
Warum es für die Therapie wichtig ist, die Ursache zu kennen
Bericht:
Dr. med. Christine Adderson-Kisser, MPH
Medizinjournalistin
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Was gilt es bei der Ursachenklärung einer ausgeprägten Hypercholesterinämie zu beachten und welche Kriterien sprechen für das Vorliegen einer familiären Hypercholesterinämie? Am AGLA-Kurs für Klinische Lipidologie in Zürich gab Prof. Dr. med. Arnold von Eckardstein eine ausführliche Darstellung der pathophysiologischen Zusammenhänge bei der Entstehung erhöhter LDL-Cholesterin-Werte.
Keypoints
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Bei der Ursachenklärung einer Hypercholesterinämie sollte anamnestisch nach Medikamenteneinnahme gefragt sowie die Familienanamnese erhoben werden. Laborchemisch werden Blutfette, Lipoprotein(a), Schilddrüsen- und Leberwerte, Bilirubin i. S. und Protein im Urin bestimmt, um sekundäre Ursachen auszuschliessen.
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Deutlich erhöhte LDL-Werte sollten an eine familiäre Hypercholesterinämie denken lassen. Xanthome und ein Arcus lipoides corneae in der klinischen Untersuchung sind hier richtungsweisend, ebenso mehrere Fälle von Hypercholesterinämie in der Familienanamnese.
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Bei bestätigter FH sollte die Diagnostik auch auf die Familienangehörigen ausgeweitet werden.
Die Behandlung erhöhter LDL-Cholesterin-Werte gehört zum klinischen Alltag. Doch sollte auch die Ursachenklärung nicht vergessen werden, wie Prof. Dr. med. Arnold von Eckardstein vom Institut für Klinische Chemie der Universität Zürich betonte. In den meisten Fällen ist die Ursache der LDL-Wert-Erhöhung multifaktoriell bedingt, beruht also auf dem Zusammentreffen verschiedener Faktoren, darunter Genetik, Medikamente, Lebensstil und Grunderkrankungen wie Adipositas. Neben monokausalen Faktoren, also Grunderkrankungen, die sich sehr stark LDL-erhöhend auswirken können, existieren auch noch die seltenen monogenetischen Ursachen, die am häufigsten auf Mutationen im Gen für den LDL-Rezeptor (LDLR) beruhen.
Bei den Überlegungen, welche Ursache der Hypercholesterinämie eines Patienten oder einer Patientin zugrunde liegt, sei es laut von Eckardstein wichtig, sich zunächst die verschiedenen Schritte des LDL-Cholesterin-Stoffwechsels vor Augen zu führen. So könne eine zu hohe Produktion in der Leber vorliegen, was sich jedoch eher als Hypertriglyzeridämie äussere. Auch eine Störung des Triglyzerid-/VLDL-Abbaus in der Peripherie führe zum vorherrschenden Symptom der Triglyzeridämie. Die reinen Hypercholesterinämien dagegen seien durch Störungen bei der Entfernung des LDL durch die Leber bedingt. Dazu zählt die autosomal-kodominante heterozygote familiäre Hypercholesterinämie (FH) mit Mutationen im LDLR-, Apolipoprotein-B(ApoB)- oder PCSK9-Gen.1 «Bei einem LDL-Wert von über 5mmol/l sollte man immer den Verdacht auf eine familiäre Hypercholesterinämie haben, die mit einer Prävalenz von 0,2–0,3% die häufigste monogene Erkrankung überhaupt ist», erklärte von Eckardstein.1,2 «Dieser Wert entspricht der 90. Perzentile der LDL-Werte Erwachsener in der Schweiz – 10% der Schweizer liegen also über dieser Grenze. Bei Kindern und Jugendlichen liegt der Grenzwert bei 4mmol/l.»3 Unbehandelt führe die FH bei den Betroffenen zu einer frühzeitig erhöhten kardiovaskulären Morbidität und Mortalität – und nicht nur bei diesen: «Findet man bei der Abklärung einer ausgeprägten Hypercholesterinämie eines Patienten in dessen Familiengeschichte über mehrere Generationen immer wieder eine Hypercholesterinämie, wäre das der klassische Fall einer familiären Hypercholesterinämie – und man sollte dann immer auch an die weiteren Familienangehörigen des Patienten denken und diesen eine Abklärung anraten», betonte von Eckardstein.3 Tritt die Hypercholesterinämie bei keinem weiteren Familienmitglied auf, handelt es sich meist eher um eine sekundäre Hypercholesterinämie, verursacht beispielsweise durch eine Hypothyreose, eine Cholestase oder ein nephrotisches Syndrom. Ausserdem gibt es auch ein paar seltene Erkrankungen, die hohe Cholesterinwerte bedingen und die man unbedingt finden sollte, damit die Betroffenen rechtzeitig eine adäquate Therapie erhalten.
