Biomarker zur molekularen Risikostratifikation beim Prostatakarzinom
Autorin:
PD Dr. med. Angelika Borkowetz
Klinik und Poliklinik für Urologie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
Technische Universität Dresden
Neben den bisher genutzten Biomarkern treten für Diagnose, Prognose und Prädiktion des Prostatakarzinoms neue RNA- wie auch Protein-basierte Marker oder zellfreie Nukleinsäuren in den Vordergrund.
Das Prostatakarzinom (PCa) ist die häufigste Krebserkrankung und die dritthäufigste Krebstodesursache beim Mann weltweit.1 Die Früherkennung des PCa beruht zum einen auf der Testung des Prostata-spezifischen Antigens (PSA) im Serum und zum anderen auf der digital-rektalen Untersuchung.2
Jedoch ist das PSA zwar mit einer hohen Sensitivität, aber mit einer geringen Spezifität verbunden und weist eine Abhängigkeit vom Prostatavolumen und Alter des Patienten auf,3 sodass es als Biomarker in der Diagnostik des PCa kritisch bewertet wird.3 Bei einem erhöhten PSA-Wert oder einer auffälligen digital-rektalen Untersuchung ist eine Prostatabiopsie zur histologischen Sicherung eines PCa indiziert.2
Aufgrund ihrer hohen Sensitivität und Spezifität in der Darstellung tumorspezifischer Läsionen in der Prostata4–7 sind die Magnetresonanztomografie (MRT) und die damit mögliche gezielte Biopsie in der Diagnostik des PCa essenziell.4–7
Die Rolle neuer Biomarker
Weitere Biomarker werden in Zukunft eine diagnostische, prädiktive und prognostische Rolle in der Diagnostik und Therapie des PCa spielen. In der Diagnostik können sie hierbei in Hinischt auf die Indikationsstellung zur invasiveren Diagnostik oder über die Notwendigkeit weiterführender Diagnostik wie Rebiopsien eine Aussage treffen.
Prädiktive und prognostische Marker können die Tumoraggressivität besser stratifizieren und damit eine bessere Voraussage eines Therapieerfolgs oder Ansprechens auf eine Therapie ermöglichen. Dies ist für die Beratung der Patienten und die Entscheidung für die passende Therapie sowohl beim lokal begrenzten als auch beim metastasierten PCa essenziell.
Die Gewinnung von Biomarkern
Mögliche Biomarker beim PCa können über eine sogenannte «liquid biopsy» aus Körperflüssigkeiten wie Urin oder Blut oder auch aus dem Gewebe bestimmt werden. Exosomen (extrazelluläre Vesikel), in denen sowohl RNA- als auch Protein-basierte Marker nachweisbar sein können, oder zellfreie Nukleinsäuren (RNA, DNA) aus Serum, Plasma bzw. Urin können dabei genutzt werden.
Aus dem Blut können ebenso aus den zellulären Bestandteilen tumorspezifische RNA, DNA oder Proteine aus zirkulierenden Tumorzellen extrahiert werden. Auf RNA-Basis können sowohl Messenger-RNA (mRNA), nichtkodierende RNA oder regulatorisch wirkende Mikro-RNA (miR) als Biomarker eine Rolle spielen. Neben den Körperflüssigkeiten sind RNA, DNA oder Proteine Marker auf dem Tumorgewebe.8–10
Biomarkerpanels: eine Übersicht
Letztendlich können Mutationen (im Genom, also der DNA), die veränderte Expression (auf RNA-Ebene), die veränderte Funktion (auf Proteinebene) und sowohl die Morphologie (Bildgebung, Klinik) als auch Biomarker gemessen werden.
Einzelne Biomarker, aber auch Biomarkerpanels können in der Diagnostik und in der Risikostratifizierung beim PCa angewendet werden. Im Folgenden wird nun eine Übersicht über einzelne Biomarker gegeben. Ein Grossteil der hier genannten Biomarkerpanels kann kommerziell erworben werden.
Gewebebasierte Biomarker
Prädiktive und prognostische Biomarkerpanels sind meist gewebebasiert. Hier zu erwähnen sind der ConfirmMDx®-, der OncotypeDx®-, der Prolaris®-, der Decipher®- oder der ProMark®-Test (Tab. 2).9
Tab. 2: Überblick über prädiktive und prognostische Biomarker beim PCa. Modifiziert nach Lokeshwar SD et al. 20229
Der Oncotype DX Genomic Prostate Score® (GPS) ist ein auf 17 Genen basierter Assay, der die Tumoraggressivität und das rezidivfreie Überleben anhand das Prostatabiopsiepräparats voraussagen kann.18,19
Der Decipher®-Test wiederum nutzt transkriptomweite RNA-Expressionsanalysen für 22 RN-Biomarker am in Paraffin eingebetteten Gewebe.20 Wie der OncotypeDx®-Test ist auch der Decipher®-Test von der FDA (U.S. Food and Drug Administration) zugelassen. Er dient v.a. der Voraussage von Metastasen anhand des Prostatektomiepräparats und der Voraussage der Tumorprogression bei Patienten mit aktiver Überwachung bei Niedrig- bis Intermediär-Risiko-PCa am Biopsiepräparat.9
Blutbasierte Biomarker
Blutbasierte diagnostische Biomarker-Panels sind neben dem PSA der Prostate Health Index (phi), der 4Kscore®- und der Proclarix-Test®. Einzelne miR (miR-223, miR-24 oder miR-375) oder Kombinationen aus miR scheinen ein PCa voraussagen zu können.
