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Therapiestratifizierung bei älteren Tumorpatienten – Beispiel Lymphome

Im Rahmen des jährlichen Hausarzt-Symposiums «Interdisziplinäre Altersmedizin» der Klinik für Altersmedizin am Universitätsspital Zürich (USZ) stand in diesem Jahr «der alte Krebspatient» im Vordergrund. Der Vortrag «Therapiestratifizierung bei älteren Tumorpatienten. Beispiel: Lymphome» setzte sich mit vorhandenen Daten und zukünftigen Strategien für diese besondere Patientengruppe auseinander.

Keypoints

  • Ein konsequentes Nebenwirkungsmanagement, gerade zur Vermeidung von Infektionen, ist bei älteren Lymphompatienten zentral.

  • Neue Therapieoptionen können den Behandlungserfolg auch bei älteren Patientinnen und Patienten verbessern.

  • Geriatrische Screeningtools und Assessments können bei der Therapiestratifizierung helfen.

  • Klinische Studien gezielt für ältere Patientengruppen werden benötigt.

Lymphoproliferative Erkrankungen umfassen eine Vielfalt an Entitäten. Die aktuelle WHO-Klassifikation umfasst über 50 unterschiedliche Subklassifikationen. Neben der Unterscheidung der Ursprungszelle, B- versus T-Zell-Linie, ist die Unterteilung in aggressive und indolente Lymphome klinisch bedeutsam. Ähnlich vielfältig ist aber sicher das Erscheinungsbild des «alten Patienten» und der «alten Patientin», die es in dieser generalisierten Form genauso wenig gibt wie «das Lymphom». Die unterschiedlichen Formen des Alters werden durch zunehmend arbiträre Grenzen wie ein kalendarisches Alter immer weniger gut abgebildet. Komorbiditäten, körperliche und geistige Mobilität bis hin zum sozialen Umfeld und entsprechenden Ressourcen spielen hier eine wichtige Rolle und sind durch bisherige Einteilungen wie die der ECOG (Eastern Cooperative Oncology Group) oder den Karnofsky-Index nur ungenügend abgebildet (Tab.1). Hinzu kommt, dass gerade in einem höheren Lebensalter die Lebensqualität gegen einen kurativen Ansatz oftmals anders abgewogen und gewichtet wird. Dabei steigt die Inzidenz annähernd aller Lymphome im höheren Lebensalter. Gleichzeitig wurden Patientinnen und Patienten aufgrund des Alters oder relevanter Komorbiditäten wie Herz- oder Niereninsuffizienz lange von klinischen Studien ausgeschlossen. Interessanterweise wird eine Einschätzung gerade prädemenzieller Entwicklungen selten im Rahmen klinischer Studien abgefragt.

Tab. 1: ECOG Performance Status und Karnofsky-Index

Die aktuelle Standardtherapie besteht für aggressive B- und T-Zell-Lymphome wie das diffus grosszellige B-Zell-Lymphom (DLBCL) oder das periphere T-Zell-Lymphom (PTCL) bisher aus einer polyvalenten Chemotherapie, basierend auf dem sogenannten CHOP-Schema, welches bei B-Zell-Lymphomen noch durch den CD-20-Antikörper Rituximab ergänzt wird. Für indolente Lymphome kommen in der Regel ebenfalls Chemoimmuntherapien infrage, eine Sonderstellung nimmt hier die chronische lymphatische Leukämie (CLL) ein, für die sich in den letzten Jahren eine Vielzahl an neuen, chemotherapiefreien und oralen Therapieoptionen ergeben hat.

Therapieoptionen – was ist zu bedenken?

Bei der Auswahl der Therapieoptionen ist daher nicht nur die Durchführbarkeit (ambulante versus stationäre Durchführung, Infusionen versus orale oder subkutane Therapien, Dauer und Häufigkeit), sondern natürlich auch das Nebenwirkungsprofil zu bedenken. Die Kardiotoxizität der Anthrazykline oder durch Vincaalkaloide wie Vincristin verursachte Polyneuropathien stellen eine Herausforderung dar. Abdominelle Beschwerden wie Mukositiden, Appetitlosigkeit oder Diarrhöen sind gerade beim malnutrierten Patienten ein Problem. Auch neuere Substanzen wie der Bruton-Tyrosinkinase(BTK)-Inhibitor Ibrutinib, welcher zunehmend vor allem bei der CLL als Dauertherapie eingesetzt wird, zeigen mit Vorhofflimmern und einer erhöhten Blutungsneigung ein ungünstiges Nebenwirkungsprofil für ältere, komorbide Patientinnen und Patienten.

