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Schlaf und psychische Resilienz

<p class="article-intro">Ein erholsamer Schlaf ist wichtig für Wohlbefinden und psychische Gesundheit. Der physiologische Offline-Modus des Gehirns im Schlaf dient dazu, Erlebnisinhalte des Tages zu verarbeiten und Ressourcen für die nachfolgende Wachzeit wieder bereitzustellen. Anhand von zentralen Hypothesen der neurobiologischen Forschung soll dargelegt werden, warum Schlaf für die Hirnfunktionen essenziell ist und wie Schlafstörungen psychische Funktionen beeinträchtigen können.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Schlaf dient der Hom&ouml;ostase und Regeneration des Gehirns.</li> <li>Lernprozesse werden durch den Schlaf unterst&uuml;tzt.</li> <li>Schlaf ist wichtig f&uuml;r die Emotions- und Stressverarbeitung.</li> <li>Schlaf dient der Hirnreifung und wirkt langfristig neuroprotektiv.</li> <li>Erholsamer Schlaf ist eine wichtige Ressource und sollte in Therapiekonzepten unbedingt ber&uuml;cksichtigt werden.</li> </ul> </div> <p>Schlafst&ouml;rungen geh&ouml;ren zu den h&auml;ufigsten Gesundheitsproblemen in der Bev&ouml;lkerung. Der chronisch nicht erholsame Schlaf f&uuml;hrt zu erh&ouml;hter Tagesm&uuml;digkeit, einer Beeintr&auml;chtigung der Psychomotorik, Verstimmungen und Einbussen der kognitiven Leistungsf&auml;higkeit.<sup>1</sup> Betroffene f&uuml;hlen sich in ihrem Sozialleben beeintr&auml;chtigt, es besteht eine erh&ouml;hte Unfallgefahr, und nicht zuletzt ist die Insomnie ein Risiko f&uuml;r die Entwicklung von psychiatrischen Krankheiten wie Depressionen und Angstst&ouml;rungen. Diese Beobachtungen legen nahe, dass der physiologische Schlaf wichtige Funktionen f&uuml;r den Erhalt der psychischen Gesundheit erf&uuml;llt.</p> <h2>Schlafen, um zu vergessen</h2> <p>Nach Tononi und Cirelli<sup>2</sup> ist der Schlaf der Preis f&uuml;r die Neuroplastizit&auml;t. Der Schlaf ist an einem zentralen Hom&ouml;ostaseprozess beteiligt: Im Verlauf der Wachzeit des Tages nehmen infolge von Lernprozessen St&auml;rke und Zahl der Synapsen stetig zu. Dies kostet das Gehirn Energieund Raumressourcen, die nicht unbegrenzt zur Verf&uuml;gung stehen. Am Ende der Wachphase wird ein S&auml;ttigungspunkt erreicht, eine anschliessende Regenerationsphase ist notwendig. Der Schlaf bietet dazu ideale Bedingungen: Die allgemeine Herunterregulierung der Synapsen f&uuml;hrt dazu, dass schwache Synapsen wieder aufgel&ouml;st werden, w&auml;hrend st&auml;rkere erhalten bleiben. Damit werden Energie- und Raumressourcen frei, die f&uuml;r neue Synapsenbildungen am n&auml;chsten Tag zur Verf&uuml;gung stehen. Durch diesen n&auml;chtlichen Aufr&auml;umprozess werden auch Lernvorg&auml;nge unterst&uuml;tzt, indem durch ein verbessertes Signal-/ Rauschverh&auml;ltnis relevante Netzwerke unterst&uuml;tzt werden und irrelevante verschwinden.<br /> Diese sogenannte synaptische Hom&ouml;ostasehypothese konnte durch pr&auml;klinische Forschung untermauert werden. So konnte beispielsweise gezeigt werden, dass bei M&auml;usen die synaptische St&auml;rke im pr&auml;frontalen Kortex im Wachzustand zunimmt und w&auml;hrend des Schlafs abnimmt.