Psychokardiologie im Kantonsspital St. Gallen
Autor:innen:
Rahel Altwegg, MSc1
Dr. med. Marc Buser2
Priv.-Doz. Dr. med. Dagmar Schmid1
Stefan Brokatzky1
1 Klinik für Psychosomatik und Konsiliarpsychiatrie, Kantonsspital St. Gallen 2 Klinik für Kardiologie, Kantonsspital St. Gallen
E-Mail:
Psychische und kardiovaskuläre Erkrankungen stehen in einer bidirektionalen Wechselwirkung und erfordern eine differenzierte Behandlungsplanung. Am Kantonsspital St. Gallen ist die Psychokardiologie ein etabliertes Angebot, das Patienten vom stationären Eintritt bis zur ambulanten Kardio-Reha versorgt.
Keypoints
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Kardiovaskuläre Erkrankungen stehen im Zusammenhang mit psychischen Risikofaktoren.
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Ein interdisziplinäres und interprofessionelles Behandlungskonzept ist essenziell.
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Die psychokardiologische Versorgung spielt über alle somatischen Behandlungsschritte eine wichtige Rolle.
Ausgangslage
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind ein globales Gesundheitsproblem und eine der häufigsten Todesursachen.1 Die Bedeutung der psychischen Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen ist unbestritten, wobei eine bidirektionale Wechselwirkung zwischen psychischer und somatischer Gesundheit evident wurde.2–4 Dies erfordert einen Paradigmenwechsel hin zu einem umfassenden und integrierten Ansatz in der Patientenversorgung.5 Die Zusammenarbeit zwischen Kardiologie und Psychosomatik ermöglicht ein breiteres Verständnis des komplexen Zusammenspiels zwischen physiologischen und psychologischen Faktoren.6,7 Allerdings stellt dies grössere Anforderungen an die Behandler als eine blosse Zusammenarbeit. Es erfordert eine gemeinsame Sprache und ein gemeinsames Verständnis.8 Durch die Integration von Fachwissen aus den beiden Bereichen resultiert ein differenziertes Fallverständnis, aus dem massgeschneiderte Interventionen entwickelt werden können. Damit lassen sich die Behandlungsergebnisse verbessern und die Effizienz und Effektivität der Gesundheitsversorgung steigen.
Die Berücksichtigung von psychischen Risikofaktoren als Erweiterung zu den traditionellen somatischen Faktoren bietet einen präventiven Ansatz zur langfristigen und nachhaltigen Gesundheitserhaltung. Frühzeitiges Erkennen und Behandeln von psychischen Einflussfaktoren können den Verlauf der psychischen als auch kardiologischen Gesundheit positiv beeinflussen.9 Dies steht im Einklang mit einer wachsenden Zahl von Forschungsergebnissen, welche die Bedeutung psychosozialer Interventionen für die Verringerung kardiovaskulärer Risiken betonen.10 In den Leitlinien zur Prävention und Behandlung von kardiovaskulären Erkrankungen sind entsprechende Empfehlungen bereits etabliert.11 Schweizweit wurden diese Empfehlungen durch den Aufbau einer psychokardiologischen Versorgung in den meisten Zentrumsspitälern umgesetzt, so auch am Kantonsspital St. Gallen.
Interdisziplinäres Behandlungskonzept am KSSG
Am Kantonsspital St.Gallen gewährleisten wir ein gemeinsames Behandlungsangebot der Klinik für Kardiologie und Klinik für Psychosomatik und Konsiliarpsychiatrie, um die Patienten während verschiedener Behandlungsschritte interdisziplinär zu versorgen. Das Versorgungskonzept um-fasst sowohl die stationären Behandlungen als auch ein ambulantes Angebot. Im stationären Bereich der Kardiologie werden Patienten durch die konsiliarische Tätigkeit im psychiatrisch-psychologischen Tandem versorgt. Zudem werden die kardiologischen Pflegeteams und Stationsärzte im Liaisonmodell hinsichtlich verschiedener psychischer Fragestellungen beraten. Die Balint-orientierten Fallbesprechungen bieten ein zusätzliches Gefäss, um schwierige Patientenerlebnisse zu reflektieren und Lösungsansätze zu entwickeln.
