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Grenzen der organerhaltenden Therapie bei Kopf-Hals-Tumoren
Jatros
Autor:
Prim. Univ.-Prof. Dr. Martin Burian
Abteilung HNO, Kopf- und Halschirurgie Ordensklinikum Barmherzige Schwestern, Linz<br> E-Mail: martin.burian@bhs.at
30
Min. Lesezeit
04.04.2019
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<p class="article-intro">Die kurative Therapie bei Vorliegen von Kopf-Hals-Tumoren ruht auf drei Säulen: Chirurgie, Strahlentherapie sowie onkologischer Systemtherapie. Diese Therapiemodalitäten können alleine oder in Kombination angewandt werden und haben ein sicheres onkologisches Resultat bei größtmöglicher Funktionserhaltung zum Ziel. Vorausschickend sei darauf hingewiesen, dass Organerhalt nicht automatisch Funktionserhalt bedeutet. Mit anderen Worten: Selbst wenn durch eine Radio- oder Radiochemotherapie das Organ geschont wird, kann ein partieller oder kompletter Funktionsverlust eintreten und die Behandlungsintention einer mehr oder weniger erhaltenen Organfunktion konterkarieren.</p>
<hr />
<p class="article-content"><h2>Kehlkopfkarzinome</h2> <p>Der Terminus Organerhaltung bei Kopf- Hals-Tumoren kommt aus der Behandlung des Kehlkopfkarzinoms und ist auf jene Zeit zurückzuführen, in der die Chemotherapie als drittes Standbein in die Behandlung von Kopf-Hals-Tumoren integriert wurde. Bekannte Beispiele sind hierfür die Publikation der Veterans Affairs Laryngeal Cancer Study Group<sup>1</sup> sowie die EORTC-Studie, die Lefebvre<sup>2</sup> 1996 veröffentlichte. Erstmals konnte gezeigt werden, dass eine Kehlkopferhaltung anstelle der Laryngektomie auch bei ausgedehnteren Tumoren denkbar ist. Dies hat dazu geführt, dass vielerorts Larynx- und Hypopharynxkarzinome einer primär konservativen Therapie zugeführt wurden – anfänglich im neoadjuvanten Setting, später im Sinne der konkomitanten, platinbasierten Radiochemotherapie.<br /> Zehn Jahre später konnte Hoffmann<sup>3</sup> allerdings zeigen, dass die Überlebensdaten beim Kehlkopfkarzinom im Gegensatz zu allen anderen Karzinomarten in den Vereinigten Staaten gesunken sind (Abb. 1). Unter anderem hat diese Arbeit dazu geführt, dass die Indikationen für eine chirurgische Therapie versus Radiochemotherapie geschärft wurden. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine retrospektive Analyse<sup>4</sup> von Hypopharynxkarzinomen (ebenfalls in den Vereinigten Staaten) (Abb. 2). Auch hier konnte gezeigt werden, dass die Chirurgie, gefolgt von einer Strahlen- oder Strahlenchemotherapie, die besten Überlebensdaten liefert.<br /> Aus heutiger Sicht macht es daher Sinn, kleinste und kleine glottische und supraglottische Larynxkarzinome sowie T1-Hypopharynxkarzinome organerhaltend chirurgisch zu behandeln. Bei T2- und T3-laryngealen Tumoren kann in den meisten Fällen eine organerhaltende Chirurgie angeboten werden. Hier sind jedoch – im Hinblick auf die postoperative Funktionalität des Kehlkopfs – viele Faktoren, wie zum Beispiel Komorbiditäten, Lungenfunktion, Alter des Patienten oder präoperative Ernährungssituation, zu beachten. In diesen Fällen kann eine primäre Radio- oder Radiochemotherapie oft einen zufriedenstellenderen posttherapeutischen Funktionserhalt bieten. Bei ausgedehnten, knorpelinfiltrierenden oder organüberschreitenden Larynx- oder Hypopharynxkarzinomen scheint nach wie vor die Entfernung des Kehlkopfs oder die totale Laryngopharyngektomie die Therapie der Wahl zu sein. Wenn auch der Unterschied in den Überlebensdaten zwischen chirurgischer und primär radiochemotherapeutischer Therapie dieser Patienten nicht hoch ist, so profitiert der Patient durch die Trennung von Atem- und Schluckweg. Die Radiochemotherapie dieser ausgedehnten Tumoren geht meist mit schweren Funktionseinbußen hinsichtlich der Stimm-, Atem- und Schluckfunktion einher. Bei Therapieversagen liefert die komplikationsträchtige Rettungschirurgie schlechte Überlebensdaten.