<sup>3</sup> Das Gleiche konnte f&uuml;r das Wachstum von Dendriten und deren Forts&auml;tzen im somatosensorischen Kortex von M&auml;usen gezeigt werden.<sup>4</sup></p> <h2>Lernen im Schlaf</h2> <p>Wie wertvoll gesunder Schlaf f&uuml;r Lern- und Ged&auml;chtnisprozesse ist, zeigen zahlreiche Studien zur Ged&auml;chtniskonsolidierung im Schlaf.<sup>5</sup> Explizite Lerninhalte, die am Tag eingepr&auml;gt worden sind, werden durch den darauffolgenden Schlaf konsolidiert und dauerhaft abgespeichert. Dies erkl&auml;rt, warum der Abruf von Gelerntem nach einer Schlafphase besser ist als unmittelbar nach dem Einpr&auml;gen. Diese Ged&auml;chtniskonsolidierung findet vor allem im Tiefschlaf statt, wobei durch eine Reaktivierung tempor&auml;rer hippocampaler Netzwerke im Schlaf Ged&auml;chtnisspuren in stabile kortikale Netzwerke &uuml;bertragen werden. F&uuml;r diesen Prozess sind die g&uuml;nstigen Offline-Bedingungen des Tiefschlafs entscheidend, in dem minimale Acetylcholin- und Cortisolkonzentrationen hippocampale Netzwerke enthemmen und neuroplastische Prozesse im Neokortex durch ein synchrones Zusammenspiel von &laquo;slow oscillations&raquo;, &laquo;sharp wave/ripple events&raquo; und thalamokortikalen Spindeln unterst&uuml;tzt werden.<sup>6</sup> Die Bedeutung des Tiefschlafs f&uuml;r das abrufbare (= deklarative) Ged&auml;chtnis konnte z.B. in einer Studie nachgewiesen werden, als visuell-r&auml;umliche Stimuli beim Lernen mit einem Geruch gekoppelt wurden und dieser Geruch im Tiefschlaf erneut dargeboten wurde. Dadurch konnte eine Aktivierung derselben neuronalen Netzwerke wie im Wachen beobachtet werden, was mit der Tiefschlaf-assoziierten Ged&auml;chtniskonsolidierung korrelierte. Am n&auml;chsten Tag war der Abruf der Ged&auml;chtnisinhalte tats&auml;chlich besser als ohne spezifische Geruchsexposition im Tiefschlaf.<sup>7</sup></p> <h2>Emotionsverarbeitung im Schlaf</h2> <p>Der Schlaf spielt nicht nur f&uuml;r das deklarative semantische Ged&auml;chtnis eine Rolle, sondern auch f&uuml;r die Erinnerung und Verarbeitung von emotionalen Attributionen. Diesbez&uuml;glich scheint der REM-Schlaf von besonderer Bedeutung zu sein.<sup>8, 9</sup> Durch Aktivierung von Netzwerken emotionaler Ged&auml;chtnisinhalte im REM-Schlaf k&ouml;nnen bei gleichzeitiger Hemmung der Amygdala emotional geladene Ged&auml;chtnisinhalte als semantisches, deklaratives Ged&auml;chtnis abgespeichert werden, w&auml;hrend das dazu geh&ouml;rende emotionale Arousal durch die besondere Hemmung der Amygdala im REM-Schlaf langsam verblasst. Es findet quasi eine emotionale &laquo;Entmantelung&raquo; des Ged&auml;chtnisses statt, was speziell f&uuml;r traumatische Erinnerungen von besonderer, quasi therapeutischer Bedeutung sein k&ouml;nnte.<sup>10</sup></p> <h2>Schlaf dient der Stresstoleranz</h2> <p>Die Ged&auml;chtnis- und Emotionsverarbeitung im Schlaf wie auch die Bereitstellung kognitiver Ressourcen dienen nicht zuletzt der Stressverarbeitung. Zwar k&ouml;nnen Stressbelastungen jeglicher Art den Schlaf st&ouml;ren. Andererseits hat der Schlaf eine stressverarbeitende oder -abpuffernde Wirkung. In Studien an Gesunden konnte gezeigt werden, dass guter Schlaf davor sch&uuml;tzt, dass Stressbelastungen am folgenden Tage zu negativem Affekt f&uuml;hren.