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Getty Images/iStockphoto
Kommentar von Dr. phil. Martina Hubacher und Prof. Adam Czaplinsky
Leading Opinions
Autor:
Dr. phil. Martina Hubacher
Neurozentrum Bellevue<br> Zürich
Autor:
Prof. Dr. med. Adam Czaplinsky
Neurozentrum Bellevue<br> Zürich
30
Min. Lesezeit
30.08.2018
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<p class="article-content"><p>Fatigue ist bei der Beratung unserer Patienten mit Multipler Sklerose eines der am häufigsten besprochenen Symptome und viele der Betroffenen beschreiben diese als einen der belastendsten Faktoren in ihrem Alltag. Für die Patienten ist das diffuse Symptom oft schwer zu beschreiben und nicht betroffene Personen können die Problematik oft nur schwer nachvollziehen, sodass unsere Patienten immer wieder mit Kommentaren wie «Müde sind wir alle mal!» oder «Reiss dich nur noch kurz zusammen!» konfrontiert sind. Fatigue ist sehr variabel zwischen den Patienten und taucht früh im Verlauf der Erkrankung auf. Patienten mit einem «clinically isolated syndrome» berichten bereits von den Symptomen.<br /> Die Symptomatik ist nicht nur für die Patienten schwer zu beschreiben, es fehlte lange auch unter Fachpersonen an einer einheitlichen und sinnvollen Taxonomie. In der klinischen Praxis unterscheiden wir meist zwischen motorischen und kognitiven Aspekten der Fatigue und erfassen diese mittels Fragebögen. Hierbei erhalten wir eine anstrengungsunabhängige Einschätzung der Symptomatik im Alltag. Im Rahmen einer ausführlichen neuropsychologischen Untersuchung lassen sich Zeichen der Erschöpfungssymptomatik auch oft beobachten und zeigen sich in einer Verlangsamung in der Testperformanz zum Ende der Untersuchung hin, aber auch in manchmal subtilen Gangbildveränderungen, Veränderungen der Koordination oder verlangsamter Sprache.<br /> Die kürzlich erschienene Studie von Spiteri und Kollegen fokussierte auf die kognitive Fatiguesymptomatik. Die Autoren unterschieden hier, wie zuvor von Kluger und Kollegen<sup>1</sup> vorgeschlagen, zwischen einer anstrengungsunabhängigen Komponente der Fatigue, der «trait fatigue», erfasst mit Fragebögen, und einer anstrengungsabhängigen Ermüdbarkeit. Diese widerspiegelte sich in der Zunahme der Reaktionszeiten in einer Alertnessaufgabe nach geistiger Anstrengung. Dabei konnten sie zeigen, dass «trait fatigue» und Ermüdbarkeit mit unterschiedlichen neuronalen Korrelaten einhergehen. Die «trait fatigue» wurde bisher mit Veränderungen in einem striatal- thalamisch-frontal-kortikalen System in Zusammenhang gebracht. So konnte zum Beispiel kürzlich gezeigt werden, dass Patienten mit kognitiver Fatigue Veränderungen der fraktionellen Anisotropie und mittleren Diffusivität in thalamischen Regionen zeigen, nicht jedoch Patienten ohne Fatigue.<sup>2</sup> Weiter gibt es auch Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Fatigue und Veränderungen der funktionellen Konnektivität im Thalamus und im frontalen Kortex.<sup>3</sup> Die Arbeit von Spiteri und Kollegen ergänzt dieses Bild um eine Beteiligung von sensomotorischen Regionen und frontalen Arealen assoziiert mit Aufmerksamkeitskontrolle. Die Ermüdbarkeit, auf der anderen Seite, brachten die Autoren mit einem Abfall der Aktivierung in aufmerksamkeitsrelevanten Netzwerken in Verbindung. Teilweise ähnliche Resultate zeigten sich interessanterweise auch bei Patienten mit einem Schädelhirntrauma, welche unter Fatigue und einer gesteigerten Ermüdbarkeit leiden.<sup>4</sup><br /> Auch wenn über die zugrunde liegenden neuronalen Korrelate noch kein eindeutiger Konsens herrscht, unterstützt die Studie die Annahme, dass der anstrengungsunabhängigen «trait fatigue» und der anstrengungsabhängigen Ermüdbarkeit unterschiedliche pathophysiologische Mechanismen zugrunde liegen. Dies hat auch direkte Implikationen für die klinische Praxis, da es zeigt, dass diese beiden Aspekte der Fatigue im klinischen Alltag separat betrachtet und erfasst werden sollten.</p> <p>Lesen sie auch: <a href="1000000513">Neuronale Korrelate von belastungsabhängigen und -unabhängigen Komponenten von Fatigue</a></p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Kluger BM et al.: Fatigue and fatigability in neurologic illnesses: proposal for a unified taxonomy. Neurology 2013; 80(4): 409-16 <strong>2</strong> Wilting J et al.: Structural correlates for fatigue in early relapsing remitting multiple sclerosis. Eur Radiol 2016; 26(2): 515-23 <strong>3</strong> Nordin LE et al.: Post mTBI fatigue is associated with abnormal brain functional connectivity. Sci Rep 2016; 6: 21183 <strong>4</strong> Möller MC et al.: Fatigue and cognitive fatigability in mild traumatic brain injury are correlated with altered neural activity during vigilance test performance. Front Neurol 2017; 8: 496</p>
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