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Der zervikothorakale Übergang – eine besondere Herausforderung

Der anatomische Aufbau im Bereich der Halswirbelsäule erlaubt einen hohen Grad an Mobilität und Flexibilität. Demgegenüber ist die Brustwirbelsäule im Brustkorb stabil verankert. Der Übergang von der mobilen Halswirbelsäule zur rigideren Brustwirbelsäule ist ähnlich dem thorakolumbalen Übergang stärkeren Belastungen ausgesetzt und wird bei Unfällen häufiger verletzt.


Zwei Drittel der Halswirbelverletzungen treten im Bereich der subaxialen Halswirbelsäule (HWS) auf, der zervikothorakale Übergang ist in ca. 40 % der Fälle betroffen. Besonders bei Patienten mit Schädel- Hirn-Trauma und Thoraxtrauma sind assoziierte Verletzungen des zervikothorakalen Übergangs häufiger zu beobachten.
Degenerative Veränderungen führen zu einem Verlust an Elastizität, Mobilität und Flexibilität. Besonders die Halswirbelsäule verliert die Fähigkeit, externe Belastungen adäquat zu puffern und abzufedern. Speziell bei der ankylosierenden Spondylitis führen die Verluste der Kompensationsmechanismen zu schwerwiegenden Verletzungen des zervikothorakalen Überganges. Die verminderte Knochenqualität und die Osteoporose können diagnostisch Schwierigkeiten bereiten und operativ besonders hohe Ansprüche an die Implantate stellen (Fall 2).

Anatomische Besonderheiten

Die Region zwischen der Deckplatte C6 und der Bodenplatte Th2 wird als der zervikothorakale Übergang bezeichnet. Anatomische Studien und computertomografische Messungen der Wirbel zeigen, dass die Massa lateralis von C6 und C7 gegenüber der restlichen subaxialen HWS kleiner, die Lamina und der Dornfortsatz des C7 wesentlich stärker ausgeprägt sind. Der Spinalkanal ist in Relation zum Spinalkanalinhalt eng und der Reserveraum für das Rückenmark ist entsprechend schmal. Die Brustwirbel Th1 und Th2 weisen einen kleineren Wirbelkörper auf. Der transversale Pedikelwinkel ist im Vergleich zu den benachbarten Halswirbeln C6 und C7 kleiner und im Vergleich zu den restlichen Brustwirbeln stärker nach medial orientiert.

Diagnostik

Die Schultergelenke einerseits und die obere Thoraxapparatur andererseits verursachen bei der nativradiologischen Untersuchung Überlagerungen der zervikothorakalen Wirbelsäule. Durch die ungenügende Darstellung können Verletzungen mangelhaft abgebildet und damit übersehen werden (Fall 1, Abb. 1). In der älteren Literatur wird die Rate der übersehenen und spät diagnostizierten Verletzungen relativ hoch (5–20 % ) angegeben. Die Schichtbilddarstellung mittels Computertomografie (CT) und Magnetresonanztomografie (MRT) hat die früher häufig angewendeten Schräg- und Schwimmeraufnahmen abgelöst und ist mittlerweile als Standardverfahren etabliert.
Zur Beschreibung der Fraktur und Analyse der Verletzung wird überwiegend die AO-Frakturklassifikation für die subaxiale HWS und die thorakolumbale Wirbelsäule angewendet. Die Klassifikation für die subaxiale HWS erfasst die Morphologie der Verletzung und zusätzlich die Verletzung der Gelenksfacette. Weiters werden dabei der neurologische Status und die patientenspezifischen Modifikatoren wie folgt erfasst:

Morphologie der Verletzung
(Typ A, B, C)

Typ A beschreibt die Verletzungen der vorderen Elemente der Wirbelsäule, die Subtypen A0–A4 erfassen die Frakturformen im Detail.
Subtyp A0: Fraktur der Lamina/Proc. spinosus
Subtyp A1: Impaktion des Wirbelkörpers
Subtyp A2: Spaltbildung des Wirbelkörpers
Subtyp A3: Bruch der Deckoder Bodenplatte mit Hinterwandbeteiligung
Subtyp A4: kompletter Berstungsbruch des Wirbelkörpers

Typ B beschreibt die Verletzungen der hinteren Elemente; die Subtypen B1–B3 erfassen die Läsionsformen im Detail.
Subtyp B1: hauptsächlich ossäre Verletzung der dorsalen Elemente
Subtyp B2: hauptsächlich ligamentäre Verletzung der dorsalen Elemente
Subtyp B3: ventrale Dislokation durch die Bandscheibe bei Hyperextensionsverletzung

Typ C beschreibt die Verletzungen der vorderen und der hinteren Elemente mit Dislokation der Fraktur oder Separation der Wirbelsäule.

Verletzung der Gelenksfacette (F1–F4)

Subtyp F1: nicht dislozierte Facettenfraktur (Fragmentgröße <1cm, <40 % der Massa lateralis)
Subtyp F2: potenziell instabile Facettenfraktur (Fragmentgröße >1cm, >40 % der Massa lateralis)
Subtyp F3: Fraktur des Pedikels und der Lamina (frei flottierende Massa lateralis)
Subtyp F4: pathologische Subluxation oder verhakte Luxation der Gelenksfacette

Neurologischer Status

N0: neurologisch intakt
N1: transiente neurologische Defizite (Remission innerhalb von 24 Stunden)
N2: Radikulopathie
N3: inkomplette Querschnittsläsion
N4: komplette Querschnittsläsion
NX: neurologischer Status unbekannt
+: zunehmende Neurologie

Patientenspezifische Modifikatoren

M1: dorsale kapsuloligamentäre Verletzung ohne knöcherne Läsion
M2: Herniation bzw. Protrusion des Discus intervertebralis
M3: Versteifung durch metabolische Erkrankung (M. Bechterew, DISH, OPLL)
M4: Verletzung der Arteria vertebralis
Der knöcherne Thorax spielt eine wesentliche Rolle für die Stabilität der Brustwirbelsäule. Rippenserienfrakturen und/oder Sternumfrakturen können wesentlich zur Instabilität der Wirbelfraktur beitragen und müssen während der Diagnostik beachtet werden.

