Primäre versus sekundäre Kopfschmerzen – wie erkennt man den Unterschied?
Medizinische Direktorin<br> LKH Wolfsberg<br> Fachärztin für Neurologie<br> Leitung Kopfschmerzambulanz <br> Klinikum Klagenfurt<br> Vizepräsidentin der Österreichischen Kopfschmerzgesellschaft<br> E-Mail: <a href="mailto:sonja-maria.tesar@kabeg.at">sonja-maria.tesar@kabeg.at</a>
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2500 vor Christus war der Glaube, Kopfschmerzen würden von bösen Wesen oder giftigen Dämpfen ausgelöst und Trepanationen würden zur Heilung führen. Fakt ist, 2020 sind wir in unserem Wissen über eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen deutlich weiter, dennoch ist z.B. die Migräne nach wie vor unterdiagnostiziert, obwohl viele Patienten Bildgebungen ihres Gehirns sinnloserweise förmlich sammeln. Doch wann sollte welcher Kopfschmerzpatient einem weiteren diagnostischen Schritt unterzogen werden?
Kopfschmerz ist neben Schwindel das häufigste neurologische Symptom bei einer akuten ärztlichen Konsultation. Ein Anspruch von uns Ärzten kann sein, aus dem Symptom eine Diagnose in Kenntnis der 200 klassifizierten Kopfschmerzarten nach der internationalen Kopfschmerzklassifikation (ICHD-3b ) zu stellen. Der wesentliche Punkt in der Behandlung dieser sich akut vorstellenden Patienten vor allem in der Notfallaufnahme ist jedoch anderswo zu machen, nämlich in der klaren Unterscheidung eines primären Kopfschmerzes und damit einer eigenständigen Erkrankung von einem sekundären Kopfschmerz mit gegebenenfalls auch lebensbedrohlichen Folgen bei Nichterkennen.
Gleich vorweg: So folgenreich ein sekundärer Kopfschmerz als Symptom einer gefährlichen Erkrankung sein kann, so relativ selten ist er im Vergleich zur Prävalenz von Kopfschmerzen an sich. Weltweit schätzen Neurologen, dass 18% aller Kopfschmerzpatienten eine sekundäre Ursache haben, die Studiendaten variieren zwischen 2,1% in einer norwegischen Untersuchung und 12,9% in einer chinesischen Analyse, wobei bei beiden Studien der Medikamentenübergebrauchskopfschmerz („medication overuse headache“, MOH) der häufigste war. Dieser wiederum ist Folge eines primären Kopfschmerzes, ganz häufig einer Migräne, und damit abgesehen vom Leidensdruck des Patienten und den Folgen z.B. für Niere und Leber als nicht lebensbedrohlich einzustufen, also insgesamt eine durchaus beruhigende Ausgangssituation.
Selbstverständlich ist es keine Voraussetzung, alle 200 Kopfschmerzarten im Detail zu kennen, um Patienten in der Akutsituation adäquat zu managen, die Kenntnis der 4 Gruppen primärer Kopfschmerzen ist jedoch sehr wohl von Vorteil: Migräne, Spannungskopfschmerz, trigemino-autonome Kopfschmerzen sowie die sogenannten „anderen primären Kopfschmerzen“ (Tab. 1). Jeder Kopfschmerz, der nicht in die Beschreibung dieser 4 primären Kopfschmerzen passt, ist ein sekundärer und damit potenziell bedrohlicher Kopfschmerz.
Tab. 1: Übersicht über die vier wesentlichen primären KopfschmerzerkrankungenTab. 2: SNOOP-10-Liste
Um das schnelle Herausfiltern zu erleichtern und sinnlose Diagnostik zu vermeiden, wurde auf Basis von SNOOP („Systemic symptoms/signs and disease, Neurologic symptoms or signs, Onset sudden or Onset after the age of 40 years, and change of headache Pattern“) SNOOP 10 (Tab. 2) entwickelt.
Tab. 2: SNOOP-10-Liste
Zu einzelnen Red Flags der Auflistung lässt sich Folgendes exzerpieren:
Die Kombination Fieber und Kopfschmerz hat eine hohe Sensitivität für eine neurologische Infektion, die Spezifität jedoch ist gering. Beide Symptome in gemeinsamer Präsentation sind jedenfalls alarmierend und bedürfen einer weiteren spezifischen (Zusatz-)Abklärung, je nach neurologischem Status mittels zerebraler Bildgebung und Lumbalpunktion.
Während unsere Patienten bei rezidivierenden Kopfschmerzen oftmals einen Hirntumor fürchten, ist die Rate, tatsächlich einen solchen zu finden, unter 0,1%. Dies ändert sich, sobald in der Anamnese ein Karzinom eruierbar ist, vor allem der Organe Lunge, Mamma oder bei einem malignem Melanom. In einer Studie konnten die Autoren 4 Faktoren ermitteln, die bei onkologischen Patienten wegweisend für eine intrazerebrale Metastase bei neu aufgetretenem Kopfschmerz sind: pulsatile Qualität des Schmerzes bei moderater bis schwerer Intensität, Erbrechen, Gleichgewichtsstörung und positiver Babinski-Reflex. Jedenfalls lässt sich sagen, dass bei Patienten mit einem Karzinom und neu aufgetretenem Kopfschmerz innerhalb der letzten 10 Wochen und oben erwähnten Prädiktionsfaktoren unbedingt eine zerebrale Bildgebung mittels eines zerebralen MRT gemacht werden muss.