Tabelle 2 gibt eine Übersicht relevanter Punkte, die bei einer Therapiestratifizierung und -entscheidung zu beachten sind.

Tab. 2: Relevante Punkte, die bei einer Therapiestratifizierung und -entscheidung zu beachten sind

Lymphome im Alter – was wissen wir?

Bereits 1997 konnte für das DLBCL das Alter als ein entscheidender Prognosefaktor verifiziert werden. Patienten >60 Jahre, noch stärker aber >70-Jährige, zeigen ein schlechteres Ansprechen auf die Therapie sowie ein kürzeres ereignisfreies Überleben (EFS), progressionsfreies Überleben (PFS) und Gesamtüberleben (OS).1 Diese Daten wurden in einer schwedischen Registerstudie für das follikuläre Lymphom ergänzt. In den Jahren 2003–2010 lag die 10-Jahres-OS-Rate in der Altersgruppe 18–49 Jahre bei 92%, in der Gruppe der 50–59-Jährigen bei 83%, der 60–79-Jährigen bei 78% und bei >70 Jahren bei 64%.2

Welche Möglichkeiten der Therapiestratifizierung haben wir?

Generell kommt bei lymphoproliferativen Erkrankungen zur Einschätzung des Risikos der International Prognostic Index (IPI) sowie für das FL der Follicular Lymphoma IPI (FLIPI) (Tab. 3) zum Einsatz. In beide Scores fliesst das Alter als Risikofaktor ein, allerdings sind beide bei den >80-jährigen Patienten prognostisch nicht verwertbar. Bei der CLL wird basierend auf Alter und Komorbiditäten im Wesentlichen in die drei Gruppen «go go», slow go» und «no go» eingeteilt, orientiert an Begleiterkrankungen, an der CIRS sowie an der Nierenfunktion.3 Die spanische GELTAMO-Gruppe hat sich fokussiert mit älteren Lymphompatienten auseinandergesetzt. In einer 2018 publizierten Arbeit wurden Patienten zwischen 80 und 100 Jahren, die mit einer R-CHOP-ähnlichen Therapie behandelt wurden, hinsichtlich OS und PFS untersucht. Als unabhängige Risikofaktoren konnten ein Alter >85 Jahren, ein Wert auf der Cumulative Illness Rating Scale (CIRS) >5 und ein R-IPI 3–5 identifiziert werden. Das Vorliegen von mehr als 2–3 Risikofaktoren war mit einem schlechteren Outcome assoziiert.4

Tab. 3: International Prognostic Index (IPI)

Daten zur Erstlinientherapie

Zu den wenigen Arbeiten zur Erstlinientherapie bei Lymphompatienten gehört die Arbeit der Gruppe um Catherine Thieblemont von 2008. In dieser Analyse waren die Patienten im Mittel 83 Jahre alt, der überwiegende Anteil (91%) hatte ein B-Zell-Lymphom (DLBCL, MALT). 15% der Patienten hatten keine Therapie oder nur Steroide erhalten, 35% eine lokale Therapie (Operation oder Radiatio), 18% eine Polychemotherapie ohne und 32% eine Polychemotherapie mit Anthrazyklinen bekommen. Das mediane Overall Survival lag bei 2,2 Jahren, in 57% war die Ursache für das Versterben der Patienten die Progression des Lymphoms.5

In der Regel wird bei Patienten >80 Jahre mit einem aggressiven B-Zell-Lymphom die gängige Standardtherapie mit R-CHOP in dosisreduzierter Form nach dem R-mini-CHOP-Schema gegeben. Dieses Vorgehen basiert unter anderem auf Daten von Peyrade et al. aus dem Jahr 2011.6 Hier wurden in einer multizentrischen, prospektiven «Single arm»-Studie 150 Patienten mit R-mini-CHOP behandelt. Die Patienten waren im Median 83 Jahre (80–95 Jahre), das 2-Jahres-PFS lag bei 47%, das 2-Jahres-OS bei 59%, ein Drittel der Patienten konnte die Therapie nicht wie geplant beenden. 18% verstarben im Laufe der Studie entweder am Lymphom oder aufgrund der Therapietoxizität. Es zeigte sich, dass ein vor Therapiestart erhobener IADL (Instrumental Activities of Daily Living) prognostisch bedeutsam ist. So lag das mediane OS für Patienten mit einem niedrigeren Score bei 25,8 Monaten, während es für Patienten mit höheren Scores im Beobachtungszeitraum nicht erreicht wurde.