Ambulant besteht eine psychokardiologische Sprechstunde für Patienten aus dem gesamten Spektrum der Herzerkrankungen. Eine nahtlose ambulante Nachsorge für Patienten mit psychischen Problemen während des stationären Aufenthaltes ist so ebenfalls gewährleistet. Im Abklärungsgespräch erfolgt die diagnostische Einschätzung sowie nach Bedarf die medikamentöse Ein- oder Umstellung mit besonderer Rücksicht auf kardiotoxische Auswirkungen der Psychopharmaka. Die ambulante Einzeltherapie erfolgt durch psychiatrisch-psychosomatisch sowie kardiopsychologisch ausgebildete Fachpersonen. Ergänzende Therapien aus dem Behandlungsangebot der Psychosomatik wie Biofeedback oder progressive Muskelrelaxation (PMR) werden ebenfalls in die Behandlungsplanung miteinbezogen. Die Psychosomatik ist zudem Teil des Zentrums für Schlafmedizin am KSSG, um Schlafprobleme wie beispielsweise Insomnie oder obstruktives Schlaf-Apnoe-Syndrom (OSAS) zu behandeln, welche einen kardiovaskulären Risikofaktor darstellen.12–14 Insbesondere in der ambulanten Einzeltherapie zahlt sich die interdisziplinäre Zusammenarbeit aus, da Wege trotz eng getaktetem Klinikalltag kurz sind und ein regelmässiger Austausch über den Behandlungsverlauf erfolgt. Dies schärft eine klare Kommunikation zwischen den verschiedenen Behandlungsgruppen und erweitert das Fallverständnis um das jeweilige Berufsfeld. Aus Patientenperspektive ergeben sich damit eine einheitliche Haltung und klare Handlungsempfehlungen, um Missverständnisse oder widersprüchliche Anweisungen zu verhindern.
Ambulante kardiale Rehabilitation
In der ambulanten kardialen Rehabilitation (AKR) werden die Patienten über einen Zeitraum von 9–12 Wochen behandelt. Das Behandlungsteam setzt sich breit zusammen aus verschiedenen Berufsgruppen: Medizin (internistisch-kardiologisch), Physiotherapie, Bewegungswissenschaft und Psychologie/Psychiatrie. Zudem bieten Ernährungs- und Rauchstopp-Beratung ergänzende Angebote während der Reha. Die Patienten werden bei Eintritt und nach 9 Wochen systematisch mit einem Fragebogen-Set auf mögliche psychische Belastungen untersucht. Die Auswertung erfolgt durch psychologische Fachpersonen. Das Fragebogen-Set umfasst die häufigsten Komorbiditäten:15 Depressive Erkrankungen werden mittels PHQ-9 untersucht,16 Ängste werden mittels GAD-717 erfasst und Traumafolgestörungen mittels IES-R.18 Die Lebensqualität wird mit dem HeartQoL19 erhoben. Bei Auffälligkeiten wird den Patienten ein Abklärungsgespräch in der ambulanten psychokardiologischen Sprechstunde angeboten. Zudem erfolgen regelmässige Vorträge mit Schwerpunkt auf Psychoedukation zu psychischer Belastung bei Herzerkrankungen und Coping-Strategien zu deren Bewältigung.
Herzinsuffizienz-Sprechstunde
Die etablierte und gut akzeptierte Psychometrie aus der AKR wird demnächst auf die Herzinsuffizienz-Sprechstunde ausgeweitet. Bei den Kontrolluntersuchungen werden die Patienten mit demselben Fragebogen-Set auf ihre psychische Belastung untersucht und bei Bedarf einer ambulanten Therapie zugewiesen. Dies vor dem Hintergrund von hohen Prävalenzen psychischer Erkrankungen bei Herzinsuffizienz20,21 und biopsychosozialer Einflussfaktoren.22 Ein besonderer Fokus liegt hierbei auf dem psychotherapeutischen Angebot durch geschulte Psychotherapeuten mit kardiopsychologischer Zusatzausbildung. Die Psychotherapie gilt als Mittel der Wahl, da Antidepressiva bisher keine signifikante Wirkung erzielen in der Behandlung von Depressionen bei Herzinsuffizienz23 und Anxiolytika sogar eine schädliche Wirkung haben könnten.24
Bisherige Erfahrungen und Ausblick
Das interdisziplinäre Angebot der Psychokardiologie ist in den Strukturen des Kantonsspitals gut verankert, mit steigender Nachfrage. So wurden 2023 auf der Kardiologie 324 Konsilien durchgeführt, dies ist gegenüber dem Vorjahr (271 Konsilien) ein Plus von 19%. Die Nachfrage in der ambulanten Sprechstunde ist noch stärker steigend mit vermehrten Anmeldungen aus der Peripherie. 2023 wurden 308 ambulante Konsultationen gezählt, was einer Steigerung um 36% zum Vor-jahr (225 Konsultationen) entspricht. Wir werten diese Nachfrage als vermehrte Offenheit und abnehmende Stigmatisierung gegenüber psychischen Themen. Das Bewusstsein über die Wechselwirkungen zwischen somatischen und psychischen Faktoren ist nicht nur in der Fachwelt, son-dern auch im öffentlichen Bewusstsein angekommen. Dies ist nicht zuletzt der Öffentlichkeitsarbeit der Psychokardiologie in der gesamten Schweiz zu verdanken sowie auch den Fachgesellschaften (Schweizerische Gesellschaft für Kardiologie [SGK] und Schweizerische Akademie für Psychosomatische und Psychosoziale Medizin [SAPPM]) und Stiftungen (Schweizerische Herzstiftung). Die Swiss Working Group for Cardiovascular Prevention, Rehabilitation and Sports Cardiology (SCPRS) bietet in der Schweiz erstmalig einen interdisziplinären Intensivkurs Psychokardiologie an, um Fachpersonen in der Behandlung von Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen optimal zu unterstützen.
