Neue Perspektiven in der diagnostischen und therapeutischen Landschaft
Autor:
Priv.-Doz. Dr. Henning D. Popp
Kepler Universitätsklinikum, Abteilung für Hämatologie und Onkologie, Linz
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Die diagnostische und therapeutische Landschaft der akuten myeloischen Leukämie (AML) unterliegt einer ständigen Weiterentwicklung. So gibt es neue Daten zu Phase-III-Studien, die die überlegene Wirksamkeit von Chemotherapie in Kombination mit zielgerichteten Inhibitoren belegen. Doublettherapien setzen bereits heute einen neuen therapeutischen Standard, während von Tripeltherapien wahrscheinlich bestimmte Subgruppen von AML-Patient:innen profitieren werden.
Keypoints
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Die ELN-Risikoklassifikation 2022 stellt die derzeitig gültige Risikoklassifikation der AML dar. Tiefergehende genetische Analysen lassen eine weitere Verfeinerung erwarten.
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Die QuANTUM-First-Studie mit „7+3“-Chemotherapie in Kombination mit Quizartinib bei FLT3-ITD-mutierter AML zeigte einen Vorteil im Gesamtüberleben für den Einsatz von Quizartinib. Ergebnisse anderer Phase-III-Studien zum Einsatz von Chemotherapie in Kombination mit Inhibitoren stehen derzeit noch aus.
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Der MORPHO-Trial zeigte eine Überlegenheit der Erhaltungstherapie mit Gilteritinib nach allogener Stammzelltransplantation bei den Patient:innen, die vor oder nach der Transplantation MRD-positiv für FLT3-ITD waren.
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Das Doublet Venetoclax+Azacytidin stellt bereits heute einen neuen therapeutischen Standard bei älteren AML-Patient:innen dar, die nicht für eine intensive Chemotherapie geeignet sind. Die Kombination Ivosidenib+Azacytidin ist neu zugelassen bei IDH1-mutierter AML. Triplets werden aktuell in Phase-I/II-Studien untersucht und können von Nutzen für bestimmte AML-Subgruppen sein.
Diagnostik
Die ELN(European LeukemiaNet)-Risikoklassifikation 2022 ist der gegenwärtige Standard zur Risikoeinteilung der AML. Im Vergleich zur vorherigen ELN-Risikoklassifikation von 2017 haben sich mehrere Neuerungen ergeben: Mono- oder biallelische bZIP-„in-frame“-CEBPA-Mutationen ersetzen die bisherigen biallelischen CEBPA-Mutationen in der günstigen Risikogruppe. Tiefergehende Analysen haben jedoch gezeigt, dass in der Gruppe der bZIP-„in-frame“-CEBPA-Mutationen eine kleine Subgruppe mit mono- oder biallelischen Missense-Mutationen besteht, die prognostisch nicht günstig sindund daher aus der Gruppe der günstigen bZIP-„in-frame“-CEBPA-Mutationen herausgenommen werden sollten.1
In der mittleren Risikogruppe werden FLT3-ITD-Mutationen unabhängig von der Ratio eingruppiert, da der prognostische Effekt durch die neuen Tyrosinkinase-Inhibitoren nivelliert wird. In die ungünstige Risikogruppe werden die neun MDS-assoziierten Genmutationen ASXL1, BCOR, EZH2, RUNX1, SF3B1, SRSF2, STAG2, U2AF1 und ZRSR2 aufgenommen.
Chemotherapie in Kombination mitzielgerichteten Inhibitoren
Die QuANTUM-First-Studie
Die QuANTUM-First-Studie hat die klassische „7+3“-Chemotherapie in Kombination mit Quizartinib bei FLT3-ITD-mutierter AML untersucht. Die Studie zeigte einen signifikanten Überlebensvorteil für den Quizartinib-Arm mit einem medianen Überleben von 31,9 Monaten im Vergleich zu Placebo mit 15,1 Monaten.2
Im Vergleich zur RATIFY-Studie mit Midostaurin wurden auch ältere Patient:innen (18–75 Jahre) eingeschlossen. In der Subgruppenanalyse ergaben sich insbesondere Vorteile bei den jüngeren Patient:innen <60 Jahren und den Patient:innen mit hoher „Variant Allele Frequency“ (VAF), während Patient:innen ohne NPM1-Komutation nicht profitierten. Basierend auf diesen Daten wurde Quizartinib von der FDA (U.S. Food and Drug Administration) dieses Jahr zugelassen.
