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Metastasierte «intermediate» und «poor risk» Keimzelltumoren
Autorin:
Prof. Dr. med. Anja Lorch
Leitende Ärztin
Klinik für Medizinische Onkologie und Hämatologie, USZ
Departmentleitung urologische Onkologie
Universitätsspital Zürich
E-Mail: anja.lorch@usz.ch
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Bei der häufigsten Tumorerkrankung des jungen Mannes ist die adäquate, stadiengerechte Therapie, insbesondere der metastasierten Keimzelltumoren, besonders wichtig und stellt oftmals eine Herausforderung dar. Im Folgenden wird die Erstlinientherapie der metastasierten Tumoren in der Gruppe mit «intermediate risk» und «poor risk»näher erläutert.
Keypoints
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Im metastasierten Stadium erfolgt die Einteilung in die Prognosegruppen «good» und «intermediate» (bei Seminomen) bzw. «good», «intermediate» und «poor» (bei Nichtseminomen) je nach Histologie, Lokalisation des Primarius, Markerhöhe und viszeraler Beteiligung.
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Eine aktuelle Auswertung der alten IGCCCG-Klassifikation von 1997 konnte die Risikogruppen bestätigen.
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Das Outcome der Patienten hat sich seit Ende der 1990er-Jahre insbesondere in der «Poor risk»-Gruppe deutlich verbessert.
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Chemotherapie mit 4 Zyklen PEB ist weiterhin der Standard bei Tumoren mit «intermediate» Prognose, alternativ können 4 Zyklen PEI appliziert werden.
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Eine primäre Hochdosis-Chemotherapie oder Therapie-Intensivierung kann statt konventioneller Therapie bei Patienten mit «poor risk» individuell evaluiert werden.
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Bei Nichtseminomen ist die Residualtumorresektion obligat bei Residuen >1cm.
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Patienten mit ZNS-Befall stellen eine Sonderform dar.
Keimzelltumoren stellen eine insgesamt seltene Entität dar und machen circa 2% aller malignen Tumoren aus. Bei jungen Männern sind sie die häufigste Neoplasie. Etwa 140 Männer erkranken jährlich in der Schweiz, etwa 14 sterben an ihrem Tumor. Durch die Einhaltung stadiengerechter Therapiekonzepte werden unabhängig vom Tumorstadium Heilungsraten von mehr als 90% erreicht.
Histologisch wird bei den Keimzelltumoren zwischen Seminomen und Nichtseminomen unterschieden. Lokalisiert ist der Keimzelltumor in 95% der Fälle im Hoden selbst, 3–5% treten primär extragonadal, entweder abdominell oder mediastinal auf. Zu bekannten Risikofaktoren zählen neben Kryptorchismus ein Hodentumor in der Vorgeschichte, eine positive Familienanamnese, Infertilität und das Klinefelter-Syndrom.
Das häufigste Symptom ist eine nicht schmerzhafte Vergrösserung oder Schwellung des Hodens. Seltener können auch Zeichen einer weiter fortgeschrittenen Erkrankung wie z.B. Rückenschmerzen, Dyspnoe, Gewichtsverlust oder neurologische Symptome, auftreten. Diagnostisch ist die klinische Untersuchung mit Palpation der Hoden, Sonografie beider Hoden sowie die Bestimmung der Tumormarker HCG, AFP und LDH obligat. Die Durchführung einer Computertomografie des Thorax, Abdomens/Beckens ergänzt das initiale Staging. Eine Bildgebung des Kopfs und der Knochen ist fakultativ und wird nur bei ausgedehnter, insbesondere pulmonaler Metastasierung, bei sehr hohen Tumormarkern, Nachweis klinischer Symptome oder im Rezidiv empfohlen. Bei bestehendem Kinderwunsch des Patienten sollten immer eine Spermienanalyse und nachfolgende Kryokonservierung durchgeführt werden.
Die Orchiektomie ist häufig der erste und oft bereits kurative Therapieschritt. Bei Keimzelltumoren mit hoher Tumorlast, sehr hohen Tumormarkern oder bei Metastasierung mit ausgeprägten Symptomen erfolgt die Orchiektomie hingegen erst nach Abschluss einer notwendigen Systemtherapie.
