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«Dran denken und den Überblick behalten»
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28.09.2017
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<p class="article-intro">Der systemische Lupus erythematodes (SLE) ist selten, und er kann sich auf so vielfältige Weise äussern, dass die Diagnose oft schwierig ist. Wir haben den SLE-Experten Prof. Dr. med. Martin Aringer aus Dresden gefragt, wann man an einen SLE denken muss, welche Untersuchungen in welcher Reihenfolge man durchführt, was von den neuen Klassifikationskriterien zu halten ist und wie man gefährliche Infektionen nicht übersieht.</p>
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<p class="article-content"><p><strong><em>Der SLE hat sich in den vergangenen Jahrzehnten von einer akut lebensbedrohlichen zu einer chronischen Er-krankung gewandelt. Inwiefern hat sich das auf die Betreuung der Patienten ausgewirkt?</em> </strong><br /><strong> <em>M. Aringer:</em></strong> Die akute Behandlung ist immer noch fast gleich. Nach der Akutphase stehen wir aber heute vor der Herausforderung, Organmanifestationen rechtzeitig zu erkennen und so zu behandeln, dass über Jahrzehnte weder durch die Erkrankung noch durch die Therapie Schäden entstehen und wir dem Patienten eine möglichst gute Lebensqualität ermöglichen.</p> <p><strong><em>SLE tritt mit einer Prävalenz von weit weniger als 50 auf 100 000 auf. Wann sollte man </em><em>daran denken? </em></strong><br /><strong> <em>M. Aringer:</em></strong> Als Differenzialdiagnose sollte man einen SLE immer in Betracht ziehen, wenn man die typischen Hautveränderungen sieht – also etwa ein Schmetterlingserythem oder die girlandenförmigen Veränderungen beim subakut kutanen Lupus – oder wenn der Patient eine symmetrische Polyarthritis oder eine Immunkomplexnephritis hat. Auch Arthralgien oder Myalgien und Zytopenien wie Leukopenie, Lymphopenie, Thrombopenie oder Anämie können auf einen Lupus weisen. Bei frühen akuten Formen finden wir häufig Fieber ohne eine Erhöhung des C-reaktiven Proteins oder eine Pleuritis. Abgesehen davon ist jede Multisystemerkrankung, gerade bei jungen Frauen, verdächtig in Bezug auf einen Lupus.</p> <p><strong><em>Schliessen negative antinukleäre Antikörper (ANA) einen SLE aus?</em> </strong><br /><strong> <em>M. Aringer:</em></strong> Negative ANA, also weniger als 1:80 in der Immunfluoreszenz auf HEp2-Zellen, schliessen einen SLE mit hoher Sicherheit aus. Daher sind die ANA ein sehr guter Suchtest, aber ihre Spezifität ist gering. Weniger als 2 % aller Patienten mit SLE sind ANA-negativ, und in Phasen der Aktivität, die zur Neudiagnose führen, sind es vermutlich noch weniger. Hat man nur einen kleinen Verdacht, der Patient könne einen SLE haben, reichen negative ANA zum Ausschluss. Hält man einen SLE aber für sehr wahrscheinlich, sollte man zusätzlich Antikörper gegen Ro oder extrahierbare nukleäre Antigene (ENA) und doppelsträngige DNA (dsDNA) bestimmen.</p> <p><strong><em>Wie geht es weiter in der Diagnostik?</em> </strong><br /><strong> <em>M. Aringer:</em></strong> Sind die ANA positiv, muss man weitere Differenzialdiagnosen in Betracht ziehen. ANA sind nicht spezifisch für den SLE und auch nicht für andere Kollagenosen. Positive ANA kommen bei bis zu 10 % aller Menschen und gehäuft bei Autoimmunerkrankungen wie Hashimoto-Thyreoiditis vor. Deshalb muss man positive ANA weiter differenzieren. Wichtig ist es, Antikörper gegen doppelsträngige DNA zu bestimmen und gegen RNA-bindende Proteine (Sm, Ro, La, U1RNP). Eine Verminderung der Komplement-Komponenten C3 und/oder C4 spricht für ein Immunkomplexgeschehen. Entscheidend sind aber natürlich auch eine ausführliche Anamnese, klinische Untersuchung, Blutbild und Urinteststreifen.</p> <p><strong><em>2012 wurden die lange erwarteten neuen Klassifikationskriterien der «Systemic Lupus International Collaborating Clinics (SLICC)»-Gruppe veröffentlicht. Helfen die zur Diagnose?