„Es hat mich sehr überrascht, dass viele Patienten nicht nach diesen Standards behandelt werden“
Das Interview führte Dr. Nicole Leitner
Unser Gesprächspartner:
Assoc. Prof. Dr. Thomas Melchardt, PhD
Universitätsklinik für Innere Medizin III, mit Hämatologie, internistischer Onkologie, Hämostaseologie, Infektiologie, Rheumatologie und Onkologisches Zentrum
Landeskrankenhaus Salzburg – Universitätsklinikum der PMU
E-Mail: t.melchardt@salk.at
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Der Jahreskongress der American Society of Clinical Oncology (ASCO) fand in diesem Jahr zum zweiten Mal rein virtuell statt. Assoc.Prof. Dr. Thomas Melchardt sprach im Interview über die ASCO-Highlights zur chronischen lymphatischen Leukämie und anderen Lymphomen.
Welche Highlights gab es am ASCO-Kongress zur chronischen lymphatischen Leukämie (CLL)?
T. Melchardt: Am heurigen ASCO-Kongress wurden viele interessante Studien zu Lymphomen und hämatologischen Malignomen gezeigt. Im Bereich der CLL wurden zwei sehr wichtige Studien vorgestellt, die ELEVATE- und die CAPTIVATE-Studie.
ELEVATE führte einen Kopf-an-Kopf-Vergleich der zwei Brutontyrosinkinase(BTK)-Inhibitoren Ibrutinib und Acalabrutinib bei vorbehandelten Patienten durch. Es zeigte sich eine idente Wirksamkeit ohne relevanten Unterschied in Bezug auf das progressionsfreie Überleben (PFS). Einer der primären Endpunkte der Studie, die bessere Verträglichkeit, wurde im Acalabrutinib-Arm erreicht. Unter Acalabrutinib fand sich eine geringere Rate an symptomatischem Vorhofflimmern, des Weiteren zeigte der Wirkstoff auch in Bezug auf andere Nebenwirkungen wie z.B. Diarrhö ein günstigeres Profil (Tab. 1). Auf einen interessanten, etwas überraschenden Punkt möchte ich hinweisen: Zwar war unter Acalabrutinib die allgemeine Blutungsneigung geringer, jedoch war die Rate schwerer Blutungen in beiden Armen nicht unterschiedlich und war insgesamt niedrig mit 3–4%.1
Tab. 1: Nebenwirkungen aller Grade und Grad ≥3 unter Ibrutinib bzw. Acalabrutinib in der ELEVATE-Studie (nach Byrd et al.)1
Die CAPTIVATE-Studie untersuchte im Erstliniensetting die Kombination aus Ibrutinib und Venetoclax für insgesamt 15 Zyklen. In den präsentierten Analysen zu dieser zeitlich begrenzten Therapie sehen wir unter dieser sehr potenten Kombination beeindruckende Remissionsraten. Besonders interessant sind die tiefen Raten an minimaler Resterkrankung (MRD). Darüber hinaus waren das PFS und die Rate an komplettem Ansprechen (CR) auch bei einer Deletion 17p nicht unterschiedlich, soweit man das aus einer Phase-II-Studie herauslesen kann. Das sind diejenigen Hochrisikopatienten, von denen wir wissen, dass sie trotz neuer Therapieoptionen ein schlechteres Outcome haben. Für diese Patienten ist die Kombination aus der CAPTIVATE-Studie besonders vielversprechend (Abb.1).2
Abb. 1: Progressionsfreies Überleben und Gesamtüberleben unter Ibrutinib + Venetoclax (nach Ghia et al.)2
Welche Neuigkeiten gab es zum Mantelzelllymphom?
T. Melchardt: In den letzten Jahren tut sich beim Mantelzelllymphom sehr viel. Mittlerweile gibt es bei jedem Kongress zu dieser sehr seltenen Lymphomentität das eine oder andere Highlight. Für mich als klinischer Onkologe war das Highlight eindeutig die Studie ECOG-ACRIN E1411. Diese randomisierte Phase-II-Studie untersuchte, ob die Hinzunahme von Bortezomib zum Bendamustin-Rituximab-Schema einen Vorteil bringt. Hier gab es bereits vielversprechende Daten aus Phase-II-Studien ohne Kontrollarm. Diese Studie war negativ, da sich kein Vorteil in Bezug auf das PFS fand.3 Daher sehe ich im klinischen Setting keinen Vorteil für diese toxischere Dreifachkombination. Das zeigt mal wieder, wie wichtig randomisierte, kontrollierte Studien sind.
