Totale neoadjuvante Therapie für jedes lokal fortgeschrittene Rektumkarzinom?
Autorin:
Dr. Gudrun Piringer, MSc
Kepler Universitätsklinikum
Univ.-Klinik für Hämatologie und Internistische Onkologie, Linz
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Nach jahrelangem Stillstand in der Entwicklung von Therapien des lokal fortgeschrittenen Rektumkarzinoms ist in den letzten Jahren durch den Einsatz der totalen neoadjuvanten Therapie (TNT) wieder Bewegung ins Geschehen gekommen. Die Integration einer Systemtherapie in das neoadjuvante Setting, der Verzicht auf eine Operation bei klinisch komplettem Ansprechen und die vermutlich künftige Integration der Immuntherapie in das neoadjuvante Setting beim mikrosatelliteninstabilen Rektumkarzinom bieten nun verschiedene Behandlungsoptionen. Es besteht jedoch kein einheitlicher Standard dazu, welche Strategie/welches Regime in welcher Situation in der Praxis eingesetzt werden sollte. Im Rahmen der diesjährigen OeGHO-Frühjahrstagung in Innsbruck wurden die unterschiedlichen Designs der TNT-Studien diskutiert. Sie sind in diesem Artikel zusammengefasst.
Keypoints
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TNT stellt die bevorzugte Therapieoption bei Rektumkarzinomen mit definierten Risikofaktoren dar und hat Einzug in die internationalen Guidelines gehalten.
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Eine Konsolidierungschemotherapie ist einer Induktionschemotherapie hinsichtlich erhöhter pCR-Raten, TME-freien Überlebens und reduzierter Toxizitäten überlegen.
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Eine „Watch & Wait“-Strategie kann bei klinisch komplettem Ansprechen unter engmaschigen Verlaufskontrollen mit Patient*innen diskutiert werden.
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Die Immuntherapie mit Dostarlimab bei mikrosatelliteninstabilen Rektumkarzinomen wird aktuell in einer Phase-II-Studie untersucht und zeigt erste sehr beeindruckende Ergebnisse.
Studien zur totalen neoadjuvanten Therapie
Neoadjuvante Radio(chemo)therapie (RCT), gefolgt von totaler mesorektaler Exzision (TME) und adjuvanter Chemotherapie, stellte jahrelang den Standard in der Behandlung des Rektumkarzinoms im Stadium II/III dar.1 Durch Optimierung der lokalen Therapie wurden Lokalrezidivraten von <10% erreicht, die Fernmetastasierungsrate betrug jedoch nach wie vor 25–30%.
Durch den multimodalen Therapieansatz kann es zur Einschränkung der Lebensqualität kommen, so zum Beispiel bei Auftreten von Anastomoseninsuffizienz, Harn- und Stuhlinkontinenz, sexueller Dysfunktion und der Notwendigkeit einer vorübergehenden oder permanenten Stomaanlage, vor allem bei tief sitzenden Tumoren.
Ziele der Strategie der totalen neoadjuvanten Therapie (TNT) sind es, durch die Integration von systemischer Therapie vor der Operation das Ansprechen zu erhöhen, das Fernmetastasierungsrisiko zu reduzieren, das Gesamtüberleben zu verlängern und die Lebensqualität durch organerhaltende Strategien (sphinktererhaltende Operationen, „Watch & Wait“ bei klinisch komplettem Ansprechen) zu verbessern.
Aktuell sind fünf prospektive TNT-Studien publiziert. Die TNT-Studien unterscheiden sich jedoch durch:
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unterschiedliche Einschlusskriterien
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den Einsatz von Kurzzeitbestrahlung oder Langzeit-RCT (mit unterschiedlicher additiver Chemotherapie)
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eine unterschiedliche Anzahl/unterschiedliche Substanzen bei Induktions- oder Konsolidierungschemotherapie (FOLFIRINOX, FOLFOX [85mg/100mg Oxaliplatin], CAPOX)
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unterschiedlichen Abstand vom Ende der TNT bis zur OP
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teilweise Verabreichung einer adjuvanten Chemotherapie
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unterschiedliche primäre Endpunkte
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die Möglichkeit einer „Watch & Wait“-Strategie bei klinisch komplettem Ansprechen
Dies macht die Vergleichbarkeit der Studien schwierig. Auch im klinischen Alltag stehen verschiedene TNT-Konzepte zur Verfügung.