</em> </strong><br /><strong> <em>M. Aringer:</em></strong> Nur sehr bedingt. Klassifikationskriterien sind grundsätzlich nicht für die Diagnose gedacht, sondern für wissenschaftliche Fragen. Sie können nie alle klinischen Details umfassen, sonst wären die Listen viel zu lange. Dennoch zeigen sie, was bei einer Erkrankung typisch ist. Die SLICC-Kriterien weisen darauf hin, wie wichtig die immunologischen Befunde sind und dass man die Diagnose Lupusnephritis nur stellen sollte, wenn diese histologisch gesichert ist. Ziemlich kompliziert finde ich hingegen die Listen für Manifestationen an Haut und Nervensystem. Die SLICC-Kriterien haben eine höhere Sensitivität als die ACR-Kriterien, aber leider eine zu geringe Spezifität. Das heisst, dass zu viele Patienten ohne echten SLE in SLE-Studien eingeschlossen werden, wenn die SLICC-Kriterien verwendet werden. Seit einigen Jahren arbeiten wir daher in einem von EULAR und ACR gemeinsam geförderten internationalen Projekt daran, noch bessere Kriterien mit einer etwas anderen Struktur zu erarbeiten. Ich hoffe, dass wir noch dieses Jahr die neuen Kriterien in der Hand haben – erste Ergebnisse wurden schon in Abstract-Form veröffentlicht. Dabei werden positive ANA als Eingangskriterium verwendet, die anderen Kriterien werden dann stärker gewichtet. Aber auch die neuen Kriterien werden Klassifikations- und keine Diagnosekriterien sein.</p> <p><strong><em>Wie stellen Sie dann die Diagnose?</em> </strong><br /><strong> <em>M. Aringer:</em></strong> Zunächst sollte es ein Symptom geben, das einen an den SLE denken lässt, zum Beispiel Arthralgien oder eine Polyarthritis. Dann sollten die ANA positiv sein – oder zumindest die Anti-Ro-Antikörper, weil diese in den ANA manchmal nicht auffallen. Und letztlich ist für den SLE charakteristisch, dass er mehrere, nicht zusammenpassende Antikörperprobleme verursacht. Zum Beispiel ist der diskoide Lupus oft eine reine Hauterkrankung, ein Anti-Phospholipid-Syndrom tritt bei der Hälfte der Patienten als isolierte Erkrankung auf. Aber die Kombination aus beiden spricht ziemlich sicher für einen SLE. Ebenso wäre es mit der Kombination Polyarthritis und Antikörper gegen doppelsträngige DNA, die direkt miteinander ja keinen Zusammenhang haben. Bei der Evaluation der Patienten ist es dann entscheidend, einen kompletten Rundumblick auf alle relevanten Organsysteme zu bewahren.</p> <p><strong><em>Was meinen Sie mit Rundumblick?</em> </strong><br /><strong> <em>M. Aringer:</em></strong> Das «Gemeine» am SLE ist, dass er in allen Organen Probleme machen kann. Und nicht immer erzählen die Patienten die dazugehörigen Symptome. Daher verwenden wir grundsätzlich bestimmte Aktivitätsscores, um die Beschwerden zu erfassen, sie heissen ECLAM (European Consensus Lupus Activity Measure), SLEDAI (Systemic Lupus Erythematosus Disease Activity Index) und SIS (SLE Index Score). Wir fragen diese kurzen Listen aktiv durch, und danach auch bei jeder Visite. Das entspricht den EULAR-Empfehlungen. Dazu kommt jedes Mal die Blutdruckmessung. Und natürlich benötigen wir Laboruntersuchungen, insbesondere Blutbild und Differenzialblutbild und die Urindiagnostik, weil Blutbildveränderungen und Nierenbeteiligung anfangs meist keine Symptome verursachen.</p> <p><strong><em>Wie gehen Sie vor, wenn Sie Hinweise für eine Organbeteiligung sehen?</em> </strong><br /><strong> <em>M. Aringer:</em></strong> Weiter abklären und möglichst objektivieren und messen. Das bedeutet zum Beispiel, bei allen Patienten mit Gelenkschmerzen die Gelenke komplett zu untersuchen. Oder die Lunge bei atemabhängigen Thoraxschmerzen sorgfältig zu perkutieren und abzuhören. Haut- und Schleimhautläsionen muss man sich genau anschauen, oft konsultiere ich hierzu einen Dermatologen. Zeigt der Urinteststreifen Eiweiss oder Blut im Urin, muss man das Urinsediment auf Zellen und Zylinder abklären und Eiweiss im 24-Stunden-Urin messen oder den Protein-Kreatinin-Quotienten im Spontanurin bestimmen. Die Eiweissmessung im Urin ist übrigens auch der wichtigste Verlaufsparameter für die Lupusnephritis – und wichtig für die Indikationsstellung zur Nierenbiopsie, die für die weitere Therapie oft entscheidend ist.