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Lungenkarzinom

Therapie im Wandel: primäre chirurgische Therapie in der Ära der Immuntherapie?

Die Therapie des nichtkleinzelligen Bronchialkarzinoms unterliegt einem stetigen Wandel. Gerade in den letzten Jahren trugen die Ergebnisse mehrerer Phase-III-Studien zu einem Paradigmenwechsel in der Behandlung primär resektabler Lungentumoren bei. Durch die deutliche Verbesserung der Ergebnisse für NSCLC-Patient:innen hielten Immuncheckpoint-Inhibitor-Kombinationen und zielgerichtete Therapien Einzug in die kurativen Behandlungskonzepte von Patient:innen mit Lungenkarzinom. Mittlerweile stellt sich zunehmend die Frage, für welche Patient:innen der Behandlungsansatz einer primären chirurgischen Therapie noch gültig ist.

Die Empfehlungen zur Therapie eines Bronchialkarzinoms sollten in multidisziplinären Tumorboards erfolgen, in denen Patient:innen mit all ihren unterschiedlichen klinischen Charakteristiken und Komorbiditäten vorgestellt werden. Unter Berücksichtigung dieser Faktoren wird versucht, basierend auf Studienevidenz einen optimalen und individualisierten Therapieplan zu erstellen. Diese interdisziplinäre Besprechung führt nachweislich zu einer Verbesserung des Behandlungsergebnisses.1

Während vor gar nicht allzu langer Zeit das klinische Tumorstadium und eine Einschätzung des Allgemeinzustandes ausreichten, um diese Entscheidung zu treffen, fließen heute neben der reinen Histologie und der Tumorausdehnung in der Bildgebung auch Ergebnisse v.a. molekularpathologischer Analysen in die Entscheidungsfindung mit ein. In der zentralen Fragestellung, ob primär eine operative Sanierung oder doch eine neoadjuvante Therapie vorangestellt werden sollte, haben in den letzten Jahren mehrere Studien zu einem therapeutischen Paradigmenwechsel in der täglichen Praxis geführt.

In vielen Kliniken galt eine primäre chirurgische Sanierung bis zum singulären mediastinalen Lymphknotenbefall als etablierte Therapie. Patient:innen konnten so einer raschen lokalen Tumorkontrolle zugeführt werden. Im Falle einer R0-Resektion galten Patient:innen als tumorfrei. Einer der Hauptgründe für diese Strategie war sicherlich die schwache Evidenz für einen Überlebensvorteil einer neoadjuvanten platinbasierten Chemotherapie im Vergleich zu einem adjuvanten Systemtherapiekonzept.2

Während Patient:innen mit großen zentralen Tumoren von einer Verkleinerung des Tumors und damit einer besseren Resektabilität durch eine neoadjuvante Therapie profitieren konnten, war der Nutzen für kleine periphere Tumoren mit geringem mediastinalem Lymphknotenbefall aus chirurgischer Sicht nicht eindeutig gegeben. Nebenwirkungen durch die Chemotherapie, Veränderungen im Gewebe, die eine Resektion verkomplizieren können, und nicht zuletzt ein möglicher lokaler Progress im Falle eines Nichtansprechens waren Rechtfertigungen für eine primäre chirurgische Resektion. Die große Heterogenität des Tumorstadiums IIIA nach UICC trug sicherlich weiter dazu bei, dass Argumente für verschiedenste Therapiekonzepte gefunden werden konnten.

Noch immer fehlt der Beweis für einen Vorteil einer neoadjuvanten Therapie im direkten, randomisierten Vergleich zum rein adjuvanten Konzept, und vermutlich wird es eine solche Studie auch in absehbarer Zukunft nicht geben. Allerdings konnte rezent in mehreren Phase-III-Studien ein eindeutiger Vorteil für eine neoadjuvante Kombination aus platinbasierter Chemotherapie und Immuncheckpoint-Inhibitor-Therapie mit eventueller adjuvanter Erhaltungstherapie gegenüber der reinen neoadjuvanten Chemotherapie bei Patient:innen mit NSCLC ohne Treibermutation gezeigt werden. Eine Übersicht über die Ergebnisse der aktuellen Phase-III-Studien ist in Tabelle 1 zu finden.3–6 Ein direkter Vergleich zwischen den Studien sollte dabei aufgrund der unterschiedlichen Einschlusskriterien (Stadiendefinition) wie immer vermieden werden.

