GN und nur in 25% der Fälle bei dialysierten Patienten.8 In der Schweiz scheint die Inzidenz von GN-Tx ebenfalls zuzunehmen (Abb. 1). Verglichen mit anderen Patienten weisen GN-Tx allerdings einige Besonderheiten auf: Zum einen können sie je nach Form der GN eine Immunstörung haben oder vor der Transplantation immunsuppressive Therapien erhalten haben. Zum anderen kann die Erkrankung nach Erhalt des Transplantats rezidivieren, was bei Patienten, bei denen die Transplantation aufgrund einer polyzystischen Nierenerkrankung (ADPKD) oder anderer angeborener Nierenerkrankungen erfolgt, nicht der Fall ist. Aus diesem Grund kann sich die Prognose von GN-Tx erheblich von der anderer nierentransplantierter Patienten unterscheiden.
Abb. 1: Anteil der Nierentransplantationen aufgrund einer Glomerulonephritis pro 100 Transplantationen (Tx) pro Jahr in der Swiss Transplant Cohort Study (STCS) zwischen 2008 und 2019
Epidemiologie und Prognose von GN-Tx
GN infolge einer IgAN sind der häufigste Grund für eine Nierentransplantation, gefolgt von der FSGS (Abb. 2). Zudem sind einige sehr seltene Erkrankungen wie etwa die C3-Glomerulopathien (C3G) (Inzidenz: 1 Fall/1000000 Patientenjahre) bei GN-Tx überproportional häufig anzutreffen, da sie mit einer ungünstigen Prognose und einem ESRD-Risiko von 50% verbunden sind.9,10
Abb. 2: Verteilung der Glomerulonephritis-Typen bei transplantierten Patienten der Swiss Transplant Cohort Study (STCS)
Einigen Studien zufolge ist die Langzeitprognose von GN-Tx weniger gut als die anderer Transplantationspatienten. So komme es bei ihnen häufiger zu einem Verlust des Transplantats. In einem italienischen Register wurde das Transplantatüberleben bei GN-Tx mit dem einer Kontrollgruppe verglichen, die hauptsächlich aus Patienten mit Refluxnephropathie oder ADPKD bestand; über den Beobachtungszeitraum von 20 Jahren lag das Überleben (um Todesfälle bereinigt) bei GN-Tx bei 49,5% und in der Kontrollgruppe bei 54,0% (p=0,001).11 Entsprechende Daten wurden auch über einen kürzeren Zeitraum im britischen Register beobachtet; nach 10 Jahren lag das Transplantatüberleben bei GN-Tx bei 75,6%, bei Patienten mit ADPKD bei 84,8% und bei Patienten mit Diabetes bei 71,0% (p= 0,001).12 Das Überleben der GN-Tx-Patienten selbst war jedoch länger als das bestimmter anderer Transplantierter, insbesondere das diabetischer Patienten, die zum Transplantationszeitpunkt häufig älter und polymorbid sind.11,12 Die vorläufige Analyse der Daten der Swiss Transplant Cohort Study (STCS) bestätigt diesen Altersunterschied zum Zeitpunkt der Transplantation (49,5 Jahre bei GN-Tx, 56,0 Jahre bei Patienten mit Transplantation aufgrund einer ADPKD und 59,0 Jahre bei Diabetes).