<sup>11, 12</sup> Erholsamer Schlaf erh&ouml;ht die Stresstoleranz, indem er die Impulskontrolle verbessert.<sup>13, 14</sup> Auch die kognitive Flexibilit&auml;t, wie sie zum Beispiel in der &laquo;Acceptance &amp; commitment&raquo;-Therapie (ACT) gest&auml;rkt wird, scheint von gesundem Schlaf zu profitieren.<sup>15</sup> Der Schlaf hat damit synergistische Funktionen.</p> <h2>Auswirkungen von schlechtem Schlaf</h2> <p>Schlafentzug oder eine chronische Insomnie f&uuml;hren in der Regel zu einem negativen Bias von Kognitionen und Evaluationen.<sup>16, 17</sup> Personen mit einem Schlafdefizit gewichten neutrale und positive Stimuli geringer, w&auml;hrend sie negative Stimuli gleich werten wie ausgeschlafene Personen.<sup>18</sup> Dadurch gibt es eine Verzerrung hin zu negativen Wertungen. Auch zeigen Patienten mit einer Insomnie eine schlechtere F&auml;higkeit zur Kontrolle ihrer Gedanken und mehr negative Affektivit&auml;t als Gesunde.<sup>19</sup> Schlafentzug beeintr&auml;chtigt auch die Enkodierung emotionaler Information sowie den Prozess der emotionalen Ged&auml;chtniskonsolidierung.<sup>9</sup> Die Auswirkungen von schlechtem Schlaf auf die Emotionsregulation haben Palmer et al. in einer integrativen &Uuml;bersichtsarbeit differenziert dargestellt:<sup>20</sup> Menschen mit Insomnie nehmen weniger oft an positiven Aktivit&auml;ten teil, sodass sie eher unter einem Verst&auml;rkerdefizit leiden. Insomnie beeintr&auml;chtigt die M&ouml;glichkeiten, positiv auf Situationen einzuwirken, da die Entscheidungsf&auml;higkeit, die Impulskontrolle, die Produktivit&auml;t, die Kreativit&auml;t und die Frustrationstoleranz geschw&auml;cht sind. Insomnie f&uuml;hrt zu einer negativen Verschiebung der Aufmerksamkeit mit dem besagten Bias. Schliesslich kommt es darunter h&auml;ufiger zur Beeintr&auml;chtigung der kognitiven Leistungsf&auml;higkeit. Diese nachteilige Auswirkung von Schlafst&ouml;rungen auf die emotionale und kognitive Leistungsf&auml;higkeit erh&ouml;ht das Risiko, eine Depression zu entwickeln. Nicht zuletzt wirken sich diese St&ouml;rungen auch auf zwischenmenschliche Beziehungen negativ aus. Als Beispiel sei die verz&ouml;gerte Entwicklung der postpartalen Mutter- Kind-Bindung bei schlafdeprivierten M&uuml;ttern genannt.<sup>21</sup></p> <h2>Schlaf unterst&uuml;tzt die kindliche Entwicklung</h2> <p>Neben den unmittelbaren Auswirkungen des Schlafes auf die psychischen Funktionen hat der Schlaf auch langfristige Effekte auf die psychische Resilienz. Die Bedeutung des Schlafes f&uuml;r die kindliche Entwicklung ist bisher noch wenig verstanden. Der Schlafbedarf ist bei Kleinkindern viel h&ouml;her, und der Zusammenhang zwischen gutem Schlaf und Emotionen sowie Verhalten ist besonders ausgepr&auml;gt.<sup>22, 23</sup> In einer Kohortenstudie an Kindergartenkindern konnte gezeigt werden, dass dieser Zusammenhang auch pr&auml;diktiv ist f&uuml;r die sp&auml;tere emotionale Resilienz und mentale St&auml;rke.