Literatur:
1 World Health Organization: Global health estimates 2016: Deaths by cause, age, sex, by country and by region, 2000-2016. 2017 2 De Hert M et al.: The intriguing relationship between coronary heart disease and mental disorders. Dialogues Clin Neurosci 2018; 20(1): 31-40 3 Nicholson A et al.: Depression as an aetiologic and prognostic factor in coronary heart disease: a meta-analysis of 6362 events among 146 538 participants in 54 observational studies. Eur Heart J 2006; 27(23): 2763-74 4 von Känel R et al.: Prospective association between pro-inflammatory state on admission and posttraumatic stress following acute coronary syndrome. Gen Hosp Psychiatry 2022; 74: 58-64 5 Hermann-Lingen C et al.: Psychokardiologie: Ein Praxisleitfaden für Ärzte und Psychologen. 2019; Springer-Verlag 6 Vogelzangs N et al.: Cardiovascular disease in persons with depressive and anxiety disorders. J Affect Disord 2010; 125(1-3): 241-8 7 von Känel R et al.: Early psychological counseling for the prevention of posttraumatic stress induced by acute coronary syndrome: the MI-SPRINT randomized controlled trial. Psychother Psychosom 2018; 87(2): 75-84 8 Goldfarb M et al.: Severe mental illness and cardiovascular disease: JACC state-of-the-art review. J Am Coll Cardiol 2022; 80(9): 918-33 9 Pedersen SS et al.: Psychosocial perspectives in cardio-vascular disease. Eur J Cardiol 2017; 24(3_suppl): 108-15 10 Linden W et al.: Psychological treatment of cardiac patients: a meta-analysis. Eur Heart J 2007; 28(24): 2972-84 11 Visseren FLJ et al.: 2021 ESC Guidelines on cardiovascular disease prevention in clinical practice: Developed by the Task Force for cardiovascular disease prevention in clinical practice with representatives of the European Society of Cardiology and 12 medical societies with the special contribution of the European Association of Preventive Cardiology (EAPC). Rev Esp Cardiol (Engl Ed) 2022; 75(5): 429 12 Javaheri S, Redline S: Insomnia and risk of cardiovascular disease. Chest 2017; 152(2): 435-44 13 Korostovtseva L et al.: Sleep and cardiovascular risk. Sleep Med Clin 2021; 16(3): 485-97 14 Hein M et al.: Risk of cardiovascular disease in apnoeic individuals: role of comorbid insomnia disorder. Life (Basel) 2022; 12(7): 944 15 Cohen BE et al.: State of the art review: depression, stress, anxiety, and cardiovascular disease. Am J Hypertens 2015; 28(11): 1295-1302 16 Kroenke K et al.: The PHQ-9: validity of a brief depression severity measure. J Gen Intern Med 2001; 16(9): 606-13 17 Spitzer RL et al.: A brief measure for assessing general-ized anxiety disorder: the GAD-7. Arch Intern Med 2006; 166(10): 1092-7 18 Maercker A, Schützwohl M: Erfassung von psychischen Belastungsfolgen: Die Impact of Event Skala-revidierte Version (IES-R). Diagnostica 1998; 44(3): 130-41 19 Huber A et al.: Validation of the German HeartQoL: a short health-related quality of life questionnaire for cardiac patients. Qual Life Res 2020; 29(4): 1093-1105 20 Argyriadis A et al.: Prevalence of depression in patients with cardiac insufficiency and correlation with determinants. Health & Research Journal 2019; 5(2): 41-52 21 Celano CM et al.: Depression and anxiety in heart failure: a review. Harv Rev Psychiatry 2018; 26(4): 175-84 22 Ladwig KH et al.: Mental health-related risk factors and interventions in patients with heart failure: a position paper endorsed by the European Association of Preventive Cardiology (EAPC). Eur J Prev Cardiol 2022; 29(7): 1124-41 23 Rajeswaran T et al.: The effect of antidepressant medications in the management of heart failure on outcomes: mortality, cardiovascular function and depression–a systematic review. Int J Psychiatry Clin Pract 2018; 22(3): 164-9 24 Zwas DR et al.: Treatment of heart failure patients with anxiolytics is associated with adverse outcomes, with and without depression. J Clin Med 2020; 9(12): 3967
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