
Molekulare Subgruppen und Immuntherapie beim Analkarzinom?
Autor:
Prof. Dr. Sebastian Stintzing
Klinikdirektor
Medizinische Klinik mit Schwerpunkt Hämatologie, Onkologie
und Tumorimmunologie (CCM)
Charité – Universitätsmedizin Berlin
E-Mail: sebastian.stintzing@charite.de
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Für die metastasierte und/oder die Rezidivsituation von Plattenepithelkarzinomen des Analkanals besteht die Problematik, dass aufgrund der insgesamt geringen Inzidenz keine randomisierten Phase-III-Studiendaten vorliegen. Daher ist der Grad der Empfehlungen in der aktuellen Leitlinie der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) niedrig. Die Standardtherapie besteht aktuell aus Carboplatin und Paclitaxel. Als Zweitlinienoption ist der Einsatz von Immuncheckpoint-Inhibitoren zu diskutieren.
Keypoints
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Das Analkarzinom nimmt in seiner Häufigkeit zu, es gehört zu den HPV-assoziierten Karzinomen. Kinder zwischen 9 und 14 Jahren sollten gegen HPV geimpft werden.
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Für die Systemtherapie des metastasierten Plattenepithelkarzinoms des Analkanals liegen bisher zwei randomisierte Phase-II-Studien vor: Carboplatin + Paclitaxel ist als Standardtherapie in der Erstlinie zu sehen. Atezolizumab plus mDCF war mDCF nicht überlegen.
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Die Immuncheckpoint-Inhibitoren Nivolumab und Pembrolizumab zeigen Wirksamkeit und sollten für den Einsatz nach Versagen der Erstlinientherapie diskutiert werden.
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Das genetische Profil von Analkarzinomen zeigt keine erhöhte Inzidenz von aktuell therapeutisch angehbaren Alterationen.
Plattenepithelkarzinome des Analkanals sind mit einer Gesamtzahl von 2330 Neuerkrankungen im Jahr 2018 in Deutschland selten, nehmen aber in den letzten Jahren in der Häufigkeit zu.1Frauen sind fast doppelt so häufig betroffen wie Männer (2018: 1430 Frauen gegenüber 770 Männern). Das mediane Erkrankungsalter liegt bei 64–65 Jahren.
Als Risikofaktoren werden passiver Analverkehr, häufig wechselnde Sexualpartner und eine chronische Immunsuppression (z.B. durch eine HIV-Infektion) genannt. Die höchste Inzidenz haben HIV-positive Männer mit gleichgeschlechtlichen Sexualkontakten. Der wichtigste karzinogene Faktor ist eine fortbestehende Infektion mit humanen Papillomviren (HPV). Da auch das Zervixkarzinom durch Papillomviren hervorgerufen wird, wird von der ständigen Impfkommission (STIKO) empfohlen, Mädchen und Jungen im Alter von 9–14 Jahren impfen zu lassen.1
Bei der Therapie des Analkarzinoms besteht die Problematik, dass aufgrund der insgesamt geringen Inzidenz keine randomisierten Phase-III-Studiendaten vorliegen. Daher ist auch der Grad der Empfehlungen in der aktuellen AWMF-Leitlinie niedrig.2
Lokale Stadien
Im lokalen und lokal fortgeschrittenen Stadium wird das Analkarzinom entweder operativ entfernt (Analrandkarzinom <2cm Durchmesser, ohne Lymphknotenbeteiligung [LK]) und/oder definitiv mittels Radiochemotherapie behandelt. Als Kombinationspartner für die intensitätsmodulierte stereotaktische Radiotherapie (IMRT-SBRT) werden hierbei 5-Fluorouracil (5-FU) und Mitomycin C verwendet.3 An diesem bald 40 Jahre alten Standard hat sich bisher nichts geändert.
Aktuelle Studien, wie die von der Deutschen Krebshilfe geförderte RADIANCE-Studie (NCT04230759), überprüfen die Kombination aus konventioneller Radiochemotherapie (5-FU plus Mitomycin C) mit oder ohne Kombination mit dem Immuncheckpoint-Inhibitor Durvalumab.
Ziel ist es, insbesondere bei großen Tumoren mit einem ausgeprägten Lymphknotenbefall die Rezidivquote von etwa 40% deutlich zu senken. Ergebnisse dieser Studien müssen aber abgewartet werden, bevor eine Immuncheckpoint-Inhibitor-Therapie für diese Patientengruppe empfohlen werden kann.
Rezidivierte oder metastasierte Stadien
InterAACT-Studie
In der metastasierten oder lokal rezidivierten Situation setzte den aktuellen Therapiestandard die InterAACT-Studie, welche 5-FU plus Cisplatin mit Carboplatin plus Paclitaxel verglich.4 Insgesamt wurden 91 Patienten randomisiert, von denen letztendlich 74 bezüglich des primären Endpunkts Gesamtansprechrate (ORR) evaluierbar waren.
