Real-World-Daten: CGRP-Antikörper in der Langzeitprophylaxe bei Migräne
Bericht:
Hanna Gabriel, BA, MSc
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Antikörper gegen «calcitonin gene-related peptide» (CGRP) oder seinen Rezeptor haben die Migräneprophylaxe auf ein neues Niveau gehoben. Wir geben hier einen Überblick über die Datenlage zur Langzeittherapie mit Fremanezumab1,einem der Wirkstoffe aus der vielversprechenden Gruppe der CGRP-gerichteten Antikörper.
Keypoints
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Fremanezumab, ein monoklonaler Antikörper gegen CGRP, hat sich als effektive Langzeitbehandlung und Prophylaxe bei episodischer und chronischer Migräne etabliert.
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Real-World-Daten belegen die langfristige Wirksamkeit über einen Zeitraum von bis zu 15 Monaten mit einer signifikanten Reduktion der Zahl der monatlichen Migränetage.
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Rund ein Drittel der Patient:innen, die zu Beginn nicht auf CGRP-gerichtete Antikörper ansprechen, zeigt nach 24 Wochen oder später eine signifikante Reduktion der Migränetage, was die Bedeutung einer längeren Therapiedauer unterstreicht.
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Studienergebnisse zeigen, dass eine Unterbrechung der Fremanezumab-Therapie zu einem Anstieg der Zahl der Migränetage führt. Das könnte für eine kontinuierliche Behandlung sprechen.
Das Neuropeptid CGRP wirkt gefässerweiternd und spielt eine zentrale Rolle in der Pathophysiologie der Migräne.1 Es steigt bei Migräneattacken an und bei chronischer Migräne bleiben die CGRP-Spiegel dauerhaft erhöht. Diese Erkenntnisse haben dazu geführt, CGRP als therapeutischen Angriffspunkt zu nutzen.
Triptane, die akut bei Migräneanfällen eingesetzt werden, hemmen die Freisetzung von CGRP. Ausserdem wurden in den letzten Jahren neben CGRP-Antagonisten auch monoklonale Antikörper (mAb) entwickelt und auf den Markt gebracht, die sich gegen CGRP oder seinen Rezeptor richten: Eptinezumab, Fremanezumab, Galcanezumab (Anti-CGRP) und Erenumab (Anti-CGRP-Rezeptor). Sie erweitern massgeblich das Repertoire der üblichen präventiven Medikation bestehend aus Betablockern, Kalziumantagonisten/Benzocyclohepten, Antidepressiva und Antikonvulsiva.1,2
Verschreibungspraxis und Einsatzgebiet
CGRP-gerichtete mAb dürfen in der Schweiz nur von Neurolog:innen verschrieben werden.
Sie kommen zur prophylaktischen Behandlung der Migräne sowohl bei episodischer als auch chronischer Migräne zum Einsatz, wenn Patient:innen mindestens drei Migräneattacken (oder mehr als fünf Migränetage) pro Monat haben. In der Langzeitprophylaxe werden sie in Kombination mit nichtmedikamentösen Massnahmen verordnet, darunter aerobes Ausdauertraining, psychotherapeutische Begleitung, Entspannungstherapie oder Akupunktur.2
CGRP-gerichtete mAb ermöglichen eine Ausweitung der Therapiedauer, oft über einen Zeitraum von mehr als 12 Monaten, was mit bisherigen Standardtherapien nicht möglich war.3 Durch die effektive und nachhaltige Reduktion der Zahl der Migränetage haben sie die Prophylaxe entscheidend verändert. Ihre Wirkung wird nun in zahlreichen Studien unter realen Bedingungen auf die Probe gestellt.
Ein Vertreter dieser Gruppe ist Fremanezumab. Der humanisierte monoklonale IgG2Δa/kappa-Antikörper bindet sowohl die α- als auch die β-Isoform von CGRP und verhindert dessen Bindung an den CGRP-Rezeptor. Der Antikörper ist in der Schweiz seit 2019 unter dem Handelsnamen AJOVY® zugelassen. Das Präparat wird als Injektionslösung subkutan appliziert, wobei die empfohlene Dosierung entweder 225mg einmal im Monat oder 675mg einmal alle drei Monate beträgt. Zu den häufigsten Nebenwirkungen gehören Reaktionen an der Injektionsstelle, wie Schmerzen, Verhärtungen und Hautrötungen.1
Spätresponder profitieren von Langzeittherapie
Fast 60% der Patient:innen, die einen der CGRP-gerichteten mAb erhalten, können die Zahl ihrer monatlichen Migränetage (MMD) nach 12-wöchiger Behandlung um die Hälfte oder mehr reduzieren.4 Es gibt jedoch auch eine Gruppe von Patient:innen, bei denen eine Wirkung erst nach längerer Behandlungsdauer zu erzielen ist, wie Studien bestätigen.
In einer kürzlich publizierten Arbeit von Barbanti et al. wurden die Ansprechraten von Patient:innen analysiert, die mit verschiedenen CGRP-Antikörpern (Eptinezumab, Fremanezumab, Galcanezumab) behandelt wurden.4 Es zeigte sich, dass 60,5% der Patient:innen bereits nach 12 Wochen auf die Behandlung ansprachen, allerdings wurden weitere 15% als späte Responder (nach 24 Wochen) und 15,7% als ultraspäte Responder (nach >24 Wochen) klassifiziert. Bei 8,7% der Patient:innen zeigte die Behandlung auch nach 48 Wochen keine Wirkung.
