
S3-Leitlinie Oro- und Hypopharynxkarzinom
Unser Gesprächspartner:
Prof. Dr. Andreas Dietz
Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde
Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde, Universitätsklinikum Leipzig
E-Mail: andreas.dietz@medizin.uni-leipzig.de
Bericht:
Ingeborg Morawetz, MA
Ein großes Werk
Die S3-Leitlinie „Diagnostik, Therapie, Prävention und Nachsorge des Oro- und Hypopharynxkarzinoms“ ist ein relativ großes Werk geworden, das sich nicht nur sehr intensiv mit Diagnostik, Klassifikation und Besonderheiten der unterschiedlichen Entitäten beschäftigt, sondern auch tief in die Primär- und vor allem auch Rezidivtherapie einsteigt. Man kann sogar behaupten, dass diese Leitlinie unter den Kopf-Hals-Leitlinien bislang die intensivste ist, insbesondere für die Situation, in der bei einem Rezidiv Operation und Bestrahlung möglich sind.
Neue Daten, neues Vorgehen
Eine S3-Leitlinie enthält den aktuellen Stand verfügbarer höchster Evidenz, auch wenn es bei Oro- und Hypopharynxkarzinomen nur wenige kontrollierte Studien gibt. Deswegen liegt Level-1-Evidenz nach Oxford-Kriterien insbesondere in der Primärtherapie selten vor. In dieser Leitlinie wurden erstmals auch große Registerstudien akzeptiert, um zu analysieren, wovon Patient:innen profitieren können. Das Ziel ist Klarheit, insbesondere in der Primärtherapie in Abhängigkeit vom Tumorort, auch bei p16-Positivität. Denn bisher reicht ein monomodales Vorgehen: Wenn man operiert und nachbestrahlt, kann man auch gleich bestrahlen. Die Literatur und die Registersituation zeigen aber, dass insbesondere bei größeren, fortgeschrittenen Tumoren trimodale Therapie die besten Daten bringt, also Operation+adjuvante Radiotherapie oder sogar Radio-Chemotherapie.
Natürlich gibt es jährlich neue Daten, aber der aktuelle Stand ist in diesem Kontext vor allem für fortgeschrittene Tumoren sehr gut herausgearbeitet.
Therapie und Rehabilitation
Im Kapitel zur medikamentösen Therapie werden im Bereich der Salvage-Chirurgie sinnvolle Ansätze empfohlen, sowohl wenn vorbestrahlt wurde als auch wenn voroperiert wurde und das Rezidiv in vorbehandeltem Gebiet auftritt. Was in der Leitlinie auch intensiver als bisher beleuchtet wurde, sind die Bereiche Nachsorge und Rehabilitation. Hier haben sich verschiedene Fachgesellschaften beteiligt, wie u.a. die Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie, aber auch die Pflege, die Rehabilitations- und die Psychosozialmedizin. Die Leitlinie enthält viele Informationen dazu, wie Patient:innen wieder zurück ins Leben geführt werden können.
HPV-DNA-Bestimmung
Auch das Thema der HPV-Positivität und HPV-Negativität bei den unterschiedlichen Entitäten, insbesondere beim Oropharynxkarzinom, wurde detailliert bearbeitet. Die TNM-8-Klassifikation schreibt nur p16 als Unterscheidungsmerkmal der HPV-positiven und -negativen Tumoren vor. In Deutschland gibt es aber nach der EPIC-Studie eine relativ hohe Diskordanz. Die betrifft bis zu 23% der Patient:innen, die p16-positiv sind, deren Positivität aber nichts mit HPV 16 zu tun hat. Da aktuell p16 in keiner Weise therapierelevant ist, sollte das also eigentlich keine Rolle spielen. Dennoch kann es sein, dass mit zunehmender Datenlage randomisierter, kontrollierter Studien HPV 16 in Zukunft möglicherweise doch den Unterschied macht. Spätestens dann wird man sich damit beschäftigen müssen, ob p16 als Marker ausreicht oder ob nicht tatsächlich HPV-DNA prinzipiell bestimmt werden muss.
Klare Empfehlungen
Die Leitlinie nimmt auch Bezug auf Screening-Verfahren und die HPV-Impfung. Screening wird generell nicht empfohlen – auch HPV-Screening-Methoden über Blutproben oder Abstriche nicht, weil Aufwand und Nutzen in keinem Verhältnis stehen. Die Impfung hingegen ist klar indiziert. Nicht empfohlen wird eine Booster-Impfung bei definitiver Erkrankung mit einem HPV-positiven Oropharynxkarzinom. Da aber Booster-Impfungen trotzdem durchgeführt werden, ist die klare Positionierung in der Leitlinie sinnvoll.
Wie in den anderen Kopf-Hals-Karzinom-Leitlinien gibt es auch in dieser Leitlinie erstmals eine Kann-Empfehlung für zertifizierte Zentren. Das liegt an den Ergebnissen der großen Dresdner Studie von vor zwei Jahren, die eindeutig zeigen, dass die Überlebenschance und die Behandlungsqualität in zertifizierten Zentren höher sind. In Deutschland gibt es 73 solche Zentren. Der Appell an alle Kolleg:innen ist, sich entweder zertifizieren zu lassen oder Patient:innen an die Zentren zu überweisen.
Checkpoint-Inhibitoren am Horizont
Für die Primärtherapie könnten in Zukunft mehr Daten zu Checkpoint-Inhibitoren vorliegen. Die Induktionstherapie mit Checkpoint-Inhibitoren ist ein Thema, das in vielen Studien in Angriff genommen wird. Es ist zu hoffen, dass die Therapiegüte und die Effektivität gesteigert werden. Die Spätfunktionalität verändert sich möglicherweise positiv aufgrund anderer Toxizitätsprofile dieser neuen Therapien. Bis eine Checkpoint-Inhibitor-gestützte Induktion mit zusätzlicher Chemotherapie Standard wird, wird es aber bestimmt noch fünf bis acht Jahre dauern. Momentan gibt es bei der reinen Induktionschemotherapie keinen Überlebensvorteil. Sie wird nur beim Larynxorganerhalt beim Hypopharynxkarzinom empfohlen.
Quelle:
S3-Leitlinie Diagnostik, Therapie, Prävention und Nachsorge des Oro- und Hypopharynxkarzinoms. Version 1.0 – März 2024. AWMF-Registernummer: 017-082OL
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