Mit dem Senior-Trial liegt in diesem Jahr die erste Untersuchung vor, die im Rahmen einer placebokontrollierten, randomisierten Studie ausschliesslich Patienten >80 Jahre eingeschlossen hat. Hier wurde R-mini-CHOP mit Lenalidomid kombiniert. Es wurden 239 Patienten mit einem ECOG 0–2 eingeschlossen. Auch wenn die Studie schlussendlich negativ war, so zeigt diese Arbeit doch die Notwendigkeit und Machbarkeit von Studien ausschliesslich für ältere Patienten.7

Nebenwirkungen und Begleiterkrankungen

Tab. 4: Risikofaktoren für Tod durch Infektion bei DLBCL-Patienten >70 Jahre (nach Eyre et al.)8

Infektionen stellen einen Hauptrisikofaktor dar. Eyre et al. konnten in einer Arbeit in «Blood Advances» dieses Jahr zeigen, dass das Risiko, infolge einer Infektion zu versterben, bei Patienten >70 Jahre, die aufgrund eines DLBCL R-CHOP erhielten, in den ersten 5 Jahren bei knapp 21% lag. Hierzu wurden Daten von 690 Patientinnen und Patienten analysiert. Das Risiko für eine Hospitalisierung lag bei 28%. Als unabhängige Risikofaktoren hierfür wurden die Dosisintensität (>80% der Menge der beabsichtigten Dosis), eine fehlende Antibiotika-Prophylaxe mit Chinolonen und ein niedriger Albumin-Spiegel identifiziert. Risikofaktoren für das Versterben im Rahmen einer Infektion waren ein erhöhter IPI (3–5), ein CIRS-G >/=6 und ebenfalls ein erniedrigter Albuminspiegel. Hieraus wurde ein Risk Score abgeleitet (Tab. 4). Während in der Gruppe mit niedrigem Risiko (0 Punkte) kein Patient verstarb, waren es nach 5 Jahren bei mittlerem Risiko 8,3% und bei höchstem Risiko 20,8%.8

Sollte aufgrund von bestehenden kardialen Vorerkrankungen eine Anthrazyklin-Gabe kontraindiziert sein, ist grundsätzlich die alternative Gabe von Etoposid als R-CEOP-Schema beim DLBCL möglich. Moccia et al. zeigten in einem Langzeit-Follow-up über 12 Jahre, dass auch diese Kombination über ein kuratives Potenzial verfügt, auch wenn die Zeit bis zur Progression bzw. das Disease-Specific Survival (DSS) für R-CHOP insgesamt besser ausfällt.9

Dass neue therapeutische Optionen auch zu neuen Überlegungen in Hinblick auf die Durchführbarkeit der Therapie führen, zeigt die Entwicklung bei der CLL. Hier stehen für Patienten >65 Jahre und/oder als «slow go» klassifizierte Patienten inzwischen unterschiedliche Kombinationstherapien zur Verfügung.3 Neben der Frage von Komorbiditäten und vorbestehender Medikation spielt es eine Rolle, ob intensivere, aber zeitlich begrenzte Therapien wie zum Beispiel die Kombination aus Venetoclax und einem CD-20-Antikörper oder die oral applizierte Monotherapie wie mit Ibrutinib eher infrage kommen.

Stellenwert des geriatrischen Assessments

Helfen kann in solchen Entscheidungssituationen ein geriatrisches Screening. Ein im Alltag einfach umzusetzendes Assessment wurde von der italienischen Lymphomarbeitsgruppe validiert.10 In der täglichen Praxis kann anhand des Alters, des CIRS-G sowie der Werte für ADL und IADL eine Einteilung in «fit», «unfit» und «frail» erfolgen. Als «fit» klassifizierte Patienten zeigten mit einem 2-Jahres OS von 84% ein deutlich besseres Überleben als «non-fit» Patienten (42%).

