
S3-Leitlinie Psychoonkologie
Unser Gesprächspartner:
Prof. Dr. phil. Joachim Weis
Professor für Selbsthilfeforschung
Universitätsklinikum Freiburg
E-Mail: joachim.weis@uniklinik-freiburg.de
Bericht:
Ingeborg Morawetz, MA
Die Aktualisierung der Leitlinie hat nun zum ersten Mal neue Inhalte aufgenommen. Die Evidenz in der Psychoonkologie ist gigantisch angewachsen. Es gibt eine Vielzahl von Studien, Metaanalysen und Reviews zur psychischen Komorbidität, zu Risikofaktoren und zu den verschiedenen Problemlagen. Bei Depression und Fatigue z.B. ist die Datenlage inzwischen sehr gut, zu sexuellen Funktionsstörungen gibt es noch nicht viele Studien. Neue Daten unterstützen oft auch die in der Erstversion der Leitlinie aufgeführten Inhalte.
Mind-Body-Verfahren und Sport- und Bewegungstherapien werden im Update nicht behandelt, da sie bereits in der Leitlinie für komplementärmedizinische Verfahren und in der Leitlinie für Sport- und Bewegungstherapie, die gerade ausgearbeitet wird, abgedeckt werden.
Es ist eine Stärke der Leitlinie für psychoonkologische Diagnostik, Beratung und Behandlung von erwachsenen Krebspatient:innen, dass differenziert nach verschiedenen Zielkriterien dargestellt werden kann, wie effektiv die Interventionen sind.
Intervention
Neue psychoonkologische Interventionen werden in drei zusätzlichen Kapiteln aufgearbeitet.
Ein Kapitel bezieht sich auf sogenannte „e-Health“-Interventionen, also digitale Interventionen in der Psychoonkologie, bei denen Fachpersonen im Hintergrund interaktiv eingebunden sind. Reine Apps sind in der Leitlinie nicht inkludiert. „e-Health“-Interventionen sind v.a. für Menschen in strukturschwachen Gebieten von Bedeutung und für jene, die nicht über Präsenzangebote erreicht werden können.
Ein weiteres Kapitel befasst sich mit speziellen Interventionen im Bereich der palliativen Situation. In den letzten Jahren sind einige neue Konzepte entstanden und haben ihren Weg ins Leitlinienupdate gefunden; z.B. das CALM-Konzept von Gary Rodin, wie Menschen besser mit einer Situation umgehen können, in der sie mit der Endlichkeit konfrontiert sind. Auch die würdezentrierte Therapie von Harvey Max Chochinov wurde mit aufgenommen sowie alle sinnbasierten Interventionen, die für Menschen in palliativen Situationen wichtig sind. Und schließlich wurde auch die spezielle psychologische Krisenintervention in die Leitlinie inkludiert. Sie ist jedoch keine evidenzbasierte Empfehlung, sondern basiert auf einem Expert:innenkonsensus.
Therapie mit Psychopharmaka
Komplett neu überarbeitet wurde der Bereich der Therapie mit Psychopharmaka. Besondere Problemfelder wie Schlafstörungen wurden mit aufgenommen. Außerdem wurde das Kapitel zu Risiken und Neben-, Folge- und Wechselwirkungen überarbeitet. V.a. Wechselwirkungen mit aktuell bekannten Chemotherapeutika werden gesondert ausgeführt. Es gibt klare Empfehlungen, was zu vermeiden ist, und auch Alternativen werden besprochen.
Maligne und/oder metastasierte ZNS-Tumoren
Zu Patient:innen mit malignen und/oder metastasierten ZNS-Tumoren gibt es auch ein neues Kapitel. Das Vorgehen bei Menschen, die ein erhöhtes Risiko für epileptische Anfälle haben, wird erklärt. Zu Blutungsrisiken und Antidepressiva gibt es ebenfalls einen kleinen Absatz.
Zielgruppen
Einzelne Zielgruppen werden in der Aktualisierung noch detaillierter behandelt. So gibt es jetzt ein eigenes Kapitel zu Patient:innen mit besonderen Bedürfnissen, wie z.B. Patient:innen mit Hirntumoren, zu jungen Erwachsenen und zu geriatrischen Krebspatient:innen >75 Jahre. In den letzten Jahren hat auch die Gruppe der Überlebenden an Bedeutung gewonnen, insbesondere die „long-term survivors“. Auch sie werden im Update besprochen.
Künstlerische Therapien
Seit der ersten Version der Leitlinie gibt es viele neue Studien zu den künstlerischen Therapien. Die Aktualisierungen zur Kunst-, Musik-, Tanz- und Bewegungstherapie sind für das Update systematisch recherchiert worden.
Versorgungsfelder
Da es sich um eine Querschnittsleitlinie handelt, waren bisher v.a. Aussagen über den Gesamtverlauf von Krebserkrankungen enthalten. In der neuen Version wird nun spezifisch auf einzelne Versorgungsfelder eingegangen, so z.B. auf die Akutsituation, die ambulante und palliative Situation, auf Rehabilitationskliniken und auf psychosoziale Krebsberatungsstellen.
Nächste Updates
Es wird überlegt, aus der Leitlinie eine „living guideline“ zu machen. Dann würde sich die Fachgruppe einmal im Jahr treffen. Aber gerade in der Psychoonkologie bestätigen neue Daten oft Sachverhalte, die bereits in der Leitlinie enthalten sind. Derzeit wird abgeklärt, wie in Zukunft die Aktualisierung der Leitlinie sichergestellt werden kann.
Quelle:
S3-Leitlinie Psychoonkologische Diagnostik, Beratung und Behandlung von erwachsenen Krebspatient*innen, 31.5.2023: https://register.awmf.org/assets/guidelines/032-051OLl_S3_Psychoonkologische-Diagnostik-Beratung-Behandlung-von-erwachsenen-KrebspatientInnen_2023-06.pdf
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