Vaskuläre Demenzen
Autor:
Prof. Dr. med. Egemen Savaskan
Klinik für Alterspsychiatrie
Psychiatrische Universitätsklinik Zürich
E-Mail: egemen.savaskan@pukzh.ch
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Einige Inhalte sind aufgrund rechtlicher Bestimmungen nur für registrierte Nutzer bzw. medizinisches Fachpersonal zugänglich.
Sie sind bereits registriert?
Loggen Sie sich mit Ihrem Universimed-Benutzerkonto ein:
Sie sind noch nicht registriert?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos auf universimed.com und erhalten Sie Zugang zu allen Artikeln, bewerten Sie Inhalte und speichern Sie interessante Beiträge in Ihrem persönlichen Bereich
zum späteren Lesen. Ihre Registrierung ist für alle Unversimed-Portale gültig. (inkl. allgemeineplus.at & med-Diplom.at)
Vaskuläre Demenzen gehören zu den häufigsten Formen der Demenzerkrankungen, die auf zerebrovaskuläre Veränderungen zurückzuführen sind. Sie zeigen je nach Lokalisation der Pathologie ein uneinheitliches klinisches Bild und überlappen sich oft mit der Alzheimerdemenz. In der Diagnostik stehen die klinische Anamnese mit der Erfassung der Risikofaktoren und die Bildgebung im Vordergrund. In der Prävention und Therapie ist die Behandlung dieser Risikofaktoren essenziell, sie kann entscheidend zur Verbesserung des sonst schwerwiegenden Verlaufs beitragen.
Keypoints
-
Kortikale Infarkte, subkortikale mikrovaskuläre Veränderungen oder strategische Infarkte können zur vaskulären Demenz führen. Die klinische Symptomatik kann in Abhängigkeit von der Pathologie unterschiedlich sein.
-
Modifizierbare und nicht modifizierbare Risikofaktoren sind bei der Entstehung der vaskulären Demenz entscheidend. Die Ersteren sind Faktoren wie z.B. arterielle Hypertension, Diabetes mellitus, ischämische Herzerkrankungen, Hyperlipidämie und Rauchen. Das Management dieser Risikofaktoren ist für die Prävention und Therapie wichtig.
-
Das klinische Bild, eine ausführliche Anamnese mit Erfassung der Risikofaktoren, die neuropsychologische Untersuchung und Bildgebung sind feste Bestandteile der Diagnostik.
-
Neben der primären und der sekundären Prävention umfasst die Therapie der vaskulären Demenz die Behandlung der Begleitsymptome wie Depression und psychosoziale Massnahmen. Für den Einsatz von Antidementiva gibt es keine ausreichende Evidenz.
Vaskuläre Demenz (VaD) macht ca. 15 bis 20% der Demenzerkrankungen in den westlichen Ländern aus und ist dadurch nach der Alzheimerdemenz die zweithäufigste Form.1 VaD steht für eine progressive kognitive Störung multifaktorieller, zerebrovaskulärer Ätiologie. Mischformen mit der Alzheimerdemenz sind häufig, wobei sich die klinischen und pathologischen Bilder der beiden Demenzformen überlappen. VaD kann auf ein lokalisiertes vaskuläres Ereignis oder auf die kumulative Pathologie mikrovaskulärer Veränderungen zurückgehen, weswegen das klinische Erscheinungsbild stark variieren kann.
Verschiedene Subtypen der vaskulären Demenz
Historisch gesehen war VaD mit Multiinfarktdemenz gleichgesetzt, bis man erkannte, dass je nach Ätiologie und Lokalisation verschiedene Formen vorhanden sind.2 Die sogenannte «small vessel disease» (SVD oder Morbus Binswanger oder subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie) ist die häufigste Form und ist charakterisiert durch subkortikale ischämische Veränderungen. Erst wenn das von der vaskulären Pathologie betroffene Areal eine kritische Grösse erreicht hat, entsteht die klinische Symptomatik. Die zweithäufigste Form der VaD ist die Multiinfarktdemenz mit kortikalen Infarkten, die auf einen atherosklerotischen oder embolischen Verschluss grosser Arterien zurückgehen. Strategische Infarkte, z.B. im Thalamus, Nucleus caudatus oder Hippocampus, können ebenso VaD verursachen wie mikrovaskuläre Blutungen. Schlaganfälle sind ebenfalls eine häufige Ursache von kognitiven Störungen.
