©
Getty Images/iStockphoto
Wenn die Nacht zum Tag wird
Jatros
Autor:
Assoc. Prof. PD Dr. Stefan Seidel
Leiter des Schlaflabors<br> der Univ.-Klinik für Neurologie<br> Medizinische Universität Wien<br> E-Mail: stefan.seidel@meduniwien.ac.at
30
Min. Lesezeit
09.03.2017
Weiterempfehlen
<p class="article-intro">Schlafstörungen sind aufgrund der integralen Rolle von Dopamin in der Regulation des zirkadianen Rhythmus inhärente Störungen des Morbus Parkinson. Die REM-Schlaf-Verhaltensstörung, die Hypersomnie, Schlafapnoesyndrome und die Insomnie stellen die Hauptvertreter der Schlafstörungen in diesem Patientenkollektiv dar. Die exakte Diagnose und Therapie fußen auf einer ausführlichen (Außen-) Anamnese und dem Goldstandard der schlafmedizinischen Diagnostik, der Videopolysomnografie.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Störungen des Schlaf-wach- Rhythmus von Parkinsonpatienten stören sowohl die Lebensqualität der Betroffenen als auch die der Betreuungspersonen empfindlich.</li> <li>Neben medikamentöser Therapie sprechen pathophysiologische Überlegungen für den Einsatz von Chronotherapeutika (helles Licht am Morgen, Melatonin, Vermeidung von Tagschlaf).</li> <li>Die nächtliche CPAP-Maskenbeatmung stellt erwiesenermaßen eine effiziente Therapie der obstruktiven Schlafapnoe bei Parkinsonpatienten dar.</li> <li>Modafinil verringert in einer Dosierung von 200–400mg/d signifikant eine exzessive Tagesschläfrigkeit, wobei die Nebenwirkungen zumeist mild ausgeprägt sind.</li> </ul> </div> <h2>Schlafstörungen – signifikante Belastung im Alltag</h2> <p>Es gilt mittlerweile als bekannt, dass Patienten mit einem Morbus Parkinson überdurchschnittlich häufig von Störungen der Schlaf-Wach-Regulation betroffen sind. Je nach Studienlage finden sich bei 60–98 % der Patienten ein Schlafapnoesyndrom, eine REM-Schlaf-Verhaltensstörung (RBD) oder eine Insomnie bzw. Hypersomnie. Dadurch kommt es zu einer deutlichen Einschränkung der Lebensqualität nicht nur der Patienten, sondern auch der sogenannten „Caregiver“, also derjenigen, die die Patienten betreuen. In einer rezenten Arbeit konnte gezeigt werden, dass 40 % der Caregiver auch regelmäßig nachts aktiv zur Verfügung stehen und helfen und dass 20 % mehr als 12 Stunden pro Tag in der Betreuung tätig sind. Insgesamt wurden neben Störungen des vegetativen Nervensystems (v.a. Inkontinenz) Schlafstörungen als wichtigster Faktor hinsichtlich der „caregiver burden“, also der Belastung der Betreuungspersonen, angeführt.</p> <h2>Marker der Krankheitsprogression</h2> <p>Schlafstörungen werden in den letzten Jahren im Zusammenhang mit verschiedenen neurodegenerativen Erkrankungen wie z.B. dem „mild cognitive impairment“, der Demenz vom Alzheimertyp und dem Morbus Parkinson auf ihre Aussagekraft als Marker der Krankheitsprogression getestet. In einer Fall-Kontroll-Studie mit einer Follow-up-Dauer von 24 Monaten wurde ein Panel von 10 möglichen Markern analysiert. Darunter fanden sich die Scores der Epworth Sleepiness Scale (ESS) und des RBD Screening Questionnaire sowie die Prävalenz der RBD in der Polysomnografie (PSG). Mit der Krankheitsprogression kam es bei den Patienten zu einer signifikanten Verschlechterung in der ESS sowie im RBD Screening Questionnaire und zu einer Erhöhung der RBD-Prävalenz in der PSG. Somit bieten sich diese schlafbezogenen Parameter in Hinkunft als Marker der Krankheitsprogression bei Morbus Parkinson an.</p> <h2>Pathophysiologie der Schlafstörungen bei Morbus Parkinson</h2> <p>Dopamin spielt in der Regulation des zirkadianen Rhythmus eine wesentliche Rolle, indem es die rhythmische Expression von Melanopsin in retinalen Ganglienzellen reguliert und darüber das zirkadiane Entrainment moduliert. Durch Stimulation von D2-Rezeptoren wird weiters die Expression von zwei wesentlichen Clock-Genen (Per 1 und Per 2) im Striatum gesteuert. Dopamin reguliert die Aktivität des Heterodimers Bmal1/Clock, der wiederum die Transkription der Clock-Gene beeinflusst. Über die Stimulation von D4-Rezeptoren steuert Dopamin die zirkadiane Synthese des „Schlafhormons“ Melatonin.