Die Ansprechraten waren mit 57% (Cisplatin + 5-FU) und 59% (Carboplatin + Paclitaxel) ebenso wie die medianen progressionsfreien Zeiten (PFS) mit 5,7 Monaten und 8,1 Monaten (Logrank p=0,38) in beiden Armen vergleichbar. Für das Gesamtüberleben (OS) zeigte sich allerdings ein klarer Trend zu einem längeren Überleben bei den mit Carboplatin plus Paclitaxel behandelten Patienten, welche im Median 20 Monate überlebten, gegenüber 12,3 Monaten für mit 5-FU und Cisplatin behandelte Patienten (Logrank p=0,06).
Zusätzlich war die Toxizität für mit 5-FU und Cisplatin behandelte Patienten signifikant höher (p=0,016), sodass Carboplatin plus Paclitaxel als das zu bevorzugende Regime zu sehen ist.4 Neben den beiden bereits besprochenen Regimen konnte auch die Kombination aus 5-FU, Leucovorin und Cisplatin (FOLCIS-Regime) in einer einarmigen Phase-II-Studie Wirksamkeit zeigen.5 Bei den 53 behandelten Patienten ergab sich eine Ansprechrate von 48% mit einem medianen PFS von 7,1 Monaten und einem medianen OS von 22,1 Monaten.
Epitopes-HPV02-Studie
Eine sehr hohe Ansprechrate erbrachte die Kombination aus Docetaxel, Cisplatin und 5-FU (DCF) bei 66 im Rahmen der einarmigen Epitopes-HPV02-Studie behandelten Patienten.6 DCF und modifiziertes DCF (mDCF) führten dabei zu einer Ansprechrate von 86% mit einem medianen PFS von elf Monaten und einer Zwölf-Monats-OS-Rate von 83,1%.6 Obwohl diese Studie formal negativ war (erwartet wurde eine Zwölf-Monats-OS-Rate von 84%), definierte sie den Standardarm für die im Rahmen des Jahrestreffens 2022 der ASCO (American Society of Clinical Oncology) vorgestellten Daten der SCARCE(C17-02PRODIGE60)-Studie.7
SCARCE(C17-02PRODIGE60)-Studie
In dieser Studie wurde mit einer 2:1-Randomisation die Gabe von mDCF gegenüber der Kombination aus mDCF plus Atezolizumab bei 97 Patienten geprüft. Die Ansprechrate lag insgesamt bei 75,8% (74,6% vs. 78,1%) und unterschied sich nicht in den beiden Therapiearmen. Das überraschend gute Ergebnis der Epitopes-HPV02-Studie wurde demnach nicht erreicht. Auch die medianen PFS-Zeiten unterschieden sich nicht wesentlich voneinander, sie betrugen 8,7 und 9,2 Monate. Die Studie erreichte damit ihren primären Endpunkt einer Ein-Jahres-PFS-Rate von 46% nicht und war dementsprechend ebenfalls formal negativ. Daten zum OS wurden noch nicht berichtet.
Das Ergebnis war dahingehend überraschend, dass Nivolumab als Monotherapie in der vortherapierten Situation bei 37 Patienten zu einem ORR von 24% geführt hatte, und das bei einem medianen PFS von 4,1 Monaten und einem medianen OS von 11,5 Monaten.8 Diese Daten waren ausreichend, um die Gabe von Nivolumab bei vortherapierten Patienten in der metastasierten Situation in den NCCN(National Comprehensive Cancer Network)-Guidelines zu empfehlen.
KEYNOTE-028-Studie
Ähnliche Daten erbrachte die Gabe von Pembrolizumab. Hier liegt mit der KEYNOTE-028-Studie eine Auswertung der Daten von 43 Patienten vor.9 25 waren mit Pembrolizumab behandelt worden und konnten bezüglich des Ansprechens evaluiert werden. Die Ansprechrate lag bei 17%, wobei 38% mit einem Progress reagierten. Das mediane PFS lag bei nur drei Monaten, mit einem medianen OS von 9,3 Monaten.9
Mutationslast und PD-L1-Expression
Die Gründe für diese relativ geringe Effektivität der Immuncheckpoint-Inhibitoren beim Analkarzinom im Vergleich zu anderen Plattenepithelkarzinomen, z.B. in der Lunge, sind unklar.
Allerdings deuten erste Untersuchungen darauf hin, dass Analkarzinome eine geringere Mutationslast („tumor mutational burden“ [TMB]) aufweisen als Plattenepithelkarzinome anderer Entitäten.10 Weitere translationale Zusatzuntersuchungen aus den vorgenannten Studien wie z.B. die Expression von PD-L1 fehlen oder sind aufgrund der limitierten Fallzahl nicht aussagekräftig, sodass aktuell keine hinreichenden Aussagen z.B. zur Prädiktionsfähigkeit von PD-L1-Expression hinsichtlich der Effektivität von Immuncheckpointtherapeutika gemacht werden können.