Tab. 1: Übersicht über Phase-III-Studien zu neoadjuvanten und perioperativen Chemoimmuntherapien beim resezierbaren NSCLC im Frühstadium. Nicht angeführt wird die NEOTORCH-Studie, in die nur chinesische Patient:innen eingeschlossen wurden

Die Datenlage wird nun auch für Chirurg:innen, die eine primäre Resektion bevorzugen, erdrückend. Worin liegen die Vorteile einer neoadjuvanten Chemoimmuntherapie? Immer noch wird die Verbesserung der Resektabilität als einer der Hauptgründe genannt. Dazu kommen die frühe Therapie von Mikrometastasen mit verlängertem krankheitsfreiem Überleben, die bessere Adhärenz zu Therapieprotokollen sowie Überlebensvorteile durch eine Verkleinerung des Tumors (Downstaging) oder überhaupt ein komplettes Ansprechen des Tumors mit einem Fehlen von vitalen Tumorzellen im Präparat (komplette pathologische Remission [pCR]), von dem wir wissen, dass diese pCR sich in ein längeres krankheitsfreies Überleben übersetzen lässt.3–6 Für eine neoadjuvante Immuntherapie sprechen im Konzept eine breitere T-Zell-Antwort durch ein größeres Repertoire an Tumorantigenen und vor allem die Möglichkeit der Evaluierung eines Therapiekonzepts direkt am chirurgischen Resektat.7

Diese theoretischen Vorteile konnten in den zuletzt präsentierten Studienergebnissen eindrücklich in signifikante Vorteile im krankheitsfreien Überleben umgesetzt werden. Und noch überraschender zeigte sich auch, dass diese Vorteile nicht nur für die klassischen Kandidat:innen einer herkömmlichen neoadjuvanten Chemotherapie gelten (Stadium IIIA), sondern auch für Patient:innen im Stadium II (bzw. IB, CM816, 7th Edition UICC!), also für alle Tumoren ab einem Tumordurchmesser von 4cm, egal ob mit oder ohne Lymphknotenbefall.

Wer soll aktuell eine neoadjuvante Therapie erhalten, wer primär operiert werden? Viele der Gründe ergeben sich beim genauen Studium der publizierten Phase-III-Studien, andere beruhen allerdings auch auf subjektiven Einschätzungen. An dieser Stelle muss festgehalten werden, dass dieser Artikel lediglich einen Überblick geben soll und sicher nicht als allumfassende Leitlinie betrachtet werden darf! Nachfolgend finden Sie meine Beurteilung der aktuellen Therapiekonzepte:

  1. Tumoren im Stadium I (8th Edition UICC), also kleiner oder gleich 4cm Tumordurchmesser und ohne Verdacht auf eine Metastasierung in lokoregionäre Lymphknoten, wurden nicht in die oben genannten Studien eingeschlossen. Aktuell wird für diese Patient:innen eine primäre lokale Sanierung empfohlen. Eine neoadjuvante Therapie für diese Patient:innen sollte nur im Rahmen von gut strukturierten Studien erfolgen.

  2. Patient:innen mit EGFR- oder ALK-Mutationen sprechen in aller Regel schlecht auf eine neoadjuvante Chemoimmuntherapie an und wurden daher aus den meisten Studien ausgeschlossen. Zudem gibt es für EGFR-mutierte und ALK-translozierte Tumoren sehr effektive adjuvante Therapiekonzepte, sodass auch diese Patient:innen in aller Regel keiner neoadjuvanten Therapie zugeführt werden.