<br /> Patienten mit Morbus Parkinson zeigen einige signifikante Veränderungen, die zur Dysregulation des Schlaf-Wach- Rhythmus beitragen: Die Amplitude der zirkadianen Bmal1-Expression ist reduziert, die Cortisolspiegel sind erhöht und die Melatoninspiegel vermindert. MRTbasierte Studien konnten zeigen, dass es im Laufe der Erkrankung zu einer hypothalamischen Atrophie und dadurch zu einem Verlust von orexinergen Neuronen kommt bzw. die Melatoninspiegel direkt proportional zum Ausmaß der Atrophie abnehmen. In einer rezenten Arbeit konnte in einer Fall-Kontroll-Studie gezeigt werden, dass Parkinsonpatienten unter einer dopaminergen Therapie einerseits im Vergleich zu unbehandelten Patienten und Kontrollen signifikant höhere Gesamtmelatoninspiegel aufwiesen, jedoch andererseits einen signifikant größeren „entrainment phase angle“ hatten, d.h., dass der Zeitraum zwischen dem Beginn der abendlichen Melatoninsekretion und dem Schlafbeginn am größten war. Möglicherweise, so lassen es diese Ergebnisse vermuten, spielt die dopaminerge Therapie in der Entstehung von Schlafstörungen bei Parkinsonpatienten eine Rolle.</p> <h2>REM-Schlafverhaltensstörung („REM behaviour disorder“, RBD)</h2> <p>Das Konzept der sogenannten idiopathischen RBD (iRBD) ist mittlerweile nicht mehr aufrechtzuerhalten, da in der Vergangenheit bereits gezeigt werden konnte, dass RBD-Patienten im Zeitraum von ca. 10–15 Jahren nach der Diagnosestellung eine neurodegenerative Erkrankung entwickeln. Eine 2016 publizierte Studie präsentierte in einer retrospektiven Analyse den klinischen Verlauf von 203 Patienten mit einer „idiopathischen“ RBD (Abb. 1). Davon entwickelten 69 (34 % ) eine neurodegenerative Erkrankung. Die häufigsten Entitäten waren die Demenz mit Lewy-Körperchen (46 % ), Morbus Parkinson (32 % ) und ein „mild cognitive impairment“ (19 % ). Ebenfalls relevant erscheint die Information der Studienautoren, dass die meisten der RBD-Patienten von einer guten Schlafqualität berichteten und u.a. deswegen eine verlässliche Außenanamnese für die Diagnostik essenziell ist.<br /> Welche Marker zeigen uns nun, welche RBD-Patienten eine neurodegenerative Erkrankung entwickeln werden? Die Daten lassen darauf schließen, dass eine olfaktorische Dysfunktion ein guter Prädiktor für die Konversion in eine Demenz mit Lewy-Körperchen ist. iRBD-Patienten weisen subtile Defizite in der posturalen Kontrolle auf, die mit denen von Parkinsonpatienten mit bzw. ohne „freezing of gait“ vergleichbar sind.<br /> Die symptomatische medikamentöse Therapie der RBD fußt leider auf nur spärlicher Evidenz und basiert auf dem Einsatz von Clonazepam (0,25–2mg), Melatonin (3–12mg) und Rivastigmin (4,6mg). Zuletzt konnte mit dem Melatoninrezeptoragonisten Ramelteon in einer offenen Studie in einer Dosierung von 8mg täglich eine Verbesserung der subjektiven RBDBeschwerden gezeigt werden. Allerdings wurden keine polysomnografischen Daten erhoben und 14 % der Patienten brachen die Studie aufgrund von Nebenwirkungen (Kopfschmerzen, Schwindel und Obstipation) ab.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Neuro_1701_Weblinks_s12_abb1.jpg" alt="" width="1454" height="983" /></p> <h2>Schlafapnoesyndrom</h2> <p>Bis zu 60 % aller Parkinsonpatienten leiden unter einem obstruktiven Schlafapnoesyndrom (OSAS), sodass der Therapie dieser häufigsten schlafbezogenen Atmungsstörung in dieser Population eine große Bedeutung zukommt. Klinisch äußert sich das OSAS durch kognitive Einbußen, exzessive Tagesschläfrigkeit, nächtliche Verwirrtheitszustände, kardiale Arrhythmien, nächtlichen Harndrang und morgendliche Kopfschmerzen. Polysomnografisch lässt sich eine Verminderung der Gesamtschlafzeit, der Tiefschlafstadien und ein Anstieg des Leichtschlafanteils verzeichnen.