Insbesondere in der Situation einer metastasierten Erkrankung ist die korrekte Bestimmung des vorliegenden Tumorstadiums für eine adäquate Therapieentscheidung und Einschätzung der Prognose relevant und verbessert die Heilungschancen. Dabei sind der Einsatz von Chemotherapie, Chirurgie und Strahlentherapie, die Auswahl der erforderlichen Medikamente sowie die Art und Dauer ihrer Anwendung genau festgelegt.
Die Vernachlässigung dieser Therapiestandards kann zu einer höheren Rate an Therapieversagen mit der Notwendigkeit von Folgetherapien oder sogar zum Tod führen. Daher sollten Patienten insbesondere in der metastasierten Situation oder bei Vorliegen seltener Krankheitsszenarien (z.B. sehr hohe Tumorlast, ZNS-Befall) an Kliniken mit hoher Expertise beratend vorgestellt werden.1
Metastasiertes Tumorstadium – Definition der Risikogruppen
Ab einem Stadium II spricht man von einer metastasierten Erkrankung. Diese Patienten werden zusätzlich einer bestimmten Risikogruppe nach der sogenannten IGCCCG-Risikoklassifikation (International Germ Cell Cancer Collaborative Group), veröffentlicht im Jahr 1997, zugeteilt.2
Man unterscheidet bei den Nichtseminomen drei Gruppen («good», «intermediate», «poor») und beim Seminom zwei Gruppen («good» und «intermediate»). Die Zuteilung zur entsprechenden Risikogruppe ist abhängig von der Lokalisation des Primarius (gonadal versus extragonadal), der Metastasenlokalisation (pulmonal versus extrapulmonal) und bei den Nichtseminomen auch von der Markerhöhe vor Start einer geplanten Therapie. Je nach Risikogruppe sind sowohl das progressionsfreie (PFS) als auch das Gesamtüberleben (OS) unterschiedlich. (Tab. 1).2–4
Eine kürzlich publizierte grosse internationale retrospektive Datenanalyse an über 13000 Patienten konnte die Einteilung in die oben genannten Gruppen für beide histologische Subtypen bestätigen. Zudem konnte eine Verlängerung des PFS und OS in allen 3 Gruppen – insbesondere in der «Poor risk»-Gruppe – im Vergleich zur Publikation aus 1997 gezeigt werden.
In der multivarianten Analyse der Daten in der Gruppe der Nichtseminome sind neben höherem Alter auch die Höhe des Markers LDH und die Existenz einer pulmonalen Metastasierung als neue Risikofaktoren identifiziert worden. Das individuelle Risiko für einen Progress kann für jeden Patienten mittels eines online verfügbaren Kalkulators bestimmt werden ( www.eortc.org/IGCCCG-Update ).3, 4
Erstlinientherapie im metastasierten Stadium «intermediate risk»
Die Standardtherapie ist entsprechend der Risikostratifizierung nach der IGCCCG-Risikoklassifikation unabhängig von der Histologie eine Chemotherapie mit 4 Zyklen PEB (Cisplatin, Etoposid und Bleomycin) im Abstand von jeweils 21 Tagen. Falls eine Kontraindikation für Bleomycin vorliegt, werden anstatt 4 Zyklen PEB 4 Zyklen PEI (Cisplatin, Etoposid, Ifosfamid) appliziert.1,2
Die Hinzunahme von Paclitaxel zu PEB in der Gruppe der Patienten mit «intermediate risk» im Rahmen einer EORTC-Studie zeigte zwar ein um 12% signifikant verlängertes progressionsfreies Überleben bei jedoch nicht signifikant verlängertem Gesamtüberleben und gleichzeitig erhöhter Toxizität.5 Auch amerikanische Daten für das bislang nur in der Salvage-Therapie eingesetzte TIP-Regime mit Paclitaxel, Ifosfamid und Cisplatin zeigten in einer Phase-II-Studie sehr gute Langzeitergebnisse in dieser Patientenpopulation, jedoch ohne signifikanten Vorteil im Vergleich zur Standardtherapie.6 Somit haben sich beide Schemata nicht durchgesetzt und es wird weiterhin die Standardtherapie mit PEB oder PEI eingesetzt.