Tab. 1: ELN-Risikoklassifikation 2022. Modifiziert nach Döhner H et al.9
Die HOVON156AML/AMLSG28-18-Studie
HOVON156AML/AMLSG28-18 ist eine Phase-III-Studie, die den Einsatz von Midostaurin vs. Gilteritinib in der Induktions-, Konsolidations- und Erhaltungstherapie bei Patient:innen mit FLT3-mutierter AML untersucht. Ergebnisse stehen zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch aus. Die Daten aus einer früheren Phase-I-Studie mit Chemotherapie in Kombination mit Gilteritinib bei FLT3-mutierter AML zeigte ein medianes Gesamtüberleben von 46,1 Monaten, sodass ein gutes Ansprechen auch in der Studie HOVON156AML/AMLSG28-18 zu erwarten ist.3
Allerdings war in der zuvor genannten Studie auch ein deutlicher myelosuppressiver Effekt von Gilteritinib nachweisbar, mit einer medianen Dauer bis zur Erholung der Blutwerte (ANC [neutrophile Granulozyten] >1,0G/l und Thrombozyten >100G/l) in der Induktion von 41 Tagen und in der Konsolidierung von 36 Tagen im Gegensatz zu Midostaurin, das keinen myelosuppressiven Effekt aufweist. In der RATIFY-Studie betrug die mediane Dauer bis zur Erholung der Blutwerte (ANC >0,5G/l; Thrombozyten >100G/l) 26 bzw. 21 Tage. Weiterhin muss beachtet werden, dass Gilteritinib ein Substrat von CYP3A4 ist, ebenso wie Azole, und daher der Einsatz von Azolen den Gilteritinib-Spiegel und damit auch den myelosuppressiven Effekt von Gilteritinib verstärken kann.
Die HOVON150AML/AMLSG29-18-Studie
In der Phase-III-Studie HOVON150AML/AMLSG29-18 wird die „7+3“-Chemotherapie in Kombination mit dem IDH1-Inhibitor Ivosidenib bzw. dem IDH2-Inhibitor Enasidenib bei IDH1/2-mutierter AML in Induktions-, Konsolidations- und Erhaltungstherapie untersucht. Studienergebnisse stehen zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch aus. Allerdings legen Ergebnisse einer früheren Phase-I-Studie mit 12-Monats-Überlebenswahrscheinlichkeiten von >75% in beiden Studienarmen mit Ivosidenib bzw. Enasidenib gute Ergebnisse in der HOVON150AML/AMLSG29-18-Studie nahe.4
Post-hoc-Analyse zur Kardiotoxizität von CPX-351
Eine Post-hoc-Analyse zur Kardiotoxizität von CPX-351 bei älteren Patient:innen mit Hochrisiko-AML zeigte eine geringere Kardiotoxizität von CPX-351 gegenüber „7+3“, wobei eine geringere kumulative Daunorubicin-Dosis für CPX-351 (378mg) im Vergleich zu „7+3“ (570mg) dafür verantwortlich sein könnte.5 Eine weitere Rolle dürfte auch die liposomale Verpackung des Anthrazyklins bei CPX-351 sein.
Die geringere Kardiotoxizität von CPX-351 kann insbesondere relevant sein für ältere AML-Patient:innen mit Myelodysplasie-assoziierten Genmutationen oder Therapie-assoziierter AML und für Patient:innen, die einer allogenen Stammzelltransplantation zugeführt werden sollen.