Die zweite interessante Neuigkeit stammt aus einer großen „Real world“-Datenanalyse mit über 3600 Patienten aus den Vereinigten Staaten. Hier wurde untersucht, wie Mantelzelllymphome im klinischen Setting außerhalb der akademischen Zentren in Praxen oder onkologischen Tageskliniken behandelt werden. Hier zeigt sich leider, dass die alltägliche Praxis deutlich von dem abweicht, was empfohlen wird oder wofür es gute klinische Daten gibt. Soweit man das aus einem Registry herauslesen kann, war es möglich, zu unterscheiden, ob Patienten für eine Transplantation geeignet gewesen wären – nur 30% dieser Population haben eine Transplantation erhalten. Das ist sehr überraschend, da es sich um teils junge, fitte Patienten handelte. Auch sieht man, dass das Therapieregime, das sehr häufig verwendet wurde, egal in welchem Alter, Bendamustin plus Rituximab war (Abb. 2).4 Das ist für ältere, komorbide Patienten sicherlich eine sehr gute Therapieoption. Bei den jüngeren Patienten müssen wir allerdings davon ausgehen, dass intensive Chemotherapieprotokolle mit Cytarabin und Transplantation zu einem besseren Outcome führen. Es hat mich sehr überrascht, dass viele Patienten nicht nach diesen Standards behandelt werden.
Abb. 2: Angewendete Behandlungsschemata beim Mantelzelllymphom im „Real world“-Setting (nach Martin et al.)4
Welche wichtigen Studien wurden zum follikulären Lymphom präsentiert?
T. Melchardt: Beim follikulären Lymphom wurden Daten zur Therapie mit CAR-T-Zellen präsentiert. Die Phase-II-Studie ELARA untersuchte den Einsatz von Tisagenlecleucel (Tisa-cel) beim vorbehandelten, follikulären Lymphom. Zur Behandlung von indolenten Lymphomen mit CAR-T-Zellen haben wir mittlerweile aus verschiedenen Studien Daten. Auch die Daten zu Tisa-cel sind vielversprechend, auch wenn noch keine allzu große Patientenzahl untersucht wurde. Wir sehen, dass ein relevanter Anteil der Patienten über einen längeren Zeitraum in Remission bleibt. Nach 12 bis 18 Monaten kommt es aber zu weiteren Rezidiven. Wir warten nun den weiteren Verlauf ab, um zu sehen, ob sich ein Plateau ausbildet oder nicht. Ob man die Biologie des follikulären Lymphoms ändern kann, ist eine wichtige Frage. Vergleichsweise zeigt sich beim aggressiven Lymphom, dass sich unter CAR-T-Zell-Therapie ein Plateau bildet.
Die Verträglichkeit von Tisa-cel lag in der ELARA-Studie ungefähr bei dem, was beim Vergleich mit anderen Studienprotokollen erwartbar war: Knapp 40% der Patienten benötigten Tocilizumab oder Steroide.5
Gab es zum Hodgkin-Lymphom wichtige Studien, die am ASCO-Kongress vorgestellt wurden?
