Hüft-TEP oder doch noch Rekonstruktion?
Jatros
Autor:
Dr. David Ullmann
Abteilung für Orthopädie,<br> Klinikum Wels-Grieskirchen<br> E-Mail: david.ullmann@klinikum-wegr.at
Autor:
Dr. Thomas Fingernagel
Abteilung für Orthopädie,<br> Klinikum Wels-Grieskirchen
30
Min. Lesezeit
21.09.2017
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<p class="article-content"><p>Das Hauptaugenmerk in der Hüftchirurgie gilt derzeit dem Bereich der Endoprothetik und ihrer unterschiedlichen Facetten. Verschiedene Kurzschafttypen und die unterschiedlichen Zugangswege füllen Fachzeitschriften und entfachen Diskussionen. Die rekonstruktive Hüftchirurgie scheint dabei immer mehr in den Hintergrund zu treten.</p> <h2>Ursache Dysplasie</h2> <p>Die Hüftdysplasie ist eine der häufigsten angeborenen Erkrankungen des Bewegungsapparates. 4–133 von 1000 Kindern werden abhängig von Geschlecht, ethnischer Herkunft, Geburtsposition und weiteren Risikofaktoren mit einer dysplastischen Hüfte geboren. Durch das sonografische Screening, welches von Prof. Graf<sup>1</sup> eingeführt wurde, werden die Kinder meist frühzeitig einer Behandlung unterzogen, weshalb in vielen Fällen eine operative Sanierung nicht notwendig ist. Trotzdem zeigen Nachuntersuchungen von Prof. Graf, dass bei 10–15 % der unter 50-Jährigen, die sich einem Gelenkersatz unterziehen, ursächlich eine Hüftdysplasie vorliegt. Die Komplexität der rekonstruktiven Eingriffe und die sinkende Zahl der Indikationen lassen viele Abteilungen frühzeitig an einen Gelenkersatz denken.</p> <h2>Ursache Zerebralparese</h2> <p>Die Behandlungsprinzipien der progredienten Hüft(sub)luxation bei Kindern mit zerebraler Parese sind in der Literatur klar verankert. Kombinierte rekonstruktive Eingriffe an Hüfte und Becken stellen hier den Goldstandard dar. Beim Großteil der Fälle kombinieren wir Umstellungsosteotomien am Femur (DVRO) mit Eingriffen am Becken, die eine Verbesserung der lateralen (Dega-Osteotomie) oder anterolateralen Überdachung (Pemberton-Osteotomie) erwirken.<br /> Als State of the Art der Korrektur der angeborenen Hüftdysplasie gilt nach wie vor die Innominata-Osteotomie nach Salter, welche zumindest bis zum Alter von 10 Jahren durchgeführt werden kann. Die Wahl der Operationsmethode ist bei Adoleszenten und jungen Erwachsenen bereits deutlich komplexer.<br /> Als Technik der Wahl zur Rekonstruktion von kongruenten Hüftgelenken stehen aktuell zwei Techniken zur Verfügung: einerseits die Original Tripelbeckenosteotomie nach Tönnis und Kalchschmidt<sup>2</sup>, bei der Os ischii, Os pubis und Os ilium durchtrennt werden und eine Neuorientierung des Acetabulums häufig in Kombination mit einer varisierenden Femurosteotomie durchgeführt wird (Abb. 1). Andererseits kann die von Ganz<sup>3</sup> beschriebene periacetabuläre Osteotomie angewandt werden, bei welcher nur der innere Ring des Acetabulums durchtrennt wird. Ein Vorteil dieser Technik ist die höhere Stabilität des zu schwenkenden Fragmentes im Vergleich zur Tönnis-Osteotomie. Aufgrund des hohen technischen Anspruchs ist sie jedoch nur für geübte Chirurgen geeignet. In unterschiedlichen Arbeiten konnte bei einer Komplikationsrate von 4,9–13,1 % ein sehr guter Effekt im Langzeitüberleben dokumentiert werden (85 % nach 10 Jahren).<br /> Auch inkongruente Hüften können bei jungen Patienten von einem rekonstruktiven Eingriff profitieren. Insbesondere wenn sie bereits bei Jugendlichen oder jungen Erwachsenen zu Beschwerden führen, sollte ein rekonstruktiver Eingriff in Erwägung gezogen werden. Es werden hierzu zwei Techniken empfohlen: Als erste Option wird die Shelf-Acetabuloplastik beschrieben. Durch eine Verbesserung der lateralen Überdachung wird insbesondere bei Kindern mit Mb. Perthes, deren Hüftgelenke in einer inkongruenten Stellung ausgeheilt sind, eine Verbesserung der Funktion und des Langzeitüberlebens in der Literatur beschrieben. Als zweites Verfahren kann die in vielen Arbeiten als obsolet bezeichnete Technik der Chiari-Osteotomie<sup>4–6</sup> – oft in Kombination mit einer Valgisationsosteotomie – zumindest eine deutliche Verbesserung der Hüftgelenksfunktion herstellen (Abb. 2). Diese sehen wir insbesondere bei asphärischen, inkongruenten Hüften als bessere Option im Vergleich zur Shelf-Acetabuloplastik.