Es sind auch genetisch bedingte Ursachen für die VaD vorhanden mit CADASIL (zerebrale autosomal-dominante Arteriopathie mit subkortikalen Infarkten und Leukenzephalopathie) als der häufigsten Form. CARASIL (zerebrale autosomal-rezessive Arteriopathie mit subkortikalen Infarkten und Leukenzephalopathie), MELAS (mitochondriale Enzephalomyopathie mit Laktatazidose und schlaganfallähnlichen Episoden) und Morbus Fabry (eine monogenetische lysosomale Speicherkrankheit durch Alpha-Galactosidase-Mangel) sind andere hereditäre Formen der VaD. CADASIL beginnt im mittleren Erwachsenenalter mit Migräne (mit Aura) und rezidivierenden subkortikalen ischämischen Schlaganfällen. Symptome wie Gangstörung und Urininkontinenz sind häufig. Die Krankheit kann zu kognitiven Defiziten führen, die bis zur Demenz fortschreiten, und ist oft von psychiatrischen Symptomen wie Depression begleitet. CADASIL wird durch eine Missense-Mutation des NOTCH3-Gens hervorgerufen. Beim Fehlen vaskulärer Risikofaktoren wird eine positive Familienanamnese berichtet. In der Bildgebung sieht man leukenzephalopathische Veränderungen und lakunäre Läsionen.
Risikofaktoren
Modifizierbare und nicht modifizierbare Risikofaktoren sind für die Entstehung der VaD verantwortlich.3 Zu den Letzteren gehören in erster Linie Geschlecht (männlich) und Alter gefolgt von genetischer Prädisposition, Ethnie und Schlaganfällen in der Vorgeschichte. Die häufigsten modifizierbaren Risikofaktoren sind arterielle Hypertension, Diabetes mellitus, ischämische Herzerkrankungen, periphere vaskuläre Erkrankungen, «white matter lesions» (WML: Schäden an der weissen Substanz, die mit dem Alter zunehmen und mit kognitiver Beeinträchtigung und Schlaganfällen in Verbindung stehen), Hyperlipidämie und Rauchen. Arterielle Hypertension ist mit Abstand der wichtigste Risikofaktor. Hypertension im mittleren Lebensalter erhöht das Risiko für kognitive Störungen.4 Neben dem hohen Blutdruck tragen eine Reihe von pathologischen Veränderungen wie z.B. oxidative Schäden, metabolische Dysfunktion und Inflammation zur Entwicklung der demenziellen Symptomatik bei. Die Therapie des hohen Blutdrucks, die Kontrolle des Blutzuckers bei Diabetes mellitus, die Reduktion der erhöhten Blutfette sowie Aufhören mit Rauchen gehören zu den effektiven Präventions- und Therapiestrategien bei VaD.
Klinik
Das klinische Bild und vor allem die kognitiven Störungen der VaD hängen sehr stark von der Lokalisation und dem Ausmass der vaskulären Pathologie ab. Kognitive Störungen treten in der Regel akut nach dem zerebrovaskulären Ereignis auf und verschlechtern sich stufenweise. Exekutive Dysfunktion ist neben Aufmerksamkeitsstörung, Störung des Informationsprozesses und Schwierigkeiten bei komplexen Aktivitäten die prominenteste Symptomatik der VaD.2,5 Depression und Apathie gehören zu den häufigsten psychiatrischen Symptomen, während Wahn und Halluzinationen seltener sind.6 Nach Schlaganfällen weisen mehr als die Hälfte der Betroffenen eine Depression, sehr oft therapieresistent, auf, die Alltagsfähigkeiten zusätzlich einschränken kann. Epileptische Anfälle können auftreten und neue Blutungen können den Verlauf erschweren. Betroffene mit zerebrovaskulären Veränderungen neigen dazu, schneller ein Delir zu entwickeln.