Da es sich bei den GN um eine Gruppe heterogener Erkrankungen handelt, sind bei ihrer separaten Analyse erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Prognose festzustellen. Das Überleben des Nierentransplantats nach 10 Jahren liegt bei den membranoproliferativen Glomerulonephritiden (MPGN) bei 53,6%, bei den extrakapillären GN (vorrangig Vaskulitiden im Zusammenhang mit Anti-Neutrophilen-Zytoplasma-Antikörpern [ANCA] und Antikörpern gegen die glomeruläre Basalmembran [GBM]) dagegen bei 80%. Verglichen mit den anderen GN-Tx ist das Risiko für einen Transplantatverlust bei Patienten mit Transplantation aufgrund einer MPGN dreimal höher (HR: 3,5; 95% CI: 1,87–6,00) und bei Patienten mit Transplantation aufgrund einer FSGS zweimal höher (HR: 2,39; 95% CI: 1,78–3,22). Das Überleben der Patienten ist mit Ausnahme der wegen MPGN transplantierten Patienten allerdings in allen betrachteten GN-Gruppen gleich.12
Rezidiv
Das kürzere Überleben des Nierentransplantats bei GN-Tx könnte zum Teil durch das Wiederauftreten der Erkrankung im Transplantat zu erklären sein. Die Rezidivrate, die je nach Studie unterschiedlich beziffert wird, liegt Schätzungen zufolge zwischen 10 und 40%.13–15 In der Swiss Transplant Cohort Study beläuft sich die Prävalenz von Rezidiven für alle GN zusammengenommen auf 17% und das Rezidivrisiko nach 12 Jahren beträgt 20%. Rezidive haben zudem erheblichen Einfluss auf die Prognose. So ist bei GN-Tx das Wiederauftreten der GN die häufigste Ursache für einen Verlust des Transplantats (bei 50% der Patienten im britischen Register und 80% in der STCS).12 Entsprechend ist das Risiko für einen Transplantatverlust in der Schweizer Kohorte bei Patienten mit rezidivierender GN dreimal höher als bei jenen mit nicht rezidivierender GN (OR: 2,8; 95% CI: 2,1–7,9; p=0,01). Ferner profitieren Patienten mit rezidivierender GN tendenziell nicht von dem Nutzen, der mit der Transplantation einer Lebendspende verglichen mit einer postmortalen Spende verbunden ist.11 Bei Patienten, die das erste Transplantat infolge eines Krankheitsrezidivs verloren haben, besteht zudem ein erhöhtes Risiko für ein erneutes Rezidiv nach einer zweiten Transplantation.15
Das Rezidivrisiko sowie die Zeit von der Transplantation bis zum Rezidiv hängen stark von der jeweils betrachteten GN ab. So scheint das Rezidivrisiko nach 5 Jahren bei Patienten mit IgAN höher zu sein (51%) als bei Patienten mit FSGS (35%). Diese Unterschiede könnten zum Teil mit der unterschiedlichen Definition des Rezidivs (histologisch versus klinisch) erklärt werden.13 Mit Blick auf die Zeit bis zum Rezidiv ist zu beobachten, dass diese bei Patienten mit FSGS in der Regel kurz ist (von Tag 1 bis 4 Jahre nach der Transplantation), wohingegen es bei IgAN währender gesamten Lebensdauer des Transplantats zu einem Rezidiv kommen kann.14
Die Risikofaktoren für ein Rezidiv konnten noch nicht eindeutig identifiziert werden. Mehreren Studien zufolge scheint das Rezidivrisiko bei Lebendspenden, insbesondere von Verwandten, jedoch erhöht zu sein, was auf einen Zusammenhang zwischen den genetischen HLA-Profilen und dem Rezidivrisiko hindeutet.16,17 Darüber hinaus besteht auch ein Zusammenhang zwischen Immunmechanismen und Rezidiven; so ergab eine aktuelle retrospektive Studie, dass das Rezidivrisiko bei GN-Tx mit IgAN, die Anti-HLA-Antikörper gegen das Transplantat aufwiesen, erhöht war.18 Und schliesslich scheint bei manchen GN nicht die klinische, sondern die immunologische Remission der Erkrankung (kein Nachweis von Antikörpern im Serum) in der Phase vor der Transplantation eine wichtige Rolle zu spielen. Es ist seit Langem erwiesen, dass nach negativem Test auf GBM-Antikörper noch mindestens sechs Monate bis zu einer möglichen Transplantation gewartet werden sollte. Bei Patienten mit extramembranöser Glomerulonephritis mit Anti-PLA2R-Antikörpern ist das Rezidivrisiko ebenfalls erhöht, wenn diese Antikörper zum Zeitpunkt der Nierentransplantation nachweisbar sind.19
Fazit
Patienten, die aufgrund einer Glomerulonephritis transplantiert werden, stellen eine besondere Untergruppe der Nierentransplantierten dar und benötigen besondere Aufmerksamkeit und Betreuung. Einige Besonderheiten, insbesondere mit Blick auf das Wiederauftreten der Erkrankung, wirken sich negativ auf die Prognose aus. Da es sich bei den GN um eine heterogene Gruppe von Erkrankungen handelt, ist es zudem wichtig, speziell auf die jeweilige Krankheitsform abgestimmte Kontroll- und Präventionsmassnahmen zu ergreifen. Wir hoffen, dass es durch die Analyse der STCS-Daten möglich sein wird, dieses Ziel zu erreichen und künftig Empfehlungen für die Versorgung transplantierter Patienten mit GN in der Schweiz zu erarbeiten.