  3. Während Patient:innen im Stadium III von der neoadjuvanten Kombinationstherapie profitieren, erscheint der Benefit im Stadium II weniger klar. In der Studie CheckMate 816 z.B. reduziert sich der Vorteil beim ereignisfreien Überleben nach 24 Monaten von einer HR von 0,54 auf 0,87 zwischen Stadium IIIA und Stadium IB–II (7th Edition UICC).3 Für die verfügbaren Daten zum Gesamtüberleben hingegen erscheint ein Unterschied zwischen den Stadien wiederum nicht gegeben.4 Auch ein rezent publiziertes Consensus-Paper der International Association for the Study of Lung Cancer fand in der Frage, ob NSCLC-Patient:innen im Stadium II eine neoadjuvante/perioperative Chemoimmuntherapie erhalten sollen, keine hohe Zustimmung unter internationalen Expert:innen (65%) und eine noch geringere Zustimmung in einer Befragung von Kliniker:innen, die in die Therapie dieser Patient:innen involviert sind (55%).8 Für eine endgültige Einschätzung braucht es hier definitiv Daten mit längerer Nachbeobachtungszeit.

  4. Weniger gut abgebildet in den verfügbaren Leitlinien sind Patient:innen, die nicht oder nur grenzwertig mit einem multimodalen Therapiekonzept belastet werden können. Spezielle Konstellationen können eine Abweichung von den etablierten Therapien notwendig machen, wie z.B. im Fall eines lokalen Infektes, einer tumorassoziierten, unkontrollierbaren Bronchialarterienblutung etc. Diese seltenen Fälle können auch ohne neoadjuvante Therapie mit einer primären Resektion therapiert werden, sollten jedoch ausführlich in einem multidisziplinären Tumorboard besprochen werden. Dies gilt ebenso für Patient:innen, die eine systemische Therapie bei fortgeschrittenem Tumorleiden ablehnen oder bei denen eine Kontraindikation gegen die Gabe einer Immuntherapie besteht.

Zusammenfassend können wir festhalten, dass die neoadjuvante Systemtherapie beim resektablen nichtkleinzelligen Bronchialkarzinom eine immer größere Bedeutung bekommt. Auch für Tumoren im Stadium II gibt es mittlerweile gute Evidenz für den Einsatz einer Chemoimmuntherapie, Indikationen für eine primär chirurgische Therapie hingegen werden seltener. Aufgrund der vielfältigen Aspekte, die es in der Therapieplanung zu beachten gilt, sollten die Fälle von Patient:innen mit NSCLC immer in einem multidisziplinären Tumorboard besprochen werden, heute noch mehr als früher.8

1 Heinke MY et al.: A review on the impact of lung cancer multidisciplinary care on patient outcomes. Transl Lung Cancer Res 2020; 9(4): 1639-53 2 Lim E et al.: Preoperative versus postoperative chemotherapy in patients with resectable non-small cell lung cancer: systematic review and indirect comparison meta-analysis of randomized trials. JThorac Oncol 2009; 4(11): 1380-8 3 Forde PM et al.: CheckMate 816 Investigators: Neoadjuvant nivolumab plus chemotherapy in resectable lung cancer. NEngl J Med 2022; 386(21): 1973-85 4 Wakelee H et al.: KEYNOTE-671 Investigators: Perioperative pembrolizumab for early-stage non-small-cell lung cancer. N Engl J Med 2023; 389(6): 491-503 5 Heymach JV et al., AEGEAN Investigators: Perioperative durvalumab for resectable non-small-cell lung cancer. N Engl J Med 2023; 389(18): 1672-84 6 Cascone T et al.: CheckMate 77T investigators: Perioperative nivolumab in resectable lung cancer. N Engl J Med 2024; 390(19): 1756-69 7 Versluis JM et al.: Learning from clinical trials of neoadjuvant checkpoint blockade. Nat Med 2020; 26(4): 475-84 8 Spicer JD et al.: Neoadjuvant and adjuvant treatments for early stage resectable NSCLC: consensus recommendations from the International Association for the Study of Lung Cancer. JThorac Oncol 2024; S1556-0864(24)00627-0

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