Ultraspäte Responder unterschieden sich von Respondern durch eine Reihe von Merkmalen: höherer Body-Mass-Index, längere Dauer des Medikamentenübergebrauchs, geringere Schmerzintensität nach numerischer Ratingskala (NRS), geringere Einschränkung nach Headache-Impact-Test (HIT-6), höhere Inzidenz dopaminerger Symptome, seltener einseitige Schmerzen, Allodynie und höhere Anzahl an Komorbiditäten (auch psychiatrische).
Laut Barbanti et al. legen die Studienergebnisse nahe, die Dauer der Migräneprophylaxe und die Definition von resistenter und refraktärer Migräne zu überdenken.4 So wird üblicherweise nach 2 bis 3 Monaten das Ansprechen auf die Therapie beurteilt. Laut Fachinformation ist bei mangelndem Therapieansprechen beziehungsweise spätestens nach 12 Monaten eine Reevaluation zur Fortführung der Therapie vorzunehmen.1
Real-World-Daten bestätigen Wirksamkeit
Die FRIEND3-Studie, eine 2024 veröffentlichte Real-World-Datenanalyse, untersuchte die Langzeitwirkung von Fremanezumab über einen Zeitraum von ≥48 Wochen bei 533 Patient:innen in 24 Kopfschmerzzentren.3 Fremanezumab reduzierte die MMD bei hochfrequenter episodischer Migräne (HFEM) um 6,4 Tage und die Anzahl der monatlichen Kopfschmerztage (MHD) bei chronischer Migräne (CM) um 16,5 Tage. Weitere positive Effekte zeigten sich in der Reduktion des Analgetikaverbrauchs sowie der Kopfschmerzschwere (gemessen mit NRS) und der Verbesserung der Lebensqualität (HIT-6 und MIDAS-Score).
In diesem Jahr wurden zudem Daten der PEARL-Studie präsentiert, einer prospektiven 24-monatigen Phase-IV-Studie zur Wirksamkeit und Verträglichkeit von Fremanezumab.5 Eine Interimsanalyse, die auf dem diesjährigen Kongress der European Academy of Neurology (EAN) vorgestellt wurde, bestätigte die Wirksamkeit der Therapie: Von insgesamt 1140 Patient:innen mit EM oder CM erreichten 57,4% nach 6 Monaten Behandlung eine Reduktion der Zahl der monatlichen Migränetage um ≥50% und der Effekt hielt über 15 Behandlungsmonate konstant an (Abb. 1).6
Abb. 1: Anteil der Teilnehmenden mit ≥ 50% Reduktion der Zahl der monatlichen Migränetage (MMD) 6 Monate nach Initiation von Fremanezumab (mod. nach Ashina et al. 2024)6
Andere Subanalysen der PEARL-Studie, die auf dem Kongress der EAN präsentiert wurden, zeigten, dass 34,8% der Patient:innen, die auf Fremanezumab umgestellt worden waren, innerhalb von 6 Monaten eine Reduktion der MMD um ≥50% erzielten, 58% erreichten eine Reduktion der MMD um ≥30%.7 Mehr als 40% der Teilnehmenden, die ihre Behandlung mit Fremanezumab unterbrachen, erlitten danach einen Anstieg der MMD um ≥50% und zeigten nach Wiederaufnahme der Behandlung in den ersten drei Monaten eine geringere Wirksamkeit, was nach Ansicht der Autor:innen für eine kontinuierliche Behandlung spricht.8
Fazit
Fremanezumab stellt wie andere CGRP-gerichtete mAb eine hochwirksame Option für die Langzeitprophylaxe der Migräne dar. Die vorliegenden Daten aus der Praxis bestätigen die Wirksamkeit und legen nahe, dass es noch Potenzial gibt, den langfristigen Nutzen von Fremanezumab voll auszuschöpfen.
Literatur:
1 Fachinformation AJOVY®, Stand April 2024 2 Schweizerische Kopfwehgesellschaft: Therapieempfehlungen für primäre Kopfschmerzen. 11.1, vollständig überarbeitete Auflage 2023: https://www.headache.ch/fileadmin/user_upload/Dokumente/Portrait/Therapiekommission/PDFs/Therapieempfehlungen_2023_11.1.pdf (Zugriff: Oktober 2024) 3 Barbanti P et al.: Assessing the long-term (48-week) effectiveness, safety, and tolerability of fremanezumab in migraine in real life: insights from the multicenter, prospective, FRIEND3 study. Neurol Ther 2024; 13(3): 611-24 4 Barbanti P et al.: Ultra-late response (>24 weeks) to anti-CGRP monoclonal antibodies in migraine: a multicenter, prospective, observational study. J Neurol 2024; 271(5): 2434-43 5 Ashina M et al.: PEARL study protocol: a real-world study of fremanezumab effectiveness in patients with chronic or episodic migraine. Pain Manag 2021; 11(6): 647-54 6 Ashina M et al.: Real-world effectiveness and safety of fremanezumab in migraine: 4th interim analysis of the pan-european PEARL study. Presented at EAN Congress 2024, Helsinki, Finland 7 Amin FA et al.: Real-world effectiveness of switching to fremanezumab from other CGRP pathway mAbs: PEARL Study 4th interim analysis. Presented at EAN Congress 2024; Helsinki, Finland 8 Mitsikostas D et al.: Impact of fremanezumab cessation and reinitiation in migraine management: PEARL study 4th interim analysis. Presented at EAN Congress 2024; Helsinki, Finland
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