An der Klinik für Medizinische Onkologie und Hämatologie am USZ können Patienten mit einer hämatologischen Erkrankung für ein spezielles geriatrisches Assessment in der Klinik für Altersmedizin vorgestellt werden. Hier stehen am Abschluss neben einer Einschätzung relevanter Fähigkeiten (u.a. Mobilität, Kognition, Ernährungsstatus) auch Empfehlungen für supportive Massnahmen. Auf dieser Basis können Entscheidungen zur Auswahl der Therapie und Beratung der Patienten in Zweifelsfällen validierter getroffen werden.

Im Fazit wurde daher auch darauf hingewiesen, dass aktuelle Stratifizierungsmodelle bei der Risikoeinschätzung helfen können. Allerdings ist die Datenlage für ältere Lymphompatienten weiter dünn, vor allem für aggressivere Entitäten wie zum Beispiel Burkitt/oder T-Zell-Lymphome. Wichtig ist sicher eine gute und detaillierte Aufklärung darüber, was auf die Patienten im Rahmen der Therapie zukommt. Hierfür müssen neben den objektiv erhebbaren Faktoren wie Komorbiditäten auch persönliche Einschätzungen und Erwartungen sowie die Ressourcen der Patientinnen und Patienten und ihres Umfelds miteinbezogen werden. Wichtig ist ein konsequentes Nebenwirkungsmanagement, welches ebenso gut instruiert werden sollte wie die eigentliche Therapie. Angesichts der sich erweiternden therapeutischen Optionen auf der einen wie auch der demografischen Entwicklung auf der anderen Seite sind randomisierte, prospektive Studien für diese Altersgruppe sicher nötig.

1 Bastion Y et al.: Elderly patients with aggressive non-Hodgkin’s lymphoma: disease presentation, response to treatment, and survival--a Groupe d’Etude des Lymphomes de l’Adulte study on 453 patients older than 69 years. J Clin Oncol 1997; 15(8): 2945-53 2 Junlén H et al.: Follicular lymphoma in Sweden: nationwide improved survival in the rituximab era, particularly in elderly women: a Swedish Lymphoma Registry Study. Leukemia 2015; 29(3): 668-76 3 Onkopedia-Leitlinie CLL; https://www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/chronische-lymphatische-leukaemie-cll/@@guideline/html/index.html 4 Pardal E et al.: A new prognostic model identifies patients aged 80 years and older with diffuse large B-cell lymphoma who may benefit from curative treatment: amulticenter, retrospective analysis by the Spanish GELTAMO group. Am J Hematol 2018; 93: 867-73 5 Thieblemont C et al.: Non-Hodgkin’s lymphoma in very elderly patients over 80 years. A descriptive analysis of clinical presentation and outcome. Ann Oncol 2008; 19(4): 774-9 6 Peyrade F et al.; Groupe d’Etude des Lymphomes de l’Adulte (GELA) investigators: Attenuated immunochemotherapy regimen (R-miniCHOP) in elderly patients older than 80 years with diffuse large B-cell lymphoma: amulticentre, single-arm, phase 2 trial. Lancet Oncol 2011; 12(5): 460-8 7 Oberic L et al.: Subcutaneous rituximab-miniCHOP compared with subcutaneous rituximab-miniCHOP plus lenalidomide in diffuse large B-cell lymphoma for patients age 80 years or older. J Clin Oncol 2021; 39(11): 1203-13 8 Eyre TA et al.: Infection-related morbidity and mortality among older patients with DLBCL treated with full- or attenuated-dose R-CHOP. Blood Adv 2021; 5(8): 2229-36 9 Moccia AA et al.: Long-term outcomes of R-CEOP show curative potential in patients with DLBCL and a contraindication to anthracyclines. Blood Adv 2021; 5(5): 1483-9 10 Merli F et al.: Simplified Geriatric Assessment in Older Patients With Diffuse Large B-Cell Lymphoma: The Prospective Elderly Project of the Fondazione Italiana Linfomi. J Clin Oncol 2021; 39(11): 1214-22

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