Urinbasierte Biomarker
Urinbasierte diagnostische Biomarker sind die nichtkodierende RNA «Prostate Cancer Antigen Gene 3» (PCA3) oder solche, die über die Biomarker-Tests SelectMDx® oder Michigan Prostate Score (MiPS) ermittelt werden können8 (Tab. 1).
Tab. 1: Vergleich diagnostischer Marker in der Detektion eines signifikanten Prostatakarzinoms. Modifiziert nach Becerra MF et al. 20198
Auch im Urin nachgewiesene miR (miR-222-3p, miR24-3p, miR-30c-5p) oder Peptid-Panels können ein PCa voraussagen (Tab. 1).11
Spezifische Tests und ihre Kapazitäten
PCA3-Test
Der PCA3-Test ist mit PCA3 als nichtkodierender RNA ein genetischer Test für Urin. Er hat bei aggressiveren PCA eine grössere Voraussagekraft.12 In Kombination mit einer MRT konnte nachgewiesen werden, dass ein positiver PCA3-Test bei unauffälliger MRT oder unklaren Befunden in der MRT ein aggressives PCa voraussagen kann und somit eine Entscheidungshilfe in Bezug auf die Durchführung einer Prostatabiopsie darstellen könnte.13
Prostate Health Index
Der Prostate Health Index (phi), eine Kombination der Serummarker totales PSA, freies PSA und der [-2]proPSA, bietet eine bessere Voraussage zur Detektion eines PCa, insbesondere wenn hierzu das Verhältnis zum Prostatavolumen, der sogenannten phi-Dichte, genutzt wird.14
Proclarix®-Risiko-Score
Ein noch nicht durch die FDA oder die EMA (Europäische Arzneimittel-Agentur) genehmigter Test ist der Proclarix®-Risiko-Score. Dieser blutbasierte Risikoscore aus Thrombospondin-1, Cathepsin D, totalem PSA, freiem PSA und dem Patientenalter kann insbesondere in Kombination mit einer MRT mit einer Sensitivität von 97%, einer Spezifität von 26% und einem hohen negativen Vorhersagewert von 96% das Vorhandensein eines PCa voraussagen.15
Je aggressiver das PCa, desto höher auch der Risikoscore.15 Auch hier gilt wieder: Insbesondere Patienten mit einer negativen MRT oder unklaren Läsionen profitieren von einer molekularen Risikostratifizierung mittels des Proclaris®-Risiko-Scores.16
Stockholm-3-Test
Ein vielversprechender Marker in der Detektion eines PCa, aber auch als Entscheidungshilfe in Bezug auf die Durchführung einer Biopsie ist der Stockholm-3(STHLM3)-Test, der eine blutbasierte Markerkombination aus totalem PSA, freiem PSA, intaktem PSA, Hexokinase 2 (hk2) sowie genetischen Polymorphismen (232 «single nucleotid polymorphisms») darstellt.
Die Nutzung dieses Markers in Kombination mit der MRT betrifft v.a. seinen Einsatz in der Risikostratifizierung zur Durchführung einer Biopsie. Insgesamt führt sein Einsatz zu einer höheren Detektionsrate aggressiverer PCa und zur Vermeidung von Biopsien und somit zu einer Reduktion der Überdiagnostik beim PCa.17
Dieser Test wird derzeit an einer grossen schwedischen PCa-Screening-Kohorte untersucht. Kritisch zu betrachten sind die unterschiedlichen Cut-offs, die in den einzelnen Subkohorten genutzt werden.
Leitlinien und Empfehlungen
Insgesamt halten sich die nationalen und internationalen Leitlinien für den Einsatz von Biomarker-Panels in der Diagnostik und Prädiktion des PCa noch zurück.2,21
Lediglich die amerikanische NCCN(National Comprehensive Cancer Network)-Leitlinie gibt eine klare Empfehlung für den Einsatz des Decipher®-Tests zum Entscheid für die adjuvante Strahlentherapie beim PCa.22 Die Leitlinie der amerikanischen Krebsgesellschaft empfiehlt diese vor der aktiven Überwachung, der radikalen Prostatektomie oder der Strahlentherapie, wenn die weitere Therapie beeinflusst werden sollte.23
Insgesamt können Biomarker die Risikostratifizierung beim PCa in der Diagnostik, Prädiktion und Prognose unterstützen. Die Standard-Biomarker sind bislang der PSA-Wert und seine Derivate wie die PSA-Dichte, sie haben allerdings eine limitierte Aussagekraft. Die Kombination aus klinischen Parametern, Biomarkern und Bildgebung wird in Zukunft zur Risikostratifizierung genutzt werden.
Literatur:
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