<sup>24, 25</sup> Daher darf der Schlaf auch als Quelle von Biomarkern sp&auml;terer mentaler Gesundheit angesehen werden. Es konnte beispielsweise gezeigt werden, dass Schlaf- EEG-Spindeln bei F&uuml;nfj&auml;hrigen, welche Indikatoren f&uuml;r eine gute Konnektivit&auml;t sind, mit funktionellerem Stresscoping und prosozialem Verhalten korrelieren und auch longitudinal positives emotionales Verhalten vorhersagen k&ouml;nnen.<sup>26&ndash;28</sup></p> <h2>Schlaf wirkt neuroprotektiv</h2> <p>Im sp&auml;teren Lebensalter d&uuml;rften die neuroprotektiven Wirkungen des Schlafes f&uuml;r den Erhalt der kognitiven Leistungsf&auml;higkeit besonders relevant sein. Xie et al.<sup>29</sup> konnten zeigen, dass w&auml;hrend des Schlafs ein reger Austausch interstitieller und zerebrospinaler Fl&uuml;ssigkeit stattfindet, die sogenannte glymphatische Clearance. Die konvektiven Str&ouml;me interstitieller Fl&uuml;ssigkeit w&auml;hrend des Schlafes verst&auml;rken die Beseitigung von potenziell toxischen Proteinen wie &beta;-Amyloid, welches auch bei der Entstehung von Alzheimer eine Rolle spielt.<sup>30</sup> Die Clearance ist w&auml;hrend des Schlafs ungef&auml;hr doppelt so gross wie im Wachzustand.<sup>31</sup> So k&ouml;nnte also die restaurative Funktion des Schlafes auch eine Konsequenz der verst&auml;rkten Beseitigung von potenziell neurotoxischen Abfallprodukten sein, welche sich tags&uuml;ber im Nervensystem ansammeln.<br /> Andererseits k&ouml;nnte eine gest&ouml;rte glymphatische Clearance beim Abbau der kognitiven Leistungsf&auml;higkeit im Alter und bei der Pathogenese von neurodegenerativen Krankheiten eine Rolle spielen. In diesem Zusammenhang wird vermutet, dass eine chronische Insomnie die Selbstreinigung des Gehirns relevant beeintr&auml;chtigt und damit auch die Hirnalterung beg&uuml;nstigt.<sup>32</sup></p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Der Schlaf scheint f&uuml;r das psychische Wohlbefinden und die Leistungsf&auml;higkeit von essenzieller Bedeutung zu sein. Schlaf dient der Psychohygiene, der Wiederherstellung notwendiger Ressourcen, verbessert die Stressbew&auml;ltigung und unterst&uuml;tzt wichtige Lern- und Anpassungsprozesse. Er dient der Emotionsverarbeitung und hat damit auch therapeutische Wirkungen. Schlaf ist wichtig f&uuml;r die Aufrechterhaltung der Hom&ouml;ostase und Regeneration des Gehirns. In klinischen Zusammenh&auml;ngen sollte Schlaf als wichtige Ressource ber&uuml;cksichtigt werden und der F&ouml;rderung oder Wiederherstellung von gesundem Schlaf eine hohe Priorit&auml;t beigemessen werden.</p> <p>&nbsp;</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Neuro_1802_Weblinks_s32_abb1_kor.jpg" alt="" width="2148" height="1304" /></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Riemann D et al.: European Guideline for the diagnosis and treatment of insomnia. J Sleep Res 2017; 26: 675-700 <strong>2</strong> Tononi G, Cirelli C: Sleep function and synaptic homeostasis. Sleep Med Rev 2006; 10: 49-62 <strong>3</strong> Liu ZW et al.: Direct evidence for wake-related increases and sleep-related decreases in synaptic strength in rodent cortex. 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