«Nicht verpassen: seltene Ursachen einer Hypercholesterinämie»4
Die autosomal-rezessiv vererbte homozygote familiäre Hypercholesterinämie, verursacht durch biallele Mutationen in den Genen LDLR oder LDLRAP1, verursacht bereits im Kindesalter extrem hohe LDL-Cholesterin-Werte, einhergehend mit Xanthomen und Atherosklerose in jungen Jahren. Diese kann durch eine Kombination aus verschiedenen Wirkansätzen durchaus erfolgreich therapiert werden.5,6 Auch neue Ansätze sind in der Entwicklung und werden zum Teil bereits in Studien eingesetzt, beispielsweise der Antikörper gegen Angiopoietin-like Protein-3 (ANGPTL3).7,8
Patientinnen und Patienten mit Typ-III-Hyperlipoproteinämie (familiäre Dysbetalipoproteinämie, Remnant-Krankheit), die sich in der Regel auf dem Boden einer Homozygotie für die ApoE2-Variante entwickelt, weisen neben der Hypercholesterinämie auch eine Hypertriglyzeridämie auf. Als diagnostisch hinweisend auf die Erkrankung gilt ein Verhältnis von Non-HDL-Cholesterin zu ApoB von ≥5 oder von Gesamt-Cholesterin zu ApoB von >6,1.9 Klinisch sind Xanthome an den Handflächen und Fusssohlen pathognomonisch, die sich allerdings nur bei etwa 20–60% der Betroffenen finden.10 Meist treten auch Sehnenxanthome auf sowie eine frühzeitige KHK und pAVK. Bestätigt wird die Diagnose durch die ApoE-Genotypisierung (90% APOE2/E2, 10% seltene APOE-Varianten).
Hinweisend auf die (lysosomale) Cholesterinester-Speicherkrankheit (biallele Mutationen im LIPA-Gen) ist das gleichzeitige Vorliegen von hohen LDL-Cholesterin-Werten und hohen Leberenzymwerten – etwa das 3-Fache der Norm –, für die es keine Erklärung wie eine bestehende Hepatitis, einen erhöhten Alkoholkonsum oder vielleicht eine Hämochromatose gibt. Da es sich um eine Orphan Disease handelt, sollte die Gendiagnostik bei begründetem Verdacht von den Kassen übernommen werden. Alternativ ist auch ein phänotypischer Test, bei dem die saure Lipaseaktivität im peripheren Blut gemessen wird, möglich. Wichtig zu wissen: Eine Therapie mit Statinen ist bei dieser Erkrankung keine gute Wahl, da die vermehrt aus dem Blut aufgenommenen LDL nicht in den Lysosomen abgebaut und die Leberzellen durch die LDL-Überfrachtung weiter geschädigt werden. Daher sollte in diesem Fall die – wenn auch teure – Enzymersatztherapie zum Einsatz kommen.11
Bei der Sitosterolämie (Phytosterinämie) durch biallele Mutationen im ABCG5- und ABCG8-Gen kommt es im Darm zu einer intestinalen Hyperabsorption von Phytosterinen und Cholesterol und in der Leber zu deren verminderter Sekretion aus den Leberzellen in die Gallengänge.12 Besonders bei Kindern ist die Hypercholesterinämie hier mitunter stark ausgeprägt und geht mit zunehmendem Alter eher zurück. Klinisch zeigen die Betroffenen ebenfalls Xanthome und eine frühzeitige Atherosklerose. Die Phytosterolkonzentrationen im Blut sind bei Kindern wie Erwachsenen sehr hoch und können für die Diagnosesicherung genutzt werden. Therapeutisch steht mit Ezetimib eine gute Behandlungsoption zur Verfügung.