Abb. 3: Patienten, die aufgrund einer Glomerulonephritis transplantiert werden, benötigen besondere Aufmerksamkeit und Betreuung
Literatur:
1 Wirta O et al.: Incidence of biopsy-proven glomerulonephritis. Nephrol Dial Transplant 2008; 23: 193-200 2 McGrogan A et al.: The incidence of primary glomerulonephritis worldwide: a systematic review of the literature. Nephrol Dial Transplant 2011; 26: 414-30 3 Park H et al.: Clinical outcomes of kidney transplantation in patients with biopsy-proven glomerulonephritis. Transplant Proc 2018; 50: 1009-12 4 Saran R et al.: US Renal Data System 2015 Annual Data Report: Epidemiology of kidney disease in the United States. Am J Kidney Dis 2016; 67: Svii, S1-305 5 Sim JJ et al.: End-stage renal disease and mortality outcomes across different glomerulonephropathies in a large diverse US population. Mayo Clin Proc 2018; 93: 167-78 6 Zaza G et al.; Triveneto‘ Register of Renal B: Incidence of primary glomerulonephritis in a large North-Eastern Italian area: a 13-year renal biopsy study. Nephrol Dial Transplant 2013; 28: 367-72 7 Nanchen G et al.: Incidence of glomerulonephritis in the Western part of Switzerland over the last decade. Swiss Med Wkl 2020; 150: w20353 8 Rosales BM et al.: Cancer mortality in kidney transplant recipients: An Australian and New Zealand population-based cohort study, 1980-2013. Int J Cancer 2020; 146: 2703-11 9 Halfon M et al.: [Complement system and kidney]. Rev Med Suisse 2021; 17: 383-8 10 Smith RJH et al.: C3 glomerulopathy - understanding a rare complement-driven renal disease. Nat Rev Nephrol 2019; 15: 129-43 11 Moroni G et al.: The impact of recurrence of primary glomerulonephritis on renal allograft outcome. Clin Transplant 2014; 28: 368-76 12 Pruthi R et al.: Long-term graft outcomes and patient survival are lower posttransplant in patients with a primary renal diagnosis of glomerulonephritis. Kidney Int 2016; 89: 918-26 13 Cosio FG, Cattran DC: Recent advances in our understanding of recurrent primary glomerulonephritis after kidney transplantation. Kidney Int 2017; 91: 304-14 14 Jiang SH et al.: Recurrent glomerulonephritis following renal transplantation and impact on graft survival. BMC Nephrol 2018; 19: 344 15 Lim WH et al.: Recurrent and de novo glomerulonephritis after kidney transplantation. Front Immunol 2019; 10: 1944 16 Berchtold L et al.: HLA-D and PLA2R1 risk alleles associate with recurrent primary membranous nephropathy in kidney transplant recipients. Kidney Int 2021; 99: 671-85 17 Rodas LM et al.: IgA nephropathy recurrence after kidney transplantation: role of recipient age and human leukocyte antigen-B mismatch. Am J Nephrol 2020; 51: 357-65 18 Uffing A et al.: Recurrence of IgA nephropathy after kidney transplantation in adults. Clin J Am Soc Nephrol 2021; 16: 1247-55 19Gupta G et al.: Pre-transplant phospholipase A2 receptor autoantibody concentration is associated with clinically significant recurrence of membranous nephropathy post-kidney transplantation. Clin Transplant 2016; 30: 461-9
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