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Onko_1902_Weblinks_jatros_onko_1902_s33_abb1+2_burian.jpg" alt="" width="800" height="343" /></p> <h2>Mundhöhlenkarzinome</h2> <p>Im Gegensatz zu den beschriebenen Larynx- und Hypopharynxkarzinomen stellen die Tumoren der Mundhöhle über praktisch alle Stadien hinweg eine Domäne der chirurgischen Therapie dar. Die Ergebnisse der primären Radio- bzw. Radiochemotherapie sind für diese Primärlokalisation enttäuschend. Während T1- und manche T2-Karzinome ohne Gewebetransfer reseziert werden können und eine gute postoperative Funktion bieten, ist bei größeren Tumoren praktisch immer ein Gewebetransfer zur Defektdeckung und besseren posttherapeutischen Funktion einzuplanen. Als Deckungsmaterial bieten sich beispielsweise frei transplantierte Lappen wie Unterarm-Radialis-Lappen, Hüftlappen oder Fibulalappen im Falle der Rekonstruktion der Mandibula an. Im Wesentlichen geht es bei den Rekonstruktionen um die Erhaltung der Kau- und Schluckfunktion durch einen suffizienten Abschluss der Mundhöhle nach außen sowie um die Rekonstruktion der Zunge für einen funktionierenden Bolustransport. Sollte bei ausgedehnten Zungentumoren aus chirurgischer Sicht nur eine totale Glossektomie sinnvoll sein, so ist dies zwar technisch möglich – funktionell akzeptable Rekonstruktionen beschränken sich aber auf Einzelbeschreibungen.</p> <h2>Oropharynxkarzinome</h2> <p>Bei den Oropharynxkarzinomen geht es in erster Linie um einen Funktionserhalt hinsichtlich Schluckfunktion und Protektion der Atemwege. Kleinere Tumoren (T1) sind eine sichere Domäne der Chirurgie. Bei ausgedehnteren Tumoren ist in den meisten Fällen unter Verwendung eines Gewebetransfers eine gute Funktionserhaltung möglich. Trotz alledem muss bedacht werden, dass im Falle einer adjuvanten Radiochemotherapie die Gesamtbelastung sowie Früh- und Spättoxizitäten hoch sind, da der Patient den Nebenwirkungen aller drei Therapieschenkel (Operation, Radiatio, Chemotherapie) ausgesetzt ist. Somit scheinen aus funktioneller Sicht die ausgedehnteren Tumoren mit einer primären Radiochemotherapie funktionell besser abzuschneiden. Die seit ca. 10 Jahren propagierte transorale Roboterchirurgie (TORS) stellt sicher ein gutes Instrument für die Chirurgie im Oropharynx – und dort vor allem im Zungengrundbereich – dar. Letztlich profitiert sie aber derzeit vor allem durch den Einsatz von Winkeloptiken, die – im Gegensatz zum Mikroskop und der transoralen Laserchirurgie – den Blick auf das Operationsgebiet deutlich verbessern.<br /> Nicht unerwähnt soll bleiben, dass sich durch die zusätzliche Beachtung des p16-Status (Marker für HPV-Positivität) das TNM-Schema und das Stagingsystem bei Oropharynxkarzinomen geändert haben (TNM-Klassifikation, 8. Edition). So kann sich bei Oropharynxkarzinomen hinter dem Stadium I sowohl ein cT1cN0M0-Karzinom (wenn es p-16-negativ ist) verbergen als auch ein (p-16-positives) cT2cN1M0-Karzinom – zwei Tumoren, die, zumindest aus chirurgischer Sicht unterschiedliche Therapieüberlegungen nach sich ziehen. Diese neue Nomenklatur, die vor allem der besseren Prognose von HPV-positiven Oropharynxkarzinomen Rechnung trägt, soll daher nicht dazu verleiten, Therapieänderungen aufgrund des niedrigeren TNM-Stadiums vorzunehmen.</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Zusammenfassend kann daher gesagt werden, dass eine organerhaltende Therapie nicht immer eine zufriedenstellende posttherapeutische Organfunktion nach sich zieht. Die Abstriche in der Funktion können nach Organentfernung und eventueller Rekonstruktion geringer ausfallen als nach einem organerhaltenden, aber funktionszerstörenden Therapieschema. Es soll daher im Einzelfall jener Therapiemodalität der Vorzug gegeben werden, von der man sich – bei gleichem onkologischem Resultat – eine akzeptable Funktion bei tolerierbaren Früh- und Spättoxizitäten verspricht.</p> </div></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Wolf GT et al.: Induction chemotherapy plus radiation compared with surgery plus radiation in patients with advanced laryngeal cancer. Department of Veterans Affairs Laryngeal Cancer Study Group. N Engl J Med 1991; 324(24): 1685-90 <strong>2</strong> Lefebvre JL et al.: Larynx preservation in pyriform sinus cancer: preliminary results of a European Organization for Research and Treatment of Cancer phase III trial. EORTC Head and Neck Cancer Cooperative Group. J Natl Cancer Inst 1996; 88(13): 890-9 <strong>3</strong> Hoffman HT et al.: Laryngeal cancer in the United States: changes in demographics, patterns of care, and survival. Laryngoscope 2006; 116(9 Pt 2 Suppl 111): 1-13 <strong>4</strong> Kuo P et al.: Hypopharyngeal cancer incidence, treatment, and survival: temporal trends in the United States. Laryngoscope 2014; 124(9): 2064-9</p>
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