UNICANCER-PRODIGE 23 und RAPIDO
In den Phase-III-Studien UNICANCER-PRODIGE 23 und RAPIDO konnte beim primären Endpunkt eine signifikante Verlängerung des krankheitsfreien Überlebens bzw. Verringerung des „disease-related treatment failure“ im Vergleich zur Standard-RCT erreicht werden. Dies gelang durch eine Induktionschemotherapie mit 6x FOLFIRINOX gefolgt von RCT in UNICANCER-PRODIGE 23 bzw. durch eine Kurzzeitbestrahlung gefolgt von Konsolidierungschemotherapie mit 6x CAPOX oder 9x FOLFOX in RAPIDO.2,3
Trotz der unterschiedlich eingesetzten Chemotherapie- und Bestrahlungsregimes zeigten beide Studien ein mehr als verdoppeltes pathologisch komplettes Ansprechen (pCR) und eine Verringerung des Auftretens von Fernmetastasen bei jedoch vergleichbaren Raten an Lokalrezidiven, R0-Resektionsraten und Gesamtüberleben.
CAO/ARO/AIO-12 und OPRA
In den Phase-II-Studien CAO/ARO/AIO-12 und OPRA wurden beide Konzepte, also Induktions- und Konsolidierungschemotherapie, miteinander verglichen, wobei in der OPRA-Studie eine „Watch & Wait“-Strategie bei klinisch komplettem Ansprechen ermöglicht wurde.4,5
In der CAO/ARO/AIO-12 Studie wurden drei Gaben Induktionschemotherapie mit FOLFOX (100mg Oxaliplatin) gefolgt von RCT (Oxaliplatin, 5-FU) vs. RCT gefolgt von Konsolidierungschemotherapie mit FOLFOX (100mg Oxaliplatin) miteinander verglichen.4 Die Konsolidierungschemotherapie war einer Induktionschemotherapie hinsichtlich erhöhter pCR-Raten bei jedoch vergleichbarem krankheitsfreiem Überleben (DFS) nach drei Jahren und vergleichbaren Lokalrezidivraten und Fernmetastasierungsraten überlegen. Die Toxizitäten waren in der Konsolidierungsgruppe geringer und die Compliance war höher.
In der OPRA-Studie wurden acht Gaben FOLFOX oder fünf Gaben CAPOX entweder als Induktions- oder Konsolidierungschemotherapie mit RCT verabreicht.5 Bei klinisch kompletter Remission wurde eine „Watch & Wait“-Strategie angeboten. Die Gruppen wurden formal gegen eine historische Kontrollgruppe verglichen. Das Ziel der Studie war es, die optimale Sequenz der TNT zu evaluieren in Hinblick auf DFS (primärer Endpunkt) und Organerhalt (sekundärer Endpunkt). Der primäre Endpunkt der Studie wurde nicht erreicht. Das TME-freie Überleben nach drei Jahren zeigte sich aber mit der Konsolidierungschemotherapie länger.
STELLAR
In der Phase-III-Studie STELLAR wurden Kurzzeitbestrahlung gefolgt von vier Gaben CAPOX, Operation und zwei Gaben adjuvanter CAPOX-Therapie verglichen mit RCT gefolgt von TME und sechs Gaben adjuvanter CAPOX-Therapie.6 Im primären Endpunkt DFS zeigte sich kein Unterschied, die Raten von pCR und Gesamtüberleben waren im experimentellen Arm signifikant höher. Dies ist die erste Studie, die einen Überlebensvorteil zeigt. Kein Unterschied fand sich hingegen im Auftreten von Fernmetastasen und Lokalrezidiven und bei den R0-Resektionsraten.