In einem vom Autor selbst behandelten Fall ist es allerdings bei hoher PD-L1-Expression von 70% auf den Tumorzellen zu einem pathohistologisch kompletten Ansprechen auf die Gabe eines Immuncheckpointinhibitors gekommen, sodass diese Option nach Versagen der Standardtherapie und einer eventuellen Zusage der Kostenübernahme durch den jeweiligen Kostenträger mit den Patienten diskutiert werden kann. Eine kurze Übersicht über einen möglichen Therapiealgorithmus gibt Abbildung 1.
ECOG-ACRIN-Studie
Aktuell testet die ECOG-ACRIN-Studie (EA2176) randomisiert auf Phase-III-Niveau bei geplanten 205 Patienten mit metastasierten oder rezidivierten Analkarzinomen in der Erstlinientherapie die Gabe von Nivolumab zusammen mit der Standardtherapie Carboplatin und Paclitaxel (NCT04444921). Ebenso wurde die Gabe der Immuncheckpoint-Inhibitoren-Kombination Nivolumab und Ipilimumab im Rahmen einer randomisierten Phase-II-Studie getestet (NCT02314169). Diese Studie rekrutiert nicht mehr, Ergebnisse sind aber bisher noch nicht präsentiert worden.
Im Überblick
Zusammenfassend ist festzustellen, dass in der lokalen Situation die Operation und/oder die definitive Radiochemotherapie der Standard bleiben, welcher aktuell randomisiert in der Kombination mit Immuncheckpoint-Inhibitoren geprüft wird.
In der rezidivierten bzw. metastasierten Situation hat sich die Kombination aus Paclitaxel und Carboplatin als Standard gegenüber 5-FU und Cisplatin etabliert. Hier ist vor allem das günstigere Nebenwirkungsprofil bei vergleichbarer Effektivität zu sehen. Alternative Regime wie mDFC oder FOLCIS haben in einarmigen Phase-II-Studien Wirksamkeit gezeigt.
Von der Gabe von Immuncheckpoint-Inhibitoren haben einzelne Patienten im Rahmen von Studien mit vorbehandelten Patienten profitiert. Die Hinzugabe von Atezolizumab zu mDCF hat allerdings in der Erstliniensituation nicht den erhofften Erfolg gebracht. Aktuell laufende Studien (z.B. EA2176) prüfen die Gabe von Immuncheckpoint-Inhibitoren bzw. die Gabe von Immuncheckpoint-Inhibitor-Kombinationen.
Literatur:
1 Zentrum für Krebsregisterdaten im Robert Koch-Institut: Bericht zum Krebsgeschehen in Deutschland. 2018 2 Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF): Analkarzinom (Diagnostik, Therapie und Nachsorge von Analkanal- und Analrandkarzinomen), Langversion 1.2, 2020, AWMF Registernummer: 081/004OL. Online unter https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/leitlinien/analkarzinom/ . Abgerufen am 14.06.2022 3 Flam M et al.: Role of mitomycin in combination with fluorouracil and radiotherapy, and of salvage chemoradiation in the definitive nonsurgical treatment of epidermoid carcinoma of the anal canal: results of a phase III randomized intergroup study. J Clin Oncol 1996; 14(9): 2527-39 4 Rao S et al.: International rare cancers initiative multicenter randomized phase II trial of cisplatin and fluorouracil versus carboplatin and paclitaxel in advanced anal cancer: InterAAct. J Clin Oncol 2020; 38(22): 2510-8 5 Mondaca S et al.: FOLFCIS treatment and genomic correlates of response in advanced anal squamous cell cancer. Clin Colorectal Cancer 2019; 18(1): e39-e52 6 Kim S et al.: Docetaxel, cisplatin, and fluorouracil chemotherapy for metastatic or unresectable locally recurrent anal squamous cell carcinoma (Epitopes-HPV02): a multicentre, single-arm, phase 2 study. Lancet Oncol 2018; 19(8): 1094-106 7 Kim S et al.: Atezolizumab plus modified DCF (docetaxel, cisplatin, and 5-fluorouracil) as first-line treatment for metastatic or locally advanced squamous cell anal carcinoma: A SCARCE-PRODIGE 60 randomized phase II study. J Clin Oncol 2022; 40(suppl. 16): Abstr. #3508 8 Morris VK et al.: Nivolumab for previously treated unresectable metastatic anal cancer (NCI9673): a multicentre, single-arm, phase 2 study. Lancet Oncol 2017; 18(4): 446-53 9 Ott PA et al.:Safety and antitumor activity of the anti-PD-1 antibody pembrolizumab in patients with recurrent carcinoma of the anal canal. Ann Oncol 2017; 28(5): 1036-41 10 Morris V et al.: Comprehensive genomic profiling of metastatic squamous cell carcinoma of the anal canal. Mol Cancer Res 2017; 15(11): 1542-50
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