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Elektromuskelstimulation im Sportstudio
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28.11.2019
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<p class="article-intro">Immer mehr Fitnessstudios bieten EMS-Training an. Das Muskeltraining hat einen festen Platz in der Rehabilitation: Man kann damit ein effektives Krafttraining mit wenig Aufwand durchführen. Allerdings kann es bei unsachgemässem Training zu Nebenwirkungen kommen.</p>
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<p class="article-content"><p>Fitter und muskulöser – und das in kurzer Zeit: Die Werbung für das Sportprogramm EMS tönt verlockend. EMS steht für Elektromuskelstimulation und immer mehr Studios bieten das Programm an. Über einer speziellen Funktionskleidung trägt man eine Weste, in die Elektroden eingearbeitet sind. Für manche irritierend: Die Spezialkleidung wird vorher nass gemacht – Wasser leitet bekanntermassen den Strom. Die Elektroden geben Stromstösse an die Muskeln, diese ziehen sich zusammen und ahmen so die Aktivität der Muskeln unter Anstrengung nach. Es kribbelt oder fühlt sich an wie kleine Nadelstiche. Um den Trainingseffekt zu verstärken, kann man gleichzeitig Übungen machen, etwa Kniebeugen, Bizepsanspannen oder Ausfallschritte. Meist dauert eine Trainingseinheit 20 Minuten.<br /> «Es wird immer wieder kritisiert, EMS sei gefährlich und wirkungslos», sagt Prof. Dr. phil. Christoph Eifler, Leiter des Fachbereichs Trainings- und Bewegungswissenschaft der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG). «Inzwischen haben wir aber genügend Evidenz, dass man mit EMS mehr Muskeln bekommt und gesünder wird. Davon profitieren nicht nur Menschen, die sich zum Sport nicht motivieren können, sondern auch Patienten.»<br /> Einer der führenden EMS-Forscher ist Prof. Dr. Wolfgang Kemmler, Forschungsleiter für medizinische Physik an der Universität Erlangen-Nürnberg. In einer seiner aktuellen Übersichtsarbeiten aus 23 Studien hatten Probanden nach dem Ganzkörper- EMS-Training mehr und kräftigere Muskeln als Teilnehmer, die entweder kein Training machten, nur Wellness oder herkömmliches Training.<sup>1</sup> Auch der Körperfettanteil nahm ab. «Mehr Muskeln sehen nicht nur gut aus», sagt Prof. Eifler. «Sie stabilisieren auch die Gelenke, man wird beweglicher, verletzt sich nicht so leicht und ist insgesamt fitter.» Allerdings muss es nicht unbedingt EMS sein, wie gerade Wissenschaftler von der Sporthochschule Köln zeigten: 11 sportlich aktive Frauen sprinteten nach einem vierwöchigen EMS-Training schneller und sprangen höher – aber genauso nahm die Leistungsfähigkeit bei den 11 Frauen nach einem normalen Krafttraining zu.<sup>2</sup> «EMS ist ideal, wenn man nicht viel Zeit ins Training investieren will», sagt Eifler.</p> <h2>Für Senioren geeignet</h2> <p>Prof. Mag. DDr. Martin Burtscher, Sportmediziner und emeritierter Professor an der Universität Innsbruck, hält EMS zudem für eine gute Option für Senioren oder in der Rehabilitation: «Bei vielen älteren Herrschaften und Patienten in der Reha nehmen Muskelmasse und Muskelkraft ab. Das erhöht das Risiko für Stürze, was einen monatelangen Krankenhausaufenthalt nach sich ziehen kann.»<br /> Eingeschlossen waren in Kemmlers Übersichtsarbeit Studien mit gesunden Teilnehmern und Patienten mit Herzproblemen, Rückenschmerzen, Osteopenie, Sarkopenie oder zu wenig Muskelmasse. Die Ganzkörper- EMS konnte Rückenschmerzen lindern, aber ein positiver Effekt auf die Knochendichte zeigte nur grenzwertige Signifikanz. Bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz erhöhte sich die linksventrikuläre Ejektionsfraktion, und bei übergewichtigen Frauen mit metabolischem Syndrom nahmen mittlerer Blutdruck und Taillenumfang ab.<sup>1</sup></p> <h2>Gefahr durch hohen Anstieg der Kreatinkinase</h2> <p>«Dem Patienten sollte man raten, sich unbedingt ein seriöses Studio zu suchen», betont Prof. Burtscher. «Ist nämlich die Dosis der Stromstösse zu hoch, kann es zur Rhabdomyolyse mit gefährlichen Folgen kommen.» So fand Kemmlers Arbeitsgruppe heraus, dass bei 37 EMS-Sportlern aus der Gegend von Nürnberg die Kreatinkinase im Schnitt um das 96-Fache anstieg – das war 8,5-mal so viel wie bei 6 untersuchten Marathonläufern.<sup>3</sup> In anderen Studien wurden Anstiege um ein Tausendfaches beschrieben.<sup>4, 5</sup><br /> Zu viel Kreatinkinase birgt die Gefahr einer akuten Niereninsuffizienz. Auch Elektrolytstörungen mit Gefahr für Herz und Muskel sind möglich. «Hat man tagelang Muskelschmerzen oder wird der Urin braun, können das Zeichen für einen grösseren Muskelschaden sein», sagt Burtscher. «Dann sollte der Sportler schnellstens zum Arzt gehen.» Bei einem kompetenten Trainer sei das Risiko aber extrem gering, meint Sportwissenschaftler Eifler. «Wichtig ist, dass der Trainer die Dosis nur ganz langsam steigert und der Sportler selbst sagt, wenn es unangenehm ist oder wehtut.» Man dürfe sich aber nicht der Illusion hingeben, dass EMS ein lockeres Training sei: «EMS ist anstrengend und man kommt ganz schön ins Schwitzen.» Einen «bequemen» Weg, die Muskeln aufzubauen, gäbe es leider nicht.</p> <p><br />Lesen sie auch: <a href="https://ch.universimed.com/fachthemen/1000002125">«Nicht nur für junge Sportler»</a></p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Kemmler W et al.: Front Physiol 2018; 9: 573 <strong>2</strong> Dörmann U et al.: Front Physiol 2019; 10: 728 <strong>3</strong> Teschler M et al.: Int J Clin Exp Med 2016; 9: 22841-50 <strong>4</strong> Finsterer J, Stöllberger C: Int J Cardiol 2015; 180: 100-2 <strong>5</strong> Kästner A et al.: Clin J Sport 2015; 25: e71-73</p>
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