Dostarlimab bei MSI
Eines der Highlights des letzten Jahres war die Präsentation präliminärer Daten zum Einsatz des PD-1-Inhibitors Dostarlimab bei mikrosatelliteninstabilen Rektumkarzinomen.7 Nach sechsmonatiger Therapie zeigte sich bei allen 14 Patient*innen eine klinisch komplette Remission und es konnte auf die Operation verzichtet werden. Mit Spannung werden die finalen Daten erwartet. Ob aufgrund dieser beeindruckenden Daten Dostarlimab bereits jetzt eingesetzt werden sollte, bleibt Gegenstand der Diskussion.
Einsatz im Alltag
Für den klinischen Alltag stellt sich die Frage, welche Patient*innen mit der bisher gültigen Standardtherapie behandelt werden sollten, welche von einer TNT profitieren und welches TNT-Konzept eingesetzt werden sollte. Patient*innen mit einem Rektumkarzinom mit niedrigem Risiko für ein Rezidiv (T1, T2) ohne Lymphknotenbefall benötigen keine Vorbehandlung und können gleich operiert werden. Patient*innen mit einem mittleren Risiko wie T3, N0–1 ohne Risikofaktoren (MRF–, EMVI–) sollten wie bisher mit einer Kurzzeitbestrahlung oder Radiochemotherapie gefolgt von Operation behandelt werden.
TNT stellt die bevorzugte Therapieoption bei Rektumkarzinomen mit definierten Risikofaktoren dar
Die TNT stellt die bevorzugte Standardtherapie bei Patient*innen mit einem hohen Risiko für ein Lokalrezidiv oder das Auftreten von Fernmetastasen dar. TNT sollte bei Vorhandensein von definierten Risikofaktoren wie T4, N2, positiven lateralen Lymphknoten, extramuraler Veneninfiltration (EMVI+), Infiltration der mesorektalen Faszie (MRF+) oder bei Notwendigkeit einer permanenten Stomaanlage in Betracht gezogen werden.
Die meisten Studien haben eine Induktions- oder Konsolidierungstherapie mit FOLFOX oder CAPOX eingesetzt. Nur die Studie UNICANCER-PRODIGE 23 hat als Systemtherapie FOLFIRINOX verwendet, welches im Vergleich mit den anderen Regimen zu einer höheren Toxizität bei vergleichbarem Outcome geführt hat. Die Konsolidierungstherapie war einer Induktionstherapie hinsichtlich des längeren TME-freien Überlebens nach drei Jahren und einer niedrigeren Rezidivrate überlegen, sowohl in der Studie OPRA als auch in der Studie CAO/ARO/AIO-12.
In den TNT-Studien wurde die Chemotherapie entweder mit einer Kurzzeitbestrahlung (Studien RAPIDO, POLISH-II, STELLAR) oder einer Langzeit-Radiochemotherapie kombiniert (Studien UNICANCER-PRODIGE 23, CAO/ARO/AIO-12). Prinzipiell haben beide Strahlentherapiekonzepte ihre Berechtigung, es muss jedoch erwähnt werden, dass in der Studie RAPIDO im 5-Jahres-Follow-up im experimentellen Arm signifikant höhere Lokalrezidivraten aufgetreten sind als im Standardarm.8 Die Frage, ob eine Kurzzeitbestrahlung oder RCT vor der Konsolidierungschemotherapie eingesetzt werden sollte, versucht die laufende Studie ACO/ARO/AIO-18.1 zu klären.
Die OPRA-Studie hat eine „Watch & Wait“-Strategie bei klinisch komplettem Ansprechen untersucht. Mehrere retrospektive Studien weisen darauf hin, dass bei klinisch komplettem Ansprechen auf eine Operation unter engmaschiger Verlaufskontrolle verzichtet werden kann. Auch Habr-Gama A et al. verfolgen diesen Ansatz schon länger.9 Daten der OPRA-Studie zeigen, dass bei mehr als der Hälfte der Patient*innen ein Organerhalt möglich war, ohne das Gesamtüberleben im Falle eines lokalen Wiederauftretens des Rektumkarzinoms zu verkürzen. Im klinischen Alltag sollte diese Option diskutiert werden, wenn eine permanente Stomaanlage notwendig oder mit einem schlechten funktionellen postoperativen Ergebnis zu rechnen ist. Sie sollte unter engmaschigen klinischen, endoskopischen und MRT-Verlaufskontrollen eingesetzt werden. Als Standard kann TNT aufgrund der limitierten Datenlage noch nicht angesehen werden.