T. Melchardt: Aus Sicht der ASCO gab es beim Hodgkin-Lymphom einige wichtige Studien. Hier gab es u.a. die CALGB-Studie, die im Phase-II-Setting untersuchte, wie man Patienten mit einem mediastinalen Bulk gut behandeln kann. Ich würde diese Patienten, in europäischen Maßstäben ausgedrückt, mit einem „Early unfavorable risk“-Hodgkin-Lymphom kategorisieren. Leider sind die Definitionen international recht unterschiedlich. In dieser Studie hat man gesehen, dass eine „PET-guided strategy“ nach 2 Zyklen ABVD (Doxorubicin, Bleomycin, Vinblastin, Dacarbazin) mit einer Deeskalation auf insgesamt 6 Zyklen ABVD ohne Bestrahlung sicher war. Die geschätzte PFS-Rate nach 3 Jahren betrug 92%. Den Vergleichsarm stellten die Patienten dar, die in der PET positiv waren. Dabei handelte es sich um etwa 20 Patienten, die daraufhin mit eskaliertem BEACOPP (Cyclophosphamid, Etoposid, Adriamycin, Procarbazin, Vincristin, Bleomycin, Prednison) und Bestrahlung weiterbehandelt wurden, also nach dem Schema für die Hochrisikopopulation. Hier war das progressionsfreie Überleben nicht unterschiedlich.6
Diese Studie wurde als großer Erfolg gefeiert. Sicherlich zeigen die Daten eine gute PFS-Rate, allerdings müssen wir sie in den Kontext der existenten europäischen Studien setzen. Hier gibt es Studien mit Tausenden von Patienten, z.B. die HD16-7, HD17-8, EORTC-9 und RAPID-Studien10, in denen eine Therapiedeeskalation aufgrund von Interims-PET-Analysen bereits ausführlich untersucht wurde. Hier möchte ich nur kurz auf die HD17-Studie verweisen. Das war die erste Studie, die zeigte, dass man sicher auf eine Strahlentherapie verzichten kann, wenn die Patienten nach zwei Zyklen BEACOPP und zwei Zyklen ABVD im PET negativ waren. Dabei handelte es sich um eine große Studie mit über 1000 Patienten und einem direkten Kontrollarm.8 Man muss das in das richtige Licht rücken. Dieses Vorgehen ist eine Option für ausgewählte Patienten, aber wenn man Daten von Tausenden von Patienten zur Verfügung hat, muss man schon das richtige Augenmaß bewahren.
Vielen Dank für das Gespräch!
Literatur:
1 Byrd JC et al.: First results of a head-to-head trial of acalabrutinib versus ibrutinib in previously treated chronic lymphocytic leukemia. ASCO 2021; Abstr. #7500 2 Ghia P et al.: Fixed-duration (FD) first-line treatment (tx) with ibrutinib (I) plus venetoclax (V) for chronic lymphocytic leukemia (CLL)/small lymphocytic lymphoma (SLL): Primary analysis of the FD cohort of the phase 2 captivate study. ASCO 2021; Abstr. #7501 3 Smith MR et al.: ECOG-ACRIN E1411 randomized phase 2 trial of bendamustine-rituximab (BR)-based induction followed by rituximab (R) ± lenalidomide (L) consolidation for mantle cell lymphoma: effect of adding bortezomib to front-line BR induction on PFS. ASCO 2021; Abstr. #7503 4 Martin P et al.: Real-world (RW) treatment (tx) patterns and outcomes of 3,455 previously untreated mantle cell lymphoma (MCL) patients (pts) in U.S. routine clinical practice. ASCO 2021; Abstr. #7504 5 Schuster SJ et al.: Efficacy and safety of tisagenlecleucel (Tisa-cel) in adult patients (Pts) with relapsed/refractory follicular lymphoma (r/r FL): primary analysis of the phase 2 Elara trial. ASCO 2021; Abstr. #7508 6 LaCasce AS et al.: CALGB 50801 (Alliance): PET adapted therapy in bulky stage I/II classic Hodgkin lymphoma (cHL). ASCO 2021; Abstr. #7507 7 Fuchs M et al.: Positron emission tomography-guided treatment in early-stage favorable Hodgkin lymphoma: final results of the international, tandomized phase III HD16 trial by the German Hodgkin Study Group. J Clin Oncol 2019; 37(31): 2835-45 8 Borchmann P et al.: PET-guided omission of radiotherapy in early-stage unfavourable Hodgkin lymphoma (GHSG HD17): a multicentre, open-label, randomised, phase 3 trial. Lancet Oncol 2021; 22(2): 223-34 9 André MPE et al.: Early positron emission tomography response-adapted treatment in stage I and II Hodgkin lymphoma: final results of the randomized EORTC/LYSA/FIL H10 trial. J Clin Oncol 2017; 35(16): 1786-94 10 Barrington SF et al.: Positron emission tomography score has greater prognostic significance than pretreatment risk stratification in early-stage Hodgkin lymphoma in the UK RAPID study. J Clin Oncol 2019; 37(20): 1732-41
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