</p> <p><strong><em>Wie beurteilt man Beteiligungen anderer Organe, etwa des hämatopoetischen Systems, der Muskeln oder der Leber?</em> </strong><br /><strong> <em>M. Aringer:</em></strong> Mit regelmässigen Laborkontrollen. Man darf aber bei pathologischen Befunden nicht vergessen, an andere Ursachen zu denken, also zum Beispiel an Virusinfektionen, hepatotoxische oder knochenmarktoxische Nebenwirkungen der SLE-Therapie oder CK-Werte unter Statinen. Die Differenzierung kann schwierig sein, wenn man ausserdem Zeichen für einen aktiven SLE findet.</p> <p><strong><em>Wie behalten Sie Herz und Lunge im Blick?</em> </strong><br /><strong> <em>M. Aringer:</em></strong> Bis auf die Serositis sind Organbeteiligungen im Thorax eher ungewöhnlich. Der SLE kann zwar von der akuten Lupus-Pneumonitis und einer interstitiellen Lungenerkrankung bis zur pulmonalarteriellen Hypertonie die Lunge auf vielfältige Weise befallen, aber ein konsequentes Screening wie bei der systemischen Sklerose wird zurzeit nicht empfohlen. Umso wichtiger ist es, Symptomen sofort nachzugehen. Als Differenzialdiagnose muss man vor allem an Infektionen denken. SLE-Patienten erkranken häufiger an Pneumonien, deshalb werden auch eine Influenza- und Pneumokokkenimpfung empfohlen. Bei der Herzbeteiligung ist es ähnlich. Die Perikarditis ist einigermassen häufig und leicht zu diagnostizieren, Myokarditis und Libman-Sachs-Endokarditis im Rahmen des Anti-Phospholipid-Syndroms sind aber selten. Ein echtes Problem ist dafür die deutlich vorzeitige koronare Herzkrankheit, unter der viele SLE-Patienten leiden. Das heisst, auch bei einer jungen SLE-Patientin ohne Risikofaktoren muss man bei entsprechenden Symptomen an einen Herzinfarkt denken.</p> <p><strong><em>Noch einmal zurück zur Infektion: Eine Pneumonie ist doch eigentlich </em><em>einfach zu diagnostizieren?</em> </strong><br /><strong> <em>M. Aringer:</em></strong> Natürlich. Aber es geht auch um andere Infektionen, und die sind differenzialdiagnostisch oft ein Problem. Nehmen wir zum Beispiel Fieber. Viele Patienten mit frühem, aktivem SLE haben Fieber oder zumindest erhöhte Temperaturen. Andererseits sind bakterielle Infektionen die häufigste Todesursache bei jungen Patienten mit SLE. Die Erkrankung prädisponiert dafür, und das Risiko wird durch Glukokortikoide und Immunsuppressiva erhöht. Denkt der Notfallmediziner nicht daran, kann das innerhalb von Stunden bis Tagen tödlich enden. Deshalb muss man im Zweifel Fieber unbedingt als Infektion behandeln, vor allem wenn das CRP relevant erhöht ist, also über 70mg/l oder 7mg/dl. Erhöhte CRP-Werte kommen zwar auch einmal bei SLE-Patienten mit Serositis oder Arthritis vor, das ist aber selten.</p> <p><strong><em>In wenigen Sätzen: Was ist das Wichtigste bei der Therapie?</em> </strong><br /><strong> <em>M. Aringer:</em></strong> Die Grundprinzipien sind einfach. Erstens: Fast alle Patienten brauchen Hydroxychloroquin und genügend Vitamin D, alle UV-empfindlichen Patienten einen wirksamen Sonnenschutz. Zweitens: Nicht vergessen darf man Schutzimpfungen und das Athero­sklerose-Risiko-Screening. Drittens: Die Entzündung muss gestoppt werden. Glukokortikoide sollten aber dann so rasch wie möglich auf 5mg Prednisolon-Äquivalent täglich oder weniger reduziert werden. Viertens: Je nach Organbeteiligung braucht der Patient Azathioprin oder MTX, Belimumab oder Cyclophosphamid, «off label» manchmal auch MMF oder Rituximab. Ich hoffe, dass sich in naher Zukunft unser Therapiespektrum noch erweitern wird, vermutlich zumindest um Interferon-Typ-I-Rezeptor-Blocker und vielleicht Januskinasehemmer.</p></p>
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<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p>Aringer M, Voll RE: Lupus erythematodes – Update 2016; Dtsch Med Wochenschr 2016; 141: 1785-8</p>
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