Erhaltungstherapie nach allogener Stammzelltransplantation
In diesem Jahr wurden auch Daten aus dem MORPHO-Trial veröffentlicht. Gilteritinib wurde als Erhaltungstherapie nach allogener Stammzelltransplantation bei AML-Patient:innen mit FLT3-ITD-Mutation eingesetzt. Während sich in der Gesamtgruppe der FLT3-ITD-mutierten AML kein Vorteil für den Einsatz von Gilteritinib im Hinblick auf das rezidivfreie und das Gesamtüberleben zeigte, war ein signifikanter Vorteil für das rezidivfreie Überleben bei einer Gilteritinib-Erhaltungstherapie bei Patient:innen mit FLT3-ITD-Mutation nachweisbar, die vor oder nach der allogenen Stammzelltransplantation MRD-positiv waren.
Doublets
Das Doublet Azacytidin+Venetoclax ist der neue Standard für ältere, unfitte AML-Patient:innen, die nicht für eine intensive Chemotherapie geeignet sind. Die Follow-up-Daten der VIALE-A-Studie zeigen über alle Genotypen hinweg für die Kombination Azacytidin+Venetoclax einen Überlebensvorteil von 14,7 Monaten vs. 9,6 Monate mit Azacytidin+Placebo. Bei der Gruppe der IDH1/2-mutierten AML liegt das mediane Überleben für die Kombination Azacytidin+Venetoclax sogar bei 19,9 Monaten im Vergleich zu 6,2 Monaten bei Azacytidin+Placebo.6 Trotz insgesamt guter Ansprechraten ist die Prognose von AML-Patient:innen mit TP53-Mutation in der VIALE-A-Studie mit einem medianen Überleben von 5,5 Monaten weiterhin ungünstig.
Nach der erfolgreichen Testung in der AGILE-Studie wurde dieses Jahr von der EMA (Europäische Arzneimittelagentur) die Kombination Azacytidin+Ivosidenib für die Therapie von AML-Patient:innen mit IDH1-Mutation zugelassen, die nicht für eine intensive Chemotherapie geeignet sind. Damit steht für diese Patient:innengruppe eine besonders effektive Therapie zur Verfügung (Follow-up-Gesamtüberleben: 29,3 Monate vs. 7,9 Monate).7
In der Originalpublikation ist die Häufigkeit von neutropenem Fieber für Patient:innen, die die Kombination Azacytidin+Ivosidenib erhalten, geringer als im Kontrollarm mit Azacytidin+Placebo, was an der höheren Neutrophilenzahl bei der Kombination Azacytidin+Ivosidenib liegen könnte.8 Das Differenzierungssyndrom ist häufiger unter Azacytidin+Ivosidenib aufgetreten als im Kontrollarm mit Azacytidin+Placebo.
Abb. 2: Follow-up-Daten der AGILE-Studie. De Botton S et al.7
Zur Therapie des Differenzierungssyndroms bietet sich bei einem Anstieg der Leukozyten >10G/l die Gabe von Dexamethason und Hydroxyurea an. Ein Absetzen des Inhibitors ist aufgrund der langen Halbwertszeit (72–138h) möglicherweise nicht erforderlich. Eine weitere wichtige Nebenwirkung von Ivosidenib ist die Verlängerung der QT-Zeit, sodass regelmäßige EKG-Kontrollen erforderlich sind.
Triplets
Eine wesentliche Neuerung in der Therapie der AML liegt in der Entwicklung von Tripeltherapien, die gegenwärtig in Phase-I/II-Studien getestet werden. Interessante Kombinationen sind Ivosidenib+Venetoclax/Azacytidin bei IDH1-mutierter AML sowie Gilteritinib+Venetoclax/Azacytidin bei FLT3-mutierter AML. Die Therapien zeigen durchweg höhere Ansprechraten gegenüber den Doublets.