Diagnostik
Die Diagnose der VaD nach ICD-10 setzt eine Demenz voraus mit plötzlichem Beginn, einer schrittweisen Verschlechterung und neurologischen Herdzeichen. Die kognitive Beeinträchtigung ist gewöhnlich ungleichmässig. Als zusätzliche Merkmale werden Hypertonie, Karotisgeräusche, Affektlabilität, Depression, Episoden von Bewusstseinstrübung oder Delir beschrieben. Bestätigt werden kann die Diagnose mit Bildgebung oder letztendlich mit neuropathologischer Untersuchung. Nach den NINDS-AIREN-Kriterien (NINDS: National Institute of Neurological Disorders and Stroke; AIREN: Association Internationale pour la Recherché et l’Enseignement en Neurosciences) müssen für die Diagnose der VaD eine Demenz und eine zerebrovaskuläre Erkrankung vorliegen, und zwischen diesen beiden muss eine Verknüpfung hergestellt werden können. Die Demenz manifestiert sich mit Gedächtnisstörung und mindestens zwei weiteren kognitiven Störungen und ist so weit fortgeschritten, dass die Alltagaktivitäten eingeschränkt sind. Die zerebrovaskuläre Erkrankung soll neuroradiologisch diagnostiziert werden und besteht entweder aus Schlaganfällen in Grossgefässterritorien oder Kleingefässerkrankungen. Das Ausmass umfasst Grossgefässläsionen in der dominanten Hemisphäre oder beidseitige hemisphärische Grossgefässläsionen oder Leukenzephalopathie ≥25% des Marklagers. Die zeitliche Verknüpfung wird hergestellt durch den Auftritt der Demenz innerhalb von drei Monaten nach einem zerebrovaskulären Ereignis. Es kommt zur abrupten Verschlechterung der kognitiven Funktionen und diese fluktuieren im Verlauf mit stufenweiser Progression der Defizite.
In der neuropsychologischen Untersuchung stehen vor allem die exekutiven Funktionen und die Aufmerksamkeitsstörung im Fokus. Die Gedächtnisleistungen sind weniger betroffen, aber das Arbeitsgedächtnis kann beeinträchtigt sein. Für das Screening scheint das MoCA (Montreal Cognitive Assessment) geeigneter zu sein als der MMSE (Mini-Mental State Exam).7 VADAS-Cog (Vascular Dementia Assessment Scale) ist vor allem in angelsächsischen Ländern verbreitet. Die Ischämie-Scale nach Hachinski von 1976 ist ebenfalls weiterhin gut einsetzbar. Weitere nützliche neuropsychologische Tests sind semantische und lexikalische Wortflüssigkeit, Zahlen-Symbol-Test, Wortlistenlernen und NPI («neuropsychiatric inventory»). Die Depression kann mit gängigen Assessmentskalen diagnostiziert werden.
In der Diagnostik der VaD, wie bei allen Demenzerkrankungen, gehört die Bildgebung heute zum Standard. CT kann in der Diagnose von Infarkten oder ausgedehnten mikrovaskulären Veränderungen in der weissen Substanz ausreichend sein, aber grundsätzlich ist MRT zu bevorzugen.5 Neben Befunden wie lakunären und strategischen Infarkten oder SVD sind generalisierte kortikale und hippokampale Atrophien für die Diagnose der Demenz ausschlaggebend. Im Kontrast zur Alzheimerdemenz gibt es für die VaD kaum etablierte Biomarker.8 Einige Kandidaten wie Albumin, Metalloproteinasen oder inflammatorische Marker warten auf ihre Validierung.
Primäre und sekundäre Prävention
Für die primäre Prävention ist es notwendig, die Personen mit hohem Risiko zu bestimmen, die eine Hypertension, Diabetes, atriale Fibrillation, transitorische ischämische Attacke (TIA), Schlaganfall oder Hypercholesterinämie haben oder rauchen.3 Am effektivsten ist die Reduktion des Blutdrucks. Die grossen Studien weisen darauf hin, dass antihypertensive Behandlung das Risiko für eine VaD reduziert. Es sind aber auch Studien vorhanden, die keine protektiven Effekte für Diuretika- oder Betablockertherapien nachgewiesen haben. Das Aufhören mit dem Rauchen ist auf jeden Fall eine effektive Präventionsstrategie.