Liegt eine familiäre Hypercholesterinämie vor?
Um zu beurteilen, ob bei einem Patienten oder einer Patientin mit deutlich erhöhtem LDL-Cholesterin eine familiäre Hypercholesterinämie vorliegt, wird in der Schweiz der FH-Score des Dutch-Lipid-Clinics Network herangezogen, der auf der Website der AGLA kostenfrei zur Verfügung steht (siehe Tipp).1,13 Klinisch gehen hier die Eigen- und Familienanamnese sowie die Ergebnisse der körperlichen Untersuchung in die Score-Berechnung ein, ebenso die Höhe des LDL-Cholesterins und ein Mutationsnachweis in LDLR, APOB1 oder PCSK9. «Wichtig ist, auf Xanthome zu achten, die sich in der Regel auf den Streckseiten der Gelenke finden. Xanthelasmen dagegen sind nicht spezifisch, da sie auch bei vielen Menschen ohne FH auftreten. Hinweisend ist dagegen ein Arcus lipoides corneae beim noch jüngeren Menschen.» Liegt der Score-Wert insgesamt über 8, gilt die FH als gesichert – was bei einem LDL-Cholesterin >8,5mmol/l oder einem Mutationsnachweis alleine schon erreicht wird (Abb. 1).
Warum ist die frühzeitige Diagnose bei der FH so wichtig?
«Aus Schweizer Studien wissen wir, dass im Kollektiv der Menschen mit Herzinfarkt die FH-Prävalenz bei 1–2% liegt. Bei Frauen unter 60 Jahren und Männern unter 55 Jahren mit Herzinfarkt sind es sogar fast 5%», erklärte von Eckardstein.16«Eine möglichst frühzeitige Diagnosestellung der FH ist daher extrem wichtig, um dem erhöhten Herzinfarktrisiko der Betroffenen Rechnung zu tragen und sie möglichst früh zu therapieren. Denn bei gleichen LDL-Werten im Vergleich zu Personen ohne FH liegt die kumulative LDL-Exposition bei Menschen mit FH deutlich höher, da sie ja schon ihr ganzes Leben lang mit erhöhtem LDL-Wert zubringen und daher viel früher Gefässschädigungen haben.17 Aus holländischen Untersuchungen wissen wir, dass Kinder, deren FH von klein auf bekannt ist und behandelt wird, 40 bis 50 Jahre ohne Herzinfarkt leben können – im Gegensatz zu ihren Eltern, die meist nicht früh diagnostiziert wurden.18
AGLA-FH-Rechner/DLCN-Score
Dutch-Lipid-Clinics-Network(DLCN)-Kriterien für die Diagnose der heterozygoten familiären Hypercholesterinämie bei Erwachsenen
https://agla.ch/
Ideal wäre daher natürlich eine Gendiagnostik ganz früh im Leben, denn das Screening über den LDL-Cholesterin-Wert weist mit 50–80% keine gute Sensitivität und Spezifität auf. Bei gesicherter Diagnose kann dann bereits in jungen Jahren mit der Statin-Therapie begonnen werden – ab 8 Jahren liegt derzeit die Zulassung vor – und auch die Etablierung eines gesunden Lebensstils klappt im Kindesalter für gewöhnlich deutlich besser als beim Erwachsenen. Ein weiterer Vorteil der Gendiagnostik läge darin, dass die PCSK9-Hemmer in der Primärprävention nur für Menschen mit FH zugelassen sind und daher bei genetischem Nachweis eindeutig indiziert wären.» Im Unterschied zu den meisten anderen west- und mitteleuropäischen Ländern wird in der Schweiz genetische Diagnostik der FH nicht von den Krankenkassen bezahlt.
