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„Schwierige“ Patienten: eine Herausforderung
Jatros
Autor:
Univ.-Prof. Dr. Johann F. Kinzl
ehem. Direktor der Univ.-Klinik für Psychosomatische Medizin<br> Innsbruck Igls<br> E-Mail: hannes.kinzl@gmail.com
30
Min. Lesezeit
27.04.2017
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<p class="article-intro">Die Einordnung von Patienten als „schwierig“ kennt jeder Arzt. Es handelt sich dabei um eine heterogene Gruppe, wobei zu den „schwierigen“ Patienten nicht nur Patienten mit einer Persönlichkeitsstörung zu zählen sind. Die Zuschreibung „schwierig“ darf aber nicht als Abwertung der hilfesuchenden Person, sondern sollte als Herausforderung verstanden werden. Es sind unterschiedliche, Individuum-zentrierte Therapieansätze notwendig, um eine für beide Seiten befriedigende Lösung zu finden.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>In jedem medizinischen Fachbereich werden ca. 10–20 % aller Patienten als „schwierig“ empfunden.</li> <li>Als herausfordernd wird meist nicht das Krankheitsbild an sich, sondern das Verhalten des Patienten empfunden.</li> <li>Diesem Verhalten kann – muss aber nicht – eine Persönlichkeitsstörung zugrunde liegen. Das Wissen um die Eigenheiten der einzelnen Persönlichkeitsstörungen kann helfen, sich auf den Patienten bestmöglich einzustellen.</li> <li>„Schwierige“ Patienten sollen nach Möglichkeit nicht als Belastung, sondern als Herausforderung gesehen werden, die zur Erweiterung des Behandlungsrepertoires beiträgt.</li> </ul> </div> <p>Jeder Arzt wünscht sich möglichst viele angenehme, am besten „ideale“ Patienten. „Ideale“ Patienten zeigen Vertrauen und Dankbarkeit, verzichten auf störende Eigenarten und Bedürfnisse, unterwerfen sich widerstandslos allen ärztlichen Anordnungen und Maßnahmen, sind gepflegt und riechen gut. Aber jeder Arzt kennt auch Patienten, die er in die Kategorie „schwierig“ einstufen würde. Generell wird davon ausgegangen, dass in jedem Fachbereich der Medizin etwa 10–20 % der Patienten als „schwierig“ bezeichnet werden. Es gibt dabei Patienten, die von – fast – allen Ärzten als „schwierig“ eingestuft werden, aber auch nicht wenige Patienten, die von manchen Ärzten als „schwierig“, von anderen Ärzten aber als „neutral“ oder sogar als angenehm erlebt werden: d.h., nicht jeder Arzt empfindet die gleichen Patienten als „schwierig“.</p> <h2>„Schwieriger“ Patient! Warum?</h2> <p>Ob ein Patient als „schwierig“ erlebt wird, hängt also nicht nur vom betreffenden Patienten ab, sondern auch von vielen anderen Umständen, die mit dem Patienten nichts oder nur wenig zu tun haben (z.B. Tagesverfassung des Arztes, Zeitdruck, Ärger am Arbeitsplatz). Es gibt auch nicht den „schwierigen“ Patienten. „Schwierige“ Patienten sind vielmehr eine heterogene Gruppe, wobei die Einstufung als „schwierig“ sich selten auf die Krankheit des Patienten bezieht, sondern vielmehr auf die betreffende Person. Auch wenn bestimmte Krankheitsbilder bzw. deren Träger oft als „schwierig“ eingestuft werden (z.B. Patienten mit einem Dermatozoenwahn, mit einer körperdysmorphen Störung), sind es weniger die Krankheitsbilder, sondern ist es vielmehr das Verhalten des Patienten, das als „schwierig“ erlebt wird.</p> <p>„Schwierige“ Patienten sind solche, die negative Gefühle beim Gegenüber (Arzt, Pflegepersonal) auslösen; dazu gehören Ärger, Frust, Ungeduld, Hilflosigkeit, Überforderung. Oft löst schon die Ankündigung eines bestimmten Patienten solche aversiven Gefühle aus, ohne noch mit dem Patienten direkten Kontakt gehabt zu haben („allergische Objektbeziehung“).</p> <p>„Schwierige“ Patienten sind ein Phänomen auf mehreren Ebenen:</p> <ul> <li>Sie lösen negative Gefühle aus (z.B. Ärger, Frust, Langeweile, Hilflosigkeit).</li> <li>Sie erzeugen innere Widerstände gegenüber ihrem Verhalten, das als Fehlverhalten eingestuft und als unangebracht empfunden wird.</li> <li>Sie fragen zu viel und kosten dadurch viel Zeit (die nicht honoriert wird).</li> <li>Sie stellen maßlose Forderungen an den Behandler, zeigen aber selbst oft eine schlechte Compliance.