Erstlinientherapie im metastasierten Stadium «poor risk»
Standardtherapie ist nach IGCCCG ebenfalls die Gabe von 4 Zyklen Chemotherapie mit PEB oder alternativ 4 Zyklen PEI bei Kontraindikationen für Bleomycin.1;2,
In den vergangenen Jahren sind besonders für diese Gruppe intensivierte Chemotherapiestrategien untersucht worden. Dabei konnte erstmalig in einer prospektiv randomisierten Studie (GETUG13) der französischen Arbeitsgruppe bei Patienten mit inadäquatem Markerabfall im ersten Zyklus ein signifikanter Vorteil im PFS – dem primären Endpunkt der Studie – mit einer nachfolgenden Therapieintensivierung gezeigt werden, jedoch ohne Nachweis eines signifikanten Benefits im Gesamtüberleben.7
Vielfach wurde auch der Stellenwert der primären Hochdosis-Chemotherapie (HDCT) mit autologem Stammzellsupport in der Primärtherapie besonders in der Gruppe der Patienten mit schlechten Prognosemerkmalen nach IGCCCG erforscht. Im Rahmen einer multizentrischen Phase-II-Studie der Deutschen Studiengruppe für Hodentumoren wurde eine sequenzielle HDCT mit Cisplatin, Etoposid und Ifosfamid (HD-PEI) untersucht und eine Langzeitüberlebensrate von 75% gezeigt. Eine randomisierte Phase-III-Studie aus den USA, die die Gabe von vier Zyklen PEB mit zwei Zyklen PEB, gefolgt von zwei Hochdosischemotherapiezyklen mit Carboplatin, Etoposid und Cyclophosphamid (CEC), verglich, konnte keinen generellen Vorteil zugunsten der HDCT zeigen. Lediglich Patienten, deren Tumormarker im zeitlichen Verlauf nicht adäquat abgefallen waren, profitierten mehr von der Behandlung im Hochdosisarm. Auch die publizierte randomisierte Phase-III-Studie der EORTC, die vier Zyklen PEB mit sequenzieller Hochdosis-PEI-Gabe verglich, zeigte keinen statistisch signifikanten Vorteil zugunsten der HDCT.8,9
Der Einsatz einer HDCT in der Primärtherapie bei Patienten mit ungünstigen Prognosefaktoren ist somit gegenwärtig weiterhin kein Standard für alle Patienten. Eine primäre HDCT kann im Einzelfall dennoch sinnvoll sein, im Besonderen bei Patienten mit inadäquatem Markerabfall nach dem ersten konventionellen Therapiezyklus bzw. den ersten beiden Therapiezyklen, bei Patienten mit primär mediastinalem Nichtseminom sowie bei Patienten mit ZNS-Metastasen oder ausgeprägter Leber- oder Knochenmetastasierung. Dieses Vorgehen sollte immer individuell entschieden und die Daten sollten nach Möglichkeit in einem Register erfasst werden.