Operationsindikation

Abhängig von der Instabilität der Verletzung und dem neurologischen Status des Patienten wird in der Literatur die Operationsindikation wie folgt definiert: Manifeste oder drohende neurologische Defizite, offene Verletzung und schwere Instabilität der Fraktur werden als absolute Operationsindikation angesehen, wohingegen die Spinalkanalstenose ohne Neurologie, geringfügig instabile Frakturen und eine kyphotische Knickbildung von 15–20° als relative Operationsindikation betrachtet werden.

Zeitpunkt der operativen Versorgung

Aufgrund der anatomisch ungünstigen Verhältnisse zwischen Inhalt und Weite des Spinalkanals sind eine möglichst frühzeitige Reposition und Dekompression des Rückenmarks sowie Stabilisierung der Fraktur von wesentlicher Bedeutung. Retrospektive Analysen haben einen positiven Effekt der möglichst frühen operativen Dekompression und Stabilisierung der Fraktur auf die Remission neurologischer Defizite gezeigt.

Operation ventral versus dorsal

Ventraler Zugang
Der ventrale Zugang im Bereich der HWS wird aufgrund der geringeren Zugangsmorbidität standardmäßig gewählt. Die Stabilisierungsoperation des zervikothorakalen Übergangs könnte jedoch bei kyphotischer Deformität oder bei Patienten mit einem kurzen Hals über den ventralen Zugang nur limitiert möglich sein. Die Zugangserweiterung mittels Sternotomie oder die Mobilisierung des Sternoklavikulargelenkes mit den angrenzenden Rippen ist mit einem höheren Aufwand verbunden.

Dorsaler Zugang
Die anatomischen Strukturen können über den dorsalen Zugang übersichtlich dargestellt werden. Die Massa-lateralis- Schraube wird zur Stabilisierung der unteren HWS standardmäßig angewendet. Sowohl die Massa lateralis als auch der Pedikel des C7 können schwächer angelegt sein und Insertionsschwierigkeiten der Schrauben verursachen. Die Lamina und der Dornfortsatz des C7 sind wesentlich konstanter und stärker angelegt und ermöglichen die interlaminäre Platzierung der Schraube. In biomechanischen Tests haben die Interlaminarschrauben eine mit der Pedikelschraube vergleichbare Stabilität gezeigt, sie besitzen aber eine höhere Stabilität als die Massa-lateralis- Schrauben. Die Mobilisierung der paravertebralen Muskulatur beim dorsalen Zugang führt zur partiellen Atrophie und zum partiellen Funktionsverlust der Muskulatur.
In biomechanischen Tests haben die dorsalen Instrumentationen eine höhere Stabilität als die ventrale Verplattung gezeigt. Bozkus et al. stellten eine höhere Stabilität der dorsalen Instrumentation im Vergleich zur ventralen Verplattung fest, vor allem bei der lateralen Neigung und axialen Rotation. Die Kombination von ventraler Verplattung mit dorsaler Instrumentation zeigte erwartungsgemäß die höchste Stabilität.

Diskussion und Schlussfolgerungen

Verletzungen der unteren HWS bilden zwei Drittel aller Läsionen im Bereich der Halswirbelsäule. Der zervikothorakale Übergang ist in ca. 40 % der Fälle betroffen. Die Wirbelkörperfrakturen mit Spinalkanaleinengung durch Verlagerung von Knochenfragmenten und/oder Bandscheibenanteilen sowie schwere diskoligamentäre Läsionen erfordern eine operative Versorgung zu einem frühestmöglichen Zeitpunkt.
Für die Wahl des operativen Zuganges sind Lokalisation und Instabilität der Fraktur von entscheidender Bedeutung. Die Versorgung der Wirbelkörperfrakturen mit dislozierten Knochenfragmenten in den Spinalkanal erfolgt überwiegend über den ventralen Zugang.
Die ligamentäre oder knöcherne Läsion der dorsalen Elemente kann zur massiven Instabilität mit Subluxation bzw. Luxation der Facettengelenke führen. Der dorsale Zugang wird überwiegend zur Dekompression bei Facettenfrakturen mit radikulärer Symptomatik oder vorbestehenden multisegmentalen Vertebrostenosen gewählt.
Die kombinierte ventrodorsale Versorgung wird bei verhakten Luxationen, komplexen diskoligamentären Läsionen und Luxationsfrakturen, die nach ventraler oder dorsaler Stabilisierung eine persistierende Restinstabilität zeigen, angewendet. Die verminderte Knochenqualität bei Osteoporose ist in Bezug auf die Implantate eine große Herausforderung. Eine langstreckige Stabilisierung oder eine kombinierte ventrodorsale Stabilisierung könnten im Einzelfall erforderlich sein (Fall 2, Abb. 2–6).

beim Verfasser

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