Maßnahmen zur Vermeidung einer zu starken Myelosuppression umfassen unter anderem eine frühe Knochenmarkspunktion an Tag 14 zur Anpassung der Therapie (bei Blastenfreiheit kann der Inhibitor pausiert werden). Die optimale Dosis von Venetoclax/Azacytidin im Triplet muss noch bestimmt werden, wobei die Gabe von Venetoclax vermutlich auf sieben Tage begrenzt werden muss, um eine zu starke Myelosuppression zu verhindern.
Die Zukunft von Magrolimab in Triplets bleibt nach dem Stopp der ENHANCE-Studie und der ENHANCE-2-Studie wegen fehlender Wirksamkeit fraglich.
Wie sollen wir Patient:innen mit TP53-Mutation behandeln?
Die Behandlung von AML-Patient:innen mit TP53-Mutation bleibt schwierig. Ein negativer Einfluss auf das Gesamtüberleben für AML-Patient:innen mit TP53-Mutation zieht sich durch alle Therapieoptionen von „7+3“, CPX-351 und Venetoclax/Azacytidin bis hin zur allogenen Stammzelltransplantation. Daher stellt der Einschluss in eine Studie die beste Therapieoption dar.
Neue Substanzen
Zu den neuen vielversprechenden Substanzen zählen sicherlich die Menin-Inhibitoren (Ziftomenib, Revumenib), die eine besondere Wirksamkeit bei AML mit NPM1-Mutation und KMT2A-Rearrangement zeigen, basierend auf einer Unterdrückung der HOX-Gen-getriebenen Leukämogenese.
Laufende Phase-I/II-Studien sind AUGMENT-101 (Revumenib [SNDX-5613] bei refraktären und rezidivierten [r/r] Leukämien) und KOMET-001 (Ziftomenib [KO-539] bei r/r AML). Eine weitere interessante Substanz stellt Pivekimab-Sunirine (PVEK, IMGN632) dar, das sich als Antikörper-Wirkstoff-Konjugat aus einem CD123-Antikörper und IGN (Indolinobenzodiazepin-Pseudodimer) zusammensetzt.
Literatur:
1 Georgi JA et al.: Prognostic impact of CEBPA-mutational subgroups in adult aml – results of a large metaanalysis in more than 1000 CEBPA-mutant patients. HemaSphere 2022; 6: 304-5 2 Erba HP et al.: Quizartinib plus chemotherapy in newly diagnosed patients with FLT3-internal-tandem-duplication-positive acute myeloid leukaemia (QuANTUM-First): a randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 3 trial. Lancet 2023; 401(10388): 1571-83 3 Pratz KW et al.: Gilteritinib in combination with induction and consolidation chemotherapy and as maintenance therapy: a phase IB study in patients with newly diagnosed AML. J Clin Oncol 2023; 41(26): 4236-46 4 Stein EM et al.: Ivosidenib or enasidenib combined with intensive chemotherapy in patients with newly diagnosed AML: aphase 1 study. Blood 2021; 137: 1792-803 5 Mitchell JD et al.: Cardiotoxicity of CPX-351 vs 7+3 in patients with untreated high-risk acute myeloid leukemia. HemaSphere 2023; 7(S3): e178806c 6 PratzKW et al.: Long-term follow-up of the phase 3 VIALE-A clinical trial of venetoclax plus azacitidine for patients with untreated acute myeloid leukemia ineligible for intensive chemotherapy. Blood 2022; 140(1): 529-31 7Döhner H et al.: Updated survival, blood count recovery and safety results from the AGILE study in patients with acute myeloid leukemia treated with ivosidenib + azacitidine compared to placebo + azacitidine. EHA 2023; Abstr. #P490 8 Montesinos P et al.: Ivosidenib and azacitidine in IDH1-mutated acute myeloid leukemia. N Engl J Med 2022; 386(16): 1519-31 9 Döhner H et al.: Diagnosis and management of AML in adults: 2022 recommendations from an international expert panel on behalf of the ELN. Blood 2022; 140: 1345-77
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