Als weiterer Forschungsgegenstand ist die Verabreichung einer Immuntherapie mit Dostarlimab bei mikrosatelliteninstabilen Rektumkarzinomen im neoadjuvanten Setting von Bedeutung. Eine erste Auswertung einer Phase-II-Studie zeigt ein exzellentes Ansprechen mit klinisch kompletten Remissionen bei allen behandelten Patient*innen. Aufgrund der kleinen Patient*innenanzahl und des kurzen Follow-ups kann dieses Regime auch noch nicht als Standard angesehen werden. Ein längeres Follow-up und der Einsatz bei einer größeren Patient*innenkohorte sind notwendig.
Zusammenfassung
Zusammenfassend hat sich durch TNT das pathologische Ansprechen verdoppelt, das krankheitsfreie Überleben verlängert und das Auftreten von Fernmetastasen reduziert. Im Falle eines kompletten klinischen Ansprechens kann ein möglicher Verzicht auf eine Operation unter engmaschiger Verlaufskontrolle erwogen werden. Bezüglich der TNT-Konzepte ist die Konsolidierungschemotherapie einer Induktionschemotherapie hinsichtlich erhöhter pCR-Raten, TME-freien Überlebens und reduzierter Toxizitäten überlegen. Um eine Übertherapie zu vermeiden, sollten Patient*innen mit definierten Risikofaktoren mittels TNT behandelt werden. Die „Watch & Wait“-Strategie bei klinisch komplettem Ansprechen sollte nur unter engmaschigen Verlaufskontrollen mit Patient*innen diskutiert werden. Ob das TNT-Konzept und die „Watch & Wait“-Strategie für jedes Rektumkarzinom eingesetzt werden sollten und welches Regime sich im klinischen Alltag durchsetzen wird, müssen künftige Studien klären.
Literatur:
1 Sauer R et al.: Preoperative versus postoperative chemoradiotherapy for rectal cancer. N Engl J Med 2004; 351(17): 1731-40 2 Conroy T et al.: Neoadjuvant chemotherapy with FOLFIRINOX and preoperative chemoradiotherapy for patients with locally advanced rectal cancer (UNICANCER-PRODIGE 23): a multicentre, randomised, open-label, phase 3 trial. Lancet Oncol 2021; 22(5): 702-15 3 Bahadoer RR et al.: Short-course radiotherapy followed by chemotherapy before total mesorectal excision (TME) versus preoperative chemoradiotherapy, TME, and optional adjuvant chemotherapy in locally advanced rectal cancer (RAPIDO): a randomised, open-label, phase 3 trial. Lancet Oncol 2021; 22: 29-42 4 Fokas E et al.: Chemoradiotherapy plus induction or consolidation chemotherapy as total neoadjuvant therapy for patients with locally advanced rectal cancer: long-term results of the CAO/ARO/AIO-12 randomized clinical trial. JAMA Oncol 2022; 8(1): e215445 5 Garcia-Aguilar J et al.: Organ preservation in patients with rectal adenocarcinoma treated with total neoadjuvant therapy. J Clin Oncol 2022; 40(23): 2546-56 6 Jin J et al.: Multicenter, randomized, phase III trial of short-term radiotherapy plus chemotherapy versus long-term chemoradiotherapy in locally advanced rectal cancer (STELLAR). J Clin Oncol 2022: Jco2101667 7 Cercek A et al.: PD-1 blockade in mismatch repair-deficient, locally advanced rectal cancer. NEJM 2022; 386(25): 2363-76 8 Dijkstra EA et al.: Locoregional failure during and after short-course radiotherapy followed by chemotherapy and surgery compared to long-course chemoradiotherapy and surgery – a five-year follow-up of the RAPIDO trial. Ann Surg 2023; online ahead of print: doi: 10.1097/SLA.0000000000005799 9 Habr-Gama A et al.: Operative versus nonoperative treatment for stage 0 distal rectal cancer following chemoradiation therapy: long-term results. Ann Surg 2004; 240(4): 711-7
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