Kopfschmerz gepaart mit neurologischen Defiziten kennen wir bei Patienten mit einer Migräne mit Aura, aber auch z.B. bei zerebralen Blutungen. Bei einem Viertel aller zerebralen Blutungen und ischämischen Infarkte beklagen Patienten auch Kopfschmerzen.
Ein weiteres Alarmzeichen ist der abrupte Beginn des Kopfschmerzes, Stichwort Donnerschlagkopfschmerz: Nach der ICHD-3-Klassifikation versteht man darunter einen Kopfschmerz, der seine maximale Intensität innerhalb einer Minute entwickelt. Die Kombination aus Nackenschmerzen bis hin zur Steifheit, Bewusstseinsverlust, wenn auch nur passager, Auftreten bei Anstrengung und Alter über 40 zeigt eine Sensitivität von knapp 99% bei einer Spezifität von knapp 28 % für eine Subarachanoidalblutung (SAB). Kommt zu diesem Symptomenkomplex noch ein Donnerschlagkopfschmerz in der Anamnese hinzu, steigt die Sensitivität auf 100%, während die Spezifität jedoch sinkt. Wesentlich ist, dass ein echter Donnerschlagkopfschmerz das einzige Symptom einer SAB sein kann und damit definitiv eine Red Flag darstellt.
Treten Kopfschmerzen erstmalig auf, insbesondere im Alter von über 65 Jahren, verändern sich bei bekannter Kopfschmerzanamnese Dauer, Intensität und Art des Schmerzes oder tritt der Kopfschmerz beim Husten auf, dann sollte dieses Alarmzeichen Grund genug sein, eine weitere bildgebende Abklärung zu veranlassen.
Ebenso muss eine Diagnostik zusätzlich zur Anamneseerhebung und klinisch-neurologischen Untersuchung erfolgen, wenn der Kopfschmerz beim Lagewechsel aus dem Liegen in die aufrechte Körperposition entsteht. Hier könnte eine idiopathische intrakranielle Hypertension ursächlich sein, diese bedarf zwingend einer Diagnostik und vor allem einer spezifischen Therapie.
Wie bereits einleitend erwähnt, ist der häufigste sekundäre Kopfschmerz der MOH. Er kann bei jeder zugrunde liegenden primären Kopfschmerzerkrankung entstehen, wobei er bei Migränepatienten wesentlich häufiger auftritt als z.B. bei Clusterkopfschmerzpatienten, die sehr oft bei ihren Kopfschmerzepisoden einen sehr starken Triptanmissbrauch betreiben. Es gibt kein Analgetikum, zu dem kein MOH beschrieben ist. Bei Triptanen lag die Zeit bis zur Entwicklung eines MOH im Durchschnitt bei 1,7 Jahren, bei Ergotaminen bei 2,7 Jahren und bei NSAR sogar bei 4,8 Jahren. In Diskussion steht derzeit, wie die therapeutische Vorgehensweise gewählt werden soll: abruptes Absetzen versus restriktive Einnahme, Entzug plus Prophylaxe oder parallel, stationärer versus ambulanter Entzug.
Die Kenntnis der zugrunde liegenden Erkrankung, vor allem eben der Migräne, ist daher im Fall des MOH als eines sekundären Kopfschmerzes tatsächlich sehr von Vorteil, da sich auch in therapeutischer Hinsicht durch die Entwicklung der monoklonalen CGRP-Antikörper ein Meilenstein in der Prophylaxe der Migräne, nämlich erstmalig ein spezifischer Ansatz, gefunden hat. Nicht zu vergessen an dieser Stelle sind jedoch auch die multimodalen Therapieansätze, die sich auch beim MOH als sehr wirksam erwiesen haben.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass einerseits die Kenntnis der SNOOP-10-Auflistung und damit der Red Flags bei der Abklärung von Kopfschmerzen vor allem in der Akutsituation hilfreich dabei ist, sekundäre Ursachen strukturiert und schnell abzuhandeln, es andererseits leider nach wie vor so ist, dass die Volkskrankheit Migräne, mit Prävalenzdaten bei Frauen bis zu 20%, unterdiagnostiziert und damit untertherapiert ist – ein Hauptgrund, warum der häufigste sekundäre Kopfschmerz, der MOH, den Platz eins im Ranking der sekundären Kopfschmerzen überhaupt einnehmen kann. Dass es zur genauen Diagnostik der primären Kopfschmerzen spezifische Kenntnisse der Klassifikation und natürlich auch genügend Zeit für eine ausführliche Anamnese braucht, ist unumstritten – weiteres Engagement in Richtung Fortbildung der jungen und interessierten Kollegen ist absolut vonnöten und derzeit auch seitens der österreichischen Kopfschmerzgesellschaft für die nahe Zukunft in Planung, denn unsere Patienten müssen zukünftig besser diagnostisch zugeordnet und behandelt werden und sinnlose diagnostische Maßnahmen gehören einfach vermieden.
Literatur:
bei der Verfasserin
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