Residualtumorresektion (RTR) nach Erstlinientherapie
Bei Patienten mit Seminom und postchemotherapeutischen Tumorresiduen ist die RTR nicht obligat. Bei Residuen >3cm kann frühestens 7–8 Wochen nach Abschluss der Chemotherapie ein PET-CT diskutiert werden. Nur in dieser Konstellation bildet das PET beim Seminom eine überlegenswerte Indikation. Bei PET-positiven Patienten sollte die Untersuchung im Intervall zunächst mittels CT-Verlaufskontrollen wiederholt oder ggf. eine Biopsie evaluiert werden, um mögliche falsch positive Befunde bei Patienten mit gleichzeitig normaler Markerkonstellation sicher auszuschliessen.10
Bei allen Nichtseminompatienten ist eine RTR obligat bei Tumorresiduen >1cm nach erfolgter Chemotherapie. Die RTR sollte frühzeitig geplant und maximal 8 Wochen später mit dem Ziel einer kompletten Entfernung aller Tumorresiduen durchgeführt werden. Dieser oftmals komplexe Eingriff sollte nur an einem interdisziplinären Zentrum mit entsprechender Expertise durchgeführt werden. Das Vorgehen bei Nachweis vitaler Tumorzellen im Resektat ist nicht eindeutig definiert. Es kann sowohl die alleinige Nachsorge als auch eine erneute Therapie mit 2 Zyklen Chemotherapie diskutiert werden (bei vitalem Anteil >10%).11
ZNS-Befall
ZNS-Metastasen treten nur selten auf. Sie können entweder synchron bei Primärdiagnose oder im Rezidiv auftreten. Ein isoliertes zerebrales Rezidiv findet man nur bei etwa 2% der Patienten. Patienten mit ZNS-Metastasen sind der Gruppe der Patienten mit schlechter Prognose zuzuordnen. Eine retrospektive Studie hat neben der Identifikation von Prognosefaktoren die einzelnen Therapiemodalitäten Chemotherapie, Radiotherapie und Resektion verglichen und das Überleben der Patienten sowohl bei Primärdiagnose als auch im Rezidiv untersucht. So konnte gezeigt werden, dass bei Primärdiagnose neben der Chemotherapie nicht zwingend eine Radiatio und/oder Resektion erfolgen muss.1,12
Literatur:
1 Onkopedia: Leitlinie Keimzelltumoren des Mannes. Online unter: https://www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/keimzelltumoren-des-mannes/@@guideline/html/index.htm l 2 International Germ Cell Consensus Classification: a prognostic factor-based staging system for metastatic germ cell cancers. International Germ Cell Cancer Collaborative Group. J Clin Oncol 1997; 15: 594-603 3 Gillessen S et al.: International Germ Cell Cancer Classification Update Consortium et al.: Predicting Outcomes in men with metastatic nonseminomatous germ cell tumors (NSGCT): Results from the IGCCCG Update Consortium. J Clin Oncol 2021; 39(14): 1563-1574 4 Beyer J et al.: International Germ Cell Cancer Classification Update Consortium et al.: Survival and New prognosticators in metastatic seminoma: results from the IGCCCG Update Consortium. J Clin Oncol 2021; 39(14): 1553-62 5 de Wit R et al.: Randomized phase III study comparing paclitaxel-bleomycin, etoposide, and cisplatin (BEP) to standard BEP in intermediate-prognosis germ-cell cancer: intergroup study EORTC 30983. J Clin Oncol 2012; 30(8): 792-9 6 Feldman DR et al.: Paclitaxel, Ifosfamide, and cisplatin efficacy for first-line treatment of patients with intermediate- or poor-risk germ cell tumors. J Clin Oncol 2016; 34(21): 2478-83 7 Fizazi K et al.: Personalised chemotherapy based on tumour marker decline in poor prognosis germ-cell tumours (GETUG 13): a phase 3, multicentre, randomised trial. Lancet Oncol 2014; 15: 1442-50 8 Motzer RJ et al.: Phase III randomized trial of conventional-dose chemotherapy with or without high-dose chemotherapy and autologous hematopoietic stem-cell rescue as first-line treatment for patients with poor-prognosis metastatic germ cell tumors. J Clin Oncol 2007; 25: 247-256 9 Daugaard G et al.: A randomized phase III study comparing standard dose BEP with sequential high-dose cisplatin, etoposide, and ifosfamide (VIP) plus stem-cell support in males with poor-prognosis germ-cell cancer. An intergroup study of EORTC, GTCSG, and Grupo Germinal (EORTC 30974). Ann Oncol 2011; 22: 1054-61 10 Cathomas R et al.: Questioning the Value of fluorodeoxyglucose positron emission tomography for residual lesions after chemotherapy for metastatic seminoma: results of an International Global Germ Cell Cancer Group Registry. J Clin Oncol 2018; 4: JCO1800210 11 Heidenreich A: Residual tumour resection following inductive chemotherapy in advanced testicular cancer. Eur Urol 2007; 51: 299-301 12 Feldman DR et al.: Brain metastases in patients with germ cell tumors: Prognostic factors and treatment options-an analysis from the Global Germ Cell Cancer Group. J Clin Oncol; 34: 345-51 13 Bonkemeyer C et al.: Behandlung von Patienten mit metastasierten Hodentumoren. Dtsch Arztebl 2005; 102(47): A-3271-5 14
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