<br /> Zuletzt konnte in einer placebokontrollierten Therapiestudie die Effizienz des Goldstandards der OSAS-Therapie, der CPAP-Maskenbeatmung, belegt werden. Nach 3 bzw. 6 Wochen CPAP-Therapie zeigte sich eine signifikante Reduktion des Apnoe/Hypopnoe-Index (AHI) und des Zeitraums während des Schlafes, den die Patienten mit einer Sauerstoffsättigung unter 90 % verbrachten. Besonders bemerkenswert imponiert der Umstand, dass die CPAP-Therapie zu einer signifikanten Verbesserung der Vigilanzkontrolle führte. Die Studienautoren konnten letztlich zeigen, dass die CPAP-Therapie zu einer signifikanten Verlängerung der mittleren Schlaflatenz im multiplen Schlaflatenztest (MSLT) führte.<br /> Es sollte allerdings nicht unerwähnt bleiben, dass im Falle der CPAP-Therapie die Adhärenz der Patienten häufig unzufriedenstellend ist. Eine mögliche Therapiealternative, v.a. bei der lageabhängigen obstruktiven Schlafapnoe, stellt das Night- Balance® dar. Dieses System basiert auf einem Aktigrafen, der, am Oberkörper mittels Gurt angebracht, den Patienten in Rückenlage durch ein Vibrationssignal in eine alternative Position bringt.</p> <h2>Insomnie</h2> <p>Gerade die Insomnie, definiert als Einund/ oder Durschlafstörung mit Beeinträchtigung der Befindlichkeit untertags, die zumindest 3x pro Woche auftritt, ist mit einer durchschnittlichen Prävalenz von ca. 30 % besonders häufig bei Parkinsonpatienten. Daten einer 5-Jahres-Studie belegen, dass depressive Symptome, die Schwere der motorischen Fluktuation und höhere Dosen von Dopaminagonisten mit der Entwicklung einer Insomnie assoziiert sind. Was die evidenzbasierte medikamentöse Therapie betrifft, herrscht leider weitgehend Nihilismus vor. Doxepin (10mg abends) führte zu einer Verbesserung der subjektiven Schlafqualität, Lebensqualität und Kognition. Rotigotin führte in einer PSG-kontrollierten Studie zur Verbesserung mehrerer objektiver Schlafparameter, wobei hier die Verbesserung der Schlafeffizienz und die Erhöhung des REM-Schlafanteils signifikant waren.<br /> Im Hinblick auf die pathophysiologischen Mechanismen, die einer Insomnie bei Parkinsonpatienten zugrunde liegen (verminderte Melatoninspiegel, Degeneration hypothalamischer Neurone, vermehrte Cortisolsekretion), sollten aus Sicht des Autors vermehrt chronotherapeutische Interventionen in der Therapie zur Anwendung gebracht werden. Dazu zählen in erster Linie eine mittels Schlaftagebuch dokumentierte Eingrenzung der Schlafzeiten mit Reduktion der Schlafphasen tagsüber, die Einnahme von Melatonin 0,5– 1mg abends und die Anwendung von Licht am Morgen (1000–5000 Lux).</p> <h2>Hypersomnie</h2> <p>Neben Schlafapnoesyndromen gilt es in der Praxis die dopaminerge Therapie selbst als möglichen Auslöser bzw. Verstärker einer exzessiven Tagesschläfrigkeit zu beachten. Grundsätzlich erhöhen D1- Agonisten sowie niedrig dosiertes L-Dopa die Feuerrate von vigilanzfördernden orexinergen Neuronen des lateralen Hypothalamus. D2-Agonisten und hoch dosiertes L-Dopa vermitteln den gegenteiligen Effekt und führen dadurch zu einer vermehrten Schläfrigkeit.<br /> Eine rezente Metaanalyse der medikamentösen Therapie der Hypersomnie bei Morbus Parkinson demonstrierte einen signifikanten positiven Effekt von Modafinil (200–400mg/d) im Vergleich zu Placebo. Angesichts der durchwegs milden Nebenwirkungen, von denen in den untersuchten Studien keine zum Abbruch der Therapie führte, erscheint das Nutzen- Risiko-Profil der Substanz akzeptabel.</p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p>beim Autor</p>
</div>
</p>
Das könnte Sie auch interessieren:
Die Schlacht der Bruton-Tyrosinkinase-Inhibitoren – Tolebrutinib im Ziel?
Der orale liquorgängige Bruton-Tyrosinkinase(BTK)-Inhibitor Tolebrutinib erreichte in der Phase-III-Studie HERCULES den primären Endpunkt. Die Studienergebnisse wurden erstmals beim ...
Real-World-Daten: CGRP-Antikörper in der Langzeitprophylaxe bei Migräne
Antikörper gegen «calcitonin gene-related peptide» (CGRP) oder seinen Rezeptor haben die Migräneprophylaxe auf ein neues Niveau gehoben. Wir geben hier einen Überblick über die Datenlage ...
Resilienz und kognitive Reserve
Bereits 1998 wurde in einer Studie festgehalten, dass eine Verzögerung des Ausbruchs von Demenz um nur fünf Jahre einen Rückgang der Demenzprävalenz von 50% bewirken könnte.1 Die ...