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1705_Weblinks_s14_abb1.jpg" alt="" width="852" height="1217" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1705_Weblinks_s14_abb2.jpg" alt="" width="936" height="803" /></p> <h2>Diskussion</h2> <p>In den letzten Jahren wurden bei uns regelmäßig Beckenosteotomien bei unterschiedlichen Pathologien durchgeführt. Der Größe der Eingriffe entsprechend stellten wir bei jungen Erwachsenen die Indikation zur Rekonstruktion bei sphärischen dysplastischen Gelenken für den aufwendigen Eingriff sehr streng. Abhängig von den radiologischen Parametern, der präoperativen Beweglichkeit und der in der kernspintomografischen Diagnostik ersichtlichen Chondropathie führten wir die Tripelbeckenosteotomie nach Tönnis bis zum 32. Lebensjahr durch. Bis dato konnten wir in allen Fällen eine sehr zufriedenstellende Entwicklung der Beweglichkeit und insbesondere der Beschwerdesymptomatik dokumentieren.<br /> Bei inkongruenten Gelenken greifen wir gerne auf die von Chiari beschriebene Beckenosteotomie zurück. Diesen Eingriff kombinieren wir häufig mit einer valgisierenden, verkürzenden Femurosteotomie. Obwohl sich zu diesem Vorgehen aus der vorliegenden Literatur keine unstrittige Empfehlung ableiten lässt, ist dies unserer Meinung nach in ausgewählten Fällen das Mittel der Wahl, um eine im weiteren Verlauf notwendige Endoprothesenversorgung hinauszuzögern. Die frühzeitige Implantation einer Endoprothese muss unserer Ansicht nach kein Automatismus sein, da die Überlebensrate des eigenen Gelenkes durch die Beckenosteotomie abhängig vom Grad der Arthrose um bis zu 20 Jahre verlängert werden kann.<sup>7</sup> Darüber hinaus wird eine sekundäre Prothesenimplantation durch eine vorangegangene Beckenosteotomie nicht erschwert.<sup>8</sup> Auch diese bei uns versorgten Fälle zeigten sowohl eine signifikante Verbesserung der Funktion als auch der prä- und postoperativen Beschwerdesymptomatik. Eine Vielzahl an Beckenosteotomien wurde bereits beschrieben. Durch den Boom der Endoprothetik einerseits, aber auch durch die hohe Komplexität der rekonstruktiven Beckeneingriffe geraten diese sehr aufwendigen OP-Techniken immer mehr in den Hintergrund. Dies führt dazu, dass die Indikationen immer seltener erkannt werden. Trotz der sehr guten Ergebnisse der Endoprothetik sollten jedoch insbesondere bei jungen Patienten die Möglichkeiten der rekonstruktiven Hüftchirurgie in Betracht gezogen werden.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Graf R: Hip sonography: background; technique and common mistakes; results; debate and politics; challenges. Hip Int 2017; 27(3): 215-9 <strong>2</strong> Vukasinovic Z et al.: Triple pelvic osteotomy for the treatment of residual hip dysplasia. Analysis of complications. Hip Int 2009; 19(4): 315-22 <strong>3</strong> Alcobía Díaz B et al.: Long-term clinical and radiological outcomes in a serie of 26 cases of symptomatic adult developmental dysplasia of the hip managed with bernese periacetabular osteotomy. Rev Esp Cir Ortop Traumatol 2015; 59(6): 421-8 <strong>4</strong> Ito H et al.: The Chiari pelvic osteotomy for patients with dysplastic hips and poor joint congruency: long-term follow-up. J Bone Joint Surg Br 2011; 93(6): 726- 31 <strong>5</strong> Mellerowicz HH, Matussek J, Baum C: Long-term results of Salter and Chiari hip osteotomies in developmental hip dysplasia. A survey of over 10 years follow-up with a new hip evaluation score. Arch Orthop Trauma Surg 1998; 117(4-5): 222-7 <strong>6</strong> Windhager R et al.: Chiari osteotomy for congenital dislocation and subluxation of the hip. Results after 20 to 34 years follow-up. J Bone Joint Surg Br 1991; 73(6): 890-5 <strong>7</strong> Kotz R et al.: Long-term experience w ith Chiari's osteotomy. Clin Orthop Relat Res 2009; 467(9): 2215-20 <strong>8</strong> Tokunaga K et al.: Effect of prior Salter or Chiari osteotomy on THA with developmental hip dysplasia. Clin Orthop Relat Res 2011; 69(1): 237-43</p>
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