In der sekundären Prävention geht es darum, das Risiko für wiederholte Schlaganfälle zu senken.3 Eine Therapie mit ACE-Hemmer in Kombination mit einem Diuretikum scheint effektiv zu sein. Sie reduziert ebenfalls das Risiko für die Weiterentwicklung von subkortikalen mikrovaskulären Veränderungen. Die Datenlage für den Einsatz von Statinen zur Prävention von VaD bei Hypercholesterinämie ist inkonsistent, wobei die Studien schwierig zu interpretieren sind, weil sie nicht zwischen verschiedenen Demenzformen unterscheiden und für eine Einflussnahme auf kognitive Parameter eine zu kurze Dauer haben.
Therapie
Es gibt keine kurative Therapie für die VaD. Neben Präventionsmassnahmen stehen die Behandlung der nicht kognitiven Symptome wie Depression und unterstützende psychosoziale Massnahmen für die Betroffenen wie auch für ihre Betreuer im Vordergrund.3,5 Auch wenn Hinweise darauf vorhanden sind, dass Antidementiva wie Acetylcholinesterase-Inhibitoren oder Memantin kognitive Symptome stabilisieren können, gibt es momentan keine Grundlage dafür, diese für die VaD zu empfehlen.5,9 Bei Mischformen der VaD mit der Alzheimerdemenz kann ein Therapieversuch unter der Berücksichtigung des Nebenwirkungsprofils versucht werden. Potenzielle neue Therapiemöglichkeiten wie z.B. Kalziumkanalblocker oder Substanzen, die endotheliale Funktionen oder das Renin-Angiotensin-System beeinflussen, müssen noch untersucht werden. Wahrscheinlich werden kombinierte Therapien notwendig werden, die pathophysiologische Prozesse wie oxidativen Stress, zentrale cholinerge Dysfunktion, Neuroinflammation und neuronale Apoptosis gemeinsam angehen.10
Literatur:
1 Wu YT et al.: Dementia in western Europe: epidemiological evidence and implications for policy making. Lancet Neurology 2016; 15: 116-24. 2 Bir SC et al.: Emerging concepts in vascular dementia: a review. Journal of Stroke and Cerebrovascular Diseases 2021; 30: 105864 3 McVeigh C, Passmore P: Vascular dementia: prevention and treatment. Clinical Interventions in Aging 2006; 1: 229-35 4 Daugherty AM: Hypertension-related risk for dementia: a summary review with future directions. Seminars in Cell and Development Biology 2021; 116: 82-9 5 O’Brien JT, Thomas A: Vascular dementia. Lancet 2015; 386: 1698-706 6 Gupta M et al.: Behavioral and psychological symptoms in poststroke vascular cognitive impairment. Behavioural Neurology 2014; 2014: 1-5 7 Pendlebury ST et al.: Differences in cognitive profile between TIA, stroke and elderly memory research subjects: a comparison of MMSE and MoCA. Cerebrovascular Diseases 2012; 34: 48-54 8 Jagtap A et al.: Biomarkers in vascular dementia: a recent update. Biomarkers Genomic Medicine 2014; 7: 43-56 9 Battle CE et al.: Cholinesterase inhibitors for vascular dementia and other vascular cognitive impairments: a network meta-analysis. Cochrane Database Syst Rev 2021; 2: CD013306 10 Kuang H et al.: Pharmacological treatment of vascular dementia: a molecular mechanism perspective. Aging and Disease 2021; 12: 308-26
Das könnte Sie auch interessieren:
Therapeuten und Onlinebewertungen
Dieser Beitrag beleuchtet die Problematik von Onlinebewertungen für Ärzte, Psychologen und andere Therapeuten. Die Begriffe «Ärzte», «Therapeuten» und «Behandelnde» werden abwechselnd ...
Demenz, Depression und Schizophrenie
In den letzten Jahren konnten die Erkenntnisse über die molekularen Grundlagen neurologisch-psychiatrischer Leiden wie Alzheimerdemenz, Depression und Schizophrenien stark erweitert ...
Differenzialdiagnosen der Erschöpfungserkrankungen
Erschöpfung, Erschöpfbarkeit und Müdigkeit sind Symptome, die keiner bestimmten Erkrankung eindeutig zuordenbar sind. Zusätzlich macht die umgangssprachliche Verwendung der Begriffe ...