Quelle:
1. AGLA-Kurs Klinische Lipidologie, 18.–19. Januar 2024, Zürich
Literatur:
1 Nordestgaard BG et al.: Familial hypercholesterolaemia is underdiagnosed and undertreated in the general population: guidance for clinicians to prevent coronary heart disease: consensus statement of the European Atherosclerosis Society. Eur Heart J 2013; 34: 3478-90a 2 Khera AV et al.: Diagnostic yield and clinical utility of sequencing familial hypercholesterolemia genes in patients with severe hypercholesterolemia. J Am Coll Cardiol 2016; 67: 2578-89 3 Nordestgaard BG et al.: Fasting is not routinely required for determination of a lipid profile: clinical and laboratory implications including flagging at desirable concentration cut-points-a joint consensus statement from the European Atherosclerosis Society and European Federation of Clinical Chemistry and Laboratory Medicine. Eur Heart J 2016; 37: 1944-58 4 Raal FJ et al.: Evinacumab for homozygous familial hypercholesterolemia. N Engl J Med 2020; 383: 711-20 5 Bélanger AM et al.: Evidence for improved survival with treatment of homozygous familial hypercholesterolemia. Curr Opin Lipidol 2020; 31: 176-81 6 Velvet AJJ et al.: Homozygous familial hypercholesterolemia with an update on cholesterol management. Oxf Med Case Reports 2020; 9: 310-3 7 Hegele RA et al.: Rare dyslipidaemias, from phenotype to genotype to management: a European Atherosclerosis Society task force consensus statement. Lancet Diabetes Endocrinol 2020; 8: 50-67 8 Adam RC et al.: Angiopoietin-like protein 3 governs LDL-cholesterol levels through endothelial lipase-dependent VLDL clearance. J Lipid Res 2020; 61: 1271-86 9 Boot CS et al.: Evaluation of the non-HDL cholesterol to apolipoprotein B ratio as a screening test for dysbetalipoproteinemia. Clin Chem 2019; 65: 313-20 10 Koopal C et al.: Familial dysbetalipoproteinemia: an underdiagnosed lipid disorder. Curr Opin Endocrinol Diabetes Obes 2017; 24: 133-9 11 Korbelius M et al.: Recent insights into lysosomal acid lipase deficiency. Trends Mol Med 2023; 29: 425-38 12 Lütjohann D: [Sitosterolemia (phytosterolemia)]. Internist (Berl) 2019; 60: 871-7 13 Hovingh GK et al.: Diagnosis and treatment of familial hypercholesterolaemia. Eur Heart J 2013; 34: 962-71 14 Tsimikas S et al.: The dedicated “Lp(a) clinic”: a concept whose time has arrived? Atherosclerosis 2020; 300: 1-9 15 Chan DC et al.: Effect of lipoprotein(a) on the diagnosis of familial hypercholesterolemia: does it make a difference in the clinic? Clin Chem 2019; 65: 1258-66 16 Nanchen D et al.: Prevalence and management of familial hypercholesterolaemia in patients with acute coronary syndromes. Eur Heart J 2015; 36: 2438-45 17 Horton JD et al.: PCSK9: a convertase that coordinates LDL catabolism. J Lipid Res 2009; 50 Suppl: S172-7 18 Luirink IK et al.: 20-year follow-up of statins in children with familial hypercholesterolemia. N Engl J Med 2019; 381: 1547-56
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