</li> <li>Sie reagieren nicht auf übliche Weise auf ärztliche Empfehlungen und Therapien.</li> <li>Sie lehnen viele Therapieempfehlungen ab (z.B. Cortisongabe).Folgende Verhaltensweisen machen Patienten besonders oft zu „schwierigen“:</li> <li>ein offen aggressives bzw. passiv-aggressives Verhalten (z.B. Verweigerer, Ja-aber-Sager);</li> <li>eine ängstlich-hypochondrische oder depressiv-weinerliche apathische Grundhaltung;</li> <li>die Überzeugung, alles besser zu wissen (z.B. Internetwissen);</li> <li>ein manipulierendes Verhalten (z.B. Gefälligkeitsgutachten einfordernd);</li> <li>ein undankbares oder kritisches Verhalten.</li> </ul> <h2>Persönlichkeitsstruktur vs. Persönlichkeitsstörung</h2> <p>Viele Patienten, die als „schwierig“ eingestuft werden, werden oft mit dem Etikett „Persönlichkeitsstörung“ versehen. Es sind aber nicht nur Patienten mit einer Persönlichkeitsstörung schwierig, sondern bestimmte Verhaltensweisen werden als „schwierig“ eingestuft.</p> <p>Was versteht man unter Persönlichkeit, was unter einer Persönlichkeitsstörung? Persönlichkeit ist die Summe aller psychischen Eigenschaften und Verhaltensbereitschaften, die dem Einzelnen seine eigentümliche, unverwechselbare Individualität, seine persönliche Eigenart, gibt. Kennzeichen einer „gesunden“ Persönlichkeit sind:</p> <ul> <li>Arbeits- und Leistungsfähigkeit</li> <li>Liebes- und Lustfähigkeit</li> <li>Beziehungsfähigkeit</li> <li>Selbstannahme</li> <li>Verantwortungsbereitschaft</li> <li>Vergebungsbereitschaft</li> <li>positive Erwartungshaltung</li> </ul> <p>Eine „völlig gesunde Persönlichkeitsstruktur“ liegt bei den Menschen nur selten vor; im besten Falle eine „normal gestörte Persönlichkeit“, also eine Person, die mit den meisten Lebensanforderungen gut zurechtkommt, flexibel und anpassungsfähig ist. „Persönlichkeitsstörungen“ sind vor allem sozial unflexible, wenig angepasste und im Extrem normabweichende Verhaltensweisen (z.B. Aggression, Depression, mangelnde Kontrollfähigkeit). Eine psychische Störung liegt dann vor, wenn wesentliche Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit (beruflich, privat) auftreten und ein Leidensdruck und subjektive Beschwerden (beim Betreffenden oder der Umwelt) bestehen. Persönlichkeitsstörungen sind vor allem durch – unterschiedlich ausgeprägte – Störungen in der Beziehungsfähigkeit gekennzeichnet und wirken sich deshalb auch im Interaktionsverhalten gegenüber dem Arzt aus (Tab. 1). <br />Jeder Arzt hat die Erfahrung gemacht, dass einem manche Patienten mehr liegen, andere weniger. So können manche Ärzte besonders gut mit histrionischen oder narzisstischen Patienten, während andere Ärzte sich durch deren übertriebenes, zum Teil manipulierendes Verhalten genervt fühlen. <br />Das Erkennen der Eigenarten der verschiedenen Persönlichkeitsstörungen ist hilfreich, um sich einigermaßen auf die Eigenarten und Verhaltensweisen der jeweiligen Patienten einstellen zu können. Wichtig dabei ist es, nicht zu versuchen, den Patienten ändern zu wollen. Aber auch alle Patienten „gleich behandeln“ zu wollen, ist nicht zielführend, weil es dadurch nicht möglich ist, die individuellen Eigenheiten des Patienten im Interaktionsverhalten zu berücksichtigen. <br />Bei Personen mit einer Persönlichkeitsstörung kommen neben einer Beziehungsstörung häufig noch andere Probleme dazu, die direkt oder indirekt mit der gestörten Persönlichkeitsstruktur zu tun haben: soziale Ausgrenzung, Mangel an sozialen Beziehungen oder sozialer Unterstützung, Arbeitslosigkeit, ungünstige familiäre Verhältnisse, finanzielle Probleme usw. Diese Faktoren können wiederum zu einer verminderten Compliance, mangelnder Hygiene mit Ungepflegtheit, Misstrauen, Aggressivität usw. beitragen.<br />Zu achten ist darauf, dass keine vorschnelle und unkritische Zuschreibung der Diagnose einer Persönlichkeitsstörung erfolgt, weil dies zur Abstempelung eines Patienten als „psychisch gestört“ führen kann und nicht zu einer erhöhten Bereitschaft, sich bestmöglich auf den betreffenden Patienten einzustellen und die immer auch vorhandenen positiven Anteile des Patienten zu erkennen (z.B. seinen Wunsch nach einer stärkeren Einbeziehung in den diagnostischen und therapeutischen Prozess).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Neuro_1702_Weblinks_s50.jpg" alt="" width="1419" height="1703" /></p> <h2>Umgang mit „schwierigen“ Patienten</h2> <p>Es gibt kein Geheimrezept, das hilft, es allen Patienten recht zu machen bzw. ihnen und ihren Bedürfnissen, Erwartungen, Wünschen usw. gerecht zu werden. Die ärztliche Kunst besteht weitgehend darin, den Kranken und nicht nur die Krankheit optimal zu behandeln. Daraus ergibt sich, dass z.B. die Haltung „Ich behandle alle Patienten gleich“ dazu führen kann, dass sich manche (viele?) Patienten nicht als wichtiges Individuum erleben, sondern nur als Fall. Klaus Grawe, ein bedeutender Psychotherapieforscher, weist darauf hin, dass wir noch weit von einer wirklich Individuum-zentrierten Therapie entfernt sind, nämlich zu wissen und danach zu handeln, welche Therapie welcher Patient in welchem Stadium durch welchen Therapeuten braucht.</p> <p>Wichtig ist auch, dass das als „schwierig“ erlebte Verhalten eines Patienten als Symptom gesehen wird, das – wie erwähnt – heterogenen Ursprungs ist und dessen adäquate Lösung einer genauen Analyse möglicher Ursachen bedarf:</p> <ul> <li>Analyse möglicher Gründe beim Patienten: z.B. negative Vorerfahrungen mit Ärzten oder medizinischen Einrichtungen; Vorliegen einer psychischen Störung oder Persönlichkeitsstörung.</li> <li>Analyse des Interaktionsverhaltens, der Arzt-Patienten-Beziehung dahingehend, ob die Bedürfnisse des Patienten genügend beachtet werden, wie z.B. Wunsch nach intensiver Einbindung in den diagnostischen und therapeutischen Prozess.</li> <li>Analyse des eigenen Verhaltens: z.B. mangelnde eigene Flexibilität; generell häufig negative Meinung über Patienten; eigene psychische Probleme. Allgemeine Ansätze im Umgang mit dem Patienten können helfen, die Arzt-Patienten-Beziehung für beide Seiten einigermaßen befriedigend zu gestalten:</li> <li>Empathie: d.h. das verständnisvolle und vorurteilsfreie Annehmen und Begegnen eines Patienten; weiters das Verstehen dessen innerer Erlebniswelt, ohne ihn lenken, belehren, ermahnen oder ändern zu wollen.</li> <li>Wertschätzung: d.h. wertschätzendes Akzeptieren eines Patienten mit seinen individuellen Eigenschaften (s. Persönlichkeitsstruktur). So soll ein Patient, der als „schwierig“ angekündigt wird, nicht automatisch in die Kategorie „problematischer Mensch“ oder Persönlichkeitsstörung eingeordnet werden. Das heißt aber nicht, dass jedes (Fehl-)Verhalten eines Patienten akzeptiert werden muss.</li> <li>Echtheit: d.h. sich authentisch und glaubwürdig verhalten. Gerade Patienten mit einer Persönlichkeitsstörung haben – vor allem auch wegen ihrer (negativen) Vorerfahrungen – ein ausgeprägtes Gespür für eine echte Grundhaltung, die ihnen entgegengebracht wird.</li> </ul> <p>„Schwierige“ Patienten sollen – wenn irgendwie möglich – nicht nur als Belastung, sondern auch als Herausforderungen gesehen werden, die auch zu einer Erweiterung des eigenen Behandlungsrepertoires beitragen können, deutlich über die – nicht immer befriedigende – Routine hinausgehend.<br />Da der Umgang mit so vielen unterschiedlichen hilfsbedürftigen Menschen und damit unterschiedlichen Charakterstrukturen und den damit verbundenen Verhaltensweisen das tägliche Brot jedes Arztes, besonders in der freien Praxis, ist, und dies über viele Jahre, ohne dass die Freude am Arbeiten beeinträchtigt werden soll, ist wenigstens ein gewisses Maß an Selbstreflexion und Selbsterfahrung aufseiten des Arztes notwendig, um eventuell vorliegende „schwache Punkte“ oder „blinde Flecken“ zu erkennen. Dies kann am ehesten durch den Besuch von Balint-Gruppen, die Teilnahme an Fortbildungsseminaren der Psychodermatologie oder Intervisionsgruppen gewährleistet werden.</p> <p>Der Inhalt dieses Artikels war auch Thema eines Vortrags bei der Fortbildung der AG Psychodermatologie, 3.–4. März 2017, Goldegg</p></p>
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