Therapeuten und Onlinebewertungen
Autorin:
Dr. med. Alessia Schinardi
FMH Psychiatrie & Psychotherapie
FMH Kinder- und Jugendpsychiatrie
Zürich
E-Mail: alessia.schinardi@hin.ch
Dieser Beitrag beleuchtet die Problematik von Onlinebewertungen für Ärzte, Psychologen und andere Therapeuten. Die Begriffe «Ärzte», «Therapeuten» und «Behandelnde» werden abwechselnd verwendet, ebenso die weibliche und männliche Form. Besondere Beachtung finden die Empfehlungen der FMH von Oktober 2019.
Einführung und Hintergrund
In den letzten Jahren hat sich das Informations- und Kommunikationsverhalten stark verändert – insbesondere durch die Covidpandemie. Onlinerezensionen sind heute allgegenwärtig und beeinflussen viele Bereiche des täglichen Lebens, einschliesslich des Gesundheitswesens. Ärzte und Therapeuten sehen sich in der unangenehmen Situation, dass Patienten ihre Meinung, oft anonym und unreguliert, weltweit verbreiten können, ohne für Beleidigungen zur Rechenschaft gezogen zu werden.
Meine Vorschläge wären daher:
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Behandelnde sollten selbst entscheiden können, ob sie online bewertet werden möchten.
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Anonyme Onlinebewertungen von schweigepflichtgebundenen Fachpersonen sollten verboten werden.
Der Trend zu negativen Bewertungen, die nicht justiziabel sind, wird sich ohne klare Massnahmen fortsetzen. Einige Unternehmen bieten zwar an, negative Bewertungen zu löschen, doch deren Glaubwürdigkeit ist fraglich.
FMH-Empfehlungen
Die FMH-Empfehlungen zum Umgang von Ärztinnen und Ärzten mit Onlinebewertungen, die seit Oktober 2019 veraltet sind, thematisieren die Ohnmacht von Behandelnden gegenüber negativen Bewertungen, ohne dabei konkrete Lösungsansätze anzubieten. Die Empfehlungen sprechen von «Transparenz» und einer «Chance zur Verbesserung». Für Therapeutinnen und Therapeuten gibt es jedoch bereits etablierte und bewährte Kanäle für Feedback, die effektiver und angemessener sind als Bewertungen auf Onlineplattformen. Eine der Empfehlungen der FMH sieht die Einrichtung von Beschwerde- und Feedbackmöglichkeiten direkt in den Gesundheitseinrichtungen vor, beispielsweise in Form einer Feedbackbox. Es wird betont, dass sowohl positive als auch negative Bewertungen Auswirkungen auf die Behandelnden haben können.
Tab. 1: Vergleich zwischen persönlichen und anonymen Bewertungen. Diese Gegenüberstellung zeigt die Herausforderungen bei der Nutzung von Onlinebewertungen, insbesondere bei anonymen Bewertungen, die schwer zu kontrollieren sind und weitreichende negative Folgen haben
Bei Einträgen, die die Persönlichkeit verletzen, haben Ärztinnen und Ärzte das Recht auf Löschung oder Korrektur der Daten. Ob ein Eintrag als persönlichkeitsverletzend gilt, hängt davon ab, ob es sich um eine falsche Tatsachenbehauptung oder ein abwertendes bzw. beleidigendes Werturteil handelt. Es wird ausserdem empfohlen, die Bewertungen in verschiedene Kategorien zu unterteilen: neutral oder positiv, negativ, aber akzeptabel, sowie negativ und nicht akzeptabel. Basierend auf diesen Kategorien kann ein standardisiertes Vorgehen entwickelt werden, um auf die jeweilige Bewertung angemessen zu reagieren. Bei nicht anonymen Bewertungen wird dazu geraten, den Verfasser per E-Mail oder Telefon zu kontaktieren und ihn zur Löschung des Kommentars zu bewegen.
Doch was bedeutet das für unseren Beruf? Wollen wir wirklich online bewertet werden, wenn wir in einem Beruf tätig sind, der dem Berufsgeheimnis unterliegt? Ist es im Sinne der Entmedikalisierung oder Entpsychiatrisierung tatsächlich wünschenswert, dass Onlinebewertungen im Gesundheitswesen gefördert werden?
Als Therapeutinnen und Therapeuten sind wir in der Lage, zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen zu unterscheiden. Weder die Patientinnen und Patienten noch Plattformen wie Google verfügen jedoch über dieselben Kriterien oder das nötige Fachwissen, um diese Unterscheidung treffen zu können. Konkrete und Erfolg versprechende Empfehlungen, wie man negative Bewertungen wirksam löschen lassen kann, gibt es derzeit nicht. In naher Zukunft bleiben wir auf das Wohlwollen von Plattformen wie Google angewiesen. Währenddessen gibt es unseriöse Angebote, die zu vermeintlich günstigen Preisen Lösungen versprechen. Eine andere verlässliche Möglichkeit scheint es jedoch nicht zu geben – und diesen Weg der unseriösen Angebote möchte ich nicht einschlagen.
Auswirkungen auf Therapeuten
Therapeuten, die einem Beruf mit striktem Berufsgeheimnis nachgehen, befinden sich in einer schwierigen Situation. Sollte ihre Arbeit wirklich auf öffentlichen Plattformen wie der eines Friseurs oder Kellners bewertet werden? Es wäre angemessener, wenn Patienten eine gewisse Zurückhaltung und Diskretion bei der Bewertung ihrer Therapie zeigten, besonders in einem so sensiblen Bereich wie der Gesundheit.
Die FMH schlägt vor, einen standardisierten Prozess für den Umgang mit Onlinebewertungen zu entwickeln, regelmässige Teamgespräche zu führen und «Alerts» einzurichten, um schnell auf neue Bewertungen reagieren zu können. Dies stellt jedoch eine erhebliche zusätzliche Belastung für Therapeuten dar, die ohnehin oft unter hohem Arbeitsdruck stehen. In der Praxis bleibt oft unklar, wie schnell oder ob überhaupt auf solche Bewertungen reagiert werden kann – insbesondere auf Plattformen wie Google, wo die Reaktionsmöglichkeiten der Behandelnden stark begrenzt sind.
Therapeuten sollten sich nach den Prinzipien der humanistischen Psychologie richten und das Beste im Menschen sehen. Diesen Ansatz verfolge ich selbst als Psychiaterin und Gutachterin täglich. Doch Hand aufs Herz: Viele von uns haben das sogenannte «Helfersyndrom». Wir möchten unseren Patienten helfen und es schmerzt uns, wenn ein einziger unzufriedener Patient, der vielleicht eine medikamentöse Einstellung oder eine besondere Beurlaubung nach einer Onlineanfrage nicht erhalten hat, eine negative Bewertung hinterlässt. Eine solche Bewertung kann wie ein kleiner Tintentropfen wirken, der das klare Wasser trübt – und schnell den gesamten Tag verderben.
Dieses Wissen, dass jede Unzufriedenheit zu einer negativen Bewertung führen könnte, erhöht den emotionalen Druck enorm. Besonders Therapeuten, die mit psychisch kranken Menschen arbeiten, ohne auf objektive Messinstrumente, wie Blutwerte oder EKG, zurückgreifen zu können, fühlen sich verletzlich. Es gibt in diesen Fällen oft keine «Beweise», mit denen man eine negative Bewertung widerlegen könnte. Ich betrachte mich selbst als professionelle Helferin und möchte diese Rolle auch weiterhin erfüllen. Doch durch negative Onlinebewertungen fühle ich mich oft hilflos wie ein Pinguin an Land: Im Wasser bin ich schnell und effizient, aber an Land ohne Verteidigung. Solche Bewertungen gleichen einem gewaltsamen Angriff auf die professionelle Integrität der Behandelnden. Sie lassen uns machtlos und entkräftet zurück, da es kaum effektive Mittel gibt, um uns davor zu schützen.
Möglichkeiten, sich zu wehren
Therapeuten haben die Möglichkeit, bei persönlichen Angriffen oder falschen Tatsachenbehauptungen die Löschung der Kommentare zu verlangen. Doch juristische Schritte gegen die Verfasser negativer Bewertungen, insbesondere bei anonymen Beiträgen, sind oft teuer und ineffektiv. Die rechtliche Durchsetzung führt selten zum gewünschten Erfolg, da Bewertungsplattformen häufig wirtschaftliche Interessen über die Rechte der Behandelnden stellen.
Während Patienten sich immer freier online äussern können, sind Therapeuten weiterhin strikt an das Berufsgeheimnis gebunden. Selbst wenn eine Entbindung von der Schweigepflicht vorliegt, sind wir verpflichtet, professionell zu reagieren – was zusätzlichen Arbeitsaufwand und eine erhebliche emotionale Belastung mit sich bringt. Grundsätzlich ist die Löschung von Google-Bewertungen nicht möglich. Therapeuten können lediglich unangemessene Inhalte melden, die gegen die Nutzungsrichtlinien von Google verstossen, sowie rechtswidrige Inhalte beanstanden. Allerdings bedarf es für eine Meldung einer genauen Begründung sowie einer formellen Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht durch die betroffenen Patienten oder durch eine zuständige Aufsichtsbehörde.
Das Wissen, dass unzufriedene Patienten jederzeit anonym eine negative Bewertung online veröffentlichen können, stellt für viele Behandelnde eine emotionale Belastung dar
Es ist zudem zu berücksichtigen, dass die Bearbeitung eines solchen Antrags Zeit in Anspruch nimmt, da Google täglich eine Vielzahl von Meldungen erhält. Bei der Bewertung der gemeldeten Inhalte wägt Google zwischen der Meinungsfreiheit der Nutzer, dem Zugang zu Informationen und dem öffentlichen Interesse ab. In vielen Fällen wird jedoch die Rechtswidrigkeit eines Eintrags nur durch gerichtliche Entscheidungen festgestellt, da Google häufig die notwendigen Informationen fehlen, um eigenständig eine Löschung vorzunehmen. Dies führt dazu, dass wir, trotz unserer Schweigepflicht, vor einem «Google-Gericht» genauso behandelt werden wie die Kritiker, die uns angreifen.
Falls Therapeuten den Verfasser einer negativen Bewertung identifizieren können, bleibt ihnen oft nur der Weg, diesen persönlich zu kontaktieren, um die Situation zu klären und möglicherweise um eine Löschung zu bitten. Eine juristische Auseinandersetzung mit dem Verfasser ist in den meisten Fällen wenig Erfolg versprechend, da sie hohe Kosten verursachen kann und man durch sie möglicherweise den Patienten verliert – was zu noch mehr negativer Publicity führen könnte. Letztlich bleibt der Weg, auf Dialog und Deeskalation zu setzen, der effektivere und weniger belastende Ansatz, auch wenn er keine vollständige Garantie für den gewünschten Erfolg bietet.
Quintessenz und Schlussfolgerung
Wir Therapeuten haben bereits genug zu tun, um unseren beruflichen Verpflichtungen nachzukommen. Die Überwachung von Onlinebewertungen als zusätzliche Aufgabe führt nicht nur zu einer Belastung, sondern widerspricht dem Geist unseres Berufs. Positive Bewertungen sind zwar erfreulich, doch sollten sie nicht unser primäres Ziel sein. Unser Ziel als Behandelnde ist es, unseren Patienten diskret und vertraulich zu helfen. Eine Bewertung wie die eines Restaurants – nach dem Motto «zufrieden oder Geld zurück» – ist für unseren Beruf unpassend. Die Frage ist: Wollen wir uns wirklich auf den Wettbewerb um Sternebewertungen einlassen?
Meine Empfehlungen
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Behandelnde sollten selbst entscheiden können, ob sie online bewertet werden möchten.
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Anonyme Bewertungen von schweigepflichtgebundenen Fachpersonen sollten verboten werden.
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Plattformbetreiber sollten zur sofortigen Löschung unangemessener Kommentare verpflichtet werden.
Abschliessender Trost: Beleidigende Onlinebewertungen sind leider der Preis des Ruhms. Studien zeigen jedoch, dass es keine eindeutige Korrelation zwischen Onlinebewertungen und tatsächlicher